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4.Kapitel

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Daß es nicht gut ist, zu oft in ein Loch zu fallen, habe ich schon immer gewußt. Daß es unlogisch ist, zu beklagen, was man nie bekommt, kann man gleich vergessen.

So bleibt nur eins: erhöhen sie den Blutzucker.

Immer wieder sitze ich im Kaffeehaus und studiere die Tageszeitungen, ohne Termin-und Kontrolldruck. Ich habe einen Stammplatz am Fenster und die Bestellung bereits aufgegeben. Jeder braucht auf seine Weise, für ein paar Stunden, ein paar Augenblicke, eine Pause vom Ich und seinen Verstrickungen; ein Abtauchen in Momente der Zufriedenheit, der Ruhe, der müßigen Schau ...

„ARBEITSLOSENZAHLEN SO HOCH WIE NIE! OPPOSITION SCHELTET REGIERUNG!“

„SCHWERER UNFALL NACH DEM FEST!

WAGEN VERWECHSELT BAUM MIT EINFAHRT!

LENKER: TOT!“

Jede Seite eine glatte Information. Entweder, oder. Keine halben Sachen.

Da kommt der Kellner mit Frack und weißen Manschetten und bringt meine Bestellung. Auch bei mir ist´s klar: Schwarzwälder Kirsch Torte und einen Großen Braunen mit Schlagsahne. Ich nehme den Zucker: ein, zwei, ..., vier Löffel, ... er bleibt eine Weile über Wasser, gebettet wie auf Wolken, bis er, wie kann es anders sein - untergeht. So hab ich´s gern.

„HERR UND FRAU MUSTERMANN BALD NICHT MEHR IMSTAND, SICH DEN LACK AUF DEM AUTO ZU LEISTEN: ARMUT IM KOMMEN!“

„ERNEUT SELBSTMORDSERIE! MANCHE NOCH SCHWEBEND, ZWISCHEN TOD UND LEBEN!“

Ich steche definierte Stücke von der Torte, nicht zu groß und nicht zu klein, betupft mit Blütenschaum von Schlagsahne.

„LADY OPIUM, DIE GROSSE SCHAUSPIELERIN - VIERTE BRUST-OP IN EINEM JAHR! NOCHMALS UM ZWEI ZENTIMETER ERWEITERT!“

Einmal etwas Positives. Ich schwenke meinen Kaffe, ein, zwei Schluck unter feinperligem Schaum, und kippe ihn runter.

Da kommt gerade der Kellner vorbei und so bleibt mir nur eins: eine zweite Torte!

Garcon! Einen Großen Braunen und Schwarzwälder Kirsch! Dasselbe nochmal. Das schließt den Magen.

Der Kellner erwidert mit einem korrekten Lächeln, das Tablett hoch über dem Kopf balancierend; man weiß ja, wie das ist.

Aber auch sonst kann man etwas erleben. Links von mir sitzen zwei Teenager in der Ecke und erforschen ihre Lippen auf´s engste. Schön ist es, jung zu sein und seine ersten Versuche zu machen; ohne Faltenwurf und Hörgerät.

Aber da kommt der Kellner herbei, wie selbstverständlich, mit zwei garnierten Getränken.

„Wir wär´s zur Abwechslung mit einem Bananenshake und einem Frappe aus frischen Himbeeren? Kostet einmal.

Die beiden setzen ab und kosten, aus Strohhalmen in Spiralform, am Hawaischirm vorbei... und strahlen. So ein Bananenmix – fast so gut wie Küssen!

Hab ich´s ja gewußt, sagt der Kellner und strahlt, rückt aber dann noch einen Schritt näher. Nun ändert er Stimme und Haltung – aber, es gibt auch Kuba Libre, ein kleiner Schuß in den Shake. Wollt ihr?

Und er sagt es unter vorgehaltener Hand.

Kuba Libre? Oh, nein, reagiert der Bursche im Ton des gänzlichen Ausschlusses, ihre Mutter (er deutet auf seine Freundin) würde es nie erlauben! Und das Mädchen nickt und zuckt mit den Achseln; man weiß ja, wie das ist.

Verstehe, fügt sich Garcon, ohne Form und Chuzpe zu verlieren.

Aber es muß natürlich nicht Kuba Libre sein, die Welt ist groß: und dann erzählt er einen ausgezeichneten Schwiegermutterwitz - alle lachen! Auch ich, am Nachbartisch kann mich nicht halten und applaudiere; Garcon und die beiden Turtelkinder sehen herüber, mit freundlichen Gesichtern. Ja, Gerechtigkeit!

Und als ich mich wieder meinen Zeitungen zuwende, gleitet mein Blick darüber hinweg, selig und emanzipiert, ins richtige Leben ...

Dort ist alles in verläßlichem Zustand. Die Straßen sind dreckig, die Fassaden intakt. Die Menschen fahren mit Autos, deren Kreditraten noch laufen werden, wenn bereits die Enkel die Notdurft verrichten. Nichts wird versäumt. Und alle haben es eilig, zwischen Anspruch und Vergeblichkeit. Da beginne ich zu träumen ...

Wie durch wundersame Pinselhand bekommen alle Häuser neuen Anstrich, beruhigende Farben und ein freundliches Aussehen; die Autos verblassen, auf verdämmernder Spur, und auf den Parkplätzen nur mehr Fahrräder mit selbstreinigendem Biosattel. Und der Polizist an der Kreuzung, zuvor noch mit strengem Auge für den Verkehr und alle Dokumente: ein Blumentopf mit handbemaltem Untersetzer.

Und plötzlich erscheint, im Schrittempo um die Ecke biegend, auf einem weißen Motorrad mit integriertem Schwingkreis: Elvis – der Große.

