Читать книгу Das AVIVA-Modell (E-Book) - Manfred Pfiffner, Markus Mäurer - Страница 7
1Einführung: Das AVIVA-Modell im Überblick
ОглавлениеDas Modell, das hier vorgestellt wird, ist AVIVA – ein Fünfphasen-Modell für einen wirkungsvollen Unterricht. Es basiert auf Ergebnissen der Lernpsychologie und best practices guten Unterrichts. In Abbildung 1 sind die fünf elementaren Phasen des Unterrichts skizziert, die dem Ablauf des Lernprozesses nachempfunden sind. Die Abkürzung AVIVA nimmt Bezug auf diese Schritte.
Abbildung 1: Die Phasen des kompetenzorientierten Unterrichts nach dem AVIVA-Modell, schematisch
Lernen setzt zunächst die Bereitschaft voraus, sich auf Neues einzulassen («Ankommen und einstimmen»). Beim Vorhandenen («Vorwissen aktivieren») setzt das eigentliche Lernen («Informieren») an und baut darauf auf. Damit dieses Neue sich festigen kann, braucht es Gelegenheit zur Anwendung, Vertiefung und Übung («Verarbeiten»). Und schließlich wird man beim Lernen immer wieder Rechenschaft über den zurückgelegten Weg ablegen, bevor die nächste Wegstrecke in Angriff genommen wird («Auswerten»). Es ist wichtig, dass sich Unterricht an diesen Phasen orientiert. Nur so besteht Gewissheit, dass der Lernprozess inhaltlich und methodisch sauber und vollständig durchlaufen wird.
Kompetenzorientiert unterrichten heißt, die fünf Phasen nach dem AVIVA-Modell bei der Planung und Durchführung des Unterrichts stets sorgfältig zu beachten, den Lernenden den Weg mit verschiedenen Methoden – mehr oder weniger strukturiert, je nach den Voraussetzungen der Lernenden – vorzugeben und sie durch die Wahl der Methoden in Situationen zu versetzen, die sie nur durch den klugen Einsatz von Ressourcen meistern können. Der gezielte (und kreative) Einsatz von geeigneten Ressourcen selbst ist dann das, was wir als (Lern-) Kompetenz bezeichnen könnten.
Wie sieht nun ein kompetenzorientier Unterricht aus, der solchen Erwartungen Rechnung trägt? Dazu folgende theoretischen Ausführungen.
Lehrpläne sind heute meist auf Kompetenzen ausgerichtet, über die Lernende am Ende ihrer Ausbildung oder ihres Studiums verfügen sollten. Dazu gehören sowohl fachliche Kompetenzen als auch Methoden-, Selbst- und Sozialkompetenzen, die weit über das Fachliche hinausgehen.
Kompetenzen beziehen sich dabei oft auf konkrete Situationen, etwa aus dem Berufsleben oder aus dem privaten Alltag. Kompetentes Handeln ist in diesen Situationen nur dann möglich, wenn bestimmte Ressourcen verfügbar sind – Wissen (Kenntnisse), Fertigkeiten und Haltungen. Diese Ressourcen bilden die – teils in der Ausbildung erworbene, teils bereits vorhandene – Grundausstattung, die benötigt wird, um herausfordernde Situationen zu meistern (Le Boterf, 1994).
Wie wir uns das Zusammenspiel der Ressourcen konkret vorstellen müssen, lässt sich am besten an einem Beispiel zeigen: Eine Friseurin berät eine Kundin, die sich Gedanken über eine Haarfärbung macht.
Zunächst spielen die Haltungen eine Rolle. Grundsätzlich muss die Friseurin daran interessiert sein, die Kundin optimal zu beraten und deren Wünsche zu erfüllen. Gleichzeitig muss sie auch einen gewissen Geschäftssinn entwickeln und daran interessiert sein, Dienstleistungen zu verkaufen. Aber bleiben wir zunächst bei der Beratung: Die Friseurin braucht viel Einfühlungsvermögen und Fingerspitzengefühl; sie muss spüren, ob die Kundin ihre Haare überhaupt färben oder ob sie doch eher zu ihren weißen Haaren stehen will. Sie muss dabei die eigenen Vorlieben zugunsten derjenigen der Kundin zurückstellen. Sie muss Verantwortung übernehmen und die Kundin ehrlich über die Konsequenzen einer chemischen Farbveränderung informieren.
In ihrer Verantwortung liegt es anschließend auch, das optimale Mittel zu wählen und ihre Arbeit korrekt und sorgfältig auszuführen. Dabei kommen ihre Kenntnisse und Fertigkeiten ins Spiel.
Die Friseurin muss zunächst die unterschiedlichsten Mittel und Verfahren für Farbveränderungen kennen; sie muss der Kundin deren Möglichkeiten und Grenzen aufzeigen und aufgrund ihrer Wünsche das richtige Mittel wählen (Kenntnisse).
Um das Produkt korrekt anwenden zu können, muss die Friseurin Anwendungshinweise verstehen. Sie muss wissen, welche Konsequenzen ein Nichteinhalten der Einwirkzeit haben kann. Sie muss ebenfalls verstehen, dass es je nach Situation verschiedene Auftragetechniken gibt. Sie muss also Überlegungen anstellen, um welche Situation es sich im vorliegenden Fall handelt.
Hat sich die Friseurin für eine Auftragetechnik und ein Produkt entschieden, kommen ihre Fertigkeiten zum Zug. Beim Mischen der Farbe berücksichtigt sie die genauen Anwendungshinweise und trägt sie sorgfältig und korrekt auf. Der Kreis zu den Haltungen schließt sich, indem die Friseurin Verantwortung für die sorgfältige Ausführung und das Einhalten der Einwirkzeit übernimmt.
1.1.1Unser Kompetenzverständnis
Ganz ähnlich wie im eben skizzierten Beispiel verstehen wir in diesem Buch Kompetenz als Fähigkeit, bewusst Ressourcen – also Wissen, Fertigkeiten und Haltungen – zu aktivieren und kreativ und funktional miteinander zu kombinieren, um konkrete Situationen erfolgreich zu meistern (Abbildung 2 und Ghisla, Bausch & Boldrini, 2008, S. 441). Dabei konzentrieren wir uns hier bewusst auf den schulischen Bereich – und verlieren dabei gleichzeitig nie aus dem Blick, dass das, was in der Schule vermittelt und gelernt wird, nur ein Teil dessen ist, was es zum Aufbau von Kompetenz braucht. Umgekehrt ist ganz wesentlich, dass das Wissen, die Fertigkeiten und Haltungen, die sich Lernende außerhalb der Schule aneignen, in den Unterricht eingebettet, nutzbar gemacht und reflektiert werden. Unterricht soll stets an die Erfahrungen der Lernenden anknüpfen – im besten, produktivsten Sinn.
Abbildung 2: Annäherung an den Kompetenzbegriff
1.1.2Wissen, Fertigkeiten und Haltungen
Ein paar allgemeine Bemerkungen zu den drei Typen von Ressourcen:
Wissen: Wissen kann unterschiedliche Formen annehmen (Brühwiler et al., 2017, S. 211). Eine erste Form lässt sich häufig in Aussagesätzen fassen und wird als deklaratives Wissen bezeichnet. Die Lernenden müssen zum Beispiel Fachbegriffe kennen, deren Bedeutung verstehen und Zusammenhänge zwischen ihnen nachvollziehen und benennen können. Dieser Typus von Wissen beschränkt sich indessen nicht auf sachliche Inhalte. Auch bei den Arbeits- und Lerntechniken ist deklaratives Wissen wesentlich. Die Lernenden erwerben Kenntnisse über mögliche Vorgehensweisen und einen möglichen Arbeitsablauf. Das genügt freilich nicht. Sie müssen auch wissen, wie man sich einer Technik bedient (Wissen, wie man etwas tut: prozedurales Wissen) (Euler & Hahn, 2007, S. 109). Und weiter müssen sie wissen, wann und unter welchen Umständen man eine bestimmte Arbeits- und Lerntechnik mit Gewinn einsetzt. Solches Expertenwissen, das Handeln in der konkreten Umsetzung steuert, bezeichnen wir als konditionales Wissen. Zur Ressource Wissