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Kapitel 2

Allgemeiner Aufbau des Nervensystems

Unterteilungsmöglichkeiten des Nervensystems

Graue und weiße Substanz des Nervensystems

Peripheres und zentrales Nervensystem

Somatisches und vegetatives Nervensystem

Afferenzen und Efferenzen

Zusammenfassendes Funktionsprinzip des Nervensystems

Topographische Betrachtung des Nervensystems

Apikale Ansicht

Medio-sagittale Ansicht

Laterale Ansicht

Basale Ansicht

Lagebeschreibungen im Zentralnervensystem: Meynert- und Forel-Achse

Systematik der Verbindungen des Nervensystems

Assoziationsbahnen

Kommissurenbahnen

Projektionsbahnen

Zusammenfassung

Was das IMPP wissen möchte

Index

Weiterführende Literatur

Allgemeiner Aufbau des Nervensystems

Das Nervensystem besteht nicht nur, wie wir im vorangegangen Kapitel erfahren haben, aus verschiedenen Zelltypen, sondern kann auch funktionell und makroskopisch in verschiedene Anteile untergliedert werden. Diesen verschiedenen Anteilen des Nervensystems lassen sich oft ganz bestimmte Funktionen zuordnen, so dass schon im Rahmen der klinischen Untersuchung ein erster Verdacht geäußert werden kann, an welcher Stelle das Nervensystem bei einer gegebenen Symptomkonstellation vermutlich beschädigt ist. In diesem Kapitel werden die verschiedenen Unterteilungsmöglichkeiten des Nervensystems erläutert sowie auf grundlegende Funktionen der einzelnen Abschnitte eingegangen.

Unterteilungsmöglichkeiten des Nervensystems

Das Nervensystem lässt sich nach verschiedenen Gesichtspunkten unterteilen. Diese sind (1) graue und weiße Substanz, (2) peripheres und zentrales Nervensystem, (3) somatisches und vegetatives Nervensystem sowie (4) Afferenzen und Efferenzen (eigentlich afferentes und efferentes Nervensystem). Die ersten beiden Unterteilungen sind eher morphologischer, die letzten beiden sind funktioneller Natur.

Graue und weiße Substanz des Nervensystems

Als die alten Anatomen die ersten Gehirne inspizierten, begnügten sie sich natürlich nicht mit der Untersuchung des Gehirns von außen. Sie entschlossen sich dazu, das Gehirn zu sezieren um Informationen darüber zu erhalten, wie dieses faszinierende Organ von innen aussieht.

Abb. 2.1 zeigt ein Gehirn, welches von vorne angeschnitten worden ist. Diese Schnittführung wird sowohl in der Anatomie als auch in der Radiologie als frontale bzw. koronare Schnittführung bezeichnet. Dargestellt ist, wie ein solches Gehirn makroskopisch aussieht. Neben den beiden zentralen Hohlräumen, die wir später noch als innere Liquorräume kennenlernen werden, fällt auf, dass manche Gebiete grau, andere weiß erscheinen. Die grau erscheinenden Bereiche nennt man graue Substanz (Substantia grisea), diejenigen, die heller erscheinen, nennt man weiße Substanz (Substantia alba). Bei genauerer Betrachtung kann man erkennen, dass das Gehirn vollständig von einem grauen Streifen umgeben ist. Diesen Streifen grauer Substanz nennt man aufgrund seiner oberflächlichen Lage Großhirnrinde bzw. Cortex cerebri (kurz auch einfach Kortex genannt; Pfeil in Abb. 2.1). Im Kortex liegen die Zellkörper der Nervenzellen. Je nach ihrem Platz in der Großhirnrinde haben sie ganz unterschiedliche Aufgaben. Manche steuern Bewegung, manche registrieren sensible Impulse, wieder andere sind für die Sprache verantwortlich. Die meisten Nervenzellen kommunizieren über Axone mit anderen Gehirnarealen. Deren Axone verlaufen im sogenannte Marklager unterhalb der Großhirnrinde, man spricht auch von subkortikaler weißer Substanz (E in Abb. 2.1). Der Teilbegriff „Mark“ im Wort Marklager bezieht sich auf die durch Myelin oder „Mark“ ummantelten markhaltigen Nervenfasern, die heller gefärbt sind als die Zellkerne der Nervenzellen. Das Marklager beider Seiten scheint über eine Gewebebrücke miteinander verbunden zu sein. Hierbei handelt es sich um den Balken (Corpus callosum; B in Abb. 2.1), der Teil der weißen Substanz ist. Die Substantia alba enthält also im Wesentlichen Nervenfasern, die der Kommunikation der grauen Nervenzellen untereinander dienen.


Abb. 2.1

Frontalschnitt durch das Gehirn im Bereich der Corpora mammillaria

Die Blickrichtung ist von vorne nach hinten. In dieser Sichtweise sehen wir die Fissura longitudinalis cerebri (A), welche das Großhirn in eine linke und eine rechte Hemisphäre unterteilt. Am unteren Ende der Fissura longitudinalis cerebri liegt der Balken (B), der die rechte mit der linken Hemisphäre verbindet. In der Tiefe um die inneren Hohlräume des Gehirns angeordnet (Ventrikel; C und D) findet man die tiefe graue Substanz, die auch subkortikale graue Substanz genannt wird (J). Wichtige Vertreter sind der Nucleus caudatus (blau), das Putamen (grün) und der Globus pallidus (rot). Nach außen folgt ein breiter Bereich weißer Substanz, das sogenannte Marklager (E). Um den dritten Ventrikel (D) befindet sich der Thalamus (Stern). Dieser allgemeine Aufbau (innen graue Substanz, außen weiße Substanz) ist vergleichbar mit dem des Rückenmarks. Auch dort finden wir – wie dargestellt – innen graue Substanz, an die sich von außen her weiße Substanz anlagert (F). Die graue Substanz des Rückenmarks hat annährend die Form eines Schmetterlings, es lassen sich Vorderhorn, Seitenhorn und Hinterhorn voneinander abgrenzen. Als Zeichen der evolutionären Entwicklung des Menschen lagert sich um das Marklager im Bereich des Großhirns jedoch ein weiteres Gebiet graue Substanz an, der streifenartige Kortex (Pfeil). In der grauen Substanz befinden sich die Zellkörper und Dendriten der Nervenzellen, in der weißen Substanz die mit Myelinscheiden umgebenen Axone. Der Kortex mit seinen Gyri (G) und Sulci (H) ist demnach das morphologische Korrelat einer Vermehrung von Nervenzellen im Zuge der Evolution. Diesen wichtigen evolutionären Schritt findet man bei weniger weit entwickelten Tieren, wie etwa der Maus, nicht. Die Oberfläche des Großhirns ist dort flach, man spricht von einer Lysenzephalie.

In der Tiefe, vor allem um die inneren Liquorräume formiert, stößt man wieder auf Gebiete, die graue Substanz enthalten. Da diese Bereiche unterhalb des Kortex liegen, spricht man auch von subkortikaler grauer Substanz (J in Abb. 2.1). Wie wir später noch sehen werden, greifen diese Gebiete subkortikaler grauer Substanz unter anderem regulatorisch in Bewegungsimpulse ein. Dies trifft vor allem für folgende zwei Abschnitte der subkortikalen grauen Substanz zu: den Nucleus caudatus (in Abb. 2.1 blau hinterlegt) und das Putamen (in Abb. 2.1 grün hinterlegt). Auch der Globus pallidus (in Abb. 2.1 rot hinterlegt) spielt eine wichtige Rolle in der Regulation motorischer Impulse. Ein weiteres Gebiet tief gelegener grauer Substanz befindet sich unmittelbar um den dritten Ventrikel (D in Abb. 2.1), welcher in der gezeigten Abbildung mittig gelegen ist. Es handelt sich um den Thalamus (Stern in Abb. 2.1), dessen wichtigste Funktion darin besteht, darüber zu entscheiden, welche sensiblen Informationen an den Kortex weitergeleitet und uns dadurch bewusst werden. Wie wir später bei der Besprechung der Regulation der Motorik noch sehen werden, verschaltet der Thalamus jedoch nicht nur sensible, sondern auch motorische Impulse.*

Nachdem wir nun wichtige Komponenten der grauen und weißen Substanz kennengelernt haben, wollen wir uns damit beschäftigen, wie es zu diesem Farbunterschied kommt. Hierfür können wir darauf zurückgreifen, was wir bereits in der Neurohistologie besprochen haben. In Kapitel 1 haben wir gelernt, dass eine Nervenzelle aus Dendriten, einem Perikaryon (Nervenzellkörper) und einem Axon besteht. Axone werden im Gehirn von Oligodendrozyten mit einer schützenden Myelinscheide umgeben. Diese Myelinscheide besteht biochemisch zu einem nicht unbeträchtlichen Anteil aus Lipiden, welche sich makroskopisch weißlich-gelb darstellen. Dendriten und Nervenzellkörper sind im Gegensatz dazu nicht von einer fettreichen Myelinscheide umgeben und erscheinen deswegen im makroskopischen Schnittpräparat nicht weiß, sondern grau. Nun wird klar, welche Anteile einer Nervenzelle in der grauen und welche Anteile in der weißen Substanz zu finden sind. Im Rahmen einer histologischen Untersuchung der Substantia grisea treffen wir hinsichtlich der Neurone vor allem auf deren Zellkörper und die nicht-myelinisierten Dendriten. In der Substantia alba hingegen finden wir vor allem myelinisierte Axone. Man sollte jedoch nicht vergessen, dass neben den Nervenzellen auch Gliazellen am Aufbau des Gehirns beteiligt sind. Diese findet man sowohl in der grauen als auch in der weißen Substanz, wenngleich doch regionale Unterschiede bestehen (z. B. gibt es in der weißen Substanz natürlich viel mehr Oligodendrozyten als in der grauen Substanz).1, 2

Betrachten wir im Vergleich einen Schnitt durch das Rückenmark (F in Abb. 2.1), so finden wir auch dort graue und weiße Substanz. Im Rückenmark liegt die graue Substanz zentral (mit ein wenig Vorstellungskraft kann man einen Schmetterling erkennen, weswegen auch von einer Schmetterlingsfigur gesprochen wird). Die zentral gelegene graue Substanz des Rückenmarks wird allseits umgeben von weißer Substanz, die wiederum in die Hinterstränge, Seitenstränge und Vorderstränge unterteilt werden kann. Im Prinzip entspricht dieser Aufbau des Rückenmarks mit innen grauer und außen weißer Substanz dem Aufbau des Großhirns. Auch dort finden wir innen Gebiete grauer Substanz umgeben von weißer Substanz. Im Großhirn lagert sich jedoch zusätzlich noch der bereits genannte Streifen grauer Substanz, die Großhirnrinde, von außen an. Diese Anlagerung zusätzlicher grauer Substanz von außen an das Großhirn stellt einen wichtigen evolutionären Schritt dar. Wie wir später noch sehen werden, ist die Großhirnrinde mit vielen hoch kognitiven Funktionen vergesellschaftet, das Rückenmark hingegen führt eher primitive Aufgaben aus (beispielsweise Reflexe). Eine zusätzliche Schicht grauer Substanz ist hierfür nicht notwendig. Entsprechend ist der makroskopische Aufbau des Rückenmarks bei verschiedenen Wirbeltieren (z. B. Mensch und Maus) nur geringfügig unterschiedlich ausgeprägt. Auch bei der Maus findet man einen vergleichbaren prinzipiellen Aufbau des Rückenmarks wie beim Menschen. Im Bereich des Großhirns, insbesondere im Bereich der Großhirnrinde, sind die Unterschiede jedoch viel deutlicher ausgeprägt. Im Gegensatz zu dem Gehirn des Menschen hat die Oberfläche eines Mäusegehirns keine Furchen und Windungen (Sulci und Gyri). Man spricht hierbei von einer Lysenzephalie. Ein solches Gehirn wäre beim Menschen nicht mit dem Leben vereinbar.

Kerne und Ganglien: Definition

Wie bereits erwähnt, befinden sich die neuronalen Zellkörper vor allem in der grauen, die myelinisierten Axone in der weißen Substanz. Die Ansammlung neuronaler Zellkörper an der Oberfläche des Großhirns bezeichnet man als Kortex. Sämtliche weiteren Ansammlungen von Zell-körpern im Gehirn werden bis auf wenige Ausnahmen als Kern (Nucleus) bezeichnet. Beispielhaft sei hier der Nucleus caudatus genannt (in Abb. 2.1 blau hinterlegt). Auch außerhalb des Gehirns und des Rückenmarks, also im peripheren Nervensystem, befinden sich Ansammlungen von Nervenzellkörpern. Diese werden jedoch nicht als Nucleus, sondern als Ganglion (im Plural Ganglien) bezeichnet. Später werden wir sehen, dass man funktionell und anatomisch zwischen vegetativen Kopfganglien, Spinalganglien und Grenzstrangganglien strikt unterscheiden muss. Hier sei schon einmal erwähnt, dass Kopfganglien in die Funktion des Parasympathikus, Spinalganglien in das sensible System und die Grenzstrangganglien in die Funktion des Sympathikus eingebettet sind.

Abweichend von der Regel, Ansammlungen von Nervenzellkörpern im peripheren Nervensystem als Ganglien, im zentralen Nervensystem aber als Kerngebiete zu bezeichnen, wird traditionell für bestimmte Kerne im Gehirn die Bezeichnung Basalganglien (Stammganglien) verwendet. Dieser Begriff ist etwas irreführend, denn bei den Basalganglien handelt es sich um Ansammlungen von Nervenzellkörpern innerhalb des Zentralnervensystems, nicht des peripheren Nervensystems. Eigentlich sollte man sie auch als Nucleus bezeichnen.

Während im Gehirn die einzelnen Kerngebiete meist gut voneinander abgrenzbar sind, scheinen diese aus funktionell zusammengehörenden Zellkörpern gebildeten Gruppen im Rückenmark miteinander zu verschmelzen. Gemeinsam bilden sie die typische Schmetterlingsform des Rückenmarkquerschnitts. Da Kerne sich über längere Rückenmarksabschnitte erstrecken können, bezeichnet man sie auch als Kernsäulen.

Peripheres und zentrales Nervensystem

Es lässt sich ein peripheres- von einem zentralen Nervensystem (besser Zentralnervensystem) abgrenzen (siehe auch Abb. 2.2). Diese Unterteilung bezieht sich auf die topographische Lage der einzelnen Abschnitte des Nervensystems. Zum Zentralnervensystem zählt man alle Strukturen, die knöchern umgeben sind.


Abb. 2.2

Übersicht über die verschiedenen Anteile des Nervensystems

Das Gehirn und das Rückenmark sind Elemente des Zentralnervensystems.

Spinalnerven, Spinalganglien, periphere Nervengeflechte und Hirnnerven (hier nicht gezeigt) werden dem peripheren Nervensystem zugerechnet.

Dementsprechend sind das Rückenmark (Medulla spinalis; A in Abb. 2.3), das verlängerte Mark (Medulla oblongata, B in Abb. 2.3), die Brücke (Pons; C in Abb. 2.3), das Mittelhirn (Mesencephalon; D in Abb. 2.3), das Zwischenhirn (Diencephalon; E in Abb. 2.3), das Großhirn (Cerebrum bzw. Telencephalon; F in Abb. 2.3), und das Kleinhirn (Cerebellum; G in Abb. 2.3) Teile des Zentralnervensystems. Wir werden diese einzelnen Abschnitte gleich noch genauer betrachten. Das Rückenmark ist knöchern von den Wirbeln, der Rest des Zentralnervensystems vom knöchernen Schädel umgeben. Alle Anteile, die sich außerhalb dieser schützenden knöchernen Umhüllung befinden, werden dem peripheren Nervensystem zugerechnet. Im Wesentlichen handelt es sich hierbei um die peripheren Nerven, die im Rahmen des makroskopischen Präparierkurses des Bewegungsapparates abgehandelt werden. Wichtige Vertreter sind beispielsweise der Nervus femoralis, der motorisch den vierköpfigen Oberschenkelmuskel innerviert oder aber der Nervus radialis, welcher unter anderem für die Streckung im Handgelenk verantwortlich ist. Auch die Hirnnerven werden größtenteils dem peripheren Nervensystem zugerechnet. Sie sind aber im Gegensatz zu den peripheren Nerven der Extremitäten Lehrstoff der Neuroanatomie. Ihnen wird ein eigenes Kapitel in diesem Lehrbuch gewidmet.


Abb. 2.3

Übersicht über die verschiedenen Anteile des Zentralnervensystems

Ansicht von medio-sagittal

Weite Teile des Gehirns werden vom Endhirn mit seinen Wucherungen überlagert. Eine Erhebung wird Gyrus (Stern), eine Einsenkung Sulcus (Pfeil) genannt. Die verschiedenen Etagen des Gehirns sind in der medio-sagittalen Ansicht gut zu erkennen und hier farblich hervorgehoben. Dargestellt sind die Medulla spinalis (A), die Medulla oblongata (B), der Pons (C), das Mesencephalon (D), das Diencephalon (E), und Teile des Telencephalons (F). Das Cerebellum (G) ist dem Hirnstamm nach hinten aufgelagert.

Impulse, welche im Zentralnervensystem ihren Ursprung nehmen und in die Peripherie ziehen, nennt man Efferenzen. Steuern solche Impulse die Skelettmuskulatur, spricht man von Somato-Efferenzen; werden hingegen glatte (unwillkürliche) Muskelzellen und Drüsen angesteuert, spricht man von Viszero-Efferenzen. Bei Impulsleitung in die entgegengesetzte Richtung spricht man von Afferenzen. Auch hier können Somato-Afferenzen von Viszero-Afferenzen abgegrenzt werden. Viszero-efferente Signale werden noch weiter in Sympathikus und Parasympathikus untergliedert. Beides sind funktionelle Gegenspieler.

Unterschiedliches Regenerationspotenzial von Nervenzellfortsätzen des ZNS und PNS

Im Unterschied zu Nervenzellfortsätzen in Gehirn und Rückenmark (Zentralnervensystem) können sich Neuriten der Nervenzellen, die außerhalb davon liegen (peripheres Nervensystem), nach Schädigungen bis zu einem gewissen Grad komplett regenerieren. Wer schon einmal eine Schnittwunde erlitten hat, konnte das womöglich am eigenen Körper erleben. Kommt es im Rahmen der Schnittverletzung zur Durchtrennung von peripheren, sensiblen Nervenendigungen, fühlt sich das entsprechende Hautgebiet taub an. Dieses Taubheitsgefühl bildet sich in aller Regel mit der Zeit wieder zurück. Morphologisch liegt diesem Prozess eine Regeneration der geschädigten Nervenendigungen zugrunde. Die Nervenregeneration beginnt dabei jeweils an der Stelle, an der das Axon durchtrennt oder beschädigt wurde. Axonreste hinter der Bruchstelle zerfallen, die verbliebenen Zellreste werden von den Fresszellen des Körpers (Makrophagen) entfernt. Vom nun blind endenden, proximalen Axonstumpf aus bilden die verbliebenen Schwann-Zellen eine Art Leitschiene und geben zusammen mit anderen Zellen Eiweiße ab, die als Wachstumsfaktor fungieren. Die Eiweiße dienen dann als Lockstoff für das nachwachsende Axon. Der Axonstumpf beginnt neu auszusprossen und wächst in Richtung der Leitschiene nach.3

Forschung

Das Rückenmark verläuft im Wirbelkanal der Wirbelsäule. Es transportiert elektrische Informationen zwischen dem Gehirn und bestimmten Bereichen des Körpers. Bewegungsnerven (motorische Nerven) leiten elektrische Impulse vom Gehirn zu den Muskeln, Empfindungsnerven (sensible Nerven) übermitteln Information wie Schmerz, Druck oder Temperatur aus dem Körper zum Gehirn. Wird das Rückenmark an einer Stelle beschädigt, kann es die elektrischen Impulse nicht mehr weiterleiten. Die Körperregionen, die von Rückenmarksabschnitten unterhalb der beschädigten Stelle kontrolliert werden, können nicht mehr durch das Gehirn beeinflusst werden. Leitsymptom ist eine Lähmung der betroffenen Gliedmaßen. Selbst wenn in der Klinik von einer kompletten Querschnittslähmung die Rede ist, bleiben oft Brücken von Axonen bestehen, die den Gewebedefekt überqueren. Die Reaktivierung der noch intakten Axone ist momentan Gegenstand der Forschung. Strategien umfassen unter anderem die epidurale Rückenmarkstimulation (Reizung des Gewebes mittels elektrischer Ströme oder lokal verabreichter Neurotransmitter), die Beeinflussung der lokalen Ausschüttung von Wachstumsfaktoren oder aber Zelltransplantation.4

Somatisches und vegetatives Nervensystem

Eine weitere Unterscheidungsmöglichkeit besteht darin, das Nervensystem in einen somatischen und einen vegetativen Anteil aufzugliedern (vergleiche auch Abb. 2.3). Somatisch bedeutet so viel wie „körperhaft“ oder „physisch“ und meint den Teil des Nervensystems, der für eine willkürliche Bewegung, bzw. das bewusste Wahrnehmen von Empfindungen verantwortlich ist. Dem entgegengestellt übernimmt das vegetative Nervensystem eine Vielzahl von Aufgaben, die nur bedingt willkürlich beeinflussbar sind und in der Regel nicht bewusst werden. Dies soll anhand eines kurzen Beispiels aus der Welt des Sports veranschaulicht werden.

Beim Fußballspielen entscheidet der Sportler durchaus bewusst, welche Bewegungen ausgeführt werden müssen, um ein Tor zu erzielen. Um einen Gegenspieler zu umkreisen, schlägt er einen scharfen Haken nach links, bevor er zum Schuss ausholt und den Ball neben den linken Pfosten, am Torwart vorbei ins Tor platziert. Bei einem Foulspiel des Gegners wird der Sportler Schmerzen haben, die er auch im Nachhinein sehr genau mit Hinblick auf Schmerzlokalisation und Schmerzintensität beschreiben kann. Beides sind Funktionen (motorische und sensible) des somatischen Nervensystems, denn die motorischen Bewegungen werden (mehr oder weniger zumindest) willkürlich gesteuert, die sensiblen Informationen bewusst wahrgenommen. Während eines Fußballspiels laufen jedoch eine Vielzahl von unbewussten, quasi automatischen körperlichen Reaktionen ab. So muss zum Beispiel sichergestellt werden, dass beim Sprint aufs Tor das Herz schneller schlägt, sich die Kapazitätsgefäße verengen und der Blutdruck dadurch erhöht wird. Nur so ist die für den Sprint erforderliche vorübergehende Leistungssteigerung möglich. Um dies zu gewährleisten, wird dem Nervensystem kontinuierlich eine Vielzahl von Informationen zugeleitet; beispielsweise der momentane Blutdruck, um ihn gegebenenfalls anpassen zu können oder aber die Sauerstoffsättigung im Blut (Sauerstoffpartialdruck), um gegebenenfalls die Atemfrequenz und Atemtiefe zu steigern. Diese unwillkürlichen und unbewussten Körperfunktionen werden durch das vegetative Nervensystem reguliert. Der Begriff vegetatives Nervensystem bezieht sich darauf, dass dieser Teil des Nervensystems viele Vorgänge der Verdauung und des Wachstums reguliert (mittellateinisch vegetativus – „das Wachstum der Pflanze fördernd“). Gleichbedeutend sind die Begriffe autonomes Nervensystem („unabhängig, weisungsfrei, eigenstaatlich, selbstbestimmt, der Kontrolle entzogen“) und viszerales Nervensystem („die Eingeweide betreffend“). Das somatische Nervensystem reguliert also die Willkürmotorik und verarbeitet den Teil der Sensibilität, der einem bewusst wird. Das vegetative/autonome/viszerale Nervensystem steuert im Gegensatz dazu motorische Funktionen, die unwillkürlich ablaufen und verarbeitet sensible Informationen, die einem nicht bewusst werden.

Weite Teile der inneren Organe, vor allem der Gastrointestinaltrakt, verfügen über ein eigenes Nervensystem. Aufbau und Funktion dieses enterischen Nervensystems werden im Rahmen des Histologieunterrichts im Detail abgehandelt. Es handelt sich um ein in der Darmwand lokalisiertes Nervengeflecht, das sich entlang des gesamten Magen-Darmtraktes – vom Ösophagus bis zum Anus – zieht. Es besteht im Wesentlichen aus zwei verflochtenen Strukturen, dem Plexus myentericus (Auerbach-Plexus), der zwischen den beiden äußeren Muskelschichten gelegen ist und dem Plexus submucosus (Meissner-Plexus), der der Mucosa innen direkt anliegt. Es wurde sehr früh erkannt, dass das enterische Nervensystem einen eigenständigen Teil des vegetativen Nervensystems darstellt. Es ist wesentlich an der Regulation lebenswichtiger Magen-Darm-Funktionen wie der Motilität, Sekretion, lokalen Durchblutung (Mikrozirkulation) und an Abwehrmechanismen beteiligt. Da es sich außerhalb der Schädelkalotte bzw. des knöchernen Rückgrats befindet, ist es ganz eindeutig dem peripheren Nervensystem zuzurechnen. Funktionell ist es eng mit dem viszeralen Nervensystem verbunden, denn dieses wirkt quasi regulierend auf die Funktion des enterischen Nervensystems.

Klinik

Als Reizdarmsyndrom, oder kurz Reizdarm, bezeichnet man eine relativ häufige Funktionsstörung des Darms. Die Betroffenen – etwa doppelt so viele Frauen wie Männer – leiden unter Darmbeschwerden, für die sich trotz gründlicher ärztlicher Untersuchungen keine körperliche Ursache findet. Früher wurde der Reizdarm daher schlichtweg als psychisch bedingt angesehen. Heute weiß man, dass viele Faktoren an seiner Entstehung beteiligt sein können. Zu den Symptomen eines Reizdarms zählen unter anderem wiederkehrende Bauchschmerzen, Durchfall, Verstopfung sowie Blähungen. Inwiefern dem Reizdarmsyndrom eine fehlerhafte Kommunikation zwischen Gehirn und enterischem Nervensystem zugrunde liegt, wird momentan untersucht.5

Afferenzen und Efferenzen

Eine weitere Betrachtungsweise des Nervensystems bezieht sich darauf, ob Informationen dem Zentralnervensystem zugeleitet werden oder ob Informationen vom Zentralnervensystem in die Peripherie geleitet werden. Informationen, die vom Zentralnervensystem in die Peripherie ziehen, nennt man Efferenzen (Abb. 2.3, blau hervorgehoben). Informationen, die von der Peripherie in das Zentralnervensystem geleitet werden, nennt man Afferenzen (Abb. 2.3, rot hervorgehoben). Auf das somatische Nervensystem bezogen bedeutet das: Beim Ausführen einer Bewegung werden Teile der Großhirnrinde, u. a. der Gyrus praecentralis, aktiv und leiten über das Rückenmark die motorischen Impulse in die Peripherie zum jeweiligen Muskel. Da diese Information ihren Weg aus dem Zentralnervensystem in die Peripherie nimmt, handelt es sich um eine Somato-Efferenz. Bei der Leitung eines sensiblen Impulses (zum Beispiel Schmerzen) entsteht das Signal in der Peripherie und wird dem Gehirn über Spinalnerven, Rückenmark und weitere, an dieser Stelle nicht genauer bezeichnete Bahnen der Großhirnrinde, dem Gyrus postcentralis, zugeleitet. Da diese Information ihren Weg aus der Peripherie in das Zentralnervensystem nimmt, handelt es sich um eine Somato-Afferenz.

