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Im Bann der Ziege
ОглавлениеMarko Cornelius
Im Bann der Ziege
Horror - Kurzgeschichten
Zwölf Kurzgeschichten im Stile der dunklen Phantastik
entführen den Leser in unheimliche Abgründe
und lassen das Blut in den Adern gefrieren.
»Das war das Fürchterliche: dass aus diesem Schlamm der tiefsten Tiefen Stimmen und Schreie zu kommen schienen, dass der formlose Staub sich bewegte und sündigte, dass, was tot war und keine Gestalt besaß, sich die Äußerungen des Lebens anmaßte.«
Robert Louis Stevenson, Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde
Wenn ich doch damals auch nur andeutungsweise geahnt hätte, welch unumkehrbare Wendung meinem geistigen Schicksal sowie meiner mentalen Gesundheit an jenem verfluchten Tage vor nunmehr gut achtzehn Jahren bevorstand, so wäre es meinem bis dahin noch wachen Verstande mit Bestimmtheit gelungen, dessen bis heute andauernden Verfall noch rechtzeitig abzuwenden. Nunmehr obliegt es der Nachwelt, den unglaubwürdigen Hirngespinsten eines gebrochenen alten Mannes wenigstens geringfügige Beachtung zu schenken oder aber sich mit offenen Armen in ein ähnliches Unglück zu stürzen. Denn ich habe Dinge gesehen und gehört, vor denen selbst die abscheulichsten Träume verblassen mögen und sich vor Grausen in eisiges Schweigen hüllen.
Niemals werde ich auch nur einen Augenblick jenes Nachtmittages im späten September vergessen.
Unauslöschlich haben sich mir diese letzten unbeschwerten Stunden meines Lebens ins Gedächtnis gegraben.
So sind sie gleich Salzsäulen zu ewigen Zeugen eines einstigen Optimismus erstarrt, welcher mir heute nunmehr kummervolle Schauer blasphemischer Verzerrtheit hinterher zu jagen pflegt.
Voller Tatendrang jagte ich meinen alten Mercedes die 48 Kehren von Prad zum Stilfser Joch hinauf. Der Himmel sandte mit letzter Kraft ein gedämpftes Blau hernieder; das abgetragene Grün der Hangwälder verwandelte sich unter dem Einfluss der rasch ansteigenden Höhenlagen in altehrwürdiges Gold. Meiner großstadtgeplagten Seele indes schienen Flügel zu wachsen; alles lebensschwächende Siechtum unter ihnen schrumpfte zu unwirklicher Bedeutungslosigkeit zusammen. Sämtliche Daseinssphären konvergierten in einem Augenblick kosmischen Wunders und riefen in mir ein Hochgefühl hervor, wie ich es seit Kindertagen nicht mehr verspürt zu haben glaubte.
Als ich die Baumgrenze erreichte, blies der Fahrtwind merklich kühler durch die Seitenfenster, denn in den herbstmilden tieferen Lagen. Kaum allerdings, dass ich den ehrfurchtgebietenden Gipfel des Ortler in seiner ganzen Pracht erschauen konnte, zogen sich drohende Wolkenberge über seinem mächtigen Haupte zusammen. Urplötzlich veränderte die soeben noch allverheißende Natur ihr wohlwollendes Antlitz zu einer launischen Fratze unberechenbarer Bosheit. Gerade noch erreichte ich die Passhöhe, als ein Gipfelsturm einsetzte, welcher dichte Schwaden aus Eiskristallen und Graupelschauern vor sich her trieb und mir im nächsten Moment jegliche Sicht nahm. Ich stellte den Wagen auf dem leeren Parkplatz des Hotel Alpin ab, dessen Eingänge und Fensterfronten seit dem Ende der letzten Wintersaison gegen sämtliche Unbilden des hochmontanen Klimas verriegelt worden waren; erst in einigen Wochen würde es seinen Dornröschenschlaf beendet und seine Pforten wieder für die ersten Wintergäste geöffnet haben. Die schwankenden Gondeln der