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Einleitung Der Schatz der „Bom Jesus“

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Als Geologen und Archäologen im Frühjahr 2008 an der Küste Namibias das Wrack eines portugiesischen Schiffes aus dem 16. Jahrhundert entdeckten, war dies in mehrfacher Hinsicht eine Sensation. Zum einen hatten sie das älteste bislang bekannte Schiffswrack südlich der Sahara gefunden. Das Schiff, die „Bom Jesus“, befand sich auf dem Weg von Portugal nach Indien, als es in einen Sturm geriet und beim Versuch, in einer geschützten Bucht zu ankern, auf einen Felsen auflief. Zum anderen hatte die „Bom Jesus“ neben zahlreichen Gold- und Silbermünzen tonnenweise Waren aus mitteleuropäischer Produktion an Bord: Halbkugeln aus Kupfer, auf denen noch ein Dreizack, die Handelsmarke des Augsburger Handelshauses Fugger, erkennbar ist, Kupfer- und Eisenwaren sowie Blei und Quecksilber. Der Wrackfund im Südwesten Afrikas wirft somit ein Schlaglicht auf die Bedeutung Augsburger und Nürnberger Handelsgesellschaften als Lieferanten von Metallen und Metallwaren, die das wichtigste Gut im portugiesischen Indienhandel darstellten. Der Archäologe Dieter Noli sowie der Ethnologe und Soziologe Wolfgang Knabe publizierten 2012 ein Buch, das die letzte Fahrt der „Bom Jesus“ und ihre Ladung beschreibt und den Fund in die Geschichte des Überseehandels einordnet.1

Diese Einordnung ist allerdings ausgesprochen problematisch. Knabe sind im historischen Teil des Buches nicht nur zahlreiche inhaltliche Fehler unterlaufen, er übertreibt auch die weltwirtschaftliche Bedeutung der süddeutschen Handelshäuser – allen voran die der Fugger und Welser – gewaltig.2 So schreibt er ausführlich über die „Welserflotten“, die angeblich in den 20er- und 30er-Jahren des 16. Jahrhunderts zwischen Spanien und Amerika verkehrt seien, und behauptet: „Zeitweise tragen ein Drittel aller Schiffe, die in die Neue Welt unterwegs sind, die Flagge der Welser-Reederei. Durch diesen Transatlantik-Warenverkehr streicht die Welser’sche Reederei in Spanien bis 1535 einen Gewinn von vier Millionen Gulden ein.“3 Abgesehen davon, dass es sich bei dieser Zahl um reine Phantasie handelt, hat der spanische Historiker Enrique Otte bereits vor Jahrzehnten nachgewiesen, dass eine solche Flotte nie existiert hat: Für den Verkehr zwischen der andalusischen Handelsstadt Sevilla, ihrer Niederlassung auf Santo Domingo und ihrer Kolonie Venezuela charterten die Welser Passagier- und Frachtraum auf spanischen Schiffen.4 Bei näherem Hinsehen erweist sich die „Welserflotte“ als Erfindung deutscher Historiker der Wilhelminischen Ära, die die Flottenbegeisterung ihrer eigenen Epoche in das 16. Jahrhundert zurückprojizierten und die Welser zu Pionieren des deutschen Kolonialismus hochstilisierten.5