Da geschieht das Wundersame. Im voraus, immer um drei, vier Meter schon, verwandelt sich die Umgebung. Welke Blumen drehen ihre Köpfe und erstarken, gänzlich neue erscheinen, auf den Balkonen, in den Abfalleimern. Und der Staub auf dem Pflaster, er zittert - vor Freude. Denn wie oft wird man schon überfahren, von Elvis. Manche Menschen auf dem Gehsteig gehen ihres Weges, ohne etwas zu merken. Andere wieder halten inne, erst argwöhnisch, doch dann lächelnd, erkennend den Star. Und Elvis verwandelt die Straße in eine Oase; dann und wann ein Querulant, doch hier zieht wie beiläufig ein Laserstrahl aus dem Elvisroller und tilgt den Ignoranten. Das ist richtig. Und auch Hunde und Katzen haben die wahre Größe des Ankömmlings erkannt und ziehen einher, mit zärtlichen Schwänzen. Schließlich hält Elvis in der Mitte der Gasse. Die Menge auf der Straße bildet einen Kreis, ganz in der ersten Reihe die Tiere. Er nimmt seine Gitarre vom Rücken und beginnt mit der Vorstellung; Elvis schlägt die ersten Takte an, einen seiner Hits. Alle lauschen, die Menschen auf den Balkonen, die Fliegen auf dem Abtritt. Und mitten im Publikum: Isabella - schön wie noch nie! Elvis spielt für alle, sonst wäre er nicht Elvis, doch für jemanden besonders. Und wenn sie es auch nicht für möglich hält, so fühlt sie es. Das Stück ist eine alte Weise über das Glück und die Sehnsucht, über Liebe und Begehren und Elvis ist auf der Höhe seiner Kunst. Niemand kann sich dem Charme seiner Stimme entziehen; denn sie kommt aus den Tiefen, auf Schwingen aus Samt und Seide. Dann erreicht das Stück nochmals Dramatik, aber durchdrungen von Schönheit und so wird es zum Zauber. Nun strömt das Publikum herbei und applaudiert, Rosen regnen herab. Aber eine, eine Person steht in der Menge und löst eine besondere Platzkarte: die beiden lächeln sich an, ganz großartig, und Isabella - sie gelangt auf sein Motorrad - und auf den Schoß des Kings ...

*

Montag morgen. Ein Tag wie immer. Kaffeeduft aus der Küche, die Kollegen im Berufskostüm. Kommt es aber vor, daß man seine täglichen Mitstreiter auch in anderen Klamotten trifft? Ohne den Montagsmorgenblick?

Natürlich! Jährlich von neuem!

Am Gang vor der Kaffeküche und in allen Stockwerken hängt die feierliche Mitteilung:

-Betriebsausflug-

Am: Freitag, den fünften

Treffpunkt: bei der alten Fabrik

Mitzunehmen: fester Schuh, warme Kleidung

Wetter: günstig

Mittagessen: gesponsert

Eine Gemeinschaft, mit dem munteren Wanderstock!

Aber vorher will Chef noch auf anderen Gebieten reüssieren; es geht ihm vor allem darum, unser Niveau auf gleich zu bringen: Äquivalenz der Belegschaft! Wir stehen im Sonderraum und werden geprüft. Er hat allen Mitarbeitern Wochen zuvor Lehrmappen ausgeteilt, um ihr Wissen in chinesischer Kultur und Wirtschaft zu festigen. Diesmal am Prüfstand, zur Kontrolle auf Herz und Nieren: Isabella, der Clown, zwei weitere Kollegen und ich. Am Protokoll und als bewährte Assistenz: Fräulein Krüger.

Chef geht auf und ab wie ein General und bleibt schließlich stehen. Meisl – wer sind die größten Importeure chinesischer Waren?

Nun ... ääh, ....

Herr Rapotovsky? (die Frage ergeht an den Clown, die Fliege – nach Sekunden ohne Antwort sofort an den nächsten)

Die größten Importeure ... hhmm, ... ähh, ...

Bis hierher perfekte Äquivalenz: eindeutig gegeben!

Doch die Frage geht an Isabella.

Die größten Importeure chinesischer Waren?

Die USA, die Europäische Union, Rußland, Südamerika, ... zählt man den KAT-Raum als eine wirtschaftliche Einheit dazu, auch Malavi, Tigo, seit einem Jahr, das heißt seit dem 1. Oktober: auch Ligistan.

Chef ist begeistert. Meine Herren, nehmen sie sich ein Beispiel an dieser Frau! So werden Trabrennen gewonnen!

Fräulein Krüger notiert alles mit buchhalterischer Genauigkeit und präziser Fußnote. Sie redet nicht viel, aber wenn sie etwas sagt, dann ist es gehaltvoll.

Fräulein Krüger: Chef, das war Unsinn. Trabrennen werden nicht gewonnen, sondern folgerichtig `heimgebracht´?

Ja, tatsächlich? Hatte ich vergessen. Danke, Fräulein Krüger.

Und das Schlachten geht weiter.

Herr Rapotovsky! Warum kam es unter Kaiser Cuen Yun zum massiven Schwund der Schatzkammer und warum führte es zur Vertrauensfrage?

Nun, ... äähh, ...

Isabella stellt ihr Bein mit der Laufmasche demonstrativ nach vor.

... äh, ... undicht?

Chef sieht ihn an wie einen gefälschten Fünfer, er ist irritiert ... können sie das genauer erläutern?

Nun, ... undicht, Ausfluß, ... äh, Hasenfuß, ...

Chef: dacht ich mir´s doch.

Frau Matinell?

Isabella: Cuen Yun, 1234 – 1156 v. Chr. – chinesischer Kaiser der fünften Dynastie. Höchst verfängliche Epoche. Die Beamten wurden korrupt und das System instabil, nach und nach der moralische und finanzielle Ruin. Erholung erst in der siebenten Dynastie, genannt das Zeitalter der Sonne. Größter Vertreter: Cuen Luk.

Ausgezeichnet!

Meisl! Wie groß ist das BIP von China?