Gipfelbahn holten die letzten Tagestouristen aus dem ewigen Eis der obersten Gipfelregionen zurück; lediglich der kleine Kiosk neben dem verwaisten Kassenhäuschen schien noch geöffnet zu haben. Eigentlich hatte ich vorgehabt, die entgegengesetzte Passabfahrt zu benutzen, um meinen Weg talwärts nach Bormio, welches der Sage nach unter dem deutschen Namen Worms zur Mitte des 15. Jahrhunderts von einem Benediktinermönch namens Ambrosius Wormius gegründet worden war, zügig fortzusetzen. Lange Zeit zuvor bereits hatte ich mir vorgenommen gehabt, dort die alten Kirchenbücher und Inschriften zu studieren, da ich davon überzeugt war, meinen bisherigen Forschungsergebnissen gewisse Erkenntnisse hinzufügen zu können, um damit nachhaltig zu beweisen, dass besagter Mönch in einer Linie von jenem berüchtigten Olaus Wormius abstammte, dem so dringlich nachgesagt wird, er habe seinerzeit das verruchte Liber Arcanum des Argentorius ins italienische übersetzt. Im Schneetreiben, und den Talgrund in weiter Ferne, beschloss ich, mich erst einmal nach einer warmen Mahlzeit sowie einem Becher Kaffee umzusehen. Der Kioskbetreiber schloss eben seine Läden; er empfahl mir, es weiter, eine Stichstraße hinauf, im Bergrestaurant Tibeth zu versuchen; notfalls könne ich wohl dort auch für die Nacht Quartier beziehen, und so tat ich also, wie mir geheißen. Ähnlich einem Gemälde von Nicolas Roerich thronte der runde Steinbau über dem jähen Abgrund. Das Mahl war karg, aber der Kaffee heiß und stark. Die resolute Wirtin legte mir nahe, dass es den derzeitigen Wetterverhältnissen nach angeraten sei, hier in der Höhe zu nächtigen und nächstentags von neuem zu entscheiden, ob man die Abfahrt gefahrlos wagen könne, oder ob Zweifelfalls ein weiterer Tag des Abwartens vonnöten sei. Ich dankte ihr für die mir entgegengebrachte Gastfreundschaft, erinnere mich aber noch zu genau, dass ich ihren wohlgemeinten Rat damals mit der Vermutung abtat, sie fände es wahrscheinlich vorteilhafter einen gut bezahlenden Übernachtungsgast beherbergen zu können, als in der Gipfelkälte unbezahlte Holzscheite ins Feuer zu werfen.
Durch die trüben Panoramascheiben des Gastraumes, an deren Rändern der Fensterkitt bröckelte, blickte ich im zeitweise nachlassenden Schneetreiben auf die steil abfallenden Serpentinen hinab. Ein undefinierbares Gefühl eigenartiger Beklemmung muss mich damals ergriffen haben, denn als ich durch ein Loch in den reißenden Wolken eine kurze Ansicht des Talbodens erhaschen konnte, schien mir dies einen flüchtigen Gedanken lang einer unheimlichen Erleuchtung gleich zu kommen, welche nur in gewissen stygischen Abgründen zu finden ist, denen der gewöhnliche Mensch üblicherweise kaum zugetan scheint. Ich spreche hier von einem Gefühl; daher bin ich bis heute nicht in der Lage, eine Erklärung für mein überstürztes Verhalten zu finden, nach dem ich meine sichere Zufluchtsstätte eiligst verließ, mich weiter unten auf dem Parkgrund in mein Automobil schwang und den riskanten Rückweg unter den stoischen Blicken einer kreischenden Schar von Bergdohlen antrat, welche meine Entscheidung anscheinen kaum anzweifelten. Mit Flügeln anstatt Rädern muss ich wohl die Hänge hinabgeglitten sein; mein damaliges Zeitgefühl sowie die Erinnerung an diese Talfahrt sind bis heute nicht zu mir zurückgekehrt; dafür beraubten mich die darauffolgenden Tatsachen dauerhaft meines bis dahin ziemlich klaren Verstandes.
