Читать книгу Wyatt Earp Jubiläumsbox 7 – Western - Mark Belcher William - Страница 7

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Scharf zeichneten sich die harten Konturen der Felsbastionen vor dem stahlblauen Himmel Colorados ab.

Die Waldhänge, die talabwärts zu den Garita Hills führten, hatte der Herbst in wilder Freude bunt gefärbt.

Über die ausgefahrene Zwillingsspur, die die schweren Eisenreifen unzähliger Planwagen in das struppige Berggras gefressen hatten, trabte ein Reiter.

Es war ein hochgewachsener Mann mit wetterbraunem, gutgeschnittenem Gesicht. Unter der tief in die Stirn gezogenen Krempe des schwarzen Hutes blickte ein dunkelblaues, seltsam eindringlich wirkendes Augenpaar hervor. Es war ein hartes, kantiges, ernstes Männergesicht.

Der Reiter trug eine schwarze Lederjacke, ein rotes Hemd und lederne Hosen, die über die hochhackigen, mit texanischen Steppereien besetzten Stiefel liefen. Um seine Hüften saß ein patronengespickter Waffengurt aus schwarzem Büffelleder, der an beiden Seiten tief über den Oberschenkeln einen großen Revolver hielt.

Leichtfüßig trabte der prächtig gewachsene Schwarzfalbe durch die Talsenke auf die Stadt zu.

Hundert Yards vor dem ersten Haus stand links am Weg ein hoher Pfahl, an dem ein Schuld befestigt war, das die Aufschrift DEL NORTE trug.

Der Reiter nahm die Zügel auf und ritt weiter.

Bald säumten rechts und links zweigeschossige Holzhäuser die Straße. Unter den Vorbauten saßen die Männer auf Schaukelstühlen und blickten dem Reiter nach.

Es war eine merkwürdige Stadt, dieses Del Norte. Obgleich sie sich äußerlich von den zahllosen Kistenholzstädten des Westens in nichts unterschied.

In Del Norte gab es mehr Leute mit Geld als sonst irgendwo im Umkreis von hundertfünfzig Meilen. Pelztierjäger, die es zu etwas gebracht hatten, waren hier ansässig geworden. Und als vor zehn Jahren an den Füßen des La Garita Hills Gold gefunden worden war, hatte es eine Reihe wohlhabender Leute in der Stadt zurückgelassen. Zu all dem endete hier der nördliche Santa Fé Trail; das bedeutete, daß die Rinder, die aus dem Süden kamen und für den westlichen Teil Colorados bestimmt waren, in den großen Korrals vor Del Norte zum Verkauf gelangten. Dieser Umstand brachte immer wieder Cowboys in die Stadt, belebte die Saloons und brachte auch sonst in jeder Weise den Handel in Del Norte in Schwung.

Es hätte also eine glückliche Stadt sein können, dieses Del Norte, wenn es nicht etwas angezogen hätte, was all jene Städte im Westen anzogen, in denen Geld zu finden war: Spieler, Hasardeure, Glücksritter, lichtscheues Gesindel, Banditen und Verbrecher aus allen Gegenden hatten sich hier eingefunden. Sie waren es, die der Stadt das seltsame Gepräge gaben.

Trotz einiger Schießereien und Krawalle war es Sheriff Hates bisher gelungen, die Ordnung in der Stadt zu erhalten; jedenfalls war es bis gestern so gewesen, bis zu dem Augenblick, an dem Jerry Hacat mit seiner Crew in die Stadt gekommen war.

Lärmend hatten die ungebärdigen Männer vom Devils Saloon Besitz ergriffen, hatten die Theke belagert und sich grölend an den Spieltischen breitgemacht. Joe Bonny, der Besitzer des Saloons, hatte sofort gespürt, mit was für Gästen er es hier zu tun hatte. Sorgenvoll hatte er beobachtet, daß die Leute des rothaarigen Dandys ziemlich glatte Finger und eine verdammt merkwürdige Auffassung von den Spielregeln hatten. Aber bis jetzt war alles verhältnismäßig gutgegangen. Das konnte sich jedoch jeden Augenblick ändern. Die Explosion lag irgendwie in der Luft.

So sah es aus, als der Falbreiter durch die Mainstreet von Del Norte ritt. Vor dem Sheriff-Office hielt er an, stieg ab, schlang die Zügelleine um den Querholm und ging auf den Vorbau zu.

Das Büro des Sheriffs war verschlossen.

Ein kahlköpfiger alter Mann blickte im Nachbarhaus aus dem Fenster. »Suchen Sie den Sheriff?«

Der Fremde nickte.

Da wies der Alte mit dem Kinn über die Straße. »Wahrscheinlich ist er drüben bei Bonny.«

Der Fremde tippe an den Hutrand, wandte sich um und überquerte die Straße.

Der Lärm, der aus der Schenke drang, war weithin zu hören. Rauhe Männerstimmen grölten, dazwischen girrendes Frauenlachen, Stiefelgescharre und Husten; alles wurde wenig harmonisch von dem stampfenden Gehämmer eines alten Orchestrions untermalt.

Als der Falbreiter die Tür aufstieß, schlug ihm eine Wolke von Tabakrauch entgegen, die ihm fast den Atem benahm. Nur undeutlich konnte er im Hintergrund die menschenumstandene lange Theke erkennen. Die Tische waren alle vollbesetzt. Rechts oder neben der Theke tanzten auf einem schmutzigen Podium vor einer miserabel gemalten Kulisse von New York drei aufdringlich geschminkte Mädchen, die alle längst über die Blüte ihrer Zeit hinweg waren. Rechts neben dem Podium lungerte ein graubärtiger Mann mit roter Schnapsnase und sah ihnen zu. Er war ihr einziger Zuschauer.

Der Fremde warf einen prüfenden Blick über die Tische. Dann ging er auf die Theke zu.

Niemand kümmerte sich um ihn. Noch nicht.

Der Falbreiter reckte seine Hünengestalt und schob sich zwischen zwei Männer an die Theke heran.

Es dauerte eine Weile, bis der Salooner einen Blick frei hatte.

Der Fremde fragte: »Ist der Sheriff hier?«

Joe Bonny nickte und deutete mit dem Daumen auf einen Mann, der mit hängendem Kopf am Stirnende der Theke lehnte.

Der Sheriff war eingeschlafen. Sein Kopf, der unter einem gewaltigen Melbahut verborgen war, pendelte hin und her.

Der Fremde bedankte sich und verließ seinen Platz. Er mußte an einem herkulisch gebauten Mann vorbei, der ihn lauernd beobachtet hatte und ihm jetzt ein Bein stellte.

Der Falbreiter stieg über das tückische Hindernis hinweg.

Da packte ihn der andere am Arm und zerrte ihn zurück.

Der Fremde blickte in ein derbknochiges, verschlagenes Banditengesicht mit gelblichen Augen, eingeschlagener Nase und weitvorgeschobenem, brutal wirkendem Kinn.

»He, Stranger«, krächzte der Mann heiser, »hast du eigentlich was gegen mich?«

Der Fremde machte sich los. »Nein«, sagte er nur, um den drohenden Streit zu vermeiden.

»Doch«, nörgelte der andere, »du hast was gegen mich! Weshalb hebst du sonst deine Flossen so hoch?«

Es war klar, der Mann suchte Krawall.

Aber der Fremde wandte sich ab.

Da packte ihn der Sattelnasige erneut und riß ihn mit der Linken herum; gleichzeitig holte er mit der Rechten zu einem Schwinger aus, den zwei neben ihm stehende kohlenäugige Burschen bereits mit einem johlenden Beifallssturm vorhonorierten.

Doch der Beifall kam zu früh.

Der Fremde war herumgefahren und hatte unter der rechten Schlaghand des Sattelnasigen einen steigangewinkelten linken Haken hochgerissen, der krachend am Kinnwinkel des Gegners detonierte. Es war ein so harter und präziger Hieb gewesen, daß er den Mann sofort von den Beinen riß. Er knickte nach hinten ein und sackte langsam an der Theke nieder.

Der Beifallsschrei war den beiden Dunkelhäutigen, die einander aufs Haar glichen, im Hals steckengeblieben.

Als der Fremde sich umwenden wollten, um seinen Weg zum Sheriff fortzusetzen, rannte ihn ein kleiner blaßgesichtiger Bursche an.

Der Falbreiter parierte den Stoß, federte zur Seite und ließ einen pfeifenden Handkantenschlag dicht neben dem rechten Ohr am Hals vorbei auf die Schulter des Gegners sausen.

Wie von einem Beilhieb gefällt, brach der Getroffene in die Knie.

Als der Fremde seinen so hindernisreichen Weg an der Theke entlang weiter fortsetzen wollte, sprangen ihm die Zwillinge nach. Der eine hechtete ihm in den Rücken, der andere warf sich ihm von der Seite entgegen. Die Twins schienen diesen Angriff nicht zum erstenmal ausprobiert zu haben. Er hatte etwas verteufelt Perfektes an sich. Während der eine den Mann von hinten ansprang und der zweite ihn aus der Flanke heraus zu rammen versuchte, mußte der Gegner nach den Gesetzen der Hebelkraft an und für sich ausmanövriert sein.

Wenn es ein anderer Mann gewesen wäre, hätte er jetzt sicher am Boden gelegen, um aller Wahrscheinlichkeit nach mit den Stiefeln seiner wenig rücksichtsvollen Gegner Bekanntschaft zu machen. Aber die vier Rowdies hatten das Pech, an einen Mann geraten zu sein, der eine lebende Kampfmaschine war. Hatte er bis jetzt seine Aktionen mit scheinbarer Mühelosigkeit ausgetragen, so begann er jetzt zu fighten. Er hatte mit dem Angriff gerechnet, machte einen Sprung vorwärts, riß einen zischenden Backhander herum, traf den Mulatten, der ihn von der Seite stoppen wollte, und ließ den zweiten mit einer geschickten Körpertäuschung sein Sprungziel verfehlen.

Der eine Zwilling drehte sich um seine eigene Achse, und torkelte dann völlig groggy zurück; sein Bruder kam gerade noch einmal hoch, um einen schnellen Handkantenschlag einzufangen.

Der Fremde sah sich um.

Es war still geworden im Devils Saloon.

Keuchend erhob sich in diesem Moment der Sattelnäsige.

Der Fremde sah ihn nur kalt an, dann wandte er sich um, ging an den Männern vorbei, die an der Theke standen und ihm jetzt bereitwillig Platz machten.

In diesem Augenblick peitschte ein Schuß durch den Raum.

Ein röhrender Schrei aus einer Männerkehle klang mit dem schrillen Aufschrei der »Tänzerinnen« zusammen.

Der Fremde wirbelte herum, in seiner Linken blinkte ein großer sechskantiger Revolver. Wenige Yards vor ihm stand der Sattelnäsige, der seine blutende Rechte an die Brust preßte.