Ich starre vor mich hin, ich sehe den Hintern von Fräulein Krüger ...

... ähh, ... groß?

Chef sieht mich an, wie ein bemitleidenswürdiges Etwas. Das hab ich mir wohl einfach gemacht. Doch - er kann mir nicht widersprechen.

Es geht weiter.

Welche war eine der ältesten Hochkulturen, wer gehört zu den führenden Industrienationen der Welt, wer sind die Erfinder des Schwarzpulvers, wer bestitzt die größten Uranvorkommen, wer kreierte die Urform des Nudelgerichts, wer ...

... Meisl?

Äähh: die Chinesen?

Chef ist überrascht, ... endlich einmal eine Antwort, mit Grundlage ... gut Meisl. Weiter so. Erste Hälfte vorbei. Zehn Minuten Pause!

Chef hat einen Vogel.

So nutze ich die Gelegenheit und gehe auf die Toilette. Es wurde auch Zeit. Minutenlang diesen chinesischen Unsinn, mit Fragen und Noten im Harakirisytem? Nochmals nach dem Pausengong? Nicht mit mir!

Ich gehe in eine der Kabinen, steige auf die Klosettschüssel und begebe mich mit gekonntem Schwung durchs Fenster...

Nur wenig später: ein verstaubter Lagerraum – ich komme an, zwischen alten Kisten und vergessenen Toiletten. Hier ist niemand und das restliche Haus woanders. In einer alten, nie verkauften Kloschüssel jedoch: spezielle Magazine.

Ich schlage den Deckel auf und entnehme das erste Heft, exklusive Ausgabe. Meine Gläser beschlagen, wie immer, wenn es zur Sache geht. Ich genieße die Ursprünglichkeit und das ästhetische Maß. Ich blättere mit Erregung, mit Bewunderung, jede Seite ein Treffer: wunderbare Auswahl, die besten Muster dieser Welt. Feine Stickereien aus Blumen und Arabesken, kostbare Zierrate, präsentiert - auf den Strümpfen der mondänen Damenwelt. Und alles sauber und auch zum selber kaufen!

- - -

Tage später läuft alles hinaus, auf das große Ereignis. Chef ist begeisterter Alpinist und so geht unser alljährlicher Betriebsausflug, wie könnte es anders sein: in die Berge! Groß im Gespräch sind gewesen Gletscherfelder, die felsigen Höhen, der Hochmahr, der Ewige, er ruft! Auf, auf, in das Reich des mystischen Steinbocks!

Doch hier waltete, Gott Lob, der lindernde Einfluß von Fräulein Krüger und darum geht es, nicht zu steil und nicht zu lahm auf mittlere Höhe, mit Erlebnisaussicht und einer Jausenstation mit Flachlandbier.

Als sich am Freitag morgen die ersten Nebel am alten Fabriksplatz verziehen, bin ich startklar: Bergschuhe und Steigeisen, Lodenjacke und Wams, Hut aus der Region und Wanderstab mit Abzeichensammlung. In meinem Rucksack und seinen vielseitigen Taschen: Schweizer Messer, Flachmann, Feldstecher. Und auf meinen Waden: viel Schwung und Murmelfett.

Aber auch die Kollegen lassen einiges an alpiner Gesinnung und Vorbereitung erkennen. Ausgerüstet mit passenden Schuhen, windfester Kleidung und Wanderstöcken, alles modisch und geprüft bis auf achttausend Meter. Und als der Bus eintrifft, kommt Bewegung auf den Platz. Wer mit wem, vorne oder hinten und sitzt es sich besser am Fenster oder links am Gang? Das Fahrzeug hält, der Chef steigt aus; er präsentiert ultraleichtes Wandergewand, Profischuhe und Hut mit Gamsbart. Dahinter und auch schon auf Achse, Fräulein Krüger, rustikal verpackt, mit Programmheft und Wanderkarte.

Es beginnt. Ich nehme einen Platz, ca. in der Mitte, zusammen mit einem Kollegen aus dem Lager, einem verträglichen Charakter. Chef und seine engsten Mitarbeiter ganz vorne, in der ersten und zweiten Reihe; gleich im Anschluß, die Sorte mit Verdauungsproblemen und Kurvenkrankheit. Und nun, erhaben über jede Geschmacklosigkeit: Isabella. Sie steigt die Treppe hoch, wie eine Blume, mit natürlichem Lächeln, seidigem Haar. Solide Schuhe, Rucksack aus fairem Handel und weiße Strümpfe, mit Stickereien aus Rosen, so daß wir uns herzlich begrüßen. Eine Prinzessin der Berge! Sie bezieht ihren Platz zusammen mit Frau Blau in der vorderen Hälfte, in guter Lage.

Und wer kommt als letzter, mit überdimensionalem Kinn und violettem Stirntuch? Natürlich die Fliege, der Busclown. Überhaupt erlaubt sich hier die Frage, ob heute schon gestern, die Venus schon der Mars, oder der gute Stil bereits gänzlich verklungen. Denn er trägt sein Tuch am Hinterhaupt auf skurrile Art verknotet, mit einer engen Öffnung für den Haarschwanz, geschmackstechnisch ein Unfug. Und eine Höhenbrille mit verchromtem Bügel, der Angeber. Und keine Spur von einem Muster, da hat man´s. Die Fliege verlegt sich zusammen mit anderen Kollegen auf die Rückbank.

Es gäbe hier noch mehr zu erzählen, aber wozu Zeilen verschwenden, wo es doch Wichtigeres gibt und des weiteren Geschmack.

Nach der Begrüßung unseres Busfahrers, einem Hans oder Franz, geht es los. Und nun spricht Chef aus dem Mikrophon. Er heißt uns willkommen und kommentiert, in der Funktion des Fremdenführers, das erste Highlight. Zur rechten, die alte Fabrik, ehemaliger Standort zur Herstellung von Spucknäpfen und Wassertoiletten, Qualitätsartikel, schon damals, geleitet von seinem Urgroßvater ...