Der letzten Abwärtskehre folgte eine längere Gerade, in ihrem Verlauf nachgerade eine fortwährend zunehmende Längskrümmung aufweisend. Dort wo ich meiner Erinnerung an die Bergfahrt nach den Ort Prad vermutet hätte, erstreckte sich eine nackte Talsohle an deren Ende sich linker und rechter Hand steile Felsflanken emporzogen, welche von in der Abenddämmerung sich ausnehmend schwarz gebärdenden Waldstreifen gesäumt wurden, deren unnatürlich dicht wirkendes Nadelwerk die einsame Straße schier zu verschlingen trachtete. Folgsam gehorchte ich einem mir scheinbar vertrauten Ruf, der mich durch die abstoßend grässlichen Baumgestalten hindurch zu einem - wie ich heute weiß - noch weit schrecklicheren Ort geleitete.
Als ich den Wagen anhielt um einen Blick auf die Straßenkarte zu werfen, war aus dem Waldabschnitt links vor mir deutlich das tosende Rauschen eines Gebirgsbaches zu vernehmen gewesen. Dieser hätte jedoch der Karte nach in deutlich anderer Position verlaufen müssen. Um mich zu vergewissern, dass ich mich aufgrund des Geräusches nicht geirrt hatte, überquerte ich den Fahrweg und bemerkte dabei wenige Meter vor mir ein verwittertes Holzschild mit der Aufschrift »Eintritt zur Ausstellung frei«. Ein schmaler Pfad führte an dieser Stelle in den dunklen Tann hinein. Natürlich wunderte ich mich zuerst ein wenig, dachte aber sogleich, dass es wohl das Beste war, einen Einheimischen nach dem Wege zu fragen, da ich mich anscheinend doch hoffnungslos verirrt hatte. Wenn nicht hier, wo sonst sollte ich in dieser gottverlassenen Gegend eine Menschenseele antreffen? Also bog ich in jenen Waldweg ein; das Licht des Tages war beinahe vollständig geschwunden. Eine marode Holzbrücke führte mich wenige Schritte weiter über einen tosenden Abgrund voll schäumender Gischt.
Drüben erwarteten mich in schmutzig braunem Zwielichte seltsam geformte Skulpturen, welche längs des Weges eine Art hohler Gasse formten und mir einen irrwitzigen Spießrutenlauf abverlangten. Es handelte sich dabei um höchst befremdliche Kunstwerke aus allerlei derbem Knochenmaterial, das mit diversen rostigen Metallgegenständen zu einer verstörenden Synthese kränkelnder Phantasie zusammengefügt worden war. Zwischen diesen hoch aufragenden Kompositionen düsterer Walphantastik glotzten hämisch grinsende und bunt bemalte Steinfratzen zwischen Moosen und Farnen hervor. Das Spalier der geisterhaften Armada lenkte mich direkt auf ein windschiefes Steinhaus zu, aus dessen halb verfallenem Schornstein unablässig dichter Rauch quoll. Drinnen brannte ein schwaches Licht, was mich zuerst aufatmen ließ; dann überkamen Zweifel meine aufkeimende Euphorie, als ich ein weiteres Schild am glitschig morschen Gartenzaun erkannte, diesmal mit der ernüchternden Botschaft »Betreten verboten«. Hätte ich mich doch an diese Empfehlung gehalten, so wäre mein Bericht jetzt wohl zu Ende und das große Unheil, welches mir so bis zu meinem erlösenden Tode anhaftet, könnte nicht mehr an meinem ungesunden Bewusstsein nagen. Leicht wäre es mir an dieser Stelle des Weges noch möglich gewesen umzukehren.
Nichtsdestoweniger verspürte ich weiterhin einen unerklärlichen Drang, das Unbekannte sich mir nahen zu lassen. Doch noch ehe ich mich genötigt sah, selbst etwas zum Fortgang der Dinge beizutragen, öffnete sich knarrend die Tür des bescheidenen Anwesens und eine hochgewachsene Gestalt humpelte eifrig gestikulierend auf mich zu.