Vor ihm am Boden lag ein Colt vom Kaliber Western 44.

Wer hatte geschossen?

Der Falbreiter blickte zur Türecke hinüber, wo die kleine graue Pulverwolke noch in der Luft schwebte.

Hochaufgerichtet stand der Schütze da. Er war etwa von der gleichen Größe wie der Falbreiter, hatte unter breiten schwarzen Brauen schimmernd-grüne Augen und ein olivfarbenes, gutgeschnittenes, verwegenes Gesicht. Unter dem weißen Stetson blickte volles dunkles Haar hervor. Sein Anzug war dunkelgrau und nach der neuesten Mode geschneidert. Das weiße Rüschenhemd wurde oben von einer smaragdfarbenen Seidenschleife gehalten. Die enge Hose lief über elegante, sehr blanke Stiefeletten aus. Um die Hüften – und auch um die Schöße seines Jacketts – trug er einen dicht mit Patronen besetzten Kreuzgurt für zwei Colts. Einen davon hielt er jetzt in der rechten Hand. Aus dem Lauf kräuselte sich ein Rauchfaden.

Um die Lippen des Schützen stand ein Lächeln.

Der Falbreiter warf einen schnellen Blick über die anderen Männer und ließ seinen Colt dann ins Halfter zurückgleiten.

»Thanks«, sagte er nur.

Der Grünäugige tippte mit dem Revolverlauf an den Hutrand, schob die Waffe mit dem Knaufende nach vorn ins Futteral, ließ sich am Spieltisch nieder, nahm die Karten auf und blickte seine Mitspieler auffordernd an. »Es geht weiter!«

Der Falbreiter wandte sich ab und ging auf den Sheriff zu.

Der Hüter des Gesetzes schien durch den Schuß aufgewacht zu sein. Er nahm den Kopf hoch und rieb sich verstört durch die wäßrigen Augen.

Da war der Fremde neben ihm. »Sheriff, ich muß mit Ihnen sprechen.«

»Sprechen?« kam es benommen von den Lippen des Gesetzesmannes.

»Kommen Sie, wir gehen in Ihr Büro!« sagte der Fremde.

Jubal Hates rieb sich wieder durch die Augen, schob sich den Melbahut aus der Stirn und nickte. »Yeah, gehen wir!«

Da brüllte der Sattelnäsige krächzend: »He, Polizeiknochen, willst du nicht gefälligst fragen, was hier los war?«

Hates, der sich schon von der Theke abgewandt hatte, blieb stehen und wandte sich um. »Yeah«, sagte er mit schwerer Zunge, »was war los?«

»Hier ist geschossen worden, alter Säufer. Wenn du es nicht gehört hast, mußt du es doch wenigstens mit deiner Schnapsnase riechen!« brüllte der Sattelnäsige, dann hob er seine Rechte, die am Handrücken blutete. »Ich bin verletzt worden!«

Hates nickte mit schaukelndem Kopf. »Es ist also geschossen worden!«

Die Männer an der Theke lachten dröhnend.

Hates machte einen nicht ganz sicheren Schritt vorwärts auf sie zu. »Wer hat geschossen?« keifte er plötzlich im höchsten Diskant.

Wieder schlug ihm eine bellende Lachsalve entgegen.

Da nahm ihn der Fremde am Arm und zerrte ihn hinaus.

Niemand hinderte die beiden am Verlassen der Schenke.

Draußen auf dem Vorbau versuchte sich der Sheriff aus dem eisernen Griff des Fremden zu befreien. »He, lassen Sie mich los! Sie zerquetschen mir ja den Arm! Was wollen Sie überhaupt von mir?«

»Ich suche einen Mann.«

Hates, der etwas zu sich gekommen war, nickte und knurrte ärgerlich: »Natürlich, Sie suchen einen Mann. Dachte ich mir’s doch gleich.« Er schaukelte ein paar Schritte vorwärts und lehnte sich nach Luft schnappend an einem Vorbaupfeiler.

»Kommen Sie gefälligst mit ins Office!«

Der Fremde zerrte den angetrunkenen Hüter des Gesetzes über die Main-street ins Office.

Nein, Jubal Hates hatte den Mann nicht gesehen, den der Fremde suchte; er hatte nie etwas von einem Ted Drycoll gehört.

Der Falbreiter verließ das Office und ging zu seinem Pferd hinüber. In diesem Augenblick hörte er im Saloon ein Poltern und Schreien.

Gleich daraus platzten die Schwingarme der Pendeltür auf, und der Sattelnäsige flog wie ein Geschoß weit auf den Vorbau hinaus.

Gleich darauf stand der Mann mit den grünen Augen im Türrahmen, nahm eine lange dünne schwarze Strohhalmzigarre aus der Reverstasche, riß ein Zündholz am Türrahmen an und sah auf den sich keuchend erhebenden Rowdy.

»Hör zu, Junge. Ich bin ein gemütlicher Bursche, und ich raufe mich auch ganz gern. Aber heute habe ich meinen besten Anzug an, da paßt es mir schlecht.«

Der Sattelnäsige erhob sich und kroch mehr als er ging mit der blutenden, gegen die Brust gepreßten Hand auf das Haus des Doktors zu.

Der Falbreiter blickte den Mann auf dem Vorbau an; seine Augen blieben an den beiden roten Knäufen der nach vorn stehenden Revolver hängen.

»Vielen Dank übrigens, Mister. Das war ein guter Schuß.«

»Yeah!« Der Grünäugige bleckte sein prächtiges Gebiß und hakte die Daumen hinter den Waffengurt. »Das glaube ich auch.«

Langsam zog sich der Falbreiter in den Sattel. Wieder musterte er den trotz seiner eleganten Kleidung so seltsam wild mit seinem übergeschnallten Kreuzgurt wirkenden Spieler.

»Vielleicht kann ich mich mal dafür revanchieren.«

»Kann schon sein.«

Der Fremde nahm das Pferd herum. Dann hielt er neben der Vorbautreppe noch einmal an. »Wenn Sie nichts dagegen haben, wüßte ich gern noch Ihren Namen.«

Der Mann lachte. Er sah jetzt aus wie ein großer, wilder, ungebärdiger Junge, obgleich er sicher die Dreißig erreicht haben mußte.

»Well, manchmal habe ich etwas dagegen. Aber im Augenblick ist mein Konto glatt. Ich heiße Short.«

»Short…?« wiederholte der Fremde schnell, dann rutschte er aus dem Sattel, ließ die Zügelleinen los und kam die Vorbautreppe hinauf.

Der andere stand jetzt mit verwunderten Augen vor ihm und schob seinen neuen weißen Stetson aus der Stirn. »Kennen Sie mich etwa?«

»Yeah.«

Short winkte ab. »He, lieber nicht, Mister. Have a good time!« Er hob die Hand zum Gruß und wollte sich abwenden.

»Warten Sie noch, Luke!«

Short war stehengeblieben, wandte sich langsam um und schickte dem Falbreiter einen unergründlichen Blick zu. Dann sprang plötzlich ein Lachen in seine Augen, das sie grün aufflimmern ließ.

Der Falbreiter hielt ihm die Hand entgegen. »Ich bin Wyatt Earp.«

Sofort verflog das Lachen aus den Augen Shorts, und die Virginia glitt aus seinen Zähnen. Sie fiel auf den Vorbau und zog einen langen, hauchdünnen, sanft gekräuselten Rauchfaden hoch.

»Wyatt Earp? Der Marshal von Dodge?«

Wyatt nickte.

Da brach Short in ein helles Lachen aus und nahm die dargebotene Hand, um sie kräftig zu schütteln. »Wyatt Earp! Teufel auch! Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie mich das freut! Damned, ich habe schon so viel von Ihnen gehört und wollte Sie längst einmal kennenlernen!« Plötzlich hielt er inne und blickte sich um. »Hell and devils, wenn die Halunken da drinnen spitzkriegen, wem ich da geholfen haben, machen Sie Sülze aus mir.«

»Tut mir leid, Luke.«

Wyatt kannte den Namen des Texaners schon eine geraume Zeit. Er hatte manches von ihm gehört. Luke Short war ein wilder, verwegener, ungebärdiger junger Mensch, der, ähnlich wie Doc Holliday, meist an den Spieltischen in den größeren Westernstädten zu finden, der aber auch im derben Lederzeug bei den Diggers in den Goldfundorten zu finden war. Der als Revolverschütze, Wildpferdjäger und Trailboß einen großen Namen hatte.

Allerdings, und darin glich der wilde Texaner den meisten Männern seiner Zeit, die sich einen Namen gemacht hatten; man wußte nie so recht, wo er eigentlich stand, der ungebärdige Short. In Fermont, oben in Wyoming, hatte er durch einen geradezu sagenhaften Streich das Fort Dylamot vor der Vernichtung durch die Indianer bewahrt. In Sioux Falls brachte er eine Siedlerschar mit einer heldenhaften Attacke aus dem Feuer. Luke Short war ein unversöhnlicher Indianerfreund, hieß es. In Lonegan hatten die drei Wells Brothers die Bank überfallen, und im ganzen Westen sprach man damals von Luke Short, der plötzlich dazwischen gekommen war und in einem wilden Gunfight unter ihnen aufgeräumt hatte. Bestimmt nie würden die Menschen im Westen die Brandnacht von Santa Fé vergessen, in der Luke Short eine bedeutende Rolle gespielt hatte.

Well, es gab eine Menge Dinge, die mit dem Namen dieses sonderbaren Mannes in Verbindung gebracht wurden. Und leider waren es nicht nur gute und schöne Dinge. Wyatt Earp wußte damals nicht, ob es wahr war, was man erzählte. Jedenfalls war es ganz dazu angetan, den Mann interessant zu machen.

Und zweifellos war dieser Luke Short einer der ganz wenigen Männer, die in ihrer äußeren Erscheinung ganz und gar dem Bild entsprachen, das sich die Menschen in den großen Städten des Ostens von einem Westernhelden machten. Der Texaner war ein wirklicher Beau, ein gutaussehender Mann, nach dem sich die Mädchen auf der Straße umsahen und dem die Männer neidische Blicke nachwarfen.

Aber wer war er wirklich, dieser Luke Short?

Obwohl der Missourier Wyatt Earp fast sieben Jahre Zeit haben sollte, diese Frage zu erörtern, würde er sie nicht lösen. Luke Short blieb ein Geheimnis, ein Rätsel; ähnlich wie der große Gambler und Gunman John Holliday immer ein Rätsel bleiben würde. Bei Doc Holliday überwog jedoch eindeutig das Kalte, Düstere. Er war ein mit vielen Gaben und Talenten ausgestatteter, gebildeter Mensch, der durch den Westen zog, weil er den Tod suchte, den eigenen Tod. Sein Leben war von tiefer Tragik überschattet. Ganz anders Luke Short: Er war der strahlende Held, der ungekümmerte Trailreiter, der ewig lachende Spieler, der bekannt dafür war, daß er keine Schießerei und vor allem keine Keilerei mied. Was Doc Holliday und Luke Short miteinander gemeinsam hatten: Die Rastlosigkeit. Was sie sehr voneinander unterschied: Holliday floh das Abenteuer – das ihn unbereiflicherweise immer wieder einholte. Luke Short schien es direkt zu lieben.