Minuten später sind wir auf freiem Feld. Die Stadt ist verschwunden und um uns breiten sich Wiesen und Felder. Alle städtische Unruhe ist gewichen, einem sanften Dahingleiten und einer freudigen Vorausschau, in die Zukunft. Links an der Autobahn, am Horizont, eine auffällige Erhebung.

Chef kommentiert:

Hügelgrab, 15. Jhd. v. Chr., sie begruben ihren Stammesherrn mit Frau und Gespann, mit Kind und Kerze, um die Reise zu erhellen. Die Gräber sind in dieser Form einzigartig (er weiß viel). Das Gesinde: es folgte freiwillig ...

Endlich sind wir aus der Ebene und die Straße beginnt zu steigen, auf zunehmenden Serpentinen - die Zukunft, sie kann warten. Der Bus trägt uns wie ein behäbiges Schiff bergauf, Kehre für Kehre. Es ist bequem, doch lustiger wäre es mit einer Maschine zu fahren. Hier sind Schluchten und dichte Wälder, mit Bächen in der Tiefe; erstmals erschlossen von den Kintolen, einem gefürchteten Bergvolk, das für sein Aussehen und seine Überfälle bekannt war. Je höher die Straße, desto wortkarger die Belegschaft.

Schließlich, nach dem Passieren eines besonders dichten Waldstücks, die Ankunft im Basislager. Mehrere Busse stehen auf dem Platz, bereits geparkt und abgekühlt, manche erst dabei, ihren Inhalt zu lüften. Viele Pensionisten und Naturfreunde, Pioniere der Freizeit.

Franz, unser Chauffeur hält, er wird den Tag im Tal verbringen und uns zu gegebener Zeit wieder abholen. Garantiert.

Dann, vor dem Aufstieg, Kontrolle – Nachzählung der aussteigenden Mannschaft. Eins, zwei, drei, ... mit Hut, ohne, ... vegetarisch, konventionell, ... alles da. Fräulein Krüger notiert die Zahl und leitet sie weiter.

Und daß mir keiner vom Weg abkommt! Ich bin verantwortlich für euch und im Wald, möglicherweise: noch vereinzelt Kintolen.

Und indem man sich einig geworden ist, geht die Wanderung los. Anfänglich auf breitem Weg und schattigem Grund, mit dem Berg in verheißungsvoller Ferne. Der Troß bewegt sich gleichmäßig, mit mäßigem Tempo; da schalte ich einen Gang hinzu und komme nach vorne, auf die Höhe von Kollegin Blau und Isabella - unter sofortiger Aufnahme. Ja, meine beiden Mädchen, sie mögen mich!

Na, lieber Kollege, fragen sie mit roten Wangen und Flirtlaune, auch ein Freund der Berge? Alles dabei? Kompaß, Flachmann, Verbandszeug?

Unsere Unterhaltung hat Charme, hat Lässigkeit, so muß es ja sein. Doch schon bald schlage ich etwas vor: es wäre etwas Besonderes, nur für verdiente Menschen, ein Ort mit Kräften.

Isabella, ... spreche ich unter vorgehaltener Hand, ... kommst du mit? Ich kenne da einen sehr schönen Platz, auf halber Strecke, ein Naturjuwel, wirklich einmalig und wenn wir uns beeilen, können wir noch rechtzeitig zurückkehren, ohne daß es auffällt?

Sie reagiert unschlüssig. Ein Juwel der Natur, ein schöner Ort? Doch dann wagt Isabella das Abenteuer und Fräulein Blau verrät uns nicht.

Und das geht so: wir verlangsamen unseren Schritt, nur ein wenig, so daß es niemand merkt. Dann, an einer unübersichtlichen Biegung: rein in den Wald. Von einem Moment auf den anderen sind wir in einer anderen Umgebung. Die Äste hängen tiefer, der Pfad ist steiler. Und unser Tritt, er wird rascher. Mit einem Mal steigen wir den Weg bergan mit abenteuerlichen Kräften. Das Harz duftet überall, am Wegrand der Specht und weiter drinnen im Gehölz, das Rascheln der Wildschweine. Ich kenne die Abkürzung aus früheren Wanderungen und Isabella hält Schritt, tadellos - ihr Naturell beweist den gesunden Kern. Unser Ausflug führt uns an einen Platz, der auch Versierte noch überraschen kann. Nach etwa einer halben Stunde Anstieg setzt es ein; die Bäume werden anders, geheimnisvoller, Blumen und Gräser erscheinen verändert und die Moospolster, doppelt so groß wie sonst, gut zum Liebe machen. Dies ist der Ort, wo es noch Füchse gibt mit Hasenohren und bunten Schnauzen, wo die Mäuse noch kleine Geweihe haben und Ameisenhaufen rosa Zuckergüsse; und vor manch verirrtem Wanderer stand schon, plötzlich hinter einer Biegung, zu nebeliger Stund: ein alter Kintole.

Wir bewegen uns langsamer und kommen an eine Schwelle, wo sich der Raum öffnet.