»Sein´s gegrüßt, der Herr. I nehm amal an, sie kommen wegen der Kunst. Normalerweise lass i zwar niemands mehr um solche Zeit rei - außer vielleicht den alten Beelzebub selbm, ho, ho … - aber, i will bei ihnen mol a Ausnahm machen.«
Ich nickte betreten, denn noch bevor ich eine Antwort herausbrachte, hatte der Fremde das Tor geöffnet, mich am Arm gepackt und schleifte mich zum Hof hinein, wobei ich vage sein Gesicht zu sehen bekam, dessen seitliche Konturen die karge Hausbeleuchtung mehr schlecht als recht hervor zu zeichnen in der Lage war. Der breitkrempige abgetragene mit einer zerschlissenen Rabenfeder oder ähnlichem geschmückte Hut, den er trug, verdeckte seine gesamte Stirn. Direkt unter dem Hutsaum lugten seltsam farblose Augen hervor, von dem leblos grauen Teint der Gesichtshaut nur darin übertroffen, dass sich ihre Augäpfel in einer andauernd scheinenden Unrast hin und her bewegten.
Der Mann, den ich auf etwa fünfzig Jahre schätzte, trug einen blaugrauen Arbeitsanzug sowie eine staubgraue Arbeitsschürze und abgetragene Werkstattschuhe, deren ursprüngliche Farbe nicht mehr zu bestimmen war. Während ich ihn verstohlen von der Seite musterte, fiel es mir nicht schwer zu glauben, dass der Leibhaftige tatsächlich bei ihm ein und aus zu gehen pflegte; beinahe schien es mir für einen flüchtigen Augenblick, als seien sie beide Brüder in den aschenen Weiten der Hölle. Als wir vor dem Hauseingang standen, zeigte der Hutträger auf die neuesten Werke seiner granitgrauen Hände: seltsame Steingesichter, bemalt in unerdenklichen Farbgebungen schielten an der Hauswand entlang zu mir herüber; Skulpturen aus skurril geformten Hölzern und Wurzeln zeigten mit krummen Fingern irgendwohin ins Nichts; schlecht gebleichte Knochen bildeten in Kombination mit schimmligen Häuten und Fellen geradezu ekelerregende Schreckensgebilde. Verhalten bekundete ich ein geheucheltes Interesse an dieser Art bildender Kunst, was den fahlhäutigen Kreativling jedoch nur dazu brachte einen alten moosüberwucherten Schuppen gegenüber zu betreten, in dem die Spinnen augenscheinlich bereits viele Jahrzehnte lang gewütet hatten. Was ich darin sah, versetzte mich nicht minder in erschauerndes Erstaunen. Im Halbdunkel erspähte ich unzählige Tiergeweihe, Schädel und Knochen, welche in einer undefinierbaren Ordnung an Wänden und Decke aufgehängt waren und in leisem Lufthauch eine zarte Musik von Albtraumhafter Disharmonie erzeugten.
»Des is die Schatzkammer. Dort drin bewahr i alle Sachen auf, von denen meine Arbeit lebt. Ja, ja, sie lebt tatsächlich. Nimm nur amal den Ziegenkopf da in d´Hand, dann verstehst, was i mein ….«
Er drückte mir einen Schädel entgegen, den er soeben unter den entsetzlichen Spinnweben hervorgeholt hatte und fragte mich nach einer Weile ungeduldigen Wartens:
»Fühlst es, fühlst wie er lebt? Es is der unterweltliche Wind der aus ihm spricht. Mei Kunst is mehr, als bloß des, was du sehn kannst, denn sie is Teil von jener Kraft, die net von vornherein nur des Gute schafft …; schau, es is so: du hast den Ziegenkopf net bewusst g´sucht, aber er hat jetzt dich g´fundn, damit du sei Geheimnis erfährst. Miteinander enthüllt´s ihr jetzt die Dunkelheit.«
Obgleich ich dem närrischen Künstler nicht bis auf den Punkt folgen konnte, verspürte ich doch durchaus eine unbestimmte energetische Strömung, welche der bleiche Schädel mit dem ungewöhnlich großen Gehörn durch meine Fingerspitzen jagte. Jedoch hätte ich mir diese Feststellung in der Gegenwart jenes Verrückten - zumindest hielt ich ihn mittlerweile deutlich dafür - mit Sicherheit nicht zuerkannt.