Merke

Afferenz = ankommend

Efferenz = wegführend

Ganz ähnlich wie im somatischen Nervensystem lassen sich auch im vegetativen Nervensystem Afferenzen und Efferenzen voneinander abgrenzen. Informationen aus dem Zentralnervensystem zur Steigerung der Herzaktivität, Verdauungsaktivität oder der Atmung sind demnach Viszero-Efferenzen, Informationen über den Sauerstoffpartialdruck, den Blutdruck oder aber der Magenaktivität nennt man hingegen Viszero-Afferenzen. Wie wir später noch sehen werden, wird die motorische Komponente des vegetativen Nervensystems noch einmal in den sogenannten Sympathikus und den Parasympathikus untergliedert. Vereinfacht kann man sich vorstellen, dass der Sympathikus im Wesentlichen alle Funktionen, die bei Gefahrensituationen vonnöten sind, reguliert (fight-or-flight; sogenannte ergotrope Wirkung). Der Parasympathikus beeinflusst als funktioneller Gegenspieler des Sympathikus im Gegensatz dazu die Verdauung. Er wird deswegen auch als „Ruhenerv“ bezeichnet, da er dem Stoffwechsel, der Erholung und dem Aufbau körpereigener Reserven dient (rest-and-digest; sogenannte trophotrope Wirkung).

Zusammenfassendes Funktionsprinzip des Nervensystems

Wir haben bisher das Nervensystem histologisch in graue und weiße Substanz unterteilt, topographisch in peripheres und zentrales Nervensystem, funktionell in somatische und vegetative Komponenten sowie bezogen auf die Leitung der Aktionspotenziale in afferente und efferente Anteile. Viele der bisher angesprochenen Bestandteile des Nervensystems lassen sich mit der Organisationseinheit und der Funktionsweise eines großen Krankenhauses vergleichen. Vor dem operativen Eingriff bei einem Patienten gibt es eine Vielzahl von Konferenzen und Besprechungen. Verschiedene Befunde wie Blutwerte, Ultraschall und MRT-Ergebnisse werden verglichen und in die Entscheidung für oder gegen einen operativen Eingriff einbezogen. Diese Entscheidungsfindung ist oft ein sehr komplizierter Prozess, Pros und Contras müssen mitunter genau gegeneinander abgewogen werden. In der Regel sind verschiedene Fachdisziplinen an einem solchen Prozess beteiligt. Nachdem eine Entscheidung zum operativen Eingriff getroffen wurde, wird dieser vom Chirurgen durchgeführt. Oft ist die Entscheidung für oder gegen eine Operation weitaus komplizierter und langwieriger als der eigentliche operative Eingriff selbst. Ganz ähnlich funktioniert auch das Nervensystem: Bewegungsmuster werden beispielsweise, wie wir später in diesem Lehrbuch noch sehen werden, im Zentralnervensystem entworfen und von verschiedenen Gehirnregionen auf ihre Sinnigkeit und Genauigkeit hin moduliert. Sehr viele verschiedene Strukturen, wie etwa das Kleinhirn oder die Basalganglien, sind an solch einer recht komplexen Modulation von Bewegungsimpulsen beteiligt. Die Funktion des peripheren Nervensystems ist demgegenüber relativ einfach zu verstehen: Entworfene und angeglichene Programme werden dem Erfolgsorgan (in diesem Fall der Skelettmuskulatur) nur noch übermittelt.

Die richtige Entscheidung für oder gegen eine Operation bedarf der kontinuierlichen Rückmeldung über den Zustand des Patienten. Hat man sich zum Beispiel für eine Operation entschlossen, der Patient erleidet jedoch einen Kreislaufkollaps, würde die Operation sogar im letzten Moment noch abgesagt und die Entscheidung neu überdacht werden. Auch das Nervensystem benötigt zu einer regelhaften Funktion die kontinuierliche Rückmeldung aus der Peripherie. Vergleichbar dazu werden bei einer Bewegungsausführung dem Zentralnervensystem kontinuierlich durch periphere Rezeptororgane Informationen über die Muskelspannung sowie die Lage und Stellung der Gelenke zugeleitet. Diese Rückmeldung wird in die Modulation von Bewegungsimpulsen quasi eingearbeitet.

In diesem Zusammenhang stellt sich eine nicht ganz einfache Frage: Wer ist nun wichtiger – das somatische oder das vegetative Nervensystem? Vergleichen wir hier wieder mit der Organisationseinheit eines Krankenhauses. Dort gibt es verschiedene klinische Abteilungen wie etwa die Chirurgie, die Innere Medizin, oder aber die Radiologie. Zweifelsohne ist das harmonische Zusammenspiel dieser einzelnen klinischen Abteilungen unabdingbar für die erfolgreiche Behandlung eines Patienten. Wenn in der Chirurgie ein Fehler passiert, ist dieser mitunter schnell offensichtlich und wird als Malus wahrgenommen. Auch eine falsche Behandlung der Internisten kann oft direkt vom Patienten oder seinen Angehörigen wahrgenommen werden. Leistungen dieser Fachdisziplinen werden einem tagtäglich bewusst, sie können demnach als somatischer Teil des Krankenhauses angesehen werden. Es arbeiten jedoch viele verschiedene Organisationseinheiten im Hintergrund, ohne dass deren Leistung direkt wahrgenommen wird. Vertreter solcher Organisationseinheiten sind zum Beispiel der Bettendienst, die Küche oder die Techniker, die für die Instandhaltung des Krankenhauses verantwortlich sind. Auch wenn deren Aufgaben einem nicht immer direkt bewusst werden, so werden Sie sicher zustimmen, dass bei einer Fehlfunktion dieser Organisationseinheiten eine regelhafte Behandlung der Patienten nicht mehr möglich wäre. Der Bettendienst, das Küchenpersonal, die Techniker – all diese Abteilungen können als vegetativer Teil des Krankenhauses angesehen werden. Entscheiden Sie selber, ob nun das somatische oder das vegetative Nervensystem wichtiger für unser Leben ist. Ich denke, auch Ihnen wird eine Entscheidung schwer fallen.

Topographische Betrachtung des Nervensystems

Um alle Anteile an dem aus der knöchernen Schädelkalotte entnommenen Gehirn betrachten zu können, muss man es drehen und wenden. Der Einfachheit halber werden in der makroskopischen Anatomie verschiedene Blickwinkel (Ansichten) auf das Gehirn definiert. Ziel dieses Kapitels ist es, dass Sie einen topographischen und funktionellen Überblick hinsichtlich der Komponenten, vor allem des Zentralnervensystems, erhalten. Später werden wir, wo nötig, genauer auf die verschiedenen Strukturen eingehen.

Apikale Ansicht

Entnimmt man das Gehirn aus der schützenden Schädelkalotte und legt es vor sich auf den Tisch, sieht man eigentlich relativ wenig – vor allem sind dies Anteile des Großhirns (Abb. 2.4).


Abb. 2.4

Gehirn von oben

Gehirn aus dem Schädel entnommen; alle Hirnhäute entfernt

1Fissura logitudinalis cerebri

2Sulcus frontalis superior

3Sulcus praecentralis

4Sulcus centralis

5Sulcus postcentralis

6Sulcus cinguli

7Sulcus intraparietalis

8Sulcus parietooccipitalis

9Sulcus calcarinus

10Gyrus frontalis superior

11Gyrus frontalis medius

12Gyrus frontalis inferior

13Gyrus praecentralis

14Gyrus postcentralis

15Lobus parietalis superior

16Lobus parietalis inferior

17Gyri occipitales

Das Großhirn, auch Telencephalon genannt, ist zerfurcht wie eine Walnuss und wie diese in zwei Hälften geteilt (man spricht von Hemisphären). Die Vertiefungen nennt man Sulci, die Erhebungen Gyri. Gyri und Sulci sind Ausdruck der Entwicklung des Gehirns. Ganz ähnlich wie der Darm wirft das Gehirn (vor allem das Telencephalon und das Cerebellum) seine Oberfläche mit dem Zweck der Oberflächenvergrößerung in Falten. Somit können in einem gegebenen Raum, in diesem Fall der innerhalb der knöchernen Schädelkalotte, mehr Nervenzellen untergebracht werden.

Die Trennlinie beider Hemisphären heißt Fissura longitudinalis cerebri. Drängt man die beiden Hemisphären des Telencephalons mit dem Finger auseinander, erscheint in der Tiefe ein mächtiges Faserbündel, welches beide Hemisphären untereinander verbindet: der Balken (Corpus callosum, Abb. 2.5).


Abb. 2.5

Gehirn von oben

Hirnhäute vollständig entfernt; beide Hemisphären des Telencephalons sind auseinander gespreizt, um die Strukturen in der Fissura longitudinalis cerebri zu zeigen

1Gyrus praecentralis

2Sulcus centralis

3Gyrus postcentralis

4Lobus parietalis

5Lobus occipitalis

6Lobus frontalis

7Mantelkante

8Gyrus cinguli

9Corpus callosum, Truncus

10Corpus callosum, Splenium

11Cerebellum

Zwischen die beiden Hemisphären stülpt sich eine Duplikatur der harten Hirnhaut (Dura mater), die Falx cerebri genannt wird. Sie ragt somit in die Fissura longitudinalis cerebri hinein (siehe Kapitel 4 über Hirnhäute). Am entnommenen Gehirn ist die Falx cerebri normalerweise nicht zu sehen, da die Dura mater – und somit auch die Falx cerebri – meist bei der Hirnentnahme an der knöchernen Schädelinnenseite haften bleibt. Jede Hirnhälfte ist auf bestimmte Aufgaben spezialisiert: Links sitzen in der Regel die Sprache und Logik, rechts die Kreativität und der Orientierungssinn (dies trifft auf den Rechtshänder zu). Da die Hemisphären durch den Balken verbunden sind, wird klar, dass beide intensiv miteinander kommunizieren und interagieren. Das vordere Ende des Telencephalons nennt man Frontalpol (Polus frontalis), das entgegengesetzte hintere Ende nennt man Okzipitalpol (Polus occipitalis). Seitlich liegt der sogenannte Temporalpol (Polus temporalis).

Medio-sagittale Ansicht

Führt man ein scharfes Messer zwischen die beiden Hemisphären des Gehirns, zerteilt es und betrachtet es an der Schnittkante, so schaut man von medio-sagittal auf das Gehirn (Abb. 2.6).


Abb. 2.6

Medio-sagittal halbiertes Gehirn

Alle Hirnhäute entfernt; Hirnnerven nur teilweise erhalten

1Sulcus cinguli

2Gyrus frontalis superior

3Gyrus cinguli

4Sulcus corporis callosi

5Corpus callosum, Truncus, Anschnitt

6Septum pellucidum

7Corpus callosum, Genu, Anschnitt

8Corpus callosum, Rostrum, Anschnitt

9Area subcallosa

10Gyrus paraterminalis

11Gyrus rectus

12Nervus oculomotorius (N. III)

13Lobulus paracentralis

14Precuneus

15Sulcus parietooccipitalis

16Cuneus

17Corpus callosum, Splenium, Anschnitt

18Sulcus calcarinus

19Thamalus

20Tectum mesencephali mit Lamina quadrigenmina, Anschnitt

21Tegmentum mesencephali, Anschnitt

22Cerebellum, Vermis, Anschnitt

23Cerebellum, Lobus posterior

24Pons, Anschnitt

25Cerebellum, Tonsilla

26Medulla oblongata

27Medulla spinalis, Anschnitt

* Aquaeductus mesencephali

Als Sagittalebene (lat. sagitta – „Pfeil“) wird in der Anatomie eine sich vom Kopf zum Becken und vom Rücken zum Bauch erstreckende Ebene bezeichnet. Beim senkrechten Blick auf eine Sagittalebene sieht man demnach eine seitliche Ansicht des Körpers. Das dazugehörige Adjektiv heißt sagittal und entspricht der Bedeutung „von vorne nach hinten verlaufend“. In der Radiologie und besonders der tomographischen Bildgebung spielen Sagittalschnitte eine äußerst wichtige Rolle. In Abb. 2.6 wurde das Messer exakt mittig geführt, man spricht deswegen von einer medio-sagittalen Ansicht auf das Gehirn. In eben dieser medio-sagittalen Ansicht kann man die verschiedenen Anteile des Gehirns recht gut gegeneinander abgrenzen. Folgende Etagen können unterschieden werden (vergleiche auch mit Abb. 2.3): Medulla oblongata, Pons, Mesencephalon, Diencephalon und Telencephalon. Dorsal, unter dem Telencephalon liegt das Cerebellum. Auf die einzelnen Abschnitte wollen wir hier kurz eingehen, und so eine Grundlage für weitere neuroanatomische Betrachtungen legen.