Und dann, wie eine Offenbarung, ein Wunder; wir stehen auf einer Lichtung und darauf ein einzelner Baum, von erstaunlicher Größe. Ich nehme meinen Hut ab, um die Ehre zu erweisen, alle Abzeichen verblassen. Isabella staunt; ich wußte, daß es ihr gefallen würde. Nun nähern wir uns, der Lage angepaßt. Es ist ein Platz von besonderer Energie, ein heiliger Ort, wohl schon von den Kintolen besucht. Der Baum ist ein Medusalem, mit Ästen, dick und knorrig, gewachsen in der Zeit der alten Bergsagen. Und die Rinde, von allen Wettern gegerbt. Isabella tritt vor; sie zollt dem Ort Achtsamkeit und Ehrfurcht und legt ihre Hand auf den Stamm. Und so beginnt sie zu fühlen, konzentriert und zärtlich, mit geschlossenen Augen. Sie fährt nach oben, fährt nach unten und wieder hinauf und dann, es kommt ganz sanft, umarmt sie Medusalem. Jetzt komme ich nach, vorsichtig, um die zwei nicht zu stören und öffne meine Arme - auf der anderen Seite des Riesen. Und so tun wir es: Liebe mit dem Baum, Walderotik; streichend über phantastische Oberflächen, auf verschlungenen Pfaden. Ein Dreier ohne Reue. Und von Isabella: nur einen Festmeter entfernt. Ich steige tief hinunter ins Gefühl, in die vegetative Welt und dann, wie getragen, wieder an die Oberfläche. Als wir unsere Augen öffnen, ist es das Wunder. Jeder hat es gespürt. Die Kraft, das Organische, die Verbindung.

Isabella strahlt und spiegelt mir das Erlebte. Die Waldprinzessin - mit Bestimmtheit ernannt, von allen Tieren und Zwergen. Da entdeckt sie etwas am Waldrand, augenblicklich, und wechselt ihre Aufmerksamkeit; es scheint klein zu sein und womöglich bedürftig.

Sie läuft voran. Und tatsächlich, unter einer breiten Tanne: ein Reh, das sich in den Stäben einer Krippe verfangen hat. Wir nehmen einen dicken Ast und klemmen ihn zwischen die Stäbe, um mit Hebelkraft den Klammergriff zu lockern. Als dies noch zu wenig ist, nimmt Isabella einen Stein und klopft gegen die böse Latte. Das bringt die Entscheidung. Das Reh kommt frei; und läuft los, programmiert zu flüchten. Nur an der Stelle, wo das Dickicht beginnt, hält es kurz inne und blickt noch einmal zurück: um Danke zu sagen. Da sehn wir uns an, mit einem Gefühl der Freude und dem schönsten Lächeln über tausend Höhenmeter, das ich jemals erhalten.

Und so laufen wir weiter, über Walderde und würziges Moos, Kinder des Waldes. Als wir an die Baumgrenze gelangen und sich allmählich die Höhe öffnet, ziehe ich meinen Feldstecher aus der Tasche. Ich bleibe stehen und peile aufwärts. Und es braucht nicht lange und mein Fernglas bekommt die Beute: am steilen Kamm: Chef - mit aufrechtem Gang und Gamsbart - zielstrebig nach vorne strebend und hinten nach die Belegschaft, mindestens die Hälfte übergewichtig, mit X-Large-Hosen und riesigen Schweißflecken. Es ist ein Plackern und Mühen, ein ehrliches Wandern, daß links und rechts die Kilos nur so purzeln. Ich gebe Isabella das Glas zur Orientierung – sie sieht es auch - und muß lachen; oben am Gipfel werden alle schlank sein und die Hosen um die Hüften schlottern!

- - -

Wenige Minuten später ist die Gruppe eingeholt und niemand hat uns vermißt.

Als wir die letzten Meter machen, vor dem magischen Punkt, ist es Chef, der als erster das Gipfelkreuz berührt und er hat uns nicht zu viel versprochen. Es ist Kaiserwetter und von hier oben ein Panorama, das einem die Luft weg bleibt: schneebedeckte Felsen, majestätische Gipfel und alles von ungewöhnlicher Tiefe und Fernsicht. In die abgequälten Gesichter kommt Aufhellung und ein sublimes Staunen, selbst im häßlichsten Gesicht. Wahrlich, vor uns, eine wahres Panoptikum - der Alpenschönheit!

Chef steht da mit Gamsbart, vor der blauen Kulisse, wie ein Feldherr. Eine Einführung beginnt, um vorzustellen, ja - wem Vorstellung gebührt!

Das Weißhorn, deutet er in die Ferne und weist auf einen der Berge, der aus dem Rondeau glitzert, um dann im Brustton und bei aller Bescheidenheit zu verkünden: schon bestiegen.

Fräulein Krüger steht daneben und läßt ihn reden. Im Protokoll vermerkt sie die wichtigsten Stationen.

Und weiter, ihre Majestät, die Wildspitze – und wieder, nach dem Einlegen einer kunstvollen Pause: ... schon bestiegen.

Gleich in der Verlängerung, der Schneekaiser, ... eine reguläre Route, zwei, drei anspruchsvolle Wände, aber auch die legendäre Teufelsrinne, ... alle bestiegen.

Und ich sehe Fräulein Krüger daneben, mit dem Protokoll und ihrem dicken Arsch und denke mir: zwei, drei Routen, mindestens. Auch schon bestiegen?

Aber nein, ich weiß es nicht!

Und: ich will es mir nicht vorstellen.

Chef ist ganz versunken in Erinnerung und ein verklärtes Lächeln auf seinen Lippen; so viel Abenteuer, so viele Kilometer.

Doch bevor es zu persönlich wird, die moralische Bremse und er setzt fort, seiner Vorliebe getreu.

Wie erklommen die ersten Bergsteiger die Gipfel? Wie überquerten Waren vor dreitausend Jahren die Alpen?

Dazu braucht er einen Freiwilligen.

Meisl?

Ich trete nach vor.

Chef packt aus seinem Rucksack ein Bündel Seile, gedreht aus Hanf, wie es die Bergsteiger der Pionierzeit benutzten. Er will beweisen, daß auch das alte Material von hervorragender Qualität war und bei extremen Bedingungen hielt. Dazu nimmt er das eine Ende des Seiles, ich bekomme das andere; nun bindet er sich den Strick um die Hüften, in einer komplizierten Technik und geht damit an den Rand des Berghangs, wo die Steine ein lockeres Leben führen und Räder sofort ihre Kür erfüllen. Dann legt er sich kräftig in die Riemen! Ich binde mein Seilende um einen Felsblock, wickle zwei Mal herum und halte mit voller Kraft dagegen - dies ist der Punkt, wo Chef den Beweis erbringt. Er wirft sich immer fester in den Gurt und deutet mit großen Gesten auf die Festigkeit des Materials. Und mir deucht, ich werde schwächer und müder und das Seil um den Stein lockerer und lockerer; plötzlich wird mir schwarz vor Augen und ich muß mich hinsetzen, ein wenig rasten ...

