Читать книгу Auf Tour mit Bob Marley - Mark Miller - Страница 7
Оглавление»Die guten Zeiten heute, sind die traurigen Gedanken, von Morgen.«
Bob Marley
Juni 1978 in Los Angeles. Wie üblich war es heiß, versmogt und sehr laut. Ich arbeitete als Night Manager bei Studio Instrument Rentals (S. I. R.), einer Verleihfirma für Musik-Equipment in Hollywood, und steckte voll in der üblichen Hollywood-Hektik. Obendrein erhielt ich jeden Tag eine Menge Anrufe von aufgeregten »Künstlern«, die ihre Ausrüstung zu spät oder noch gar nicht bekommen hatten. Dann jedoch kam ein Anruf, der uns alle total überraschte.
Ein Tourneeveranstalter im Bundesstaat Washington bestellte das komplette Equipment für die berühmten Village People[1], die zwei Wochen in Seattle auftreten würden. Ich nahm den Auftrag an und fragte das Team bei S. I. R., wer die Ausrüstung nach Seattle fahren wolle. Keiner hatte Lust, aber ich kriegte eine Menge miese Schwulenwitze zu hören. Ich bot alle möglichen Anreize auf, aber die Jungs blieben hart. Keiner wollte nach Seattle fahren. Und vor allem wollte keiner in einem dunklen Club sitzen und zwei lange Wochen die Village People hören. Sie waren damals sehr populär und verkörperten bei ihren Konzerten einen Polizisten, einen Bauarbeiter, einen Soldaten, einen Biker, einen Cowboy und einen Indianerhäuptling. Mir war natürlich klar, warum keiner von den Leuten bei S. I. R. nach Seattle fahren wollte …
Die Zeit war knapp, weil der Tourneeveranstalter das Equipment so rasch wie möglich haben wollte, und weil es ein ruhiger Sonntagmorgen war, beschloss ich, das Zeug persönlich mit dem Dreitonner nach Seattle zu fahren. Ich winkte meinen Mitarbeitern nochmal zu, die sich auf der Laderampe dumm und dämlich lachten, und fuhr ab. Bei dem 7-Eleven an der Ecke Sunset Boulevard und Highland Avenue machte ich noch einen kurzen Zwischenstopp und deckte mich mit Fressalien ein, eine alte Methode von mir, mit der ich lange Fahrten ein bisschen erträglicher gestalte. Ich fuhr auf der Highland nach Norden, vorbei an bleichen Frühaufstehern, die sich mühsam auf einen neuen Tag in LA-LA-Land einstellten. Nach der Hollywood Bowl fuhr ich auf dem Freeway 101 nach Norden und ließ den ganzen Gestank und Dreck von Hollywood hinter mir.
In meiner Jugend hatten die Freeways ihren Namen noch verdient, und man hatte sich überall in der Gegend von Los Angeles noch frei bewegen können. Aber 1978 waren die Freeways schon genau wie heute alles andere als frei. Von etwa fünf Uhr morgens bis spät in der Nacht hat man Glück, wenn man 40 Kilometer in der Stunde schafft.
Von Los Angeles bis Seattle sind es etwa 1900 Kilometer, und die Fahrt dauert mindestens 20 Stunden, je nachdem wie oft man unterwegs anhält. Ich hielt nur, wenn ich tanken oder pissen musste, und powerte mit dem Dreitonner durch Nordkalifornien und Oregon, bis ich am frühen Morgen in Seattle ankam, wo ich direkt zum Veranstaltungslokal fuhr. Der Club war noch zu, also stieg ich wieder ins Auto und schlief sofort ein. Leider dauerte es nicht lange, bis mich ein Polizist aus dem Schlaf riss, der wild gestikulierte und an das Wagenfenster hämmerte. Ich hatte den Dreitonner in der Zufahrt des Clubs abgestellt, und auf der Straße stauten sich inzwischen die Lieferantenfahrzeuge. Hektisch erklärte ich, warum ich da stand, und bekam die Erlaubnis, vorzufahren und das Equipment auszuladen. Im Musikgeschäft sagt man, die Bühnenarbeiter seien nie zu finden, wenn man einen Lastwagen abladen muss, und so war es auch. Nicht zum ersten und nicht zum letzten Mal lud ich alles selber aus. In den folgenden zwei Wochen musste ich zwischen den Konzerten viel Zeit totschlagen. Aber dabei entdeckte ich das renovierte alte Hafenviertel der Stadt, einen der interessantesten Orte, an denen ich je gewesen bin. Bei den Shows musste ich nur vor Konzertbeginn da sein und alles einschalten. Dann nahm ich ein paar Drinks und sah zu, wie erwachsene Männer in Karnevalskostümen jeden Abend das Publikum zum Rasen brachten – die Village People. Nach den zwei Wochen in Seattle ging es weiter nach Vancouver, wo der Tourneemanager uns nicht nur bat, weiterhin das Equipment für die Village People zu stellen, sondern noch eine Menge zusätzliches Material für eine neue Band namens Bob Marley and the Wailers zu liefern.