Medulla oblongata – das verlängerte Mark

Dem Rückenmark (Medulla spinalis) schließt sich nach oben das verlängerte Mark (Medulla oblongata) an. Die Medulla oblongata ist somit der am weitesten kaudal gelegene Teil des Gehirns, der Übergang zum Rückenmark ist fließend. Gemeinhin wird zur Abgrenzung die Austrittsstelle des obersten Spinalnervenpaars herangezogen. Die kraniale (obere) Begrenzung der Medulla oblongata bildet die Brücke (lat. der Pons). In der Medulla oblongata befinden sich wichtige neuronale Zentren für die Kontrolle des Blutkreislaufs und der Atmung sowie Reflexzentren für den Nies-, Husten-, Schluck- und Saugreflex. Auch das Brechzentrum, die sogenannte Area postrema, ist hier angesiedelt. Darüber hinaus liegen in der Medulla oblongata Kerngebiete von Hirnnerven. Schließlich beherbergt die Medulla oblongata noch Nervenzellen, die für die Regulation des Säure-Basen-Haushalts wichtig sind. Ein vollständiger Ausfall der Medulla oblongata, z. B. durch ein Trauma oder einen Schlaganfall, führt in der Regel rasch zum Tod.*

Pons – die Brücke

Eine Etage über dem verlängerten Mark liegt die Brücke (Pons). Auch wenn im Deutschen die Brücke weiblich ist, ist das Geschlecht des lateinischen Begriffes „Pons“ maskulin. Man spricht also von „der Brücke“ aber „dem Pons“. Das Kleinhirn (Cerebellum) liegt dem Pons dorsal an. Kranial befindet sich das Mittelhirn (Mesencephalon). Die Brücke erscheint von vorne und seitlich wie ein Wulst (siehe Abb. 2.13). Dieser Wulst besteht aus einem breiten Band an Fasern, die – so schien es den alten Anatomen – die beiden Kleinhirnhemisphären direkt miteinander verbinden. Heute weiß man, dass dem nicht so ist – eine direkte Verbindung beider Kleinhirnanteile gibt es nicht. Vielmehr werden in der Brücke Fasern verschaltet, die aus dem motorischen Kortex stammen, sogenannte kortiko-pontine Fasern. Diese Fasern werden dann den beiden Kleinhirnhemisphären zugeleitet. Die Kerngebiete der Brücke bilden so eine wichtige Umschaltstelle zwischen Kleinhirn und Kortex. Die Brücke ist eine Fortsetzung der Medulla oblongata und ihr daher in Aufbau und Funktion sehr verwandt. Auch im Pons befinden sich Kerngebiete von Hirnnerven.

Mesencephalon – das Mittelhirn

Das Mittelhirn (Mesencephalon) liegt zwischen Pons und Zwischenhirn (Diencephalon). Es lässt sich von vorne nach hinten in drei Anteile gliedern. Von vorne sichtbar sind die Hirnschenkel (Crura cerebri). Sie beinhalten vor allem die zu Pons, Medulla oblongata und Rückenmark absteigenden Bahnen der Großhirnrinde. Weiter nach hinten schließt sich den Hirnschenkeln das Tegmentum (Haube) an. Im Tegmentum mesencephali liegen viele Kerne, die im Dienste der Motorik stehen. Beispiele sind der Nucleus ruber (roter Kern) und die Substantia nigra (schwarze Substanz). Letztere ist bekannt geworden durch ihre zentrale Relevanz bei der Entstehung des M. Parkinson. Darüber hinaus ziehen wichtige aufsteigende Fasersysteme durch diesen Teil des Mittelhirns, so zum Beispiel der Lemniscus medialis, der sensible Informationen aus dem Rückenmark in Richtung Thalamus und von dort weiter zum sensiblen Kortex (Gyrus postcentralis) leitet. Dorsal, also nach hinten, lagert sich dem Tegmentum des Mittelhirns eine „Wasserleitung“ an, der Aquaeductus mesencephali (Stern in Abb. 2.6). Diese Wasserleitung verbindet den dritten mit dem vierten Ventrikel des inneren Liquorsystems, einem mit Nervenwasser gefüllten Hohlraumsystems des Zentralnervensystems. Mit dem Aufbau dieses Liquorsystems befassen wir uns in Kapitel 4 dieses Lehrbuches. Noch vor dem Aquaeductus mesencephali liegen im Tegmentum des Mittelhirns die Kerngebiete des dritten Hirnnerven sowie ein Teil des Kernes des fünften Hirnnerven.

Blickt man von hinten auf das Mittelhirn, zeigen sich zwei mal zwei Hügel, zusammengefasst als Vierhügelplatte (Synonym: Lamina tecti oder auch Lamina quadrigemina). Sie bilden das Dach, das Tectum des Mittelhirns. Die oberen Hügel, die Colliculi superiores, erhalten über Sehnerv und Sehtrakt wichtige visuelle Informationen. Dabei geht es primär um Informationen über sich rasch ändernde Reize – also um Bewegung. Das könnte ein fahrendes Auto sein, dem wir mit den Augen folgen oder ein Ball, der auf unser Gesicht zufliegt, woraufhin wir reflexartig die Augen schließen. Entsprechend äußern sich auch die Ausfälle bei Schädigungen des oberen Hügels: Reflektorische Augenbewegungen sind dann erschwert, wobei weiterhin sämtliche optische Reize wahrgenommen und verarbeitet werden können. Die Colliculi inferiores, die unteren Hügel, dienen als Umschaltstelle für die meisten Fasern der Hörbahn. Da die unteren Hügel auch direkt Informationen an die oberen senden, wird hier eine reflexhafte Integration beider Sinnesmodalitäten möglich – wir blicken automatisch in die Richtung eines lauten Geräusches.

Merke

Oft haben Studenten Probleme sich zu merken, welche der Hügel im visuellen und welche im akustischen System eingebettet sind. Schauen Sie doch einfach ihren Sitznachbarn an. Die Augen stehen höher als die Ohren, demnach obere Hügel = visuelles System, untere Hügel = auditorisches System.

Truncus cerebri – der Hirnstamm

Mit der Medulla oblongata, dem Pons und dem Mesencephalon haben wir bereits drei wichtige Strukturen des Gehirns kennengelernt. Vergleicht man das Gehirn mit einem Baum, so würden diese drei Strukturen am ehesten dem Stamm des Baumes entsprechen, weiter oben gelegene Abschnitte, vor allem das Großhirn, entsprächen sodann den Ästen und den Blättern. Medulla oblongata, Pons und Mesencephalon werden deswegen in ihrer Gesamtheit auch als Hirnstamm (Truncus cerebri; Truncus encephali) bezeichnet. Entwicklungsgeschichtlich ist der Hirnstamm ein recht alter Teil des Gehirns, und so fallen die Unterschiede zwischen Mensch und Tier vergleichsweise gering aus. Oben schließen sich Zwischen- und Großhirn, nach hinten das Kleinhirn an.*

Cerebellum – das Kleinhirn

Hinten im Schädel, direkt unterhalb des Telencephalons und hinter dem Hirnstamm liegt das Kleinhirn (Cerebellum). Von außen sind seine beiden Hälften gut zu erkennen, die – wie die Hälften des Großhirns – als Hemisphären bezeichnet werden. Das Kleinhirn ist mit dem Hirnstamm auf jeder Seite mit je drei Kleinhirnstielen (Pedunculus cerebellaris inferior, medius und superior) verbunden, durch welche wichtige Faserverbindungen verlaufen (nur schwer zu sehen in Abb. 2.6 und 2.7). Nach oben und unten spannen sich zum Hirnstamm zwei dünne Strukturen aus, das obere und untere Marksegel (Velum medullare superius und inferius; angedeutet als gestrichelte Linie in 2.7). Diese sind im medio-sagittalem Schnitt besonders gut zu sehen.


Abb. 2.7

Cerebellum mit Hirnstamm, median halbiert

Alle Hirnhäute entfernt

1Lamina quadrigemina, Mesencephalon

2Substantia nigra, Mesencephalon

3Vierter Ventrikel

4Pons

5Folia cerebelli

6Plexus choroideus des vierten Ventrikels

7Medulla oblongata

Zwischen Kleinhirn und Hirnstamm liegt ein weiterer mit Liquor gefüllter Hohlraum des Gehirns, der vierte Ventrikel. Dessen vordere Begrenzung wird auch als Rautengrube (Fossa rhomboidea) bezeichnet. Strukturen, die den vierten Ventrikel mit seiner Rautengrube umgeben, nennt man Rhombencephalon (griech. „Rautenhirn“). Das Rhombencephalon setzt sich demnach aus Cerebellum, Pons und Medulla oblongata zusammen.

Obwohl das Kleinhirn nur etwa ein Sechstel vom Volumen des Telencephalons besitzt, beherbergt es weit mehr Neurone als das Großhirn. Um derart viele Nervenzellen auf so engem Raum unterbringen zu können, ist die Kleinhirnrinde, der äußere Mantel des Kleinhirns, stark gefaltet. Die dadurch entstehenden horizontalen Fältchen werden als Blätter (Folia cerebelli) bezeichnet. Wie wir bereits gesehen haben, weist auch das Großhirn solche Falten auf, nur werden sie dort Gyri genannt. Zerteilt man eine der Kleinhirnhemisphären längs (so wie in unserem medio-sagittalen Schnitt), präsentiert sich das Kleinhirn wie die Form eines Baumes. Die Anatomen bezeichnen dies als Lebensbaum, als Arbor vitae.

Aber was macht das Kleinhirn eigentlich? Als 1917 der englische Neurologe Gordon Holmes (1876–1965) Soldaten mit Kleinhirnverletzungen untersuchte, erkannte er: „Das Kleinhirn kann als ein Organ gesehen werden, das Bewegung unterstützt.“ Tatsächlich bestätigen bildgebende Verfahren mittlerweile, dass das Kleinhirn Bewegungen koordiniert und moduliert: Ob man die Kaffeetasse anhebt, Klavier oder Fußball spielt – das Kleinhirn greift überall modulierend ein. Zudem wird dem Kleinhirn neuerdings auch eine Rolle bei zahlreichen höheren kognitiven Prozessen zugeschrieben. Wir sehen, der Name und das geringe Volumen täuschen: Das Kleinhirn ist dem Großhirn in der Komplexität seiner Aufgaben und der Anzahl seiner Neuronen keineswegs unterlegen.6

Diencephalon – das Zwischenhirn

Das Diencephalon schließt sich nach oben dem Mesencephalon an. Es enthält unter anderem Umschaltstationen für aufsteigende sensible und motorische Bahnen sowie regulatorische Zentren für das vegetative und endokrine System. Im medio-sagittalen Schnitt kann man vom Diencephalon nur einige wenige Strukturen erkennen. Überhaupt ist es recht komplex aufgebaut und bereitet den Studierenden regelmäßig so seine lieben Probleme. Keine Angst, wir werden es im entsprechenden Kapitel detailliert besprechen. Hier beschränken wir uns auf einige allgemeine Anmerkungen zum Zwischenhirn: Das Diencephalon umschließt auf beiden Seiten den dritten Ventrikel, der genauso wie der vierte Ventrikel einen Teil der inneren Liquorräume darstellt. Bei der medio-sagittalen Schnittführung wird der dritte Ventrikel quasi halbiert, wir schauen deswegen in den Abbildungen 2.6 und 2.8 in das Lumen des dritten Ventrikels hinein. Viele der um den dritten Ventrikel liegenden Strukturen gehören zum Diencephalon.



Abb. 2.8

Diencephalon, mediale Ansicht

1Corpus callosum

2Fornix

3Adhaesio interthalamica

4Corpus pienale; Epiphyse

5Habenulae

6Lamina terminalis (eingerissen)

7Lage von Eminentia mediana und Tuber cinerum

8Infundibulum

9Lage der Hypophyse im intakten Präparat

* Commisura anterior

Nach hinten wird der Raum des dritten Ventrikels von der Epiphyse (Zirbeldrüse, Corpus pineale), die dem Diencephalon zugerechnet wird, begrenzt. Es handelt sich um eine Drüse, die Melatonin ausschüttet. Über die Epiphyse wird unter anderem die „innere Uhr“ gesteuert, also der zirkadiane Rhythmus. Sie ist dafür verantwortlich, dass wir entweder Langschläfer sind oder aber zu den Frühaufstehern gehören. Der Boden des dritten Ventrikels wird nach vorne hin von der Hypophyse gebildet, die mit dem Diencephalon über den Hypophysenstiel (Infundibulum) verbunden ist. Die Hypophyse selber ist in der Abbildung 2.8 nicht zu sehen, sie reißt bei der Herausnahme des Gehirns aus der Schädelkalotte für gewöhnlich vom Infundibulum ab. Zumindest der hintere Anteil der Hypophyse, der sogenannte Hypophysenhinterlappen, der auch als Neurohypophyse bezeichnet wird, ist Teil des Diencephalons. Die Neurohypophyse sezerniert die beiden Hormone ADH und Oxytocin Das ADH (antidiuretische Hormon) besitzt antidiuretische Wirkung, indem es die Wasserrückresorption in den distalen Tubuli sowie in den Sammelrohren der Niere fördert (siehe Lehrbücher der Physiologie und der Histologie). Dadurch geht dem Körper möglichst wenig Wasser verloren. Die vasopressorische Wirkung des ADH führt zur arteriellen Vasokonstriktion und damit zu einer Blutdruckerhöhung. Oxytocin wirkt direkt am Myometrium des Uterus. Hier führt das Hormon gegen Ende der Schwangerschaft sowie unter der Geburt zur Auslösung und Anpassung der Wehentätigkeit. Nach Ende der Schwangerschaft bewirkt die Ausschüttung von Oxytocin Kontraktionen der myoepithelialen Zellen in der Brustdrüse und regt damit die Milchsekretion beim Stillen an. Darüber hinaus scheint es die emotionale Bindung der Mutter an das Kind wesentlich zu stärken.7

Eine weitere markante Struktur, die in der medio-sagittalen Ansicht dem Diencephalon zugeordnet werden kann, ist das kleine Dach des dritten Ventrikels, der Fornix.