Die zweite Vorführung betrifft Methoden des historischen Handels. Wie wurden Waren der Vorzeit transportiert? Auf Kraxen und Maultieren; nur für zähe Naturen und so schwer, daß die Waden der Lastenträger beträchtlich anschwollen, auf doppelten Umfang - und das schon auf der Hälfte des Weges.

Die Demonstration erfolgt virtuell. Ich muß mich zu Boden knien, damit Chef zeigen kann, wie ein zweiter Mann derartige Warengrößen auf den Rücken des Trägers brachte. Die Darstellung erfolgt als Pantomime.

Aber damit nicht genug: im Wald und auf den Straßen lauerten die Räuber! Rauhe Burschen, die viel hielten auf die fremde Ware und gar nichts auf das Leben der Besitzer.

Ganze Kolonnen vorzeitlicher Ware, verteilt auf Maultieren und Trägern, auf schmalen Saumpfaden: Toiletten, Pissoirs, Bidets, alles in Chrom, glänzend in der Höhensonne; und in den Mulden und hinter den Felsvorsprüngen, harrend der Beute: die Kintolen!

Da tritt Fräulein Krüger zu Chef und flüstert ihm etwas ins Ohr, mit einem Wort der Erinnerung. Da erhellt sich sein Gesicht und er verkündet für alle:

Und wenn die Händler der Berge Durst bekamen, tranken sie das klare Wasser, welches überall zu Tale floß - unser nächster Halt aber ist die Hütte zum schneidigen Wirt, eine halbe Stunde Gehzeit von hier - auch mit anderen Getränken!

Da kommt Bewegung in die Belegschaft; die Stöcke fliegen, die Riemen krachen, alles macht sich auf zum gemütlichen Teil des Tages. Mir aber ist es beschieden, die Requisiten der Vorführung noch aufzulesen, eine Menge Seil von meinem Chef und umständliche Wickelmuster, daß schon die Hälfte über die Berge ist, als ich noch immer wickle. Und oben drauf das Schleppen eines fremden Rucksacks!

Als die Arbeit getan ist, nehme ich meinen Feldstecher in Anschlag, peile den Troß der Flüchtenden an; als die Linse aufklart, gerade noch ein Blick; das violette Kopftuch von der Fliege, dem Clown, wie es hinter dem Hügel verschwindet ...

- - -

In der Hütte ist die Lage wie nicht anders zu erwarten. Das Bier ist schon bestellt, die Plätze besetzt. Die Organisation teilt sich in drei Gruppen auf. An einem Tisch die Streber, am zweiten die Langweiler und am dritten - die, die es eben können. Ich lege meinen Rucksatz ab und setze mich.

Die Hütte ist sehr rustikal und handfest. Schon am Eingang verkündet weiße Kreide auf schwarzer Tafel allerlei Genüsse und Höhenflüge:

Eiernockerl a la Holzhacker Fritz, Höhenbier, gebraut aus dem Blatttau des Edelweiß, Enzianparfait und Almkaffee (Spezialmischung). Dazu: Murmeldragees. Aber auch das Innere besitzt Originalität. Der Wirt ist ein rechter Wurzensepp, mit Rauschebart und tadelloser Haltung. Er besitzt die Eigenart, die Bierkrüge mit einem kleinen Trinkspruch auf den Tisch zu stellen, mal kürzer, mal länger, doch bei voller Natürlichkeit. Das muß wohl an der Höhenluft liegen. Wie heißt es doch so schön: ab der Baumgrenze, da gibts´ kein Bankkonto und jeder hat Kies!

Als Dank und Anerkennung für die gemeinsame Arbeit eines Jahres spendiert Chef alle Getränke und Speisen, die Firma zahlt. Und Fräulein Krüger hat gewählt!

Die Karte ist zwar klein, aber durchdacht. Ich wähle Gebirgsnockerln auf Murmelfett, dazu Hausbier, grünen Salat und als Nachspeise: Mousse au Kintolo.

Der Almkaffee versteht sich von selbst.

Aber auch sonst kommt einiges auf die Tische: Enziansouffle, Bergomeletten, Almgrütze, Edelweißpastete und Steinbockleber und ganz besonders: Wildschweinspeck. In zweifacher Ausführung. Denn an der Wand hängt die eindrucksvolle Trophäe eines Ebers, mit hochgezogenen Lefzen und gefährlichen Hauern und auf den Tellern der Hüttengäste, sein Hinterteil, gesalzen und gepfeffert; man weiß ja, wie das ist.

Isabella und Fräulein Blau teilen sich zu zweit eine Hausplatte, das geht sich locker aus, denn ungewöhnlich groß ist die Portion! Beim Verkosten der ersten Spezialitäten ein Blick von Isabella. Sie nimmt einen Happen Enzianparfait und sieht zu mir, voller Zustimmung; ihr Blick beinhaltet unser gemeinsames Erlebnis im Wald, die Gewißheit, daß wir etwas erfahren, das immer da ist, aber nur durch Gnade geschenkt wird, durch die Pforte des empfänglichen Herzens: das Rehgeheimnis.