Heute freilich weiß ich, dass ich mir selbst das Interesse am Erwerb des Fetischs am ehesten dadurch verwehrt hätte, indem ich meiner gefühlten Abneigung dem scheußlichen Ding gegenüber nachgekommen wäre. So aber folgte ich einem Ruf, den ich damals nicht einzuordnen wusste und den ich heute nicht mehr abwenden kann. Kurz, ich kaufte dem Irren Waldschrat diesen Gegenstand meiner unterbewussten Begierde für ein nicht unerhebliches Entgelt ab und verließ den unheimlichen Ort auf schnellstem Wege, allerdings ohne mich, wie ich es eigentlich vorgehabt hatte, nach dem rechten Weg sowie einer Herberge für die Nacht - die Dämmerung war längst einer undurchdringlichen Schwärze gewichen - zu erkundigen.
Dieses Verhalten meinerseits ist mir bis heute schleierhaft. Ich kann es nur den nebulösen Verwerfungen zuschreiben die bis dahin meinem gebeutelten Bewusstsein wiederfahren waren.
Ich hatte den widerwärtigen Tierschädel soeben in meinem Wagen verstaut, als mir eine Reihe tanzender Lichter zwischen den schwarzen Tannenspitzen auffiel, die sich von beiden Seiten auf den Ort des Hauses zubewegten, welchen ich ja gerade erst verlassen hatte. Waren es die Nachbarn des verrückten Vinschgauers, die ihn des Nachts aufsuchten? Doch was um alles in der Welt trieb sie alle an diesen gottverhassten Platz zusammen? Ferner überkam mich die unbestimmte Vermutung, die nächtliche Prozession stünde unter Umständen mit meiner Person in Zusammenhang. Diese Vorstellung jagte mir kühle Schauer über den Rücken, wenngleich ich mich abermals als unfähig erwies, eine vernunftorientierte Entscheidung zu treffen, was wenigstens bedeuten hätte sollen, dass ich in meinen Wagen zu steigen gedachte und auf und davon gefahren wäre. Wiederum kam es jedoch, wie es wohl kommen musste: irgendetwas hielt mich konsequent davon ab, mich zu entfernen. Alles missachtend, was gesunde Vernunft geboten hätte, suchte ich den verruchten Flecken Erde erneut auf, ahnte aber noch nicht den Schrecken, der mir bevorstünde. Aus der Deckung des Waldes heraus beobachtete ich, wie etwa ein Dutzend verhüllte Gestalten, von denen jede in der einen Hand eine Pechfackel trug und mit den Fingern der anderen Hand ein seltsames Zeichen formte, auf dem steilen Felsvorsprung, der unmittelbar neben dem Haus des Vinschgauers wie eine drohend erhobene Faust emporragte, Position bezogen. Alsbald stimmten sie einen sonoren Singsang an, währenddessen der Vinschgauer mit einem Widdergehörn auf dem Kopf sowie eine Frau, die ein übergroßes blitzendes Messer mit sich führte, den Felsen erklommen und sich zu den Verhüllten gesellten. Der unablässig aus dem verfallenen Schornstein quellende dichte Rauch versiegte und die Lichter im Hause erloschen; das war das Zeichen auf welches hin die unheilige Zusammenkunft sich mit dem Vinschgauer und der Frau an der Spitze in Bewegung setzte und in einer versteckten Öffnung im Gestein verschwand.
Eisige Schwärze umfing mich, als ich abermals die fragwürdig im schneidenden Nachtwind klappernden Skulpturenreihen abschritt, das versteckte Anwesen diesmal unaufgefordert betrat, um schließlich den glitschigen Felsen empor zu klettern. Unterhalb seiner Spitze gelangte ich durch besagte Öffnung in den Berg hinein, den von mir Verfolgten dicht auf den Fersen. Der schmale Spalt weitete sich schnell zu einem breiten Korridor, an dem rundherum fluoreszierende Algen und Pilze wucherten und dessen schleimtriefende Wände in ein unirdisches grüngelbes Licht tauchten.