Der Begriff „Fornix“ stammt aus dem Lateinischen und bedeutet so viel wie „Wölbung“ bzw. „Gewölbe“. Der Fornix verläuft als mächtiger Faserzug am oberen Ende, am Dach des dritten Ventrikels. Er verbindet den Hippocampus mit dem Corpus mamillare (letzterer ist ebenfalls eine Struktur des Diencephalons, die in der gleich folgenden Basalansicht sehr gut zu sehen ist). Funktionell ist der Fornix an der Einspeicherung von Gedächtnisinhalten vom Kurzzeit- in das Langzeitgedächtnis beteiligt und spielt somit eine wichtige Rolle beim Lernen.

Nach oben und vorne wird der dritte Ventrikel vom Balken begrenzt. Der Balken gehört nicht mehr zum Diencephalon, sondern ist bereits ein Teil des Telencephalons. Wir haben ihn schon als prominentes Axonbündel kennengelernt, welches beide Hemisphären miteinander verbindet. Der dritte Ventrikel besitzt natürlich auch eine laterale Begrenzung. Diese wird von einer Struktur gebildet, die sich etwas gegen den dritten Ventrikel vorwölbt, dem sogenannten Thalamus. In Abb. 2.8 sehen wir vom Thalamus vor allem die sogenannte Adhaesio interthalamica. Hierbei handelt es sich um eine Art Überbrückung beider Thalami, die durch das Lumen des dritten Ventrikels zieht. In vielen Lehrbüchern wird der Thalamus als das „Tor des Bewusstseins“ bezeichnet. In der Tat werden so gut wie alle sensiblen Informationen noch einmal im Thalamus verschaltet, bevor Sie an entsprechende kortikale Gebiete weitergeleitet werden. Es handelt sich hierbei jedoch nicht um eine simple Weiterleitung von sensorischen und sensiblen Impulsen. Vielmehr entscheidet der Thalamus darüber, welche Informationen weitergeleitet und welche unterdrückt und uns somit nicht bewusst werden. Spannend aber ungeklärt bleibt die Frage, inwiefern bei Menschen mit besonderen Fähigkeiten (etwa Menschen mit photographischem Gedächtnis) der Thalamus gezielt gewisse Sinnesinformationen vermehrt an den Kortex weiterleitet. Wie wir noch sehen werden, leiten sich viele Teile des Diencephalons namentlich vom Thalamus ab, wie etwa Hypothalamus, Subthalamus, oder Epithalamus. Die Zirbeldrüse als einen Teil des Epithalamus haben wir bereits kennengelernt. Ebenso haben wir bereits einen Teil des Hypothalamus angesprochen, nämlich die Neurohypophyse. Funktionell handelt es sich beim Hypothalamus um einen Teil des Zwischenhirns, der als oberstes Regulationszentrum für alle vegetativen und endokrinen Vorgänge verantwortlich ist. Er steuert u. a. Kreislauf, Körpertemperatur, Sexualverhalten, Flüssigkeits- sowie Nahrungsaufnahme und macht demnach viel mehr als bloße ADH- und Oxytocin-Szernierung. Dazu aber später mehr.

Topographische Orientierung

Die Lage des Thalamus ist eigentlich recht einfach zu verstehen. In Abb. 2.8 blicken Sie in den rechten Teil des dritten Ventrikels hinein. Die seitliche Wand des dritten Ventrikels wird im Wesentlichen vom Thalamus gebildet. Sie blicken demnach auf die mediale Wand des rechten Thalamus. Vergleichen Sie hierzu auch Abb. 2.1. Suchen Sie dort den Thalamus als auch den dritten Ventrikel und verdeutlichen Sie sich deren Lage zueinander.

Telencephalon – das Großhirn

Dem Diencephalon schließt sich schlussendlich das obere Ende des Zentralnervensystems an, das Großhirn (Cerebrum) oder Endhirn (Telencephalon). Alle Anteile des Gehirns in Abbildung 2.6 oberhalb des Diencephalons werden also dem Telencephalon zugerechnet. Diesen „Endteil“ des Zentralnervensystems haben wir bereits in der apikalen Ansicht als zerklüftete Landschaft mit Erhebungen (Gyri) und Einsenkungen (Sulci) kennengelernt. Beim Großhirn handelt es sich zweifelsohne um den spannendsten Teil des Zentralnervensystems und noch immer sind nicht all seine Funktionen, vor allem beim Menschen, vollständig geklärt. Es ist verantwortlich für viele Denk- und Handlungsprozesse, die den Menschen von anderen Lebewesen unterscheidet. Das Großhirn ist durch den bereits erwähnten Interhemisphärenspalt (Fissura longitudinalis cerebri) in zwei Halbkugeln (Hemisphären) getrennt. Die Hemisphären können nach ihrer Lage in der knöchernen Schädelkalotte nochmals in je vier Lappen gegliedert werden (Abb. 2.9).

Da nicht alle Lappen des Großhirns in der medio-sagittalen Ansicht gut zu erkennen sind, ist in Abb. 2.9 zusätzlich noch eine schematische Ansicht von lateral gezeigt. Vorne liegt der Frontallappen (Lobus frontalis; gelb), dem sich von hinten der Parietallappen (Lobus parietalis; rot) anlagert. Gegenüber dem Frontallappen befindet sich der Okzipitallappen (Lobus occipitalis; blau). In der medio-sagittalen Sicht ist ein weiterer Lappen, der Temporallappen (Lobus temporalis; grün) nur teilweise zu sehen, er soll aber hier schon einmal erwähnt werden. Gleich oberhalb des Corpus callosum befindet sich der sogenannte Gyrus cinguli (Gürtelwindung; grau in Abb. 2.9) der von manchen Autoren als eigenständiger Lappen geführt wird. Er beeinflusst die Aufmerksamkeit und Konzentration, verarbeitet Schmerzen und reguliert Affekte. Ist er geschädigt, mangelt es den Patienten unter anderem an Antrieb: Sie erscheinen emotional abgestumpft und bewegen sich wenig.


Abb. 2.9

Die vier Lappen des Großhirns in medio-sagittaler und lateraler Ansicht

gelb: Lobus frontalis

rot: Lobus parietalis

blau: Lobus occipitalis

grün: Lobus temporalis

1Gyrus cinguli

2Sulcus parietooccipitalis

3Cuneus

4Sulcus calcarinus

5Gyrus praecentralis

6Gyrus postcentralis

7Sitz des motorischen Sprachzentrums; Broca-Zentrum

8Sitz des sensorischen Sprachzentrums; Wernicke-Zentrum

Die verschiedenen Gyri des Großhirns können, wie gerade exemplarisch für den Gyrus cinguli gezeigt, verschiedenen Funktionen zugeordnet werden. Die genauen Namen dieser Gyri sowie deren Funktion werden in den Kapiteln 11 und 12 über das motorische bzw. sensible System behandelt. Ein allgemeiner Überblick soll jedoch jetzt schon gegeben werden.

Lobus frontalis – der Frontallappen

Im Frontallappen liegen zum einen wichtige Zentren für höhere geistige Funktionen des Menschen, zum anderen auch motorische Areale. Manche bezeichnen den vorderen Anteil des Lobus frontalis als den Regisseur des Zentralnervensystems, als Träger unserer Kultur und überhäufen ihn mit weiteren Superlativen. Und tatsächlich, obwohl große Bereiche des Frontallappens motorische Aufgaben haben, wird dessen vorderster Bereich, der präfrontale Kortex, immer wieder im Zusammenhang mit Aufmerksamkeit, Nachdenken, Entscheidung und Planung genannt. Außerdem gilt er als Sitz der Persönlichkeit. Diese intellektuellen Funktionen des Frontallappens finden sich vor allem in Richtung Stirn. Die Bedeutung des Frontallappens für die Bildung der Persönlichkeit wird eindrucksvoll durch das Schicksal des Phineas Gage demonstriert.

Der Fall Phineas Gage

Der 25-jährige Vorarbeiter Phineas Gage ist ein Routinier in Sprengungen. Die Bohrlöcher entlang der geplanten Eisenbahntrasse im US-Bundesstaat Vermont füllt er mit Schießpulver und verschließt sie danach mit Sand, welchen er mithilfe eines sieben Kilo schweren und drei Zentimeter dicken Eisenstocks feststampft. Eigentlich kann nichts schiefgehen. Am 13. September 1848 aber vergisst Gage den Sand und schlägt mit seinem „Ladestock“ direkt auf das Pulver. Er schrappt am Stein vorbei; Funken sprühen und die Explosion treibt die Stange komplett durch Gages Kopf. Die über einen Meter lange Stange tritt in der Höhe des Auges durch den Wangenknochen ein und tritt schlussendlich am Hinterkopf wieder heraus. Eigentlich müsste Gage tot sein, doch er ist nur kurz bewusstlos. Dann steht er eigenständig auf und fährt mit einem Ochsenkarren in seine Unterkunft. „Doktor, hier gibt es ordentlich was zu tun für Sie“, begrüßt er den herbeigeeilten Arzt John D. Harlow.

Dr. Harlow leistet ausgezeichnete Arbeit. Trotz der offenen Verletzung in Schädel und Gehirn überlebt Gage den unglücklichen Unfall. Äußerlich fehlt ihm fortan nur ein Auge, aber sein Verhalten verändert sich schlagartig. Zwar spricht er weiterhin normal und erinnert sich an alles, was mit ihm passiert ist. Auch sein Intellekt scheint unverändert. Als Vorarbeiter, der er war, ist er jedoch nach dem Unfall nicht mehr einsetzbar. Der einstmals zuverlässige Mann kann sein Leben nicht mehr organisieren. Und seine ehemals höfliche und freundliche Art ist blankem Jähzorn und Respektlosigkeit gewichen. Durch seine merkwürdige Persönlichkeitsveränderung wird Gage zu einem Anschauungsobjekt der relativ neuen Hirnforschung. Sein Retter John D. Harlow macht 1868 die Verletzung des Frontalhirns dafür verantwortlich: „Die Eisenstange zerstörte die Regionen von Mitgefühl und Autoritätsgefühl, nun beherrschen animalische Leidenschaften seinen Charakter“, urteilt der Arzt – eine gewagte These in einer Gesellschaft, nach deren Glauben jeder Mensch von Gott auf die ihm einzigartige Art und Weise geschaffen worden ist. Dass ausgerechtet das Sozialverhalten durch einen Unfall in Mitleidenschaft gezogen werden kann, verstört die Zeitgenossen. Heute ist die Vorstellung, dass bestimmte Regionen im Gehirn für bestimmte Funktionen zuständig sind, allgemein akzeptiert.*

Am hinteren Ende des Frontallappens findet sich der primär motorische Kortex (der Gyrus praecentralis, Motokortex, Abb. 2.9), der maßgeblichen Anteil an der willentlichen Bewegung hat. Er steht also im Dienste der Somatomotorik. Im basalen Anteil des Frontallappens, genauer gesagt im Gyrus frontalis inferior, befindet sich das Broca-Areal bzw. Broca-Zentrum. Hier ist der Sitz des motorischen Sprachzentrums, also des Gehirnanteils, der die Muskeln zur Aussprache eines Wortes ansteuert und koordiniert. Eine Schädigung des Gehirns im Broca-Areal, nicht selten bei einem Schlaganfall zu beobachten, führt zu einer einer motorischen Aphasie, d. h.einer erworbenen Sprachstörung, bei der aber das Sprachverständnis weitgehend intakt bleibt. Für das Sprachverständnis ist eine Region am Übergang des Temporal- in den Parietallappens zuständig (Wernicke-Zentrum; siehe unten). Hier soll schon einmal erwähnt werden, dass sich das Broca-Zentrum genauso wie das Wernicke-Zentrum nur in der dominanten Hemisphäre befindet. Diese ist beim Rechtshänder in aller Regel links.