Aber auch sonst geht es zünftig zu. Die Hüttenherrlichkeit hat allen viel gebracht und die Riemen gelockert. Nur der Clown hat noch immer sein violettes Stirntuch auf und grinst schmierig Überheblichkeit. Seine Lippen und sein Kinn glänzen, von Bier und Murmelschmalz. Und dann macht er einen Witz, der einen Stilbruch einleitet: einen Witz über punktierte Speckfalten. Im ersten Moment glauben die Anwesenden nicht recht zu hören - punktierte Speckfalten? Vereinzelte reagieren mit Räuspern und Befangenheit, manche mit Glucksen. Die Situation ist unklar. Der Clown braucht die Zustimmung mindestens der Hälfte der Gruppe und wartet zu; aber schon bald setzt er nach, wieder mit einer Bemerkung über punktierte Speckfalten. Nochmals ist es unsicher, aber dann erschallt ein Lachen, gefolgt von weiteren: die Gruppe hat´s gefressen.

Neben meinem Teller liegt eine Serviette. Ich zupfe ein Stück ab, drehe und wende es zwischen meinen Fingerkuppen und: zermalme es.

Nun ist der Clown nicht mehr zu halten. Er glaubt, er ist nun der Obermacher und muß den Ton angeben. Die Steinbockleber ist plötzlich die `Turboleber´, das Bier rinnt schneller nach, als die Blase durchläßt und die Kintolen, die waren in Wirklichkeit arme Hunde. Mit Spreitzfüßen.

Ich finde es N-I-C-H-T witzig.

Die Menge lacht und läßt sich die zweite Runde Bockbier bringen; soeben servieren Kellnerinnen mit breiten Hüften und unterstützen den Wirt.

Und als der Clown den Wirt auf seinen Bart anspricht, um ihn in ein Gespräch zu verwickeln, läßt sich dieser nicht lumpen. Er setzt sich an den Rand der Bank und gibt sich gesellig. Eine Doppelconference entsteht. Die Fliege, der Clown, wirft einen Brocken vor, plumper Superlativ, durchwegs Allgemeinposten und der Wirt antwortet mit feiner Klinge und intelligentem Humor; die Menge brüllt.

Das animiert auch Leute vom Strebertisch näher zu rücken; mein Chef, nach zwei Gläsern Wein, noch immer kerzengerade, doch mit einem Glanz in seinen Augen.

Ich reiße weitere Stücke von meiner Serviette und zerknülle sie.

Und der Clown spielt zu allem Überfluß den Gentlemen - ein E-C-H-T-ER Witz. Für die schönsten Fräulein zwischen dem Blumenberg und dem Almenland, zwei Alpencocktails mit Gletschereis! Bestimmt für Isabella und Fräulein Blau!

Ich nehme den Rest meiner Serviette und zerknülle sie: als ganzes und ungebraucht.

Inzwischen sind auch Leute von der anderen Ecke der Hütte aufmerksam geworden und kommen ins Gespräch. Es erweist sich, daß das Naheverhältnis größer ist, als vermutet. Erstens ist die Gruppe daneben auch auf Betriebsausflug und zweitens stellt die dazugehörige Firma Kleiderbürsten her, nur für vornehme Garderobe! Wer hätte das gedacht!

Der Clown wirft sich in Pose und treibt die Hütte mit kreisenden Armschwüngen zu einem dreifachen Zicke, Zacke – Heu, Heu, Heu! Ein Prost auf die Bürstenhersteller!

Und dann, ist es der Alkohol oder einfach die ungebremste Dummheit, der Clown kommt von der Toilette (schon fünf Bockbiere und drei Alpencocktails intus) und verkündet unter großem Wirbel, auf dem Lokus sei ein alter Kintole! Er habe ihn mit eigenen Augen gesehen, ein riesiger Bursche, unheimlich und schwer, mit funkelnden Augen! Sogleich steht einer der Kollegen auf, mit vorgeschobener Brust, rennt los, verschwindet, rutscht auf der Toilette aus und kommt mit blutüberströmtem Gesicht zurück; die Hüttenfrau, eine ehemalige Krankenschwester, kann nur den Verbandskasten auftischen, doch ohne Betäubungsmittel: Verbandsrolle, Faden, Desinfektionsmittel und eine Nähnadel, desinfiziert an der Hüttenkerze.

Endlich zieht Chef die Notbremse; er ordert die Rechnung. Der Hüttenwirt selbst erledigt das und macht einen guten Preis, für besondere Gäste und Freunde, versteht sich. Darauf gibt Chef ein Trinkgeld, mit dem sich die Hüttenfenster fünf mal streichen lassen und die Bänke dazu. Das wieder kann der Wirt nicht auf sich sitzen lassen und ruft sogleich in die Küche: Chefin, eine Runde Zirbenschnaps für alle, der Wirt bezahlt!

So geht es eben her und Fräulein Krüger verzichtet auf das Protokoll. Schließlich ist es ein allgemeines Aufbrechen; letzte Verabschiedungen werden absolviert, Beistände vermittelt. Die Wanderstöcke nicht vergessen! Und Vorsicht vor den zwei Stufen am Ausgang! Ja, danke, herzallerliebst!

Draußen auf dem Vorplatz wartet bereits der Bus mit Fahrer Franz. Der Motor läuft schon und hat die Sitze vorgewärmt. Die drei Stufen des Busses erweisen sich als Kletterpfad, mindestens mit Schwierigkeitsgrad neun. Wir besteigen ihn ungesichert!

Endlich läßt Fräulein Krüger durchzählen. Doch auch nach dem zweiten Mal kommt es zu einem unbefriedigenden Ergebnis: zwei Personen fehlen. Die Verantwortlichen sind ratlos. Kann sich so viel Wildschweinspeck und Alpenbräu einfach auflösen? Wo wurden die Kollegen zuletzt gesehen? In der Wirtschaft? Auf dem Gipfel? Oder gar schon beim Anstieg? Niemand weiß es. Die Kintolen, murmeln manche und sind froh, bereits im Bus zu sitzen.

Schließlich kommt die Antwort von der Hütte: die Tür springt auf, die beiden Vermißten erscheinen, eingehängt und mit erheblichem Seegang; einer hatte den anderen gesucht und auf der Toilette gefunden, da war er aber schließlich selbst eingeschlafen - die Kintolen enttäuschen.

