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1 Am Anfang war die Baumwolle Der Barchentboom des späten Mittelalters

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Produktion und Handel von Textilien bildeten das wirtschaftliche Rückgrat schwäbischer Städte im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit. Dies gilt besonders für Augsburg, wo im 15. und 16. Jahrhundert mehr als ein Viertel der steuerpflichtigen Haushalte in der Tuchherstellung tätig war; es gilt aber auch für andere Zentren der schwäbischen Städtelandschaft – für Nördlingen, Ulm, Memmingen, Kempten, Kaufbeuren, Ravensburg und Biberach. Für diese Reichsstädte spielte eine Innovation in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts eine fundamentale Rolle: die Einführung des Barchents, eines Mischgewebes aus einer leinenen Kette und einem Schuss aus Baumwolle. Während Leinengarn aus regional angebautem Flachs gesponnen wurde, musste die Baumwolle aus dem Mittelmeerraum – aus Syrien, Ägypten, Anatolien und Zypern – importiert werden. Wichtigster Bezugsort für Baumwolle war Venedig, und hier kamen die reichsstädtischen Kaufleute ins Spiel: Sie kauften die Baumwolle am Rialto ein und veräußerten sie an schwäbische Weber weiter. Da die Handwerker den Rohstoff oft nicht bar bezahlen konnten, überließen ihnen die Kaufleute die Ware auf Kredit und übernahmen zudem die Vermarktung des Endprodukts. Hier liegen die Ursprünge des Verlagssystems, das sich um 1400 in den schwäbischen Textilstädten verfestigte und auch auf das Land ausgriff. Wirtschaftlich gesehen erwies sich die Einführung des Barchents als Erfolgsgeschichte: Die schwäbischen Städte verfügten damit über ein gefragtes Exportprodukt, und zwischen Bodensee, Donau und Lech erstreckte sich eine der großen europäischen Gewerberegionen.1

Im Laufe des 15. Jahrhunderts setzten sich Augsburg und Ulm an die Spitze der Barchentproduktion und entfalteten auch im Fernhandel eine besondere Dynamik. Im Jahre 1410 wurden in Augsburg bereits 85.000 Barchent- und Leinentuche hergestellt. Seit 1395 ist Augsburger Barchent auf den Frankfurter Messen nachweisbar, und in den folgenden Jahren wurde er auch in Köln, Prag, Breslau, Krakau und Wien vertrieben. Allerdings ging diese Textilkonjunktur mit wachsenden sozialen Spannungen zwischen Fernhändlern, die im Baumwoll- und Tuchhandel reich wurden, und Handwerkern einher, die sich beim Einkauf von Rohstoffen überschuldeten und von der Hand in den Mund lebten: 1397 brachen in Augsburg Ungeldunruhen aus, in denen ärmere Weber gegen eine indirekte Steuer protestierten.2


Der Nürnberger Barchentweber Thomas Holland († 1584), Hausbuch der Mendel’schen Zwölfbrüderstiftung, Amb. 317b.2°, f.43r

Die Abhängigkeit der schwäbischen Städte von Baumwollimporten aus Venedig machte sich zudem schmerzhaft bemerkbar, als Kaiser Sigismund im frühen 15. Jahrhundert mehrfach Handelssperren gegen die Republik Venedig verhängte: In den Jahren 1412, 1418 bis 1428 und erneut 1431 bis 1433 brachen die Baumwolleinfuhren ein. Um die Jahrhundertmitte störte der Zweite Städtekrieg den Fernhandel, und in den 1460er-Jahren machte sich der Krieg, den Kaiser und Reich gegen Herzog Ludwig von Bayern-Landshut führten, für die Textilstädte Schwabens nachteilig bemerkbar. Überhaupt lässt sich aus der Entwicklung der Ungeldeinnahmen eine tiefe Krise des Augsburger Textilgewerbes zwischen 1450 und 1480 ablesen, und 1466/67 brach sich der Unmut der ärmeren Schichten über hohe Abgaben erneut in Ungeldunruhen Bahn.3 Unterdessen kam eine Reihe von Kaufmannsfamilien im Barchenthandel und -verlag zu Vermögen: Die Artzt, Hämmerlin und Kramer stiegen aus der Weberzunft in die Reihen der Kaufleute auf, während andere Familien aus Textilstädten wie Lauingen, Nördlingen und Donauwörth zuzogen.4