Der Texaner lachte jetzt, wobei er die zusammengebissenen weißen Zähne blitzen ließ. »Well, seit gestern ist da drin nichts mehr zu verdienen. – Haben Sie schon mal den Namen Hacat gehört? Larry Hacat?«

Der Marshal sagte: »Nein, nie.«

Der Texaner stieß die noch glimmende Virginia mit seiner blanken Schuhspitze vom Vorbau, zog eine neue aus der Reverstasche und zündete sie an.

»Hacat ist ein großer Feuerkopf. Gibt sich so, als ob ihm mindestens das halbe County gehört. Gestern vormittag kam er mit seinen Halunken in die Stadt. Seitdem verlieren die anderen Leute hier in der Kneipe nur noch.«

Wyatt warf einen kurzen Blick auf die Tür der Schenke. »Waren es die Burschen, mit denen ich den Gang an der Theke hatte?«

»Yeah – vier von ihnen. Der Gorilla mit der zerschlagenen Visage ist Jim Tucker. Die schwarzäugigen Twins sind die Mulatten Jeff und Eddy Carpetta. Der Kleine, den Sie so sauber haben abfahren lassen, heißt Scarpy, Fred Scarpy glaube ich.«

»Sie kennen die Leute aber schon ziemlich genau.«

»Yeah, ist eine Eigenheit von mir. – Außerdem sind es längst noch nicht alle. Hacat hat sich da einen ziemlich großen Verein mitgebracht. Die Halunken schwirren in der Stadt herum. Well,« – er reichte dem Missourier die Hand – »hat mich wirklich gefreut, Marshal. Und wenn ich mal irgendwo in der Tinte sitze, schreie ich nach Wyatt Earp.«

Der Missourier nahm die große braune Hand des Texaners und drückte sie kräftig. »All right, Luke.«

Er blickte ihm nach, bis die Pendeltür des Saloons hinter seinen breiten Schultern zuschlugen. Dann zog er sich wieder in seinen Sattel und ritt weiter.

Dreißig Schritte mochte er von der Schenke entfernt sein, als ein Gewehrschuß über die Mainstreet heulte. Haarscharf pfiff die Kugel an Wyatts linker Schulter vorbei. Der Reiter war sofort aus dem Sattel und flog in einem Riesensatz auf eine Vorbauecke zu.

Dann klatschten die Schüsse nur so

zu ihm herüber. Mit einem unangenehmen Geräusch fraßen sich die Kugeln in das Holz der Vorbaupfosten und der schweren Bohlen, die den Stepwalk bildeten.

Drüben, hinter der Planke einer Pferdetränke, lagen die Schützen. Wyatt schätzte, daß es wenigstens drei Mann waren.

Die Tränke befand sich genau vor dem Haus, in dem der Gorilla – wie Short ihn genannt hatte – verschwunden war. Da hatte der Hacat-Mann also noch einige seiner Kumpane gegen den Fremden mobil gemacht.

Wyatt warf sich zur Seite und feuerte blitzschnell zwei Schüsse mit den Buntline-Revolver ab, die drüben an der oberen Kante der Planke ein daumendickes Stück aus dem Holz rissen.

Dann zersprang im Saloon eine Scheibe. Es war an der Türseite, an der Luke Short gesessen hatte.

Eine Kugel fegte zur Tränke hinüber, traf dicht neben Tuckers Gesicht eine Eisenkrampe und heulte jaulend als Querschläger über die Straße.

»Damned, der Gamb!« stieß Tucker heiser hervor.

»Alles klar, Wyatt?« kam die Stimme des Texaners aus dem Saloon.

»Sure!«

Im Saloon krachten zwei Schüsse. War der Texaner etwa von hinten niedergeschossen worden?

Wyatt federte hoch und sprang über den Fahrdamm, nach drei Sätzen ließ er sich fallen und schoß zur Tränke hinüber.

Die Banditen antworteten mit einer wütenden Salve.

Dicht hinter den Fersen des wieder hochspringenden Missouriers ließen die Kugeln den Dreck aufspritzen.

Wyatt hatte den Vorbau des Saloons erreicht. Da streifte eine Kugel sengend seinen rechten Arm. Er wirbelte herum, ging in die Hocke und feuerte aus beiden Revolvern. Dann stürmte er auf den Saloon zu und warf sich gleich unter den Schwingarmen der Tür hindurch in den Raum.

Seine beiden Revolver spien Feuer.

Mitten in den spitzen Schrei, der von der Theke kam, mischte sich das helle, dröhnende Lachen des Texaners.

Wyatt riß den Kopf herum und sah links einen umgekippten Tisch; dahinter entdeckte er das lachende Gesicht Luke Shorts. Ein roter Blutfaden rann dem Texaner von der Stirn am rechten Auge vorbei zum Kinn hinunter.

Wyatt sprang hoch.

Er hatte die beiden Revolver schußbereit in den vorgestreckten Fäusten.

Die drei Männer an der Theke starrten ihn bewegungslos an.

»Laßt die Revolver fallen!« Es klang wie Metallstücke, die aufeinanderschlugen. Hart und kalt.

Jeff Carpetta hatte sofort begriffen. Der Colt rutschte aus seiner Hand. Sein Bruder Eddy war verwundet und spannte seine Linke um die blutende Rechte.

Nur der kleine, blaßgesichtige Scarpy hielt seinen Colt noch fest umkrampft; die Mündung schwankte jedoch leise hin und her.

»Laß deinen Revolver, los, Scarpy!«

Die Worte drangen nicht nur dem

Rowdy in die Nerven.

Luke Short richtete sich langsam hinter seiner Verschanzung auf und wischte sich mit einem blütenweißen Taschentuch das Blut aus dem Gesicht. Auch jetzt stand ein befriedigtes Lächeln auf seinem ebenmäßigen Gesicht; die grünen Augen schienen direkt zu funkeln vor wilder Kampfeslust.

By Gosh; dieser Wyatt Earp gefiel ihm! Das war ein Mann nach seinem Geschmack. Teufel auch. Luke hatte ein halbes Hundert harter und rauher Männer in diesem wilden Land kennengelernt – keiner aber war wie dieser Wyatt Earp!

Von dem tiefen Ernst, der den Missourier beherrschte, wußte der Abenteurer ja noch nichts. Er sah nur dessen brillante Aktionen.

Damned, wie kaltblütig er jetzt auf den kleinen Banditen mit dem wächsernen Gesicht zuging.

Der Texaner riß die Augen auf. Nein, das konnte doch nicht wahr sein! Die Hände des Marshals waren plötzlich leer. Seine beiden großen Revolver steckten in ihren Futteralen.

Das war doch Hexerei!

Short stieß seinen eigenen Revolver vor und spannte den Hahn. Für alle Fälle war er jedenfalls bereit.

Langsam, Schritt für Schritt, ging der Missourier auf Scarpy zu.

Die Lippen des Tramps öffneten sich, sie schienen schon ebenso wächsern und farblos zu sein wie sein übriges Gesicht.

»Bleib stehen!« keuchte er dem Marshal heiser entgegen.

Wyatt ging weiter. »Laß das Eisen fallen, Scarpy!«

Fred Scarpy hielt den Revolver fest. Er sah den Marshal aus kleinen grauen Rattenaugen an und krächzte: »Ich schieße…!«

Wyatt Earp stand jetzt nur noch einen Schritt von Scarpy entfernt. Langsam hob er die Hand und hielt sie dem Tramp geöffnet entgegen.

»Gib mir den Colt.«

Scarpy starrte wie gelähmt in die eisigen Augen des Missouriers. Sein Unterkiefer zitterte.

Ruhig blieb die ausgestreckte Hand unter dem Revolver.

Plötzlich blitzte es in den bisher unbewegten Augen des Marshals auf.

»Vorwärts!« befahl er schneidend.

Da ließ der Tramp die Waffe los, sie fiel in die Hand des Missouriers.

Wyatt schleuderte sie achtlos zu den Schießeisen der beiden anderen, die vor der Theke auf den Dielen lagen. Dann wies er mit dem ausgestreckten Arm zur Tür.

Wie geprügelte Hunde trotteten die drei Rowdys zum Eingang.

Eddy Carpetta blieb plötzlich stehen und wandte sich um. »Sie hören noch von uns, Mister…«

»Earp!« sagte der Texaner rauh. »Wyatt Earp – Eddy, vielleicht ist es gut, wenn du dir den Namen deines Freundes gleich merkst.«

Eddy Carpetta starrte mit ungläubigen Augen auf den Missourier. Auch die beiden anderen waren stehengeblieben.

»Raus!« herrschte der Marshal sie an.

Unter dem schallenden Gelächter des Texaners flüchteten die drei Banditen auf den Vorbau.

Wyatt lud die Trommeln seiner Revolver nach.

Luke Short besorgte das gleiche und kam auf ihn zu.

»Damit wären wir wieder quitt, Marshal.«

Der schüttelte den Kopf. »Keineswegs. Sie sind ja durch mich hinter den Tisch gekommen. Schließlich haben Sie das Fenster ja nicht aus Spaß zerschlagen…«

*

Die Männer draußen hinter der Pferdetränke hatten reglos auf ihren Plätzen verharrt.

Als Scarpy und die beiden Carpettas auf dem Vorbau erschienen, richtete sich Tucker etwas auf und stieß einen Fluch aus.

»Er hat sie also wieder geschafft! Damned! Ich muß Chip holen!«

Als er über die Straße stampfte, wurde im Sheriff Office die Tür geöffnet.

Jubal Hates stand da mit einem Gewehr.

»Stehenbleiben!«

Es kam so unmißverständlich ernst von den Lippen des Sheriffs, daß Jim Tucker im Augenblick kaum eine andere Wahl hatte, als der Aufforderung nachzukommen.

»Was wollen Sie, Sheriff?«

»Sie haben geschossen.«

»Ich…?«

»Yeah, Sie!«

Bis zu diesem Zeitpunkt war alles noch verhältnismäßig harmlos, was sich in der Mainstreet von Del Norte und im Devils Saloon zugetragen hatte.

Das änderte sich jedoch mit einem Schlag. Besser gesagt: mit einem Schuß! Und dieser Schuß traf Jubal Hates, den Sheriff von Del Norte.

Jubal Hates taumelte zwei Schritte nach vorn, das Gewehr fiel aus seiner Hand. Dann drehte er sich langsam um seine eigene Achse und brach in die Knie.

Es war ein scheußliches Bild, wie er da am Boden kniete, auf die Hände gestützt – und nach Sekunden erst fiel.

Wyatt Earp stand sofort zwischen den Schwingarmen der Saloon-Tür, um seinen Mund gruben sich zwei tiefe Falten; seine Augen wurden hart wie Bergkristall.

»Tucker!«

Schneidend fuhr der Ruf an die Ohren des Banditen. Wie von magischer Kraft gezogen, wandte sich der Gorilla-Mann um und starrte den Missourier an.

Die beiden anderen Männer, die mit Tucker hinter der Pferdetränke gesteckt hatten, kamen mit verstörten Gesichtern zum Vorschein.

Mit harten, sporenklingenden Schritten überquerte der Marshal den Vorbau, kam auf die Straße und hielt auf Tucker zu.

Der Gorilla dachte an keine Gegenwehr mehr, er blickte wie gelähmt in die eiskalten Augen des Missouriers.

Wyatt blieb erst stehen, als er nur noch einen Yard von ihm entfernt war.

Seine Lippen sprangen auf: »Wer hat den Sheriff niedergeschossen?«

Der Gorilla schluckte. »Ich nicht.«

Da zuckte die Linke des Marshals vor und riß dem Tramp den Colt aus dem Halfter. Auch jetzt kam Tucker kein Gedanke an Gegenwehr.

Der Missourier öffnete die Trommel und ließ die Patronen aus den Kammern in den Staub der Straße fallen. Es waren noch alle sechs.

Der Marshal sah an Tucker vorbei auf den Mann am Boden. Er sah jetzt den dunklen Fleck hinten in der Weste. »Sie haben gewußt, daß ich es nicht war! Sie wollten mir nur den Colt wegnehmen! Ich werde…«

Wyatt warf ihm den Revolver vor die Füße. »Wer hat ihn niedergeschossen?«

Tucker wandte langsam den Kopf und schickte ein Blick zu den oberen Fenstern des Yate House.

In den Augen des sattelnäsigen Tramps stand Angst, hündische Angst.

Der Missourier sah es. Und er sah noch mehr. Oben hinter der Gardine eines der Fenster blinkte es metallen; ein Gewehrlauf!

Wyatt stieß den Gorilla plötzlich zurück und federte selbst zur Seite.

Der Buntline Colt an seiner linken Hüfte ließ einen fauchenden Schuß los.

Aber der Mann oben hatte auch geschossen – und sofort seine Stellung am Fenster geändert.

Die beiden Schüsse schienen ein Inferno in der Mainstreet von Del Norte ausgelöst zu haben.

Aus der Tür des Hotels Yate House stürmten zwei Männer mit vorgestreckten Revolvern.

Die erste Kugel des Missouriers riß einen von ihnen nieder. Ein dritter Mann, ein riesiger blonder Bursche, stürmte aus dem Hotel und schoß sofort.

Da warfen sich Scarpy und die beiden Carpettas herum. Der blaßgesichtige Zwerg hatte einen Derringer in der Hand. Jeff Carpetta riß ein Messer aus dem Hosenbund.

Tucker war gestürzt, richtete sich mit wutverzerrtem Gesicht auf und warf sich Wyatt entgegen.

Die Situation für den Marshal, mitten auf der Straße, war hoffnungslos geworden. Wie ein Federball flog er herum. Beide Revolver blitzten in seinen Fäusten auf. Wie ein Phantom wirbelte er wieder zur Seite. Aber er hatte trotzdem kaum noch die Spur einer Chance. Die Übermacht war zu groß. Es war eine der Minuten, die Wyatt Earp nie vergessen sollte. Und genau in dieser Minute lieferte ihm der unbegreifliche Texaner sein drittes Paradestück.

Tucker brüllte: »Knallt ihn doch ab! Fegt ihn weg! Hell and devils, ich erwürge ihn – ich zeige euch elenden Schützen, wie man so eine Figur erledigt!«

Genau in diesem Augenblick flog drüben durch die schon angelochte Scheibe ein menschlicher Körper. Zusammengeballt wie eine Kugel, landete er weit auf dem Vorbau, fuhr hoch und wirbelte auf die Straße.

Luke Short!

Ein Lachen brach von seinen Lippen.

Er hatte beide Revolver aus seinem Kreuzgurt gerissen und fegte ein wahres Stakkato von Schüssen über die Straße.

Dann hechtete er hinter eine Regentonne.

Wyatt hatte die neue Luft dazu benutzt, den jenseitigen Vorbau zu erreichen, um wenigstens vor dem Heckenschützen oben über der Balustrade des Yate House sicher zu sein.

»He, Wyatt! Die Sache sieht prächtig aus!« kam die hellklingende Stimme des Texaners über die Straße. »Wenn auch nur noch ein Schuß fällt, fege ich den Gorilla, die beiden mulattengesichtigen Schießbudenfiguren und den Zwerg aus den Stiefeln; sie stehen genau in meiner Schußlinie.«

Der Marshal stand hochaufgerichtet drüben auf dem Vorbau. Ungeschützt, die Revolver in den vorgestreckten Fäusten. Sein Blick ruhte auf Tucker.

»Wer hat den Sheriff niedergeschossen?« kam es frostig von seinen Lippen.

Da fiel der zweite Schuß.

Der Gorilla hatte einen Stoß vor die Brust bekommen, schwankte und starrte mit ungläubigen Augen nach oben. Dann rannte er vorwärts auf den Vorbau zu, wo er zusammensackte.

Der Missourier hetzte mit weiten Sätzen über die Vorbauplanken und stürmte auf den Hoteleingang zu.

Der Texaner rief: »Bleibt stehen, Boys! Ganz ruhig, sonst blase ich mit heißem Blei!«

Die Hoteltür war verschlossen.

Wyatt lief ein paar Schritte zurück und warf sich mit der Schulter dagegen. Es knackte im Rahmen, aber die Tür hielt. Erst beim zweiten Anprall gab sie berstend nach und stürzte mit dem Mann in den Eingangsraum.

Der Marshal machte es richtig. Er lief nicht etwa die Treppen hinauf, sondern stürmte vorwärts durch die Halle auf eine Tür zu, die zum Hofgang führen mußte. Auch diese Tür war verriegelt. Wyatt zertrümmerte das Schloß mit einem Schuß seines schweren Revolvers. Ein Fußtritt vollendete die Arbeit. Die Tür sprang ächzend auf. Obgleich er im wilden Vorwärtsdrang war, hielt der Missourier noch einen Sekundenbruchteil neben der Tür inne.

Das war sein Glück.

Denn als die Tür aufsprang, zerriß eine ohrenbetäubende Detonation die Luft. Eine Doppelladung mit gehacktem Blei schlug hämmernd und klatschend in Rahmenholz und Wände. Beizend drang die schwarzgraue Pulverwolke durch die Tür.

Zwei Bleistücke hatten den Oberarm des Marshals getroffen. Wyatt duckte sich nieder und hechtete dann vorwärts, tief in das Schwarzgrau der Wolke hinein. Unsanft landete er an einem truheähnlichen Gegenstand.

Der harte Schlag einer Tür ließ ihn aufhorchen. Er sprang hoch. Ein Schlüssel kreischte im Schloß. Die schwere Bohlentür, die zum Hof führte, schlug donnernd zu.

Wyatt sprang auf und rannte zurück.

In der Halle kam ihm der Texaner entgegen.

»He, ich hatte mir schon einen Nachruf für Sie ausgedacht. Wär’ kein schlechtes Geschäft gewesen: Wyatt Earp zerplatzte in Colorado in einer Schrotwolke…«

Der Marshal stürmte an ihm vorbei auf die Straße.

Short folgte ihm augenblicklich.

Reglos standen die Tramps da. Zwei von ihnen waren an den Armen verwundet. Einer kauerte neben der Vorbautreppe. Wyatt hatte ihn in den Unterschenkel getroffen.

»Bleiben Sie hier!« rief der Marshal dem Texaner zu und rannte weiter bis zur nächsten Gassenmündung.

Als er das Hoftor des Yate House endlich erreicht hatte, waren lange Minuten vergangen.

Das Tor stand offen. Wyatt sah sich im Hof um. Die Stalltür drüben war verschlossen. Also war der Mann höchstwahrscheinlich nicht mit einem Pferd geflüchtet.

Der Marshal suchte weiter. Aber er hatte keinen Erfolg. Als er auf die Mainstreet zurückkam, stand Luke Short vor dem reglosen Körper des Sheriffs.

Wyatt sah ihn an. »Ist er.«

»… tot«, unterbrach der Texaner rauh.

Wyatt blickte auf die Gestalt Tuckers. »Und er?«

»Auch.«

Wyatt wandte sich um und ging auf das Hotel zu. Er durchquerte die Halle und stieg die Treppe hinauf. Als er sich einmal umwandte, sah er, daß Short ihm folgte.

Oben am Ende der Treppe stand ein Mann mit schneeweißem Haar und goldgeränderter Brille. Er sah dem Missourier mit gerunzelter Stirn entgegen.

»Sind Sie der Hoteleigner?« fragte Wyatt.

»Ja.«

In der Antwort klang nicht zu überhörende Abweisung.

Wyatt deutete auf eine Tür. »Wer wohnt da?«

»Niemand.«

»Aus diesem Zimmer ist geschossen worden.«

Der Hotelbesitzer hob die Schultern. »Davon weiß ich nichts. Jedenfalls wohnt zur Zeit niemand in den Räumen. Hier, sehen Sie, die Türen sind alle verschlossen. Die Gäste, die ich im Augenblick habe, wohnen alle dort drüben im Anbau.«

Wyatt blickte zu den Türen auf der linken Seite des Korridors hinüber. Es war ihm, als habe sich der Drehknopf der vordersten Tür bewegt.

Er wies mit der Linken auf die betreffende Tür und sagte: »Ich möchte dieses Zimmer haben.«

Der Hotelier zuckte offensichtlich zusammen. »Bedaure, der Raum ist nicht zu vermieten.«

»Privat?«

»Nein.«

In diesem Augenblick kam aus dem Flur des Anbauflügels ein Neger.

Wyatt fragte ihn schnell: »Wer wohnt da in dem Zimmer?«

»Mister Hacat«, sagte der Schwarze bereitwillig, wobei er den verweisenden Blick seines Herrn nicht bemerkte oder aber geflissentlich übersah.

Wyatt bedankte sich, schritt auf die Tür zu und klopfte.

Der Hoteleigner wollte ihn daran hindern. Da stand Luke Short plötzlich hinter ihm und ergriff unmißverständlich seinen Arm.

»Nicht doch, Mister. Er ist ein Staatenreiter.«

Jeroboam Hitchkok nahm seine Brille ab und polierte sie unnötig lange. »Well, das kann sein, aber er hat hier nicht so ohne weiteres…«

»Psst!« Der Texaner legte den Finger bedeutsam auf die gespitzten Lippen.

Wyatt hatte inzwischen der halblauten Aufforderung »Herein« folgend den Drehgriff betätigt.

Die Tür sprang auf.

Am Fenster zum Hof stand ein hochgewachsener schlanker Mann. Er hatte feuerrotes Haar und ein von Sommersprossen übersätes Gesicht, das eckig und bartlos war.

Der Mann trug einen hellgrauen Galvestone-Anzug, glänzende, hochhackige Stiefeletten, eine buntbestickte Weste und eine dünne schwarze Halsschleife zu seinem weißen Hemd. Mit mokant hochgezogener linker Augenbraue fragte er: »Was gibt’s?«

Wyatt trat in den Raum. »Sie sind Jerry Hacat?«

»Yeah – und wer sind Sie?«

»Mein Name ist Earp.« So ungern Wyatt gerade diesem Mann seinen Namen nannte, er war dazu gezwungen, da der Texaner ihn ja bereits Hacats Leuten genannt hatte.

Der rothaarige Dandy schien nicht sonderlich überrascht zu sein. »Was wollen Sie von mir?«

»Aus dem Zimmer schräg gegenüber ist geschossen worden.«

Hacat schob beide Hände in die Hosentaschen. »Und, was habe ich damit zu tun?«

»Ich hätte gern einen Blick auf Ihr Gewehr geworfen, Mister.«

Der Rothaarige nahm die Hände aus den Taschen. »Mein Gewehr? Aber ich habe gar keines.«

Wyatt trat mit raschen Schritten an den Schrank heran und riß ihn auf.

Hacat protestierte laut und griff nach einem Revolver, der neben ihm auf einem Tisch lag.

Da kam die drohende Stimme des Texaners von der Tür her: »Keine Albernheiten, Mister Hacat!«

Hacat schoß ihm einen galligen Blick zu. »Short? Was wollen Sie denn hier? Was geht die ganze Geschichte Sie an? Sind Sie plötzlich Polizei-Helfer geworden?«

Über das bronzefarbene Gesicht des Texaners flog ein Schatten. »Halten Sie Ihren Rand, Hacat!« knurrte er.

Wyatt hatte inzwischen seine Suche eingestellt. Er kam auf Hacat zu und blickte ihm fest in die Augen. »Ihre Leute haben mich drüben im Saloon angegriffen und dann auf der Straße eine Schießerei begonnen…«

»Was habe ich damit zu tun?« unterbrach ihn der Dandy.

»Eine ganze Menge. Sheriff Hates ist erschossen worden – und einer Ihrer Männer.«

»Kann sein«, versetzte der Mann kaltschnäuzig. »Der Sheriff war ein alter Säufer, und Tucker war ein Idiot.«

»Woher wissen Sie, daß es Tucker ist?« Blitzschnell hatte der Missourier dem Rothaarigen die Frage entgegengeschossen.

Aber der zeigte keinerlei Verlegenheit. »Billy Coy war gerade bei mir. Und außerdem hätte ich es mir denken können.«

»Wer ist Billy Coy?«

»Mein Hausknecht«, kam von der Tür her die Stimme des Hoteleigners.

»Der Neger?«

»Ja.«

Jerry Hacat hatte sich mit spielerischer Wendigkeit aus der Angelegenheit herausgezogen. Und doch war Wyatt insgeheim überzeugt, daß der Mann mit den beiden Schüssen etwas zu tun hatte, ja, daß er sie vielleicht sogar selbst abgegeben hatte. Aber es war ihm nichts nachzuweisen. Hacat hatte erklärt, daß er in die Stadt gekommen wäre, um hier einen Spielsaloon zu eröffnen.

»Dazu nehmen Ihre Leute den Bürgern hier wohl erst das nötige Geld ab?« hatte der Marshal gefragt und dabei ein süffisantes Lächeln des Rothaarigen eingefangen.

»Er ist ein Strolch«, erklärte Short, als sie wieder auf dem Vorbau standen und zusahen, wie zwei Männer den toten Sheriff wegschleppten.

Jim Tuckers Leiche war schon verschwunden.

Wyatt zündete sich eine schwarze Zigarre an.

Luke stocherte mit einem Zündholz in seinen Zähnen herum.

In der Tür des Devils Saloons stand der kleine wachsgesichtige Freddy Scarpy. Er feixte den beiden Männern frech ins Gesicht.

»Darf ich hoffen, Sie demnächst in meinem neuen Saloon begrüßen zu können, Marshal?« kam da die näselnde Stimme Jerry Hacats von der Tür.

Wyatt schwieg; er wandte sich nicht einmal um.

Der heißblütige Texaner hingeben fuhr herum und fauchte: »Wenn ich da reinkommen sollte, dann nur mit vorgehaltenem Revolver, Mister!«

Unangenehm lächelnd überquerte der Chief der Rowdies die Straße und verschwand drüben in der Colorado-Bank.

Short schnipste das Streichholz auf die Straße und brummte: »Wenn das nicht der frechste und kaltschnäuzigste Hund ist, den ich je gesehen haben, heiße ich Tobby.«

Wyatt wandte sich plötzlich um und ging ins Hotel zurück. Er durchquerte die Halle und kam in den Hofgang.

Die Küchentür stand jetzt angelehnt und warf einen dünnen Lichtschimmer in den düsteren Gang.

Wyatt trat bis an die Hoftür.

Da sah er es: Der Schlüssel steckte innen.

Der Marshal betätigte den Türgriff.

Verschlossen!

Sie war von innen verschlossen worden, und der Mann, der vor ihm geflüchtet war und hier die Schrotladung auf ihn abgegeben hatte, war also gar nicht aus dem Haus gekommen.

»Raffiniert!« kam da die Stimme des Texaners vom Ende der Halle her.

Wyatt wandte sich um. »Yeah, sehr raffiniert.«

Als sie wieder am Eingang ankamen, sahen sie Jerry Hacat vor sich stehen.

Wyatt ging an ihm vorbei, blieb dann plötzlich stehen und sagte über die linke Schulter:

»Sie hätten den Schlüssel von der Hoftür abziehen müssen, Hacat!«

»Weshalb?« entfuhr es dem Mann.

Da spannte sich die Hand des Missouriers mit eisernem Griff um den Arm des Banditen. »Das können Sie dem Richter erklären, Jerry Hacat. Sie sind festgenommen wegen zweifachen Mordes.«

Hacat starrte mit geweiteten Augen in das Gesicht des Marshals. »Sind Sie verrückt!« stieß der Desperado entgeistert hervor.

»Vorwärts!«

Wyatt schob ihn hinaus auf den Vorbau und dann auf das Sheriff Office zu.

Nur drei Minuten später saß der sommersprossige Banden-Chief Jeremias Cyril Hacat in einer der drei Gefängniszellen des Office. Wyatt Earp ahnte zu diesem Zeitpunkt noch nicht, welch einen Verbrecher er da festgesetzt hatte.

*

Marty Anderson war ein Bursche von dreiundzwanzig Jahren. Erst hatte er auf einer großen Berg-Ranch oben in den La Varita Hills gearbeitet, dann war er hierher in die Stadt gekommen und hatte bei Jubal Hates einen Job als Deputy Sheriff gefunden.

An dem für Del Norte so ereignisreichen Tag war er hinter einem Rinderdieb hergewesen, den der Small Rancher Joel Kifflegs zur Anzeige gebracht hatte. Als der Deputy am Abend in die Stadt zurückkam, mußte er nicht nur von dem Tod des Sheriffs erfahren, sondern fand auch den Gefangenen in einer der drei Zellen des kleinen Gefängnistraktes vor. Als er in ihm den eleganten Jerry Hacat erkannte, machte er große Augen. Den gleichen Mann, den er am Vortage noch angestaunt hatte, wie er mit drei großen Koffern aus der Overland gestiegen war und von einer Reihe von Reitern empfangen wurde, die kurz vorher in die Stadt gekommen waren.

Hacat unterhielt sich nicht mit dem Deputy. Stumm lag er auf seiner Pritsche und blickte mit offenen Augen gegen die Decke.

Als Marty gegen elf Uhr das Office verließ und hinter sich verschloß, um den üblichen Rundgang durch die Stadt zu machen, nahm er gegen seine sonstige Gewohnheit ein Gewehr mit.

Der Tod seines Boß’ steckte ihm doch arg in den Gliedern.

Jimmy Durbridge, der alte gichtige Inhaber des General Stores, hatte dem Deputy nach seiner Rückkehr alles erzählt.

Marty hätte zu gern den Dodger Marshal gesehen; als er aber kurz nach sieben im Yate House vorsprach, erfuhr er, daß der Marshal nicht anwesend sei. Er war auch in keiner der Schenken zu finden.

Luke Short, den der Deputy im Devils Saloon am Spieltisch ansprach, zog die Schultern hoch.

»Da kann ich dir auch nicht weiterhelfen, Boy, er ist leider nicht mein Freund…«, hatte der Texaner geantwortet.

Marty Anderson ging seinen abendlichen Kontrollgang. An der Ecke zur Golden Valley Street erhielt er plötzlich einen fürchterlichen Schlag über den Schädel und verlor sofort das Bewußtsein.

Hacats Männer begannen ihre »Arbeit«. Zehn Minuten später war sie bereits beendet.

Als Marty Anderson zu sich kam, blinzelte er in die Sterne.

Es war weit nach Mitternacht.

Mit brummendem Schädel raffte er sich auf und torkelte die Mainstreet hinunter zum Haus des Arztes.

Doc Hendrick Johannsen kam leise schimpfend aus der Schlafstube hinunter zur Tür, kratzte sich seinen Schädel und blickte auf den Mann, der im schaukelnden Windlicht auf dem Vorbau stand.

»Was gibt’s? – Ach, Sie sind’s, Anderson. He, Sie bluten ja! Kommen Sie rein.«

Als Marty ins Office zurückkam, war es schon nach eins. Er sah sofort, daß die Zelle leer war.

Heavens, der Mörder war entflohen! Was war jetzt zu tun?

Marty rannte hinaus. Er rieb sich den schmerzenden Schädel, zerrte an dem dicken Verband, den der Doc ihm angelegt hatte, und sah plötzlich drüben einen Mann aus dem Devils Saloon kommen, dessen Gestalt er gegen das Licht, das aus der Schenke fiel, deutlich erkennen konnte.

Es war Luke Short.

Marty Anderson rannte auf ihn zu. »Mister Short, wo ist der Marshal?«

Der Texaner zog seine breiten Schultern hoch und kaute auf seiner unvermeidlichen Virginia herum. »Ich habe Ihnen doch schon gesagt, daß ich das nicht weiß.«

Luke wollte sich abwenden. Da rief der Deputy: »Ich habe eine wichtige Nachricht für ihn: Jerry Hacat ist ausgebrochen!«

Short fuhr auf dem Absatz herum. »Was…?«

»Yeah! Die Zelle ist leer. Ich wurde auf meinem Streifengang niedergeschlagen und…«

Der Texaner war schon in Bewegung. In weiten Sätzen rannte er über die Straße auf das Yate House zu.

Anderson, der ihm erst verblüfft nachgesehen hatte, folgte ihm jetzt, wobei ihm jeder Schritt einen hämmernden Schmerz in den Schädel trieb.

Luke stürmte durch die Hotelhalle, setzte, mehrere Stufen auf einmal nehmend, über die Treppe und hielt endlich oben vor der Tür eines der Zimmer, die zur Straße hinauslagen.

Marty, der jetzt auch oben angekommen war, blieb auf der obersten Treppenstufe stehen. Er sah, wie der Texaner dringlicher klopfte.

»Marshal! Ich bin’s, Short.«

Die Tür wurde sofort geöffnet.

Marty Anderson sah mit weit offenen Augen einen Mann im Spalt erscheinen. Einen großen Mann, der einen Revolver in der linken Faust hatte. Sein schwarzes Haar war zerzaust. Er trug ein weißes Hemd und enge Levishosen. Stiefel hatte er nicht an.

Das sollte der berühmte Wyatt Earp sein?

Als der Marshal den Texaner erkannt hatte, nahm er den Colt herunter und trat auf den Gang hinaus.

Jetzt sah Marty Anderson seine Augen – und hielt den Atem an.

»By Gosh!« entfuhr es ihm tonlos, »yeah, das ist Wyatt Earp!«

Der Texaner berichtete, was sich ereignet hatte.

Ein forschender Blick des Missouriers fiel auf den Deputy. »Wann sind Sie zurückgekommen?«

Marty schluckte. »Gegen Abend, Marshal. Ich hatte Sie gesucht, aber…«

»Ich komme sofort!« unterbrach ihn Wyatt, wandte sich ab und verschwand in seinem Zimmer. Er kam so schnell zurück, daß der Deputy den Mund offenstehen ließ. Heavens, wie konnte sich ein Mensch so schnell ankleiden.

Wyatt ging auf die gegenüberliegende Tür zu und stieß sie auf.

Der Raum war leer.

Jeroboam Hitchkok, der Hoteleigner, kam in rostrotem Morgenmantel und keifte: »Was wollen Sie, weshalb hämmern Sie mich aus dem Schlaf, Marshal? Ich bin herzkrank. Vielleicht interessiert Sie das nicht, aber…«

»Wissen Sie, daß Ihre sauberen Gäste getürmt sind?«

»Was…?«

Wyatt wandte sich ab und ging, von Luke Short und dem Deputy gefolgt, hinaus.

Er untersuchte das Schloß der Zelle im Office.

Die Banditen hatten es nicht aufzubrechen brauchen. Der Schlüssel war schließlich nicht schwer zu finden gewesen; Marty hatte ihn gewohnheitsmäßig am großen Stahlring neben der Straßentür hängen lassen.

Als Wyatt das aus dem stotternden Burschen herausgebracht hatte, verließ er das Office. Er ging hinüber ins Hotel, zahlte seine Rechnung, holte sein Pferd aus dem Stall und kam zehn Minuten später auf die Mainstreet geritten.

Luke Short saß auf den Stufen der Vorbautreppe des Saloons.

»Farewell, Marshal!« Er nahm die lange Virginia aus den Zähnen und tippte damit an den Rand seines weißen Hutes.

Wyatt winkte ihm zu. »Und vielen Dank noch.«

Der Texaner erhob sich. »Wofür denn? Daß ich einen Tag Wyatt Earp erlebt habe? Dafür muß ich mich bedanken. Morgen ist es hier wieder todlangweilig!« Er wandte sich um und stampfte in den Saloon zurück.

Wie sehr unterschied er sich doch von Doc Holliday, dachte Wyatt; der Texaner wußte nichts mit sich anzufangen, wenn nicht ohnehin etwas los war.

Als Wyatt am Sheriffs Office vorbeikam, sah er den Deputy in der Tür stehen. Der Mann tat ihm leid. Er winkte auch ihm zu.

Da rannte der Bursche vorwärts und blieb neben dem rechten Steigbügel des Missouriers stehen.

»Es tut mir so leid, Marshal! Ich hatte mich so gefreut, als ich hörte, daß Sie in der Stadt seien. Und durch meine Dummheit ist Hacat nun entkommen.«

»Ach was, Dummheit – das konnte jedem passieren. Für die Zukunft sind Sie jedenfalls gewarnt.«

»Was soll ich jetzt tun?« stammelte Anderson und rieb sich den Nacken.

»Sie schreiben einen Bericht und senden ihn morgen nach Monte Vista zum County Sheriff.«

»Well, und dann?«

»Er wird Ihnen schon Nachricht geben.«

Der Deputy hüstelte vor Verlegenheit. »Marshal, ich habe den Job erst ein paar Monate und habe kaum eine Ahnung. Muß ich jetzt nicht der Hacat-Bande folgen?«

Wyatt lachte verhalten. »Nein. Bleiben Sie nur hier und passen Sie in Ihrer Stadt auf. Wenn Sie Mut haben, dann bitten Sie den County Sheriff um den Job, der durch den Tod von Mister Hates frei geworden ist. Vorausgesetzt, daß die Leute Sie hier haben wollen.« Dann reichte er Marty die Hand.

Der Bursche ergriff sie freudig.

»Good luck!«

»Thanks, Marshal, und farewell!«

Der Missourier hob die Zügel und trabte langsam aus der nächtlichen

Mainstreet.

*

Seit dem frühen Morgen schaukelte der schwere Planwagen talabwärts durch die Savanne.

Auf dem Kutschbock saßen zwei Männer. Der eine hatte einen grauen Bart, helle Falkenaugen, die von struppigen Brauen überschattet wurden, und ein verwittertes, von unzähligen Falten zersägtes Pergamentgesicht. Er trug die Kleidung der alte Trapper und Squatter mit ausgefransten Ärmeln und hohen Stulpenstiefeln. Seine erdbraunen, knochigen Fäuste hatten die Zügelleinen umspannt.

Der Mann neben ihm war jung, neunzehn oder zwanzig Jahre vielleicht. Er hatte flachsblondes, strähniges Haar, helle wasserblaue Augen wie der Alte und ein frisches Gesicht. Er trug ebenfalls die Kleidung der alten Squatter, überdies zu dem blauen Kattunhemd ein flammendrotes Halstuch. Er hatte die Stiefel gegen das schräge Fußbrett gestemmt und seine kräftigen Hände auf den Oberschenkeln liegen.

Die beiden kraftvollen Füchse schleppten den schweren Wagen Meile um Meile vorwärts.

Von den Bergen her wehte ein sanfter Wind, der den Duft des Herbstes und der Wälder mit sich brachte.

Der schwere Wagen grub eine tiefe Spur ins Gras. Die Räder quietschten, und das Lederzeug der Pferde knarrte.

»Ist es noch weit?« fragte der Junge den Alten.

Der kniff das linke Auge ein und blinzelte nach Südosten hinüber, wo sich eine lange Hügelkette am Horizont entlangzog.

»Ich weiß es nicht, Mat. Einige Meilen werden es schon noch sein. Jedenfalls nach dem, was der Fallensteller uns erzählte.«

Der Bursche nagte an seiner Unterlippe. »Vielleicht kannte der sonderbare Kauz sich selbst nicht hier in der Gegend aus und wollte sich vor uns nur interessant machen.«

Der Squatter nahm eine alte, zernagte Maiskolbenpfeife mit der Rechten aus der Tasche, brachte mit der Linken eine Prise gekrümelten Durrham-Tabak hervor, stopfte den halbverkohlten Kolben und setzte das Kraut in Brand.

Mat verzog das Gesicht und wich der beizenden Tabakwolke aus.

Die beiden Lawtons waren nun schon drei Wochen unterwegs. Sie kamen vom Washkie Basin, oben in Wyoming und wollten nach Santa Fé. Dort war der Bruder des Alten gestorben und hatte seinen Verwandten in Wyoming einen Mietstall in der Mainstreet von Sante Fé vermacht. Seit die beiden die Nachricht erhalten hatten, waren kaum vier Wochen vergangen. Henry Lawton hatte sofort seine kleine, schlechtgehende Schmiede in der Sandhügelstadt Stocktown verkauft und sich mit seinem einzigen Sohn auf die Reise nach Santa Fé gemacht. Seine Frau war schon damals kurz nach der Geburt des Jungen gestorben.

Nach einem letzten Blick auf den Grabhügel seiner Frau hatte der Alte gesagt: »Komm, Mat, wir verlieren hier nicht viel. In Santa Fé werden wir ein neues Leben beginnen.«

Es war ein beschwerlicher Trail durch die hohen Mountains gewesen, aber die beiden Lawtons waren Entbehrungen gewohnt und hatten die lange Fahrt bisher gut überstanden.

Das Land senkte sich weiter, war buschbestanden und wurde unübersichtlicher. Als der Prärieschooner an einer größeren Buschgruppe vorüber wollte, blitzten plötzlich Schüsse auf.

Mat stürzte sofort vom Wagen.

Der Alte preßte die Linke auf die Brust, riß einen alten Revolver hoch und feuerte zwei Schüsse auf die Büsche ab.

Dann warf auch ihn eine Kugel vom Wagen.

Die Pferde, plötzlich frei vom Zügelzug und erschreckt durch die Schüsse, stiegen hoch und gingen durch.

Aus den Büschen sprangen drei Männer. Sie rannten den Pferden entgegen, vermochten sie aber nicht zu halten. Da liefen sie zurück und holten ihre Pferde, die sie hinter dem dichtesten Gesträuch verborgen hatten.

Als sie schließlich den rumpelnden und gefährlich schaukelnden Wagen eingeholt hatten, schwang sich einer von ihnen auf den Kutschbock. Er lenkte die Pferde herum, und in schneller Fahrt ging es nach Westen.

Fred Scarpy, Jeff Carpetta und But Alberts hatten einen Fehler gemacht; sie hatten sich nicht davon überzeugt, ob die Männer, die sie vom Wagen heruntergeschossen hatten, tot waren.

*

Weit im Westen, wo bereits felsiges Geröll die ansteigende Prärie durchsetzte, hockten mehrere Männer um ein Feuer. Etwas abseits von ihnen lag ein Mann lang ausgestreckt auf mehreren Decken und schlief. Es war der Banden-Chief Jerry Hacat. Er trug auch hier, ungeachtet seiner Umgebung, seinen eleganten grauen Anzug, das weiße Hemd und die blanken Zugstiefel.