Und so kommt es, wie es kommen muß. Alle sind müde vom Wandern und die Sitze des Busses so gut wie das Bett zu Hause. Chef gibt das Zeichen zur Abfahrt und es geht los; an Bord Isabella, mein Schatz; würde sie fehlen, der Schnitt würde fallen, zweistellig und nicht nach dem Kommazeichen. Franz chauffiert uns geschmeidig, von Serpentine zu Serpentine, durch tief reichende Kurven; und die Berge, getaucht in Orange, in abendliches Glühen; die alpine Romantik ist der würdige Abschluß. Und irgendwo dazwischen, ein unbestimmtes Gefühl, ganz weit hinten, vielleicht eine Einbildung: die Konkurrenz hat mehr wie dreckige Griffel und Unterhosen mit Muster keine Angst im dunkeln ...

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Tags darauf habe ich drei große Kater im Quartier; einen in den Oberschenkeln, einen in der Peristaltik, er ernährt sich von Murmelschmalz und Alpenbräu, das größte Raubtier jedoch im Oberstübchen. Und alles nicht mal selbst bezahlt.

So hilft nur eins: Mama Martha und ihr Ölgemälde. Die Götter haben entschieden - schon Mittwoch nachmittag ist wieder Kurs und die Muse mein Rettungsanker.

Wie immer geht Mama Martha zwischen den Staffeleien umher und läßt uns in Freiheit schaffen, dann und wann ein freundlicher Blick, eine ermunternde Geste, doch niemals Bedrängung; sie ist unsere Mentorin, die Mutter aller Pinsel.

Und überall im Raum der vertraute Geruch von Terpentin und Malfarbe!

Meine Arbeit schreitet voran. Ich habe besonders viel Rosa auf der Leinwand, in verschiedenen Formen, aber auch Speigelb und Lila, der Pinsel mischt intuitiv. Zu den rein abstrakten Formen kommt diesmal auch Figuratives, ganz in Weiß und gestellt in eine Landschaft. Ich reise durch meine Zeit und erschaffe die Welt.

Als sich die Praxis dem Ende zuneigt und überall die Farben noch kräftig glänzen sind, äußert sich einer der Kollegen.

„WAS IST DAS?“

Auf meinem Bild ein weißer Ritter und eine Jungfrau, gemeinsam auf einer olivgrünen Lichtung, inmitten eines Waldes und zwischen den beiden: ein Reh.

Ich erkläre, es sei eine magische Begegnung im Wald, von Mensch und Tier, im Schoß der Natur ... .

Schweigen.

Ich deklariere; im Bild geht es aber genau so um Darstellung von Funktionalität, im großen sowie im kleinen, um das ganze Spektrum.

Noch immer Schweigen.

Ich kommentiere weiter, um die Essenz zu heben, da endlich, eine Bemerkung:

„DER RITTER SOLLTE ZUMINDEST DIE RÜSTUNG ABNEHMEN. OHNE IST ES BEQUEMER. BESONDERS FÜR DAS MÄDCHEN. “

Mama Martha kommentiert gewählter.

Oh, eine sehr schöne Arbeit! Vorwiegend in Pastell und mit romantischem Pinsel, und auch die Figuren, in begreiflichem Kontext. Das Gefühl ist im Vordergrund, ebenso das Seelische, das Körperliche jedoch weitgehend unter Verschluß; es ist Ritterlichkeit und hohes Ideal darin, aber auch das Gleichnis der Umkehrphase, eine Sommerfrische im Blech. Irgendwann muß es passieren; wenn nicht im Wald, so in der Burg.

Über das Reh ist man sich uneins; es wirkt schwach und schutzbedürftig. Es gehört zu den beiden, vielleicht auch nicht. Es ist so blaß und zerbrechlich, irgendwann muß es zurück in den Wald, ... nun schweigen alle.

Das nächste Bild ist auch nicht einfacher. Es ist wieder die Darstellung einer Heidelandschaft, gemalt vom selben Kollegen, vorwiegend in Grau und Blau und mit einer Hütte im Zentrum; die Silhouette eines Wanderers ist rechts außen eingefügt. Abgesehen von kleinen Variationen, die unerheblich sind: das gleiche Bild wie beim letzten Mal.

„ AHH, KENNEN WIR SCHON. DAS MIT DEN VERSCHIEDENEN DIMENSIONEN UND DEM WANDERER, DER ALLES ÜBERSIEHT.“

Die Begeisterung hält sich in Grenzen.

Doch diesmal ist es anders - die Hütte und der Wanderer sind im selben Film.

Alle staunen; das ist etwas anderes. Die Gruppe rückt näher und versucht, den Rauch des Schornsteins zu erschnuppern.

Man sieht von der Hütte nur ein dunkles Rechteck und ein einsam erleuchtetes Fenster. Der Wanderer strebt aus dem Bild, noch drei, vier Schritte und er würde verschwinden, aus dem Rahmen fallen. Was hat er in der Hütte getan? War er drinnen?

Das Raten beginnt.

„ER HAT SICH AM FEUER EINE WURST GEBRATEN!“

Falsch, wenn auch praktisch.

„HMM,… ER HAT DIE GLÜHBIRNE GEWECHSELT.“

Auch praktisch, auch falsch: es ist heiß, viel heißer!

Das ergibt die Spur; die Gruppe sieht sich an, ein Gedanke springt über. Er schwebt wie eine Blase im Raum, ohne sich vorerst zu artikulieren. Ist es Zurückhaltung oder einfach nur eine Pause aus Überraschung? Schließlich platzt es hervor, wie ein Jahrhundertereignis ...

„ER HAT DIE HÜTTENWIRTIN GESCHWÄNGERT!“

Und daraus bricht, wie befreit an das Licht, ein dreckiges Lachen.

*

Der Kronprinz des Selbstvertrauens

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