Auch die Anfänge der Fugger sind eng mit diesem Barchentboom verbunden: Der Weber Hans Fugger zog sicher nicht zufällig im Jahre 1367, als die Konjunktur gerade einsetzte, aus dem Dorf Graben nach Augsburg. Obwohl konkrete Nachrichten zu seinen Aktivitäten fehlen, weist der Anstieg seiner Steuerleistungen bis zu seinem Tod 1408 auf eine erfolgreiche Handelstätigkeit hin, die seine Witwe Elisabeth nahtlos fortsetzte.5 Zu Beginn des Jahres 1440 ist erstmals ein Barchentgeschäft eines „Füker von Augsburg“ – dessen Vorname nicht bekannt ist – belegt: Er verkaufte dem Sohn des Kaufmanns Marquard (II.) Mendel in Nürnberg 102 schwarze Barchenttuche für 137 Goldgulden.6 Die Söhne Hans und Elisabeth Fuggers, Andreas und Jakob, führten die Geschäfte erfolgreich weiter, und in den 80er-Jahren des 15. Jahrhunderts strengten sowohl Lukas Fugger – der Sohn des Andreas aus der Linie „vom Reh“ – als auch dessen Vetter Ulrich – der Sohn des Jakob Fugger aus der Linie „von der Lilie“ – vor dem Augsburger Stadtgericht mehrfach Klagen gegen Weber an, weil diese mit Lieferverpflichtungem im Rückstand waren.7 Als es Mitte der 1490er-Jahre zu Auseinandersetzungen zwischen Webern und Kaufleuten in Augsburg um die Einfuhr von Garn aus Mitteldeutschland und Schlesien kam, stand Lukas Fugger auf der Seite der Kaufleute, die die Importe befürworteten, weil dadurch die Versorgung des Textilgewerbes mit hochwertigem Garn verbessert würde und ein Anstieg der Produktion sich positiv auf die Steuereinnahmen der Stadt auswirken würde.8 Auch die Memminger Vöhlin-Gesellschaft, die Vorläuferin der Welser-Gesellschaft des 16. Jahrhunderts, war im letzten Drittel des 15. Jahrhunderts im Baumwoll- und Barchenthandel aktiv.9 Baumwolle und Barchent stehen also am Anfang der Entwicklung der beiden großen Augsburger Handelshäuser, und der Rohstoff Baumwolle verknüpfte ihre Geschicke mit der Handelswelt des Mittelmeers.

Dreh- und Angelpunkt des süddeutschen Venedighandels war das nahe der Rialtobrücke gelegene Haus der deutschen Kaufleute, der Fondaco dei Tedeschi. Deutsche Handelsgesellschaften bzw. ihre Repräsentanten waren verpflichtet, ihre Wohnungen und Warenlager in diesem zu Beginn des 13. Jahrhunderts gegründeten Haus zu nehmen, wobei der Begriff Tedeschi weit gefasst war und auch Niederländer, Schweizer, Österreicher, Böhmen, Polen und Ungarn einschloss. Gleichwohl spielten die Süddeutschen innerhalb der Kaufmannschaft im Fondaco eine dominierende Rolle. Darüber hinaus waren die „Deutschen“ verpflichtet, sämtliche Geschäfte in Gegenwart eines vereidigten Maklers zu tätigen. Der gesamte Warenverkehr wurde von zwei Vertretern der Markusrepublik, den visdomini, beaufsichtigt, die auch die darauf anfallenden Zölle einzogen. Die Deutschen ihrerseits wählten Konsuln, die ihre Interessen gegenüber der venezianischen Obrigkeit vertraten, und genossen ein hohes Maß an Autonomie. Von großer Bedeutung war der Umstand, dass die Republik Venedig ihren eigenen Untertanen verboten hatte, Handel mit dem Heiligen Römischen Reich zu treiben. Dadurch lag der transalpine Handelsverkehr Venedigs weitgehend in den Händen deutscher Kaufleute. Auch nach der Lockerung der Residenzpflicht im Fondaco und des transalpinen Handelsverbots für Venezianer in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts blieb der Fondaco das Zentrum des deutschen Venedighandels. Nach einem verheerenden Brand im Januar 1505 wurde er als Vierflügelanlage um einen großen Innenhof herum neu errichtet und prachtvoll ausgestattet.10

Begünstigt wurde der Handelsverkehr zwischen der Lagunenstadt und Süddeutschland durch eine effektive Transportorganisation: Auf der Route von Venedig nach Augsburg und Nürnberg bildete sich an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert das Gewerbe der Gutfertiger und Ballenführer heraus, die die von den Deutschen eingekauften Waren – neben Baumwolle vor allem Gewürze (vgl. Kapitel 3) und Luxusgüter – ohne Umladen über die Alpen beförderten und damit der traditionellen Rottfuhr, also dem etappenweisen Warentransport von einer Umladestation zur nächsten, Konkurrenz machten.11


Der Kupferstich von Raphael Custos (1616) hält das Verpacken von Waren vor der imposanten Kulisse des von Arkaden umsäumten Innenhofs des Fondaco dei Tedeschi, des Hauses der deutschen Kaufleute in Venedig, fest.

Selbstverständlich unterhielten sowohl die Fugger als auch die Welser eigene Kammern und Gewölbe im Fondaco dei Tedeschi.12 An der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert entwickelten sich allerdings die geschäftlichen Schwerpunkte der beiden großen Handelshäuser auseinander: Während sich die Fugger zunehmend auf den Vertrieb von Kupfer und Silber sowie auf Finanzgeschäfte verlegten, blieb das Textilgeschäft für die Welser ein Kernbereich ihrer Aktivitäten.

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