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Transylvanian Society of Dracula

Vorwort

Vampire gibt es. Neben dem mehr oder weniger edlen Grafen, den Bram Stoker formte, ist da beispielsweise der maßlose Vamp aus der Schulklasse, Nachbarschaft oder erotischen Fantasie. Es gibt den Nervtöter, der uns Zeit, Geld und Energie stiehlt sowie die Nachzehrer, die im Glauben der ländlichen Bevölkerung ihr Leichentuch im Grab auffressen. Ich kenne Rollenspieler, die sich wahlweise vampirromantisch kleiden oder in betont unauffälligem Look nur gedanklich gern Blut saugen, überwältigt werden oder sonstwie Stimmung in ihre seelische Langeweile bringen wollen. Esoterische Vampire glauben an Wunderwellen und manche mischen einen Schuss Hexhex dazu, wie etwa in der schönen Filmserie True Blood mit Vampiren, Elfen und anderen Zauberwesen.

Erstaunlich fand ich in den letzten Jahren, dass nicht nur in Reportagen über ‚Real Life Vampyres‘, die zunehmend auf Youtube herumgeistern, sondern auch in angeblich frei erfundenen Filmen zutreffend Motive umgesetzt werden, wie ich sie auch aus Gesprächen mit Menschen – manche von ihnen möchten lieber als ‘Wesen‘ beschrieben werden – kenne, die auch in den vorigen Bänden von Vampire unter uns! auftauchen und auf großen, kostenfreien, öffentlichen Veranstaltungen der Transylvanian Society of Dracula, etwa im Pulp in Duisburg oder im Last Cathedral in Berlin von VampyrInnen und DonorInnen in den vergangenen Jahren persönlich vorgetragen wurden.

Ines Fischer ist die Betreiberin der international größten aktiven Internetgemeinschaft, die sich mit vampyrischen Motiven im echten Leben echter Personen beschäftigt. Die Seite läuft in deutscher Sprache, so dass die im folgenden mitgeteilte Untersuchung ohne Sprachbarrieren unter den im Laufe der Jahre tausenden deutsch sprechenden, identifizierbaren, realen, aktiven NutzerInnen möglich war. Abgesehen von einer sauberen, internationalen Studie der Atlanta Vampyre Alliance (AVA), die schon vor Jahren ergab, in welcher Weise ‚Real Life Vampyres‘, – darunter auch so genannte Energievampyre, die sich nicht an Blut orientieren – anders als die anderen sein könnten1, gibt es bis heute eher weltanschaulich unterfütterte, sensationalisierende oder psychologisierende Darstellungen zum Thema. Diese Sichtweisen möchten wir nun durch eine offene, umfassende und sparsam, aber ehrlich kommentierte Untersuchung erweitern.

Ein Meilenstein in der Forschung zum gelegentlich als obskur wahrgenommenen Forschungsgegenstand der vampyrischen Motive war die Untersuchung Real Vampires as an Identity Group des Religionssoziologen Joseph Laycock.2 Die dort vorgestellte Idee, dass Vampyrismus zwar eine messbare Zusammenstellung von Charaktermerkmalen ist, aber eben auch eine Tatsache des sozialen, kulturellen und emotionalen Lebens genetischer Menschen, unterstützte mich im Gedanken, die folgende Umfrage samt der Originaldaten zu fördern. ReligionspsychologInnen, Sektenbeauftragte, PolitikerInnen, Eltern, Neugierige, Filmfans, Nerds, Gruftis, SoziologInnen, MusikliebhaberInnen und natürlich auch PsychiaterInnen können sich so ihr eigenes Bild machen.

Dazu nur eins: Fachleute jeder Disziplin – hier wohl vor allem TheologInnen, KulturwissenschaftlerInnen und PsychologInnen – lesen Neues durch die Lupe ihrer Wissenschaft. Als Kriminalbiologe weiß ich, dass sherlockianische Vorurteilsfreiheit in kniffeligen Angelegenheiten aber weiter führt als das Einsortieren des Neuen in den eigenen, manchmal schon etwas verstaubten Setzkasten3. Seien Sie also mutig, wenn sie weiter blättern – vor allem sich selbst und ihren bisherigen Annahmen gegenüber.