Lobus parietalis – der Scheitellappen

Der Parietallappen beginnt unmittelbar hinter dem motorischen Gyrus praecentralis mit einem Gyrus postcentralis. Der Parietallapen (Scheitellappen) liegt somit hinter dem Frontallappen und ist von diesem durch die Zentralfurche, den Sulcus centralis getrennt. Der Gyrus postcentralis gehört funktionell zum somato-sensiblen System, empfängt also bewusste Sinneseindrücke wie Schmerz, Druck, Vibration, Temperatur etc. Bezogen auf unser weiter oben bereits erwähntes Beispiel mit dem Fußballspieler wird der Gyrus postcentralis bei einem Foul aktiviert und erlaubt es dem Gefoulten, Aussagen über Intensität und Lokalisation einer möglichen Verletzung treffen zu können. Läsionen im Gyrus postcentralis führen demzufolge zu einer eingeschränkten Empfindungsfähigkeit des repräsentierten Körperteils. Das betrifft Berührung, Druck und Temperatur, weniger jedoch den Schmerz. Der Parietallappen geht nach hinten in den Lobus occipitalis über, die Grenze bildet der Sulcus parietooccipitalis. Diese Grenze zwischen Parietal- und Okzipitallappen ist in der medio-sagittalen Sichtweise besonders deutlich zu identifizieren. Es bietet sich also an, in der praktischen Prüfung in eben dieser Sichtweise auf das Gehirn den Übergang von Parietal- in Okzipitallappen zu demonstrieren.

Alle weiteren Bereiche des Parietallappens, die nicht dem Gyrus postcentralis entsprechen, haben eine eher integrative Funktion. Diese abstrakte Formulierung ist eigentlich leicht zu verstehen. Stellen Sie sich vor, vor Ihnen auf dem Tisch liegen zwei Gegenstände: ein Tennisball und ein Tischtennisball. Beide Gegenstände sind in ihrem Aussehen relativ ähnlich, trotzdem sind Sie dazu in der Lage, auch mit geschlossenen Augen herauszufinden, welches der Tischtennisball und welches der Tennisball ist. Sie wissen, dass ein Tischtennisball viel kleiner als ein Tennisball ist, weil sie es gelernt haben. Darüber hinaus hat der Tischtennisball eine glatte Oberfläche, wohingegen der Tennisball eine raue-filzige Oberfläche aufweist. Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass der Tischtennisball um etliches leichter ist. Der Gyrus postcentralis sammelt die gesamten sensiblen Informationen, die für die Zuordnung verschiedener Gegenstände in diesem Beispiel verantwortlich sind. Mit den Fingerkuppen erfühlen sie die Oberflächenbeschaffenheit beider Bälle, über entsprechende Rezeptoren in den Muskeln und Gelenken können Sie das Gewicht der Bälle abschätzen (zumindest können Sie entscheiden, welcher Ball der leichtere und welcher der schwerere ist). All diese Informationen, isoliert für sich, helfen Ihnen nicht allzu sehr weiter: Sie müssen in einem nächsten Schritt in andere Informationen „integriert“ werden. Erst ein Abgleich mit dem, was sie bereits über kugelige Strukturen (in unserem Beispiel Bälle) gelernt haben, erlaubt es Ihnen zu entscheiden, welches der Tischtennisball und welches der Tennisball ist. Sie sehen, dass diese auf den ersten Blick recht simple Gehirnfunktion die Interaktion ganz verschiedener Gehirnareale erfordert. Genau diese Interaktion zwischen Sinneseindrücken und Gelerntem werden von weiten Teilen des Lobus parietalis vermittelt.

Lobus temporalis – der Schläfenlappen

Unterhalb des Frontal- und Parietallappens, gentrennt durch den prominenten Sulcus lateralis, befindet sich der Temporallappen. Die vielleicht bekannteste Funktion des Temporallappens ist das Hören. Bekannt – ja. Aber leicht zu sehen – nein. Denn das primäre Hörzentrum, die sogenannten Heschl’schen Querwindungen, sind in den Tiefen des Sulcus lateralis verborgen. Anatomisch werden sie als Gyrus temporalis transversus anterior und posterior bezeichnet. Um diese zu sehen, müssen die darüber liegenden Strukturen des Frontal- und Parietallappens entweder entfernt oder auseinandergedrängt werden (Abb. 2.10).


Abb. 2.10

Laterale Ansicht des Temporallappens

Hirnhäute vollständig entfernt; Opercula frontale und parietale angehoben; Blick auf die Insula

1Zentraler Teil der Insula

2Lobus frontalis, Operculum

3Pons

4Oliva

5Sulcus centralis

6Lobus parietalis, Operculum

7Lobus temporalis, Operculum

8Cerebellum

In diesen Windungen, den Heschl’schen Querwindungen, endet die Hörbahn, die Signale von Sinneszellen aus der Schnecke des Ohres überträgt. Der Schläfenlappen geht zum Hinterhaupt hin ohne scharfe Grenze in den Okzipitallappen über. In den hinteren Abschnitten des Gyrus temporalis superior befindet sich das sensorische Sprachzentrum, das nach seinem Beschreiber auch Wernicke-Zentrum genannt wird (siehe Abb. 2.9). Es erstreckt sich über den Gyrus temporalis superior heraus auf angrenzende Gyri. Im Gegensatz zum bereits erwähnten motorischen Sprachzentrum (Broca-Zentrum) ist es vor allem für das Sprachverständnis verantwortlich.

Lobus occipitalis – der Hinterhauptlappen

Der Lobus occipitalis steht mehr oder weniger ganz im Dienste des Sehens und der damit verbundenen Verarbeitung von Sinneseindrücken. An der zur Körpermitte zeigenden (medialen) Seite des Okzipitallappens befindet sich der Sulcus calcarinus. Beidseits dieses Sulcus liegt die primäre Sehrinde. Um die Bereiche der primären Sehrinde herum liegen sogenannte sekundäre Sehzentren, welche die Sehinformation integrativ verarbeiten. Dabei funktionieren sie ganz ähnlich wie die integrativen Zentren des Parietallappens. Primäre visuelle Informationen wie etwa gelb, gebogen, klein etc. werden mit anderen Gehirnzentren abgeglichen. Dadurch kann erkannt werden, ob es sich hier beispielsweise um eine Banane handelt. Dort, wo der hintere Anteil des Temporallappens in die Windungen des Okzipitallappens übergeht, „überschneiden“ sich auditorische und visuelle Funktionen. Hier finden sich „lexikalische“ Zentren, die mit der Erkennung geschriebener und gesprochener Sprache zu tun haben.

Laterale Ansicht

Wie Sie sicherlich bereits bemerkt haben, können in der medio-sagittalen Ansicht viele Abschnitte des Zentralnervensystems betrachtet werden. Um jedoch Gehirnabschnitte wie das Telencephalon in seiner gesamten Ausdehnung studieren zu können, reicht die medio-sagittale Sichtweise nicht aus. Man muss hierfür das Gehirn um 180° drehen. Diese Sichtweise, wie sie in Abb. 2.11 dargestellt ist, nennt man laterale Ansicht auf das Gehirn.


Abb. 2.11

Gyri und Sulci des Telencephalons

Alle Hirnhäute entfernt;

laterale Ansicht von links

1Sulcus centralis

2Gyrus praecentralis

3Gyrus frontalis superior

4Gyrus frontalis medius

5Sulcus lateralis cerebri, Ramus posterior

6Gyrus frontalis inferior

7Gyrus frontalis inferior, Pars opercularis

8Gyrus frontalis inferior, Pars triangularis

9Sulcus lateralis cerebri, Ramus anterior

10Gyri orbitales

11Gyrus temporalis superior

12Gyrus temporalis medius

13Gyrus temporalis inferior

14Gyrus postcentralis

15Lobus parietalis superior

16Lobus parietalis inferior

17Gyrus supramarginalis

18Gyrus angularis

19Gyrus occipitalis

20Cerebellum

In dieser Lateralansicht wird wieder einmal deutlich, dass das Großhirn weite Teile des Hirnstamms sowie das gesamte Zwischenhirn überwuchert hat. Im Prinzip sieht man lediglich das verlängerte Mark und die unteren Abschnitte der Brücke. Das Mittelhirn als weiterer Bestandteil des Hirnstamms ist vor allem vom Schläfenlappen überlagert. Sehr schön stellt sich jedoch der kleine Bruder des Großhirns dar, das Kleinhirn (Cerebellum). Eine wichtige Struktur des Telencephalons, die in der Lateralansicht studiert werden kann, ist der Sulcus lateralis (Sylvische Fissur; Fissura Sylvii), welcher den Schläfenlappen von den darüber liegenden Strukturen des Frontal-und Parietallappens abtrennt. Drängt man die den Sulcus lateralis umgebenden Strukturen auseinander, kann man in der Tiefe die Inselregion (Lobus insularis) erkennen. Außerdem blickt man auf die primäre Hörrinde (Heschl’sche Querwindungen, Gyri temporales transversi).

Phylogenetisch, also vom evolutionären Alter her betrachtet, ist der Lobus insularis hochbetagt und wie so viele alte Strukturen muss auch er mehrere Aufgaben erfüllen. So gilt die Inselrinde als primärer gustatorischer Kortex, von wo aus Informationen an sekundäre olfaktorische Rindengebiete weitergeleitet werden. Eine weitere Aufgabe, die dem Lobus insularis zugeschrieben wird, liegt in der emotionalen Bewertung von Schmerzen. Auch an der Spracherzeugung, zumindest der automatisierten Sprache, scheint die Inselregion beteiligt: Bei reinen Wortwiederholungen wird kurz nach der Wahrnehmung gesprochener Worte die Insel aktiv. Zudem konnte gezeigt werden, dass Läsionen der posterioren Insula die Sprechmotorik stören und somit zu einer Beeinträchtigung des Sprechens führen können. Neben Empathie scheint die Insula beim Gefühl von Fairness genauso beteiligt zu sein wie an Mutterliebe, dem Orgasmus, plötzlichen Eingebungen oder der Entscheidungsfindung. Besonders interessant ist ihre Aktivität bei der Aufmerksamkeit – vor allem bei der für uns selbst und unsere aktuelle Befindlichkeit. Diese introspektive Qualität mag ein Grund sein, warum die Inselrinde beim Menschen im Vergleich zu seinen nächsten Verwandten überproportional größer ausgeprägt ist. Sie sehen, dieser verborgene Teil des Telencephalons ist von eminenter Bedeutung für unser tägliches Leben.

In Abb. 2.12 ist dargestellt, wie Gehirnwindungen vom freien Ende des Sulcus lateralis mehr oder weniger direkt auf die Inselregion zuziehen. Bei diesen Gyri handelt es sich um die bereits angesprochenen Heschl’schen Querwindungen, die in der anatomischen Nomenklatur aufgrund ihres Verlaufs auch Gyri temporales transversi genannten werden. Sie sind Sitz der primären Hörrinde, auch auditiver Kortex genannt.


Abb. 2.12

Obere Inselrinde und Planum temporale

Alle Hirnhäute entfernt; Opercula frontale und temporale abgetrennt; von links oben

1Sulcus centralis

2Gyrus praecentralis

3Schnittfläche, an der die Opercula frontale und parietale abgetrennt wurden

4Sulcus circularis insulae

5Gyri breves insulae

6Spitze des Lobus temporalis

7Vorderrand des Planum temporale

8Gyrus postcentralis

9Gyrus temporalis transversus posterior

10Gyrus temporalis transversus anterior

11Gyrus temporalis superior

12Gyrus temporalis medius

13Gyrus temporalis inferior

14Cerebellum

Basale Ansicht

Die letzte wichtige anatomische Sichtweise auf das Gehirn ist die basale Ansicht (Abb. 2.13).


Abb. 2.13

Gehirn von unten

Alle Hirnhäute entfernt;

Hirnnerven nur teilweise erhalten

1Fissura longitudinalis cerebri

2Sulcus olfactorius

3Sulci orbitales

4Bulbus olfactorius, durchtrennt

5Sulcus lateralis cerebri

6Tractus olfactorius

7Stria olfactoria medialis

8Stria olfactoria lateralis

9Trigonum olfactorium

10Substantia perforata anterior

11Chiasma opticum

12Corpus mammillare

13Substantia perforata posterior

14Pons

15Pedunculus cerebellaris medius

16Oliva

17Pyramis

18Cerebellum, Hemisphäre

19Medulla spinalis, Anschnitt

20Gyri orbitales

21Gyrus rectus

22Gyrus parahippocampalis, Uncus

23Gyrus temporalis inferior

24Gyrus occipitotemporalis lateralis

25Gyrus parahippocampalis

26Gyrus occipitotemporalis medialis

27Cerebellum, Lobus flocculonodularis, Flocculus

28Polus occipitalis mit Gyri occipitales

➞ Austritt des N. oculomotorius (N. III)

* Austritt des N. abducens (N. VI)

Auch in dieser Ansicht sind die verschiedenen Abschnitte des Zentralnervensystems erkennbar. Kranial der Medulla oblongata schließt sich der Pons an. In dieser Sichtweise wird besonders deutlich, wie pontine Fasern von rechts nach links bzw. links nach rechts verlaufen. In der Tat scheint es so, als ob diese Fasern direkt die beiden Hemisphären des Kleinhirns miteinander verbinden. Aber, das haben wir bereits besprochen, der Schein trügt. Kortiko-pontine Fasern werden dort umgeschaltet, um dann dem Kleinhirn motorische Impulse zuzuleiten.

Der Pons wird nach unten und nach oben hin von zwei Strukturen begrenzt, die wie Fäden aus dem Gehirn austreten. Bei diesen Fäden handelt es sich um Hirnnerven, welche mit zwei Ausnahmen dem peripheren Nervensystem zugerechnet werden (Ausnahmen siehe Kapitel 5 über Hirnnerven). Jeder Mensch besitzt zwölf Hirnnervenpaare, die in einem gesonderten Kapitel dieses Lehrbuchs behandelt werden. Vor allem in der Basalansicht sind die Hirnnerven gut zu identifizieren und werden deswegen zumeist an solchen Präparaten geprüft. Auf zwei dieser insgesamt zwölf Hirnnervenpaare soll an dieser Stelle bereits eingegangen werden. Am Übergang der Medulla oblongata in den Pons findet man den Nervus abducens (VI. Hirnnerv; Lage in Abb. 2.13 mit einem Stern markiert). Dieser Hirnnerv ist, wie sein Name vermuten lässt, für die Abduktion des Augapfels zuständig. Am anderen Ende des Pons findet man am Übergang zum Mittelhirn ein weiteres Hirnnervenpaar, den Nervus oculomotorius (III. Hirnnerv; Lage in Abb. 2.13 mit einem Pfeil markiert). Der Nervus oculomotorius entspringt in der Fossa interpeduncularis, also zwischen den beiden Crura cerebri des Mesencephalons. Anhand dieses Hirnnerven lässt sich das Mittelhirn in der Basalansicht gut identifizieren.

Ganz ähnlich wie in der medio-sagittalen Ansicht sind auch in der Basalansicht Anteile des Diencephalons voneinander abzugrenzen. Einen klar definierten Übergang zwischen Mesencephalon und Diencephalon gibt es in der Basalansicht zwar nicht, man orientiert sich jedoch am einfachsten anhand der beiden Wülste, die in der Tiefe der Fossa interpeduncularis zu sehen sind. Es handelt sich hierbei um die Corpora mammillaria (= Brustköperchen). Die Bezeichnung „Brustkörperchen“ verdeutlicht einmal mehr die bildhafte Vorstellung der frühen Anatomen. Funktionell handelt es sich bei den Corpora mammillaria um Umschaltstationen des sogenannten Papez-Neuronenkreises, dessen Bedeutung sich beim Ausfall der Brustkörperchen erschließt. Wenn der Papez-Neuronenkreis unterbrochen wird, treten massive Gedächtnisstörungen auf – Inhalte werden nur noch für wenige Minuten behalten, die Bildung eines Neugedächtnisses ist unmöglich, das Leben wird ein ewiges Jetzt. Leider sind Schädigungen der Corpora mammillaria gar nicht so selten. Sie sind nämlich unheimlich empfindlich gegenüber einer Alkoholintoxikation. Um dies so zu formulieren, dass es auch jeder versteht: Man kann sie sich wegsaufen. Dabei ist der Schuldige weniger der Alkohol selbst, sondern der bei Alkoholikern oft chronische Vitamin-B1-Mangel – er setzt den Nervenzellen der Corpora mammillaria kräftig zu.

Weitere Strukturen, die dem Diencephalon in der Basalansicht recht eindeutig zuzuordnen sind, sind die Hypophyse und der Nervus opticus mit seiner Sehnervenkreuzung (Chiasma opticum). Von der Hypophyse ist in aller Regel nur seine Verbindung zum Diencephalon, das Infundibulum im makroskopischen Präparat sichtbar. Die Hypophyse selber verbleibt in der Schädelkalotte, da sie dort von harten Hirnhäuten umgeben ist und bei der Gehirnentnahme abreißt. Beim Nervus opticus handelt es sich, wie der Name unschwer vermuten lässt, um den Sehnerv, er bildet den II. Hirnnerven. Beim Chiasma opticum handelt es sich um eine teilweise Überkreuzung der Nervenfasern des Sehnervs.

Direkt vor dem Sehnervenpaar liegen rechts und links Elemente der ersten Hirnnervenpaare, der Bulbus olfactorius und Tractus olfactorius. Sie sind wichtig für das Riechen von verschiedenen Aromen und Duftstoffen und werden bereits dem Telencephalon zugrechnet. Im Allgemeinen sind vom Telencephalon in der Basalansicht die basalen Anteile des Lobus frontalis sowie basale Anteile des Lobus temporalis gut einzusehen. Lobus parietelis und occipitalis sind dagegen weitestgehend von anderen Strukturen des Zentralnervensystems überdeckt.

Lagebeschreibungen im Zentralnervensystem: Meynert- und Forel-Achse

Dem aufmerksamen Leser ist es sicher nicht entgangen: Bisher haben wir uns bei Beschreibungen bezüglich der verschiedenen Gehirnareale nicht an einheitliche Regeln gehalten. Damit soll ab jetzt Schluss sein, eine allgemein gültige Nomenklatur wird eingeführt. Hierbei betrachten wir zuerst einmal die Nomenklatur der Lagebeziehungen beim Vierfüßler (zum Beispiel einem Pferd; Abb. 2.14).


Abb. 2.14

Bei einem Pferd befinden sich sämtliche Anteile des Zentralnervensystems mehr oder weniger aufeiner Linie. Hier findet die Meyert- Achse mit ihren vier Dimensionen (ventral–dorsal und oral–kaudal) ihre Anwendung.

Bei allen Lebewesen jedoch, die in den aufrechten Gang übergegangen sind, kommt es während der Entwicklung zu einem Abknicken des Nervensystems. Bei ihnen ist die Einführung einer weiteren Achse, der Forel-Achse, erforderlich, die Begriffe wie folgt erweitert:

ventral = basal

dorsal = parietal

rostral = frontal

kaudal = okzipital

Diese folgt der allgemeinen Körperachse des Menschen, die auch Meynert-Achse genannt wird. Von der Körpermitte ausgehend liegt alles vor der Körpermitte dem Bauch zugewandt, also ventral, alles hinter der Körpermitte dem Rücken zugewandt, also dorsal. Bewegt man sich vom Körpermittelpunkt nach vorne, dann spricht man von rostral bzw. oral (also dem Mund zugewandt), bewegt man sich hingegen nach hinten, dann spricht man von kaudal (dem Körperschwanz zugewandt). Es ergeben sich zusammenfassend folgende Lagebezeichnungen: ventral – dorsal – oral – kaudal (bauchwärts – rückenwärts – mundwärts – schwanzwärts). Rostral leitet sich von dem lateinischen Wort rostrum für „Schnabel“ ab und ist deswegen gleichzusetzen mit dem Wort „oral“.

Wie an der Abbildung zu erahnen ist, befinden sich sämtliche Anteile des Zentralnervensystems beim Pferd, also Gehirn und Rückenmark, mehr oder weniger in einer Linie. Somit findet die Meynert-Achse mit ihren vier Dimensionen beim Pferd für die Lagebeschreibung aller Gehirnanteile ihre Anwendung. Anders verhält es sich jedoch bei allen Lebewesen, die in den aufrechten Gang übergegangen sind (so zum Beispiel der Mensch). Bei ihnen kommt es während der Entwicklung zu einem Abknicken des sich entwickelnden Nervensystems und zwar um etwa 90° zwischen dem sich entwickelnden Mes- und Diencephalon. Die Linie, die parallel zur Achse durch das Di- und Telencephalon liegt, wird als Forel-Achse bezeichnet. Die eigentlichen Begriffe ventral – dorsal – oral – kaudal finden auch bei der Forel-Achse ihre Anwendung, nur ist die eigentliche Lagebeziehung aufgrund des Abknickens während der Entwicklung nicht mehr so einfach nachzuvollziehen. Der Einfachheit halber wurden die Begriffe der Meynert-Achse zur Beschreibung der Lagebeziehung von Di- und Telencephalon um folgenden Begriffe ergänzt: ventral = basal, dorsal = parietal, rostral = frontal und kaudal = okzipital. In diesem Lehrbuch werden wir immer dann, wenn wir Lagebeziehung des Hirnstamms (Medulla oblongata, Pons, Mesencephalon) oder aber des Rückenmarkes beschreiben, Begriffe der Meynert-Achse verwenden. Zur topographischen Beschreibung von Strukturen, die sich im Diencephalon oder Telencephalon befinden, werden wir von jetzt an die Begriffe basal, parietal, frontal und okzipital verwenden. Wir halten uns also an die Forel-Achse. Der Gyrus praecentralis liegt demnach frontal zum Gyrus postcentralis, der Fornix basal des Balkens (siehe entsprechende Abbildungen).

Systematik der Verbindungen des Nervensystems

Wir haben bereits besprochen, dass zwischen dem Cortex cerebri und der subkortikalen grauen Substanz das Mark, die Substantia alba liegt. Sie besteht histologisch vor allem aus den axonalen Fortsätzen der Nervenzellen und enthält somit die Verbindungen verschiedener Gehirnareale untereinander. Die weiße Substanz bzw. das Mark des Großhirns enthält drei Arten von Fasersystemen: Assoziationsfasern, Kommissurenfasern und Projektionsfasern. Solche Fasersysteme treten meist gebündelt in Gruppen auf und werden deswegen als Bahnen bezeichnet. Ihre Einteilung bezieht sich darauf, was von ihnen jeweils verbunden wird. Assoziationsbahnen verbinden Teile derselben Hemisphären untereinander, Kommissurenbahnen die beiden Hemisphären miteinander. Projektionsbahnen bauen Verbindungen auf, welche das Telencephalon mit anderen Hirnabschnitten und dem Rückenmark verbinden. Wichtige Vertreter dieser Fasersysteme sollen hier kurz vorgestellt werden und sind in Abb. 2.15 schematisch dargestellt.8


Abb. 2.15

Übersicht über die Bahnsysteme des Nervensystems

Assoziationsbahnen (grün) verbinden Teile derselben Hemisphären untereinander. Kommissurenbahnen (rot) verbinden die gegenüberliegenden Hemisphären miteinander. Projektionsbahnen (blau) verbinden das Telencephalon mit anderen Hirnabschnitten und dem Rückenmark.

Assoziationsbahnen

Assoziationsbahnen sind beim Menschen besonders mächtig ausgebildet. Das spricht dafür, dass die verschiedenen kortikalen Areale bei evolutionär hoch entwickelten Spezies, wie dem Menschen, besonders gut miteinander in Verbindung stehen müssen, um ihre hohe kognitive Funktion erfüllen zu können. Man kann kurze und lange Assoziationsfasern voneinander abgrenzen.

Die kurzen Assoziationsfasern verbinden benachbarte Gyri miteinander. Die kürzesten dieser Assoziationsfasern verbinden direkt zwei benachbarte Gyri und haben aufgrund ihrer U-Form die Bezeichnung „u-Fasern“ bzw. Fibrae arcuatae, da sie in einem Bogen um den Grund der Furchen herumlaufen, um zum nächsten Gyrus zu gelangen (siehe Abb. 2.16).


Abb. 2.16

Assoziationsbahnen

Hier sind die wichtigsten Assoziationsbahnen schematisch grün hervorgehoben. Die Fibrae arcuatae sind kurze Assoziationsfasern, die benachbarte Gyri miteinander verbinden.

Zu den langen Assoziationsfasern gehören der Fasciculus uncinatus, Fasciculus arcuatus, Fasciculi longitudinales superior et inferior. Das Cingulum gehört nicht dazu, stellt aber zur Identifizierung eine wichtige Landmarke dar.

Lange Assoziationsfasern verbinden kortikale Areale, die einen gewissen Abstand zueinander haben. Zu ihnen zählt man unter anderem:

Fasciculus uncinatus (Hakenbündel), verbindet den Frontallappen mit dem Schläfenlappen

Fasciculus arcuatus (Bogenbündel), verbindet die obere und mittlere Stirnwindung mit den entsprechenden Windungen des Schläfenlappens

Fasciculus longitudinalis superior, dickes Faserbündel zwischen Frontal- und Okzipitallappen mit Verbindungen zum Parietal- und auch Temporallappen

Fasciculus longitudinalis inferior, verbindet den Temporallappen mit dem Okzipitalpol

In Abb. 2.16 ist außerdem das Cingulum dargestellt. Hierbei handelt es sich um die weiße Substanz des Gyrus cinguli, welchen wir bereits in der medio-sagittalen Ansicht auf das Gehirn kennengelernt haben (vgl. Abb. 2.6). Eine vergleichende Betrachtung beider Abbildungen hilft dabei, die Lage und den Verlauf dieser Assoziationsfasern nachzuvollziehen.

Kommissurenbahnen

Auf verschiedenen Ebenen des Gehirns stehen die rechte und linke Hemisphäre miteinander in Verbindung. Für viele Funktionen muss die rechte mit der linken Hirnhälfte kommunizieren. Stellen Sie sich vor, sie möchten mit zwei Händen jonglieren. Hier macht es durchaus Sinn, dass sich die linke und die rechte Hemisphäre miteinander abstimmen.

Das mit Abstand am mächtigsten ausgebildete Kommissuralfasersystem ist der Balken (Corpus callosum, siehe Abb. 2.17). Sein Name kommt daher, da er im Medianschnitt wie ein über dem Hirnstamm gelagerter Balken erscheint. Je nach Betrachtungsweise kann man verschiedene Abschnitte des Balkens voneinander abgrenzen. Im Medianschnitt unterscheidet man nach oral hin das Rostrum, die vordere Biegung wird Genu (Balkenknie) genannt. Der zentrale Anteil heißt Truncus bzw. Corpus, der hintere Ausläufer Splenium.


Abb. 2.17

Die wichtigste Kommissurenbahn stellt das Corpus callosum dar. Es besteht aus vier Abschnitten: dem Rostrum, Genu, Corpus bzw. Truncus und Splenium corporis callosi.