Alsbald befand ich mich am Eingang zu einer ins Unendliche ausgedehnt scheinenden Höhle, deren gähnender Schlund mir mephitische Dämpfe äonenalter Abgründe entgegen atmete. Es war der Pestodem einer Welt, die ihre Fäden jenseits der uns bewussten Sphären spinnt; einer Welt, die unter den Gebirgen thront, die überdauert von Zeitalter zu Zeitalter.
Schreckliche Rufe gesellten sich zu den unerträglichen Ausdünstungen. Sie verschmolzen mit dem tanzenden Lichte eines Feuers, um welches die eingeschworene Gemeinschaft vor meinen Augen in konvulsivischen Bewegungen stieb, zu einer unhaltbaren Einheit kaum fassbarer Konfusität, von der ich alsbald ergriffen ward und in deren Bann ich bewegungsunfähig ausharrte. Was ich weiterhin sah, lässt sich kaum in Worte kleiden, denn es war zu abartig, als dass ein Lebender dazu imstande sein könnte, sich in wachen Stunden all dessen gegenwärtig zu sein; vielmehr ist es wahrscheinlich nur in den schauerlichsten Nachtmahren einen Blick auf das Grauen zu erhaschen, welchem ich an jenem Orte ghoulischer Finsternis hoffnungslos ausgesetzt war.
Ich stelle jedoch nochmals anheim, zu diesem unglücklichen Zeitpunkt aus freien Stücken mich diesem, noch näher zu bezeichnendem Schrecken ausgesetzt zu haben.
Die verhüllten Gestalten warfen auf Geheiß des Vinschgauers hin die rauchenden Fackeln in das purpur lodernde Feuer, das von Pech und Schwefel überernährt zu sein schien, denn in seinen Abdünsten witterte ich die morbiden Gestade des Hades. Auch kamen aus den spukhaften Räumen des Berges Töne hervor, deren Ursprung keinesfalls von dieser Welt kündete. Da wünschte ich für einen Wimpernschlag, selbige wären niemals in mein verirrtes Ohr gelangt.
Heute begreife ich es: es war die unendliche Stimme des unnahbaren und immerwährenden Chaos daselbst, welche mir jene totbringende Torheit aus den seelenlosen Räumen äonenalter Fäulnis zurief.
Als hebe er an zu einem Memento mori, kniete sich der Vinschgauer vor der züngelnden Lohe nieder; er setzte scharf skandierte Verse in einer toten Sprache ab, die ich etwa als Altpersisch glaubte identifizieren zu können. Den Beschwörungsformeln awestischer Priester gleich, hallten sie von den ungeometrischen Wänden der zyklopischen Höhle wider, wobei sie so unnatürlich klar zu mir herüberdrangen, als käme ihr Echo aus den lichten Höhen von Fonthill Abbey, deren exzentrischer Erbauer William Bechford nach dem Einsturz jenes zu Stein gewordenen Traumes, sich unter einer allegorischen Phantasmagorie eigener Vermessenheit begraben fand, aus deren gewaltsamen Klauen ihn endlich nur der erlösende Tod zu befreien vermochte. Dann musste ich einen Schrei unterdrücken, als die blanke Klinge des riesigen Hackmessers in den Händen der seltsamen Frauengestallt kurz aufblitzte. Wie von Sinnen führte sie es gegen den scheinbar teilnahmslosen Kapuzenträger zu ihrer Rechten und hieb diesem mit roher Gewalt den linken Fuß über dem Knöchel ab. Jene Gestalt zuckte kurz zusammen, stürzte alsdann zu Boden und wälzte sich stumm in ihrem eigenen Blute, während schon das nächste Opfer widerstandslos dieselbe Behandlung erduldete, bis die ganze Runde wie eine Handvoll Würmer um den Feuerkreis herumkroch. Sodann warf das erschreckliche Weib die Klinge ins Feuer und schickte ein Handzeichen entgegen dem Abgrund, auf welches hin der Vinschgauer sich, wie zu einer Huldigung ausgestreckt, flach auf den Boden drückte, indes er beschwörend in die brodelnde Feuerkuhle hinabrief: »Vispe ratavo daevo viddar aka manah paridaescha!« (Ihr Dämonenfürsten öffnet die Pforten des höllischen Paradieses!)
Sogleich warf sich die Frau neben ihn, wonach sie den Ruf gemeinsam immer wieder und wieder von sich gaben. Als sie so dalagen, erschauderte ich bis ins Mark, als ich erkannte, dass sie beide jeweils anstatt eines gesunden menschlichen Fußes einen schartigen Bockhuf besaßen, mit dem sie im Rhythmus der Beschwörungsformel über den besudelten Boden scharrten, während sie allem Anschein nach in spannungsgeladener Erwartung die hypnotisierende Feuersglut betrachteten. Mit ihren Blicken schienen sie nach und nach ein amorphes Etwas daraus hervor zu ziehen, welches schon gleich tentakelartige Gliedmaßen nach ihnen reckte. Obschon ich ein weit entferntes Gurgeln oder ein dergleichen grässliches Gezischel aus fernen Tiefen zu vernehmen glaubte, daraus ich schloss, der Kopf des unbeschreiblichen Dinges müsse sich abgrundfern von dessen gestaltlosen Körperfortsätzen befinden.
Mit frenetischem Gezucke begannen diese nun die Körper der verstümmelten Vermummten zu betätscheln, deren abgehackte Gliedmaßen unter saugendem Geschmatze aufzusammeln und zogen sich dann auf schlingernden Bahnen, gleich Phobos und Deimos, in den Feuerpfuhl zurück, so schnell sie daraus aufgetaucht waren.
Für eine unbestimmte Zeit darauf vernahm ich nur eisige Stille; das Feuer hatte sich zu einem kraftlosen Glimmen unter der Erde zurückgezogen. Erst nachdem der Vinschgauer und das krude Weib erneut Fackeln angezündet hatten, gewahrte ich auf´s schlimmste - und jener unfassbare Anblick verfolgt mich seither zu jeder bitteren Stunde meines nunmehr ruhelosen Daseins -, dass die Verhüllten, von denen sich nun einer nach dem anderen erhob, ebenfalls jeweils einen Fuß gegen einen blasphemischen Huf aus stygischen Abgründen eingetauscht hatten. Humpelnd und stampfend setzte sich die Meute wieder in Bewegung, um mit dem verstörerischen Zeremoniell fort zu fahren, während ich überstürzt die Flucht antrat, einzig danach trachtend, jenem chimärenhaften Alptraum zu entkommen.
Jemand musste mir auf die Schulter getippt haben. Ich schlug die Augen auf und hob den Blick; vor mir stand mit in die Hüften gestemmten Armen die Wirtin des Tibeth.
»Wachen´s schon auf, die Sonn kommt raus!«, forderte sie energisch.
Noch etwas benommen von einem Schlaf, in dessen zeitlich nicht einzuordnende Fänge ich anscheinend geraten war, bezahlte ich traumschwankend die Zeche, verließ meine Gastgeberin verdutzt, setzte mich weiter unten auf dem Parkplatz in meinen Wagen und jagte, ohne zu verstehen was eigentlich vor sich gegangen war, die engen Kurven im bedrängenden Lichte der untergehenden Sonne nach Bormio hinab. Beim dortigen Hotel angekommen, entriegelte ich den Kofferraumdeckel, um mein spärliches Gepäck vom Portier befördern zu lassen.
»Schönes Souvenir ham der Herr da erstanden!«, lobte dieser mit verhaltenem Lächeln und sobald ich genauer hinsah, erkannte ich zwei schwarze Spitzen an der Ladekante hervorlugen. In diesem Moment verlor ich für immer den Verstand, denn vor mir lag der Ziegenkopf und glotzte mich aus seinen leeren lebensfeindlichen Augenhöhlen an.
»Es ist der unterweltliche Wind, der aus mir spricht. Gemeinsam enthüll´n wir jetzt die Dunkelheit!«, drang sein hämisches Gemecker laut und deutlich an meine Ohren; genau wie der sonderbare Vinschgauer es an jenem unbekannten Orte vorausgesagt hatte.