Mir ist beispielsweise bei der Diskussion mit der Autorin aufgefallen, dass es Überschneidungen zwischen typischen Eigenschaften von Vampyren und anderen, schon vorsortierten Auffälligkeiten gibt. Nehmen wir beispielsweise das bei Vampyren in der Tat verbreitete Spätaufstehen. Bei Spätaufstehern finden sich auch öfters Depressionen, Angststörungen, ADHS, Risikoverhalten, aber ebenso gehäuft Offenheit und kreatives Schaffen.4 Spätaufsteher sind, kurz gesagt, meist etwas individualistischere und künstlerischere Charaktere.

Doch wie viele Menschen, die eigentlich ebenfalls zu mehr Offenheit und künstlerischen Interessen neigen, gibt es, versteckt und vielleicht sogar geduckt, in der angeblich ‚normalen‘ Bevölkerung? Auf den kniffeligen Zusammenhang zwischen möglicherweise vorhandenen psychischen Auffälligkeiten – dort im Sinne einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung – bei danach befragten versus nicht befragten Bevölkerungsgruppen und eben auch bei Vampyren, wurde bereits in Band 2 dieser Buch-Serie verwiesen.5

Viele Befragte haben zum Beispiel eine glasklare Abneigung gegen Geräusche, Gerüche, Sonnenlicht und ähnliches. Dies wiederum erleben und berichten aber nicht nur Menschen, die sich als Vampyre wahrnehmen, sondern auch solche mit – bereits milden – Formen des Asperger-Syndroms.6 Es bringt uns wohl keinen Millimeter weiter, wenn wir diese Überschneidungen – wie manche Vampyre es tun – verleugnen oder – wie manche PsychologInnen – als reine Sortierhilfe verwenden. Eine Identität ist eine Identität, sei es eine als Biologin, Mann, Frau, Cowboy-Liebhaber, Herrenschneider, Rohrlegerin, Familienvater, Rosenzüchter oder eben als VampyrIn.

Wir hoffen daher, dass die hier vorgelegten Daten und Kommentare offen, frei, objektiv und prüfbar diskutiert werden. Die mir seit Jahren bekannten Reflexe, dass es sich bei Vampyren entweder um jüngere Menschen handele, die wahlweise Filme nachspielen oder desorientiert seien, lassen sich unter anderem durch die auch schon von der AVA bewiesene weltweite Verbreitung der Vampyr-Identität durch die kulturungebunde Faszination an Blut, die schon in der Antike bekannt war und unter anderem als Menschen freundschaftlich bindend7 und Weissagen fördernd galt8, sowie durch die vielen Teilüberschneidungen zur Wahrnehmungswelt angeblich normaler Menschen abschwächen.

Zuletzt: Es gab viele heitere Momente bei der Erarbeitung der Studie. Die Autorin ließ sich beispielsweise durch keine Macht der Welt davon abbringen, exakt hundert TeilnehmerInnen auswertbar zu befragen und gab solange keine Ruhe, bis genau diese Zahl erreicht war. Ob hier der bei Vampiren bekannte Zählzwang durchschlug (Vampire können nicht über Reis oder ein Fischernetz schreiten, weil sie erst alle Körner oder Knoten zählen müssen) oder bloßer Pragmatismus, um sich die Umrechnung in Prozentzahlen zu erleichtern? Man weiß so wenig.

In diesem offenen und freundlichen Sinn übergeben wir die folgende Subkulturuntersuchung Ihren treuen Händen – in der Hoffnung auf spannende und konstruktive Gespräche sowie weiterführende Vorschläge in einem liebenswerten und lehrreichen Forschungsfeld.

Mark Benecke, Kriminalbiologe

Transylvanian Society of Dracula

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