Читать книгу Whitney Houston - Mark Bego - Страница 8
ОглавлениеMit nur vierzehn Jahren übernahm Whitney 1978 bei den Auftritten ihrer Mutter in Clubs und kleinen Hallen den Begleitgesang. Den Abend ihrer ersten Show in der Town Hall von Manhattan vergaß sie nie. Die Town Hall ist ein Konzertsaal in Broadway-Nähe, aber er ist gleichzeitig als Theater noch klein genug, um eine gewisse Intimität zu vermitteln.
Cissy Houston hatte mit „Tomorrow“, einem Titel aus dem Musical Annie, der auf ihrem 1977 veröffentlichtem Album Cissy Houston erschienen war, einen großen Erfolg gelandet. Für die Live-Show hatte sie sich überlegt, dass Whitney vortreten und einen Teil des Leadgesangs übernehmen sollte. Whitney erinnert sich, dass sie kurz, bevor sie ins Scheinwerferlicht treten musste, das Gefühl hatte, vor Angst zu sterben. Aber sobald sie mit dem Singen begann, verschwand das panische Gefühl, und ihr wurde klar, dass dies der Ort war, nach dem sie sich sehnte: mitten auf der Bühne.
Das Album Cissy Houston war ein so großer Erfolg gewesen, dass Cissy 1978 wieder mit dem Produzenten Michael Zager in New York ins Studio ging. Es war die große Zeit der Disco-Musik, und Zager hatte gerade mit seiner Band und dem Titel „Let’s All Chant“ selbst einen Hit gelandet. Vor allem in New York hatte es den Anschein, dass Disco nun die einzige Musik war, die sich verkaufte. Als man sich also an den Nachfolger zu Cissy Houston machte, beschloss Zager, auch diesem Album einen gewissen Disco-Touch zu geben.
Und das hörte man Think It Over von 1978 schließlich auch an: Vor allem der Titel-Song klang sehr gut gelaunt. Das Material entstand in den Secret Sound Studios von New York. Als Cissy für die Gesangsaufnahmen eintraf, brachte sie ihre Teenagertochter mit, die die Backing Vocals übernehmen sollte. Außer auf einem ist Whitney auf allen Tracks von Think It Over zu hören. Der Titel-Song, eine sechsminütige Disco-Nummer, wurde nach seiner Veröffentlichung zu einem Top-Ten-Hit in den amerikanischen Dance-Charts.
Die große Stärke Cissy Houstons lag eigentlich in der Präsentation gefühlvoller Balladen. Da Disco aber zur damaligen Zeit den Markt dominierte, ließ sie sich von Zager gern überreden, dem aktuellen Trend zu folgen. Doch die Fähigkeit, dem Publikum eine Ballade „zu verkaufen“, um die Leute dann beim nächsten Song schon wieder gut gelaunt zum Tanzen zu bringen, war Teil der musikalischen Vielseitigkeit, die Cissy an Whitney weitergab. Ihre Tochter lernte ebenfalls, die emotionalen Tiefen einer Ballade nach genau dem einen entscheidenden Moment auszuloten, um dann das Tempo anzuziehen und dann zu den schnelleren Titeln überzugehen.
1980 nahm das Leben der sechzehnjährigen Whitney eine unvorhergesehene Wendung. Eines Nachmittags war sie mit ihrer Mutter in Manhattan an der Kreuzung Seventh Avenue und West 57th Street unterwegs. Ganz in der Nähe liegt die Carnegie Hall, aber auch das Büro einer kleinen Fotomodellagentur namens Click.
Der Legende nach lief ein Talentsucher von Click Models der jungen Whitney über den Weg und schlug ihr spontan vor, sich bei der Agentur vorzustellen, da er in ihr ein perfektes Model zu erkennen glaubte. Die Gründerin und Chefin von Click Models, Frances Grill, bestätigt diese Geschichte: „So war es! Sie begegnete jemandem, der für mich arbeitete, Dean Avedon. Er entdeckte sie unten im Flur und fragte, ob sie Model werden wollte. Dann brachte er sie nach oben ins Büro, und ich fand sie wirklich großartig. Wir begannen sofort, mit ihr zu arbeiten.“
Frances war von der jungen Whitney sehr beeindruckt. „Sie war nicht so, wie man sie jetzt kennt“, erklärte sie Mitte der 1980er-Jahre. „Sie war ein sehr hübsches Mädchen und kam immer in Begleitung ihrer wunderbaren Mutter. Man merkt in einer solchen Situation schnell, ob wer das Zeug zum Model hat, wenn man die Leute einfach nur vor die Kamera stellt; wenn sie gut sind, dann passiert etwas. Sie haben einen ‚Ausdruck‘. Die Talentierten können das sofort, und Whitney gehörte dazu. Wir waren alle von ihr begeistert. Sie vermittelte soviel unverdorbene, frische Energie. Und sie hatte etwas sehr Reines an sich.“
Die Agentur Click konnte Whitney sofort ein paar Aufträge vermitteln. „Sie hat für viele Zeitschriften gemodelt“, berichtete Grill. „Für Mademoiselle oder für Seventeen, aber auch für einige Werbekampagnen.“
Es dauerte nicht lange, und Whitney war auch in einigen der großen Modemagazine zu sehen, unter anderem in Cosmopolitan, Young Miss und Glamour. Außerdem wirkte sie bei einer Printkampagne für die Kosmetikfirma Revlon mit und warb für die Limonade Sprite. Später wechselte sie von Click Models zur Wilhelmina Modeling Agency.