Ähnlich übertrieben sind Knabes Vorstellungen eines Kupfer-, Silber- und Quecksilbermonopols der Fugger, das dem Augsburger Handelshaus vermeintlich „im interkontinentalen Seehandel die absolut marktbeherrschende Stellung“ beschert habe.6 Die Fugger spielten zweifellos eine herausragende Rolle im Handel mit diesen Metallen, doch besaßen sie zu keinem Zeitpunkt ein echtes Monopol für eines dieser Güter. Schließlich führt auch die Auffassung, dass die Fugger eine Reihe von Niederlassungen – sogenannte Faktoreien – in Übersee gegründet hätten, in die Irre. Eine Faktorei am Rio de la Plata beispielsweise wäre im 16. Jahrhundert schon aufgrund der riesigen Entfernungen und der sporadischen Kontakte europäischer Seefahrer mit der Küste des heutigen Argentinien gar nicht zu unterhalten gewesen.7 Sieht man sich die Generalrechnungen der Fugger zwischen 1527 und 1563 an, die einen Überblick über ihr Niederlassungsnetz geben, so findet man in ihnen keine einzige Faktorei in Übersee! Damit ist zugleich das erste Problem benannt, mit dem sich dieses Buch auseinanderzusetzen hat: Die Fugger und Welser spielten tatsächlich eine bedeutende Rolle im interkontinentalen Handel – doch überzogene Behauptungen über angebliche Monopole, Flotten und weltweite Netzwerke von Stützpunkten ergeben ein Zerrbild, das der Realität der frühen Neuzeit in keiner Weise entspricht. Ein Anliegen dieses Buches ist es daher, die weltwirtschaftliche Rolle der Augsburger Handelshäuser angemessen darzustellen und zu kontextualisieren.

Eine ganz andere Art von Schätzen als diejenigen von der Küste Namibias tauchte in verschiedenen süddeutschen Bibliotheken und Archiven, insbesondere in der Studienbibliothek Dillingen auf. Bei Restaurierungsarbeiten an Bucheinbänden wurden Fragmente von Handelsbüchern der Augsburger Welser-Gesellschaft entdeckt, die nach deren Bankrott im Jahre 1614 an Buchbinder verkauft, von diesen makuliert und zur Verstärkung von Bucheinbänden recycelt worden waren. In jahrelanger Kleinarbeit konnten diese Bruchstücke fast 40 verschiedenen Rechnungsbüchern der Welser-Gesellschaft aus dem Zeitraum von 1498 bis 1550 zugeordnet und ediert werden.8

Neben vielen alltäglichen Geschäften dokumentieren diese Fragmente auch Beziehungen nach Übersee: So erhielt das Augsburger Handelshaus wenige Jahre nach der portugiesischen Eroberung Malakkas (1511) Güter von einem Schiff, das aus dem südostasiatischen Handelsemporium zurückkehrte. In den 1530er-Jahren nahmen Vertreter der Welser in Sevilla und Antwerpen Zuckerladungen aus der Karibik in Empfang. Doch auch hier ist Vorsicht geboten: Wie relevant und wie nachhaltig waren diese überseeischen Kontakte?

Jenseits solcher spektakulärer Quellenbelege liegt der Wert der Welser’schen Rechnungsbuchfragmente darin, dass sie die Materialbasis für die Rekonstruktion der Geschichte dieses Handelshauses wesentlich verbessern. Denn obwohl die Namen Fugger und Welser häufig in einem Atemzug als führende oberdeutsche Kaufmannsfamilien des 16. Jahrhunderts genannt werden, war die Geschichte der Fugger bislang ungleich besser dokumentiert. Einer Fülle an Studien zur Fuggergeschichte steht eine überschaubare Zahl an Arbeiten zur Historie der Welser gegenüber. Das vorliegende Buch bemüht sich vor diesem Hintergrund um ein ausgewogenes Bild und möchte die spezifische Rolle beider Handelshäuser im Fern- und Überseehandel der beginnenden Neuzeit herausarbeiten. Diesem Versuch sind vor allem in quantitativer Hinsicht Grenzen gesetzt: Wirtschaftshistoriker arbeiten bevorzugt mit „harten“ Daten, die sich in Tabellen und Grafiken aufbereiten lassen. Anders als für die Fugger sind für die Welser jedoch keine Generalrechnungen überliefert, die einen Überblick über das Vermögen und die Verbindlichkeiten der Firma zu einem bestimmten Zeitpunkt ermöglichen. Die Annäherung an die Handelswelt der Welser muss daher vorwiegend in qualitativer Form, d.h. über die Dokumentation einzelner Geschäfte und Geschäftsfelder, erfolgen.

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