Ich rief in Los Angeles an und bestellte noch einen zweiten voll beladenen Dreitonner für diese Band namens Wailers, von der ich bis dahin noch nie gehört hatte. Am 14. Juli 1978 beendeten die Village People ihre Tournee, und ich stand an diesem sonnigen Morgen vor der Queen Elizabeth Hall in Vancouver und wartete auf Bob Marley and the Wailers. Ich arbeitete damals für bekannte Bands, mit denen ich rund um den Erdball flog. Also war ich schon einiges gewohnt, was Musiker betraf. Aber nichts, was ich zuvor getan hatte, hatte mich auf das, was jetzt kam, vorbereitet.
Die Tür an der Rampe ging auf, und ich stieß mit dem Dreitonner zurück, um die Ausrüstung mit Hilfe von ein paar Bühnenarbeitern auszuladen. Wir waren gerade dabei, die Geräte aus den Transportbehältern zu nehmen, als ein Typ auf mich zukam und mich bat, einen Gitarrenlautsprecher in die Garderobe der Band zu bringen. Ich rollte einen Fender Twin Amp den langen Gang hinunter, als mir der süße Duft von Marihuana in die Nase stieg. Ich brauchte nur dem Geruch zu folgen, bis ich zur richtigen Tür am Ende des Korridors kam.
In der Garderobe wurde ich von einer dichten Rauchwolke empfangen, in der ich schemenhaft ein paar Gestalten ausmachen konnte. Ich schob den Verstärker quer durch den Raum und behielt die Leute sorgfältig im Auge, nur für den Fall, dass mir einer seinen riesigen Joint reichen sollte. Ich stellte den Verstärker auf und stöpselte ein Gitarrenkabel ein, um ihn zu testen. Dabei merkte ich, dass mich ein Typ auf der anderen Seite des Raums beobachtete, auf den sich die ganze Aufmerksamkeit der anderen zu konzentrieren schien. Ich legte das Gitarrenkabel zusammengerollt auf den Verstärker und sog dabei demonstrativ die rauchgeschwängerte Luft ein, als mir der Typ auf der anderen Seite des Raums etwas zurief. Er saß auf dem Garderobentisch vor der Spiegelreihe, die es in den Umkleideräumen aller großen Hallen und Theater gibt. Er rief: »Hey, junger Mann!« oder so etwas Ähnliches, und ich ging zu ihm rüber. Er fragte, warum ich nichts rauchte, und ich sagte, ich hätte nichts. Er nickte einem Typ zu, eine große Tüte voller Gras tauchte auf. Er nahm eine ordentliche Handvoll, wickelte es in ein Stück Papier, das er von einer Zeitung auf dem Garderobentisch abriss, und gab es mir. Ich schwebte ganz beglückt aus dem Raum, und eine knappe halbe Stunde später erfuhr ich, dass der Typ mit der komischen Frisur in der Garderobe (ich hatte damals noch nie Dreadlocks gesehen) Bob Marley war.
An diesem Abend gab die Band eines der erstaunlichsten Konzerte, die ich je gesehen hatte, obwohl ich den größeren Teil der Siebzigerjahre für viele berühmte Gruppen, darunter insbesondere englische Bands, gearbeitet hatte. Es war einfach unglaublich, mit welcher Intensität Bob Marley seine Musik machte. Die ganze Band spielte so. Tyrone Downey, Al Anderson, Junior Marvin, Carlton »Carly« Barrett und Fams Barrett, Wya Lindo, Seeco Patterson und die I-Threes. Ich registrierte andächtig, dass sie das Publikum in eine andere Welt versetzten, und fuhr total auf die neue Musik ab. Ich hatte zuvor noch nie Reggae gehört …
Nach der zweiten Show in der Queen Elizabeth Hall packte ich gerade die Ausrüstung zusammen, als Bobs Toningenieur Dennis Thompson auf mich zukam und sagte: »Bob will wissen, ob du gern mit uns arbeiten würdest.« Ich brauchte keine Sekunde, um mich zu entscheiden, nicht zurück nach LA zu fahren, sondern mit den großen Joints und den Dreadlocks von Bob Marley and the Wailers auf Tour zu gehen. Ich fuhr den Dreitonner mit dem Equipment zurück zum Hotel, rief Kenny Berry bei S. I. R. in Hollywood an, kündigte und teilte ihm mit, dass ich bei den Wailers bleiben würde. Dann deponierte ich die Schlüssel für den Dreitonner an der Rezeption und ging als neues Mitglied der Crew von BMW wieder hinaus.
[1]Die Schöpfer der unsterblichen Diskohymne »YMCA«.