Der Bandit schnarchte. Er schien sich von seinen Leuten gut bewacht zu fühlen.

Plötzlich sprang der einäugige Chip Boswell auf und deutete mit ausgestrecktem Arm nach Westen. »He, Boß! Da kommt ein Schooner!«

Hacat sprang sofort auf die Füße. Er hatte also doch nicht so fest geschlafen.

»Vorwärts!« befahl er heiser, »macht euch fertig!«

Die Banditen sprangen auf, holten ihre Colts aus den Halftern, ließen die Trommeln rotieren und schoben die Waffen nach gewohnheitsmäßiger Prüfung wieder in die Halfter zurück.

Hacat hatte seinen Hut aufgesetzt und trat jetzt zu dem Einäugigen, der hinter einem Felsbrocken Stellung bezogen hatte und die Ebene überschauen konnte.

»Zounds, der Wagen hält tatsächlich genau auf uns zu, Boß.«

Chip wischte sich über den Mund. »Das gefällt mir nicht.«

»Mir schon«, versetzte der Banden-Chief, wandte sich um und zündete sich eine Zigarette an.

Boswell sah ihn mit offenem Mund und zusammengekniffenen Augen an.

Er begriff seinen Boß nicht.

Hacats scharfes Auge hatte die drei Pferde, die hinter dem Wagen angebunden waren, erkannt. Er wußte Bescheid. Scarpy hatte einen Fang gemacht, mehr noch, er hatte seine Aufgabe erfüllt.

Seit zwei Tagen schon hielten sich die Banditen hier in dem Gewirr der Felsbrocken auf. Weit genug von der Stadt, um nicht Gefahr zu laufen, entdeckt zu werden – aber noch nicht weit genug, um nicht für Leute, die nach Del Norte wollten, eine Gefahr zu bedeuten.

Hacat hatte Scarpy mit den beiden anderen schon gestern nacht losgeschickt; sie sollten irgendwo auf einer Ranch einen Planwagen stehlen.

Der Banden-Chief hatte die Absicht, wieder nach Del Norte zurückzukehren; genau wie Wyatt Earp es vorausgeahnt hatte.

Hacat dachte nicht daran, sich vertreiben zu lassen. Diese Stadt war ein zu fetter Brocken, den ein Bandit seines Schlages nicht so leicht aus den Fängen ließ. Er wußte ja, daß der Missourier nicht ewig in Del Norte bleiben würde. Ganz zweifellos hatte der Marshal ein Ziel. Und war er erst weg, dann war die Luft in der Stadt ja wieder rein.

Er würde nachts zurückkommen. Und zwar zusammen mit seinen Leuten, unter der großen Plane eines Prärie-schooners verborgen. Chip, den in der Stadt noch niemand gesehen hatte, würde die Luft prüfen. Nach und nach sollte dann die Crew zum Vorschein kommen und das alte Terrain wieder sondieren. Hatte Hacat die Bürger erst wieder unter Druck, dann konnte er sich auch öffentlich zeigen. Es würde niemand wagen, ihn dann noch anzugreifen. All dies führte der Verbrecher ja nicht zum erstenmal durch; er hatte bereits eine Menge Erfahrung darin. Und Städte wie Sulphur, Northam, Wesley und Custody konnten ein Lied von den Tagen singen, die sie unter der Knute seiner Bande hatten durchstehen müssen.

Es gab allerdings noch einen Punkt, der dem Banden-Boß Sorgen machte. Dieser Punkt war ziemlich groß, breitschultrig, hatte schwarzes Haar, trug einen aufreizend weißen Stetson und hatte über der Jacke einen schweren Kreuzgurt, der zwei mit den Knäufen verkehrt in den Halftern sitzende Revolver hielt.

Luke Short!

Hacat hatte seinen gesunden Schlaf über dem Gedanken an den Texaner allerdings behalten, denn keineswegs war der Mann so gefährlich wie etwa Wyatt Earp. Aber trotzdem hatte Hacat die Gefahr genau einkalkuliert, die der Abenteurer für ihn darstellte. Man mußte ihn ausschalten.

Der Schooner war inzwischen auf gute Sichtweite herangekommen.

Chip Boswell erkannte jetzt eines der hinten angebundenen Pferde. Sein bärtiges abstoßendes Gesicht verzog sich zu einem grinsenden Lachen.

»Devils! Das ist ja Scarpys Gaul – und oben auf dem Bock sitzt er ja, der kleine Halunke! By Gosh, ich will meinen alten Hut fressen, wenn das nicht But und Jeff sind, die da neben ihm hocken.«

Johlend wollten die Desperados dem Wagen entgegenstürmen. Mit einem scharfen Ruf hielt Hacat sie zurück. In seinen Augen blitzte es wütend auf.

»Seid ihr wahnsinnig geworden, ihr verdammten Schwachköpfe! Wie nun, wenn dem Wagen jemand folgt? Habt ihr vergessen, mit wem wir es in Del Norte zu tun hatten? Wyatt Earp ist der schärfste Hund, den es im Westen gibt. Das solltet ihr doch wohl wissen. Ich wüßte mir lieber eine Schar blutgieriger Pineridges auf den Fersen als ihn. Wer sagt uns, daß er wirklich fort ist?«

»Ich habe ihn doch wegreiten sehen«, begehrte der feiste Dan Croft auf.

»Einen Dreck hast du!« fuhr ihn der Boß an. »Du warst fast eine Meile weit von der Fahrstraße weg und glaubtest einen Mann auf einem Falbpferd gesehen zu haben, als du Reißaus nahmst!«

»Ich mußte doch«, suchte der Bandit sich zu verteidigen.

»Was mußtest du?«

Die anderen lachten hämisch.

Hacat zischte: »Aufpassen solltest du, die Straße beobachten, weiter nichts. Und was du mir berichtet hast, war mehr als dürftig.«

»Ich habe…«

»Halt’s Maul!« schnitt ihm der Boß schroff die Rede ab. »Wir haben jetzt andere Dinge zu erledigen.«

Der Wagen war inzwischen herangekommen. Scarpy und die beiden anderen sprangen vom Kutschbock und kamen auf die Männer zu.

Der spitzmausgesichtige Zwerg berichtete, was sich ereignet hatte.

Hacat hörte aufmerksam zu. Dann fragte er: »Wie weit liegt der Ort des Überfalls von unserem Versteck entfernt?«

»Einige Meilen. Genau kann ich es nicht sagen, Boß!«

»Idiot!«

Scarpy wurde flammendrot. Seine Augen schimmerten.

Da brüllte Hacat ihn an: »Ihr habt die Männer vom Wagen erschossen und am Weg liegenlassen.«

»Sie sind tot«, wehrte sich Scarpy heiser.

»Wer weiß das?« fuhr Hacat ihn an.

»Sie rührten sich nicht mehr. Der Alte hat sogar zwei Kugeln schlucken müssen.«

»Selbst wenn sie tot sind – Mensch, ihre Leichen liegen am Wegrand. So unbefahren ist die Straße nach den Garita Hills nicht, daß die Männer sehr lange unbemerkt bleiben. Man wird die Wagenspur finden – die kurz hinter der Stelle abbiegt. Da ist es gar nicht nötig, daß ein Mann wie Wyatt Earp in die Gegend kommt, um hinter diesen Überfall zu kommen.«

Scarpy verzog säuerlich das Gesicht.

»Los«, befahl der Boß, »macht euch sofort auf den Weg. Erstens müssen die beiden Figuren vom Straßenrand verschwinden, und dann habt ihr dafür zu sorgen, daß die Spuren gelöscht werden. Vorwärts, macht euch auf den Weg!«

Scarpy und seine beiden Begleiter schwangen sich sofort wieder in die Sättel und sprengten mit verhängten Zügeln davon.

Hacat ließ sich von Boswell seinen Gaul bringen; es war ein Texaspferd, staubgrau und hochbeinig. Jeder Pferdekenner hätte sofort den ausdauernden zähen Läufer in ihm erkennen können.

Der Boß befahl den anderen: »Ihr wartet bis zum Einbruch der Dämmerung, dann kriecht ihr unter die Plane. Nur Chip sitzt auf dem Bock.«

Der einäugige Chip, der so etwas wie ein Unterführer der Bande zu sein schien, nickte und fragte dann: »Und wo treffen wir Sie?«

»Mach dir darüber keine Sorgen, ich stoße schon noch rechtzeitig auf euch. Mein Gepäck kommt selbstverständlich von dem Packgaul und wird im Wagen untergebracht.

»All right, Boß!«

Der Ohio-Mann hatte seine Crew gut im Zug. Und der Tod des »Verräters« Tucker saß noch allen in den Knochen. Die Männer wußten genau, daß der Boß den Sattelnäsigen selbst niedergeschossen hatte. Sie kannten seine brutalen Methoden zur Genüge.

Was hatte Tucker getan? Eigentlich nichts. Oder doch so gut wie nichts. Er hatte einen Blick zu den Fenstern des Yate Houses geworden und damit dem Marshal einen ungewollten Hinweis gegeben.

Ungewollt oder nicht – Jerry Hacat bestrafte auch eine Dummheit grausam. Weil sie nach seiner Ansicht oft schlimmer als ein echter Verrat sein konnte.

So machten sich die Männer abfahrtsbereit.

Der dicke Dan Croft hatte den Auftrag, langsam mit den Pferden nachzukommen.

»Halte einen gehörigen Abstand zum Wagen«, schärfte ihm Boswell ein. »Und laß dich auf keinen Fall aufhalten. Es ist immerhin möglich, daß wir die Gäule brauchen.«

Croft nickte, fuhr sich durch sein Kraushaar und schob sich seinen Hut auf.

*

Hacat war schon eine Weile verschwunden.

Die Männer standen um den Wagen herum. Eine seltsame Unruhe hatte sie ergriffen, weil sie wieder nach Del Norte zurückkehren sollten.

Well, sie hatten schon eine ganze Reihe von Städten heimgesucht. Stores geplündert, Banken ausgeräumt und Kutschen überfallen. Seit einigen Monaten hatte der Boß sich auf Spiel-Saloons spezialisiert. Das war weitaus ungefährlicher und brachte ebenfalls »sicheres« Geld. Die Männer in den Bars, die mit den Hacats ins Spiel kamen, wurden so geschröpft, daß sie bettelarm nach Hause gingen. Dann machte Hacat einen neuen Saloon in der Stadt auf. Seltsamerweise kamen oft über fünfzig Prozent der Geschädigten zurück und versuchten nach einer gewissen Zeit erneut ihr Glück in Hacats Saloon. Nach winzigen anfänglichen Gewinnen ließ die Falschspieler-Mannschaft sie »sterben«. Dann wurden sie um Haus und Hof gebracht.

Wurde das Pflaster in einer Stadt zu heiß für die Banditen, dann »verkauften« sie und zogen ab. Dieses Spiel war ihnen bisher ein halbes Dutzendmal gelungen.