Hier ist das Corpus callosum medio-sagittal angeschnitten. In diesem Blickwinkel laufen die Kommissurenfasern auf den Betrachter zu. In der Ansicht von oben würden die Fasern von rechts nach links bzw. umgekehrt verlaufen. An seinem vorderen und hinteren Ende fächern sich die Fasern wie die Strahlen der Sonne auf (Radiatio corporis callosi). Frontal nennt man diesen Faserverlauf Forceps minor, okzipital Forceps major.

Wichtig ist es, sich zu verdeutlichen, dass im Medianschnitt die Axone im Corpus callosum auf einen zu bzw. von einem weg laufen, sie sind also sagittal getroffen (wie ein Rohr, das von vorne betrachtet wird). Im Horizontalschnitt wird deutlich, dass die Fasern des Balkens vor allem vorne im Bereich des Rostrums und hinten im Bereich des Spleniums nicht gerade, sondern gebogen verlaufen. So entsteht rostral die Forceps minor (verbindet Teile des Frontallappens miteinander) und okzipital die Forceps major (verbindet Teile des Okzipitallappens miteinander).

Über die Lage und den Verlauf der Commissura anterior, eine weitere Kommissurenbahn, orientiert man sich am besten im Koronarschnitt auf Höhe des Chiasma opticums (Abb. 2.18). Sie befindet sich direkt basal des Globus pallidus. Die Commissura anterior enthält unter anderem Fasern des Riechhirns.


Abb. 2.18

Frontalschnitt im Bereich des mittleren Septum pellucidum und des Chiasma opticum

Schnitt durch den Lobus frontalis und den Lobus parietalis; Blickrichtung von vorne nach hinten

1Fissura longitudinalis cerebri

2Gyrus cinguli

3Corpus callosum, Truncus

4Septum pellucidum

5Pallidum

6Lamina terminalis, eingerissen, nicht angeschnitten

7Chiasma opticum

8Tractus opticus, im Bereich des Chiasma opticum geschnitten

9Pons, nicht angeschnitten

10Cerebellum, nicht angeschnitten

11Pyramis, nicht angeschnitten

12Nucleus caudatus, Caput

13Capsula externa, Claustrum, Capsula extrema

14Capsula interna

15Commissura anterior

16Corpus amygdaloideum, Hinterrand

17Ventriculus lateralis, Cornu temporale, vorderste Spitze

Weitere Kommissuralfasersysteme sind die Commissura posterior und Commissura fornicis, auf die hier aber nicht weiter eingegangen werden soll.

Projektionsbahnen

Projektionsfasern verbinden kortikale mit tiefer gelegenen Gehirnabschnitten. Eine Verbindung in beide Richtungen ist hierbei möglich. Der Tractus corticospinalis leitet beispielsweise motorische Impulse des Gyrus praecentralis zu den motorischen Motoneuronen des Rückenmarks. Von dort werden dann Muskeln angesteuert und Bewegungsimpulse zur Ausführung gebracht (Somatomotorik). Da diese Bahn auf Höhe der Pyramide, einer ventralen Erhebung der Medulla oblongata, zur Gegenseite kreuzt, wird der Tractus corticospinalis auch Pyramidenbahn genannt. Bei einer Bewegung der rechten Körperhälfte ist also der linke Kortex aktiv und umgekehrt. Projektionsfasern können dem Kortex im Sinne von Afferenzen auch Informationen zuleiten. Bereits erwähnt wurde, dass viele sensible Informationen im Thalamus umgeschaltet werden, bevor sie an den Kortex weitergeleitet werden. Die Verbindung zwischen Thalamus und Kortex, also der Tractus thalamocorticalis, kann auch als Projektionsfasersystem aufgefasst werden. So gut wie alle Projektionsfasern, aufsteigende und absteigende, verlaufen gebündelt über die Corona radiata und Capsula interna (innere Kapsel) vom Kortex in tiefer gelegene Abschnitte des Zentralnervensystems.

Zusammenfassung

Das Nervensystem lässt sich auf verschiedene Weisen unterteilen: Man kann graue und weiße Substanz gegenüberstellen, peripheres und zentrales Nervensystem, somatisches und vegetatives Nervensystem sowie Afferenzen und Efferenzen.

Das Gehirn selbst lässt sich aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten. Man unterscheidet dabei die apikale Ansicht, die medio-sagittale Ansicht, die laterale und die basale Ansicht. Aus jedem dieser Blickwinkel lassen sich verschiedene Anteile des Nervensystems identifizieren.

Zur topographischen Beschreibung lässt sich eine allgemein gültige Nomenklatur heranziehen, die sich an der Meynert- bzw. Forel-Achse orientiert.

Verbindungen innerhalb des Nervensystems kommen durch Assoziationsbahnen, Kommissurenbahnen und Projektionsbahnen zustande.

Was das IMPP wissen möchte

Dieses Kapitel war ja erst eine allgemeine Einleitung, hier möchten wir nicht zu sehr ins Detail gehen und schenken uns deswegen weitere IMPP-relevante Ausführungen.

MC-Fragen

1.Welche Zuordnung ist falsch?

(A)Vierhügelplatte = Teil des Mittelhirns

(B)Capsula interna = weiße Substanz

(C)Pons = Teil des Hirnstamms

(D)Medulla oblongata = liegt dorsal des Kleinhirns

(E)Corpus callosum = enthält Kommissurenfasern

2.Bei welchem der genannten Fasersysteme handelt es sich nicht um Assoziationsfasern/-bahnen?

(A)Fasciculus uncinatus

(B)Fasciculus arcuatus

(C)Fasciculus longitudinalis superior

(D)Fasciculus longitudinalis inferior

(E)Fasciculus cuneatus

3.Welche der folgenden Strukturen wird hinsichtlich ihrer Lage nicht durch die Meynert-Achse beschrieben?

(A)Pons

(B)Medulla oblongata

(C)Diencephalon

(D)Mesencepahlon

(E)Hirnstamm

4.Welche Aussage trifft zu?

(A)Folia cerebelli beschreiben Strukturen des Arbor vitae des Mittelhirns.

(B)In der Pons gibt es sowohl graue als auch weiße Substanz.

(C)Die Substantia nigra liegt als wichtiges motorisches Zentrum im Telencephalon.

(D)Die Lamina quadrigemina liegt dem Kleinhirn von unten an.

(E)Der vierte Ventrikel enthält keinen Plexus choroideus.

5.Welche Zuordnung ist trifft nicht zu?

(A)Fissura longitudinalis cerebri = unterteilt das Telencephalon

(B)Afferenzen = in das Zentralnervensystem ziehende Informationen

(C)Colliculi inferiores = Teil der Hörbahn

(D)Falx cerebri = Duplikatur der Dura mater

(E)Adhaesio interthalamica = trennt die beiden Seitenventrikel voneinander

Index

A

ADH siehe antidiuretisches Hormon

Adhaesio interthalamica 46

Afferenzen 36

antidiuretisches Hormon 46

Aquaeductus mesencephali 43

Arbor vitae 44

Area postrema 42

Assoziationsbahn 58

auditiver Kortex 54

autonomes Nervensystem siehe Nervensystem: vegetatives

B

Balken siehe Corpus callosum

Basalganglien 31

Broca-Sprachzentrum 49, 52

C

Capsula interna 62

Cerebellum siehe Kleinhirn

Chiasma opticum 56

Cingulum 59

Colliculus inferior 43

Colliculus superior 43

Commissura anterior 60

Corona radiata 62

Corpora mammillaria 56

Corpus callosum 30, 60

Genu 60

Truncus 60

Corpus pineale siehe Epiphyse

Cortex cerebri 28

Crus cerebri 42

D

Diencephalon 32, 45

E

Efferenz 36

Endhirn siehe Telencephalon

enterisches Nervensystem 35

epidurale Rückenmarkstimulation 34

Epiphyse 45

ergotrope Wirkung 37

F

Falx cerebri 39

Fasciculus arcuatus 59

Fasciculus longitudinalis superior 59

Fibrae arcuatae 58

Fissura longitudinalis cerebri 39, 47

Folia cerebelli 44

Forceps major 60

Forceps minor 60

Forel-Achse 57

Fornix 46

Fossa rhomboidea 44

Frontallappen siehe Lobus frontalis

G

Ganglion 31

Globus pallidus 30

Großhirn siehe Telencephalon

Großhirnrinde siehe Cortex cerebri

Gyrus cinguli 47

Gyrus postcentralis 36

Gyrus praecentralis 36, 49 f.

Gyrus temporalis superior 52

H

Heschl’sche Querwindung 52, 54

Hirnstamm 43

Hörzentrum

primäres 54

Hypothalamus 47

I

Infundibulum 46

Insula 53

integrative Funktion 50

K

Kleinhirn 32, 44

Kommissurenbahn 58, 60

koronar 28

Kortex siehe Cortex cerebri

L

Lamina quadrigemina 43

lexikalisches Zentrum 52

Liquorraum

innerer 45

Lobus frontalis 47 f.

Lobus insularis 53

Lobus occipitalis 47, 52

Lobus parietalis 47

Lobus temporalis 47, 51

Lysenzephalie 29

M

Marklager 28

Medulla oblongata 32, 41

Medulla spinalis 32

Melatonin 45

Mesencaphalon 32, 42

Metencephalon 42

Meynert-Achse 56

Motokortex siehe Gyrus praecentralis

Myelencephalon 42

N

Nervensystem

peripheres 32 f.

Regenerationspotenzial 33

somatisches 35

vegetatives 35

Nervus abducens 55

Nervus oculomotorius 55

Nervus opticus 56

Nucleus caudatus 30

Nucleus ruber 42

O

Okzipitallappen siehe Lobus occipitalis

Oxytocin 46

P

Papez-Neuronenkreis 56

Parasympathikus 37

Parietallappen siehe Lobus parietalis

Plexus myentericus 35

Plexus submucosus 35

Pons 32, 42

Projektionsbahn 58, 61

Putamen 30

Pyramide 61

Pyramidenbahn 61

R

Reizdarmsyndrom 36

Rhombencephalon 44

Rostrum 60

S

Sagittalebene 40

Schmetterling 31

Sehrinde 52

Sylvische Fissur 52

Somato-Afferenz 33

Somato-Efferenz 33

Splenium 60

subkortikale graue Substanz 30

subkortikale weiße Substanz 28

Substantia alba 28, 58

Substantia grisea 28

Substantia nigra 42

Sulcus calcarinus 52

Sulcus lateralis 51 f

Sulcus parietooccipitalis 50

Sympathikus 37

T

Tectum 43

Tegmentum mesencephali 42

Telencephalon 32, 38, 47

Temporallappen siehe Lobus temporalis

Thalamus 30, 46

Tractus corticospinalis 61

Tractus thalamocorticalis 62

trophotrope Wirkung 37

Truncus cerebri 43

U

u-Faser 58

V

Velum medullare 44

Vierhügelplatte siehe Lamina quadrigemina

viszerales Nervensystem

siehe Nervensystem: vegetatives

Viszero-Afferenz 33

Viszero-Efferenz 33

W

Wernicke-Sprachzentrum 52

Z

Zentralnervensystem 32 f.

Zirbeldrüse siehe Epiphyse

Weiterführende Literatur

1.Aboul-Enein F, et al. (2003) Preferential loss of myelin-associated glycoprotein reflects hypoxia-like white matter damage in stroke and inflammatory brain diseases. J Neuropathol Exp Neurol 62(1): 25–33

2Kipp M, et al. (2008) Brain-region specific astroglial responses in vitro after LPS exposure. J Mol Neurosci 35(2): 235–43

3Scheib J, Hoke A (2013) Advances in peripheral nerve degeneration. Nat Rev Neurol 9(12): 668–76

4Ramer LM, Ramer MS, Bradbury EJ (2014) Restoring function after spinal cord injury: towards clinical translation of experimental strategies. Lancet Neurol 13(12): 1241–56

5Camilleri M (2014) Physiological underpinnings of irritable bowel syndrome: neurohormonal mechanisms. J Physiol 592(14): 2967–80

6Buckner RL (2013) The cerebellum and cognitive function: 25 years of insight from anatomy and neuroimaging. Neuron 80(3): 807–15

7Bosch OJ, Neumann ID (2012) Both oxytocin and vasopressin are mediators of maternal care and aggression in rodents: from central release to sites of action. Horm Behav 61(3): 293–303

8Schmahmann JD, et al. (2008) Cerebral white matter: neuroanatomy, clinical neurology, and neurobehavioral correlates. Ann N Y Acad Sci 1142: 266–309

* Sowohl Globus pallidus als auch der Thalamus gehören zum Zwischenhirn (s. u.) und sollten deswegen nicht als subkortikale graue Substanz bezeichnet werden.

* Entwicklungsgeschichtlich entsteht die Medulla oblongata aus dem 5. Hirnbläschen, dem Myelencephalon. Das Myelencephalon bildet zusammen mit dem Metencephalon (4. Hirnbläschen, entwickelt sich zum Pons und zum Cerebellum) das sogenannte Rautenhirn (Rhombencephalon, siehe unten).

* Einige Autoren verwenden statt des Begriffes Hirnstamm den Begriff Stammhirn. Das Stammhirn setzt sich zusammen aus Medulla oblongata, Pons, Mesencephalon und Diencephalon. Um keine Verwirrung zu stiften werden wir in diesem Buch diesen Begriff jedoch nicht verwenden.

* aus http://www1.wdr.de/themen/archiv/stichtag/stichtag7792.html. [Aufgerufen am 23.01.2017, 16:41]

Neuroanatomie

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