„Es macht mir Spaß, Modell zu stehen, aber das Singen liegt mir im Blut“, erklärte sie später mal. „Die Fotoaufnahmen sind eher eine Nebenbeschäftigung. Das ist nicht wie beim Singen, wo ich wirklich alles glaube, was ich rüberbringe. Die Gelegenheit ergab sich, also habe ich eine Weile als Model gearbeitet. Aber der Gesang stand immer an erster Stelle.“
Zum Modelgeschäft gehört auch eine gewisse Verbindung zum schnellen Leben, zu Partys, Drogen und Alkohol. Whitney sagte Mitte der Achtziger darüber: „Meine Mom hat nichts davon zugelassen, von daher habe ich vom schnellen Leben nicht so viel mitbekommen.“ Damals, als sie noch Modell stand und sich als Sängerin erst ausprobierte, war sie immer noch Cissys liebes Mädchen.
Whitney sang weiterhin an der Seite ihrer Mutter und baute allmählich ihre Karriere als Model weiter aus. Dabei trat sie mit Cissy nicht nur in der Town Hall auf, sondern auch in verschiedenen Clubs in Manhattan wie dem Schwulen-Club Les Mouches, den Jazz-Clubs der West 96th Street und einem berühmten West-Side-Cabaret namens Mikell’s.
Pat Mikell war ein Freund der Familie Houston, und Cissy trat mehrfach in seinem Club auf, während Whitney sie begleitete. Pat erklärte später: „Cissy war eine großartige Mutter. Sie war hart. Deswegen hat Whitney heute so viel Klasse.“
Allmählich räumte ihre Mutter Whitney in ihrem Programm immer mehr Raum ein. Abgesehen von ihrem Solo in „Tomorrow“ übernahm sie nun noch einen weiteren Song, bei dem das Rampenlicht ganz ihr gehörte. Eines Abends wurde Whitney offenbar ein wenig zu übermütig, was ihr Gesangstalent betraf, und begann sich vor dem Publikum aufzuspielen. Um sie dafür zurechtzuweisen, strich Cissy ihre Soloauftritte für zwei Wochen, damit sie lernte, sich zu benehmen. Whitney sagte später: „Meine Mutter ist meine beste Freundin und meine größte Inspiration. Aber natürlich ist deine Mutter manchmal auch einfach deine Mutter!“
Whitney hatte das Gefühl, auf der Bühne, vor Publikum, erwachsen zu werden. Im Laufe der Zeit übertrug ihr ihre Mutter weitere Aufgaben und teilte das Rampenlicht immer mehr mit ihr. „Meine Mutter brachte mir alles bei, was ich über das Geschäft weiß, über das Singen, über die Arbeit im Studio, solche Sachen eben.“ Über ihre Einsätze an der Seite ihrer Mutter sagte sie: „Ich musste einen Song vortragen, und als ich dann ein bisschen älter wurde, gab sie mir zwei, und so ging es weiter.“
Zu den Sängerinnen, deren Stimme Whitney stets bewunderte, zählte auch Chaka Khan. 1980 wurde Cissy gebeten, bei zwei Titeln von Chakas Album Naughty die Begleitstimmen einzusingen. Weil Whitney auf ihrer eigenen Platte Think It Over so gut gewesen war, nahm sie ihre Tochter mit ins Studio, um gemeinsam an Chakas Platte zu arbeiten.
Chaka Khan hatte zwei Jahre zuvor mit Chaka gerade ihr erstes Soloalbum aufgenommen, war aber weiterhin Leadsängerin der Band Rufus geblieben. Das Album wurde von Arif Mardin produziert, und Cissy Houston war bei einigen Tracks im Hintergrund zu hören. Chaka enthielt mit „I’m Every Woman“, einer Komposition von Nicholas Ashford und Valerie Simpson, zudem einen Riesenhit – einen Song, den Whitney in den Neunzigern selbst noch einmal aufnehmen und damit einen großen Erfolg verbuchen sollte. 1999 schließlich kamen beide Sängerinnen zusammen, um den Titel für die Fernsehsendung Divas Live ’99 und das dazugehörige Album noch einmal als Duett aufzunehmen.
Als Naughty 1980 entstand, saß Arif wieder an den Reglern und Ashford & Simpson steuerten mit „Clouds“ und „Our Love’s In Danger“ zwei neue Songs bei. Cissy brachte Whitney wie geplant zu den Aufnahmesessions mit, und das großartige Gesangsteam aus Mutter und Tochter ist bei beiden Titeln im Hintergrund zu hören. Whitney wurde zudem für den Begleitgesang der neuen Produktionen von Lou Rawls und den Neville Brothers gebucht, die ebenfalls in dieser Zeit entstanden.
Whitney erinnerte sich: „Zuerst stand ich mit meiner Mutter auf der Bühne, wenn sie in Clubs auftrat. Dann fing ich an, hier und da an Plattenaufnahmen mitzuarbeiten, und sie nahm mich mit, damit wir gemeinsam Background-Vocals für andere Musiker einsangen. Als ich dann achtzehn war, unterschrieb ich einen Vertrag und wirkte solo an einem Album mit.“
Besagtes Album war eine LP des Studioprojekts Material, und der Song, auf dem sie zu hören ist, trägt den Titel „Memories“. Das Trio Material bestand aus dem Keyboarder Michael Beinhorn, dem Bassisten Bill Laswell und dem Toningenieur Martin Bisi. Da keiner der drei den Gesang übernehmen wollte, heuerten sie für die einzelnen Titel verschiedene Vokalisten an, sodass sich auf jeder Platte neue Mitwirkende fanden. 1981 konnten Material, die sonst vor allem experimentelle Instrumentalmusik gemacht hatten, mit „I’m Bursting Out“ einen großen Dance-Hit verbuchen. Der Song wurde auch ein großer Erfolg für die Sängerin, die darauf zu hören war – Nona Hendryx, ehemals ein Drittel des Soul-Trios LaBelle. Gemeinsam mit Patti LaBelle und Sarah Dash hatte Nona in den Siebzigern den Klassiker „Lady Marmalade“ gesungen.
„I’m Bursting Out“ wurde so erfolgreich, dass Nona einen Solovertrag bei RCA Records erhielt. Material selbst kamen bei Elektra Records unter. 1982 nahm die Band das Album One Down auf, das acht Titel enthält, die allesamt mit verschiedenen Sängern eingespielt wurden. Nona Hendryx war auf „Take A Chance“ zu hören, Nile Rodgers von Chic spielte Gitarre auf „I’m The One“, der vielseitige Saxophonist Oliver Lake war auf „Come Down“ vertreten und Tony Thompson von Power Station und Chic spielte auf einigen Titeln Schlagzeug.
Für „Memories“, einen Song auf der zweiten Seite der LP One Down, engagierten Material eine junge Sängerin, die bisher noch keine eigenen Werke vorweisen konnte – Whitney Houston. Archie Shepp spielte Tenorsaxophon auf dem Track. Es war eine angenehme, leichte Ballade, und Whitneys Gesang klang großartig. In der Rezension der Zeitschrift Village Voice hieß es über One Down: „Die Gastmusiker Whitney Houston und Archie Shepp verwandeln ‚Memories‘ in eine der herausragendsten Balladen aller Zeiten.“
Die Platte verkaufte sich nicht besonders gut, aber für Whitney Houston war sie ein wichtiger erster Schritt, und heute ist die LP als ihre erste Soloaufnahme bekannt. Vor allem sorgte One Down dafür, dass Bruce Lundvall, der damalige Chef von Elektra Records, auf Whitney aufmerksam wurde. Angeblich war er damals sehr darum bemüht, Whitney für sein Label zu gewinnen, aber dazu kam es nie. Davon abgesehen wurde die junge Sängerin durch „Memories“ auch bei anderen Plattenproduzenten ein Begriff, und es dauerte nicht lange, bis bei ihr neue Angebote für weitere Aufnahmen eingingen.
Eins kam von Paul Jabara, der im Musikgeschäft als talentierter Allrounder galt. Er hatte in den Filmen Der Tag der Heuschrecke und Gott sei Dank, es ist Freitag mitgespielt, verschiedene Hits geschrieben und erfolgreiche Platten produziert. Er wurde vor allem bekannt als der Mann, der „Last Dance“ für Donna Summer schrieb, den Song, den sie in dem Disco-Streifen Gott sei Dank, es ist Freitag präsentierte. Der Titel brachte Jabara 1980 einen Oscar für den besten Song ein. Er schrieb zudem den Disco-Klassiker „No More Tears (Enough Is Enough)“ für Barbra Streisand und Donna Summer.
1982 meldete sich Paul Jabara bei Paul Shaffer, heute bekannt als Bandleader bei der Late Show With David Letterman, und sagte ihm, er habe da eine tolle Idee für einen Song namens „It’s Raining Men“. Jabara und Shaffer schrieben den Titel gemeinsam fertig, und tatsächlich schien schon allein das Konzept enormes Hitpotenzial zu bieten. Paul Jabara verpflichtete zwei Sängerinnen, die den Titel für ihn singen sollten, Izora Armstead und Martha Wash. Die beiden waren in den Siebzigern als Gesangsverstärkung auf allen großen Disco-Nummern von Sylvester bekannt geworden und nannten sich inzwischen Two Tons Of Fun. Für diesen Titel verpasste Jabara ihnen allerdings einen neuen Namen und nannte sie die Weather Girls.
Wie allgemein bekannt ist, wurde „It’s Raining Men“ ein echter Disco-Kracher. Und so hatte man bei Columbia Records plötzlich eine Hit-Single in Händen, aber kein Album, das man damit hätte anschieben können. Jabara trommelte daraufhin eine Reihe verschiedener Sänger zusammen und produzierte 1983 das Album Paul Jabara And Friends, Featuring The Weather Girls, Leata Galloway, and Whitney Houston. Wieder wurde Whitney für einen einzelnen Song angeheuert, aber immerhin konnte sie ihren zweiten Leadgesang verbuchen. Bei dem Titel handelte es sich um die herrliche Ballade „Eternal Love“, die Whitney eine viel bessere Gelegenheit bot, alle Facetten ihrer ausdrucksvollen Stimme auszuschöpfen. Nach diesen beiden Soloaufnahmen schien plötzlich die ganze Musikszene von New York aufgeregt über Cissy Houstons kleine Tochter und ihre unglaubliche Stimme zu reden.
Whitney wurde nun auch in der Presse zunehmend lobend erwähnt. Kritiker, die sich Cissys Konzerte ansahen, schwärmten in ihren Artikeln später auch von ihrer Tochter. Im Newark Star-Ledger hieß es zu dieser Zeit: „Es besteht kein Zweifel, Whitney Houston wird einmal ein großer Star werden!“ Die New York Times erklärte: „Sie ist enorm talentiert und hat ein phantastisches Potenzial!“ Billboard äußerte sich ebenfalls sehr wohlmeinend: „Bei ihrer Herkunft und ihrem Stil hat Whitney das Zeug, zu einer großen Sängerin zu werden.“ Und die Village Voice tönte: „Die Gerüchteküche hat schon einiges über Whitney Houston verlauten lassen. Sie hat eine enorm kraftvolle Stimme, die den Hörer gleichzeitig lachen und weinen lassen kann.“
Zu diesem Zeitpunkt hatte Whitney bereits einen Vertrag mit dem Manager Eugene (Gene) Harvey unterschrieben, der später berichtete: „Sie war gerade mal achtzehn, als zwei große Labels sie unter Vertrag nehmen wollten, aber ich hatte das Gefühl, es sei noch nicht an der Zeit. Ich wollte nicht, dass sie schon so früh einem solchen Druck ausgesetzt würde.“
Columbia Records, die das Album von Paul Jabara veröffentlicht hatten, und Elektra, bei denen die Sachen von Material erschienen waren, waren beide sehr interessiert und boten Whitney Verträge an. Auch ein anderes Label, Arista, hatte ein Angebot eingereicht. Und dieses Unternehmen war es auch, das letztlich den Zuschlag bekommen sollte.
Gene Harvey erinnerte sich: „Bevor wir bei Arista unterschrieben, fragte mich Whitney eines Tages: ‚Glaubst du wirklich, dass jemand mit einer netten Stimme, der nette Songs singt, heute noch Platten verkaufen kann?‘ Sie fragte das ganz unvermittelt und in aller Unschuld. Ich sagte: ‚Na, klar doch!‘“
Whitney hatte den Management-Vertrag mit Gene Harvey im September 1981 abgeschlossen, bevor sie die Aufnahmen für Material und Paul Jabara machte. Im April 1983 unterschrieb sie schließlich bei Arista, unter den wachsamen Augen ihrer Mutter. Mit dieser Unterschrift unter dem Plattenvertrag begann ein wichtiges Kapitel in der Geschichte der Popmusik. Während ihrer Zeit bei Arista sollte Whitney nicht nur Platten aufnehmen – sie sollte Rekorde brechen.