Wyatt Earp war das erste große Hindernis in der traumhaft ansteigenden Karriere des Ohio-Mannes Jeremias Cyril Hacat gewesen. Der Missourier hatte sich der Bande in Del Norte in den Weg gestellt. Die Gefühle der Desperados waren entsprechend, als sie bei Einbruch der Dämmerung unter die Plane des Prärieschooners krochen, um in die Stadt zurückgebracht zu werden.

Chip schwang sich auf den Kutschbock, stieß einen schrillen Pfiff aus und feuerte die beiden Füchse an. Holpernd und rumpelnd setzte sich der schwere Wagen in Bewegung.

Jim Hickory nahm eine selbstgeschnitzte Flöte aus der Tasche und begann leise zu spielen. Hin und wieder wurden seine nicht sehr aufmunternden Melodien von dem lauten Ächzen und Stöhnen der beiden Verwundeten unterbrochen.

Plötzlich hielt der Wagen mit einem Ruck an. Ebenso ruckhaft brach Hickorys Gepfeife ab.

Eddie Carpetta verbiß sich das Stöhnen.

Der hagere, vogelköpfige Ernest Horby stieß den Kopf vor und zischte: »He, Chip, was ist los?«

»Halt’s Maul!« fauchte der Einäugige schroff. Die Männer blieben steif auf ihren Plätzen hocken.

Bis Boswells heisere Stimme zu ihnen hereindrang: »Ein Reiter! Er kommt scharf vom Westen herüber, genau auf uns zu. Ich kann nicht viel von ihm erkennen, es ist schon zu dunkel.«

»Vielleicht ist es der Boß«, gab Hickory zu überlegen.

Boswell knurrte: »Yeah, vielleicht aber auch nicht.«

Sie hörten, wie er seine Winchester lud; da nahmen auch sie ihre Waffen zur Hand.

»Verdammt!« zischte Eddie Carpetta, »jetzt stecken wir hier wie das Wild in der Schlinge.«

»Halt deinen Rand!« zischelte Hickory.

Die Sekunden rannen im Schneckentempo dahin.

Schließlich zischte Hickory: »Kannst du denn immer noch nichts erkennen?«

»Nein – he, der Kerl hält an!«

»Raus!« brüllte Carpetta.

Und ohne einen Befehl Boswells abzuwarten, sprangen die Männer unter der Plane hindurch auf beiden Seiten vom Wagen. Ihre Nerven waren von der Fahrt und dem Bewußtsein, möglicherweise wieder mit dem gefürchteten Dodger Marshal zusammenzutreffen, ohnehin strapaziert.

Boswells Stimme fauchte los: »Seid ihr wahnsinnig, ihr Hunde! Rauf auf die Karre!«

Er schwang die Peitsche und hieb auf die ihm am nächsten Stehenden ein. Aber in der Dunkelheit konnte er kaum etwas erkennen.

Der untersetzte Wes Ligger schrie schrill auf, als ihn das scharfe Peitschenleder genau ins rechte Auge traf. Mit einem heiseren Wutschrei stürzte er auf das Vorderrad zu, sprang auf die Nabe und zog sich auf den Kutschbock hoch.

Ein Faustschlag des bedrohten Fahrers warf ihn zurück.

Ligger wollte erneut auf den Kutschbock steigen, da landete Boswell bereits im Sprung auf ihm und riß ihn nieder.

Hickory war herumgefahren. »He, seid ihr übergeschnappt?«

Er warf sich auf die Kämpfenden.

Und wenige Sekunden später war eine wilde Schlägerei im Gange, aus der sich Chip Boswell endlich mit harten Schlägen, die er mit seinem großen Revolver austeilte, befreien konnte.

»Sofort aufhören, ihr Idioten! Aufhören, sage ich! Damned, ich knalle dazwischen, wenn nicht sofort Schluß ist!«

Keuchend erhoben sich die Banditen vom Boden. Boswell blickte sich um. Suchend tastete sein gesundes Auge die Stelle ab, wo vorhin der Reiter gehalten hatte.

»Da haben wir es!« knirschte er, »der Mann ist verschwunden!«

*

Henry Lawton schlug die Augen auf. Ein hämmernder Schmerz durchzuckte seinen ganzen Körper, als er versuchte, sich aufzurichten.

Seine linke Stirnseite, nahe an der Schläfe, war blutverklebt. Sein rechter Oberarm schien nach oben zu stehen.

Zwei Kugeln hatten den Alten getroffen, genauer gesagt: Sie hatten ihn gestreift. Ächzend richtete er sich auf und blickte umher.

Drüben, sieben Yards entfernt auf der anderen Seite der Fahrstraße, lag der Körper eines Menschen.

Lawton kniff die Augen zusammen.

By Gosh! Es war Mat!

Reglos lag er am Straßenrand.

Plötzlich kam dem Alten die Erinnerung wieder.

Er hörte die Schüsse, sah seinen Jungen vom Kutschbock stürzen und sah die Männer aus den Büschen kommen.

Der alte Squatter richtete sich unter Aufbietung aller Kräfte hoch und schleppte sich zu seinem Sohn hinüber. Als er ihn auf den Rücken gewälzt hatte, blickte er in ein kalkiges Gesicht mit geschlossenen Augen.

»Mat…!« keuchte der Alte entsetzt. Dann riß er dem Burschen das Hemd über der Brust auf.

Eine Kugel hatte die rechte Brustseite getroffen. Der Vater preßte die Zähne knirschend vor ohnmächtiger Verzweiflung aufeinander und krampfte die Hände um die breiten Schultern seines Jungen.

»Mat!«

Dann handelte er besonnen, wie er es in den bittersten Tagen der Indianerzeit hatte lernen müssen. Eine Viertelstunde später hatte er dem Jungen einen Verband angelegt und auch seine eigene Oberarmwunde verbunden. Die Kopfwunde schmerzte zwar irrsinnig, hatte aber inzwischen aufgehört zu bluten.

Glücklicherweise hatte der Squatter nach alter Gewohnheit eine Campflasche mit einer Mischung aus Whisky und Wasser an seinem Gurt hängen. Mit dieser Flüssigkeit hatte er zuerst die Wunden ausgewaschen, und nun träufelte er dem Burschen das Naß zwischen die Lippen.

Es dauerte lange, bis Mat die Augen aufschlug.

»Mat! Junge, komm zu dir, mach die Augen auf!«

Die Tränen rannen dem alten Mann über das zerfurchte Gesicht in den Bart.

»Mat…«

Endlich öffneten sich zitternd die Lider des Burschen. Ein langer fragender Blick traf den Vater.

»Mat! Wie geht es dir?« Behutsam streichelte der Alte mit seiner schwieligen Hand das blasse Gesicht seines Sohnes. Dann erst erhob er sich und trank ein paar Schlucke. »Komm, Junge, wir müssen hier weg. Wir müssen sehen, daß die Kugel aus deiner Brust herausgeschnitten wird…«

Trotz seiner eigenen Schwäche nahm der Alte den Schwerverwundeten auf seine Arme und stampfte schwerfällig vorwärts.

Plötzlich hielt er inne, bettete den Burschen neben einem Gebüsch abseits von der Fahrstraße ins Gras und trottete zurück.

Da lag noch sein Revolver in der Zwillingsspur. Er hob ihn auf, verwischte dann die Spuren, die er hinterlassen hatte und lief über die kurzen Grasbüschel am Straßenrain zurück zu seinem Sohn. Er nahm ihn wieder auf die Arme und schleppte ihn weiter.

Inzwischen brach die Dämmerung herein. Das Land wurde hügeliger und war jetzt stark mit Buschgruppen besetzt. Immer kürzer wurden die Abstände, in denen der alte eisenharte Mann anhalten mußte, um neue Kraft zu schöpfen.

Wieder einmal hatte er eine kurze Rast eingelagt, sich den rinnenden Schweiß von der Stirn gewischt, den Hut abgenommen, das Schweißband getrocknet, als er plötzlich zusammenschrak.

Sein feines, an die Laute der Natur gewöhntes Ohr hatte ein Geräusch vernommen, das ein Pferdehuf verursacht, wenn er einen Stein berührt.

Es war ein dumpfes und doch klingendes Geräusch.

Henry Lawton sah sich nach allen Seiten um.

Die Dämmerung hatte bereits ihre dunklen Schleier über die Senken in der Prärie gebreitet.

Da – wieder ein Hufgeräusch.

Der Squatter bückte sich und hob seinen Sohn auf. Bleischwer schien der Verwundete zu sein.

»Was ist, Vater? Du mußt dich ausruhen«, ächzte der Bursche mit pfeifenden Lungen.

»Es sind Reiter in der Nähe. Wir müssen hier weg!«

»Aber wohin denn? Von der Stadt ist doch noch nichts zu sehen…«

Der Alte war ziemlich weit von der Fahrstraße abgewichen, um von etwaigen Verfolgern nicht gesehen zu werden. Da er nicht hoch zu Pferd und auch nicht mehr auf seinem Kutschbock saß, hatte er nach Einbruch der Dunkelheit den Lauf der Straße nicht mehr verfolgen können, wußte also auch nicht, wie weit er sich von ihr entfernt hatte oder wie nahe er ihr noch war.

Vor allem wußte er nicht, ob er noch die Richtung auf Del Norte zu einhielt. Und gerade hier, wo sie sich jetzt befanden, fehlte es an Büschen.

»Laß mich liegen, Vater«, keuchte Mat.

»No, Boy, du kommst mit. Und wenn ich dich auf allen vieren nach Del Norte schleppen müßte.«

Der alte Wyoming-Mann war bemüht, vor allem von der freien Anhöhe, die möglicherweise weithin eingesehen werden konnte, wegzukommen. Etwa achtzig Yards weiter westlich hatte er ein Gesträuch entdeckt, das ihnen vielleicht Schutz bieten konnte.

Schweratmend und mit schwankenden Beinen schleppte Lawton seinen verwundeten Sohn.

Plötzlich fuhr er zusammen.

Hinter ihnen in der Senke kamen Reiter. Deutlich war der dumpfe Hufschlag zu hören. Sogar das rhythmische Knarren des Lederzeugs drang an die Ohren der beiden Flüchtenden.

Henry Lawton ließ den Verwundeten sofort auf den Boden nieder und warf sich neben ihn. Ganz flach preßten sich die beiden Männer ins kurze Savannengras.

»Keinen lauten Atemzug«, mahnte der Squatter den Burschen.

Da kamen sie auch schon heran. Im Galopp, mit trommelnden Hufen.

Die beiden Männer hielten den Atem an. In einer Entfernung von nur etwa zwanzig Yards preschten die Reiter an ihnen vorüber.

Wyatt Earp Jubiläumsbox 7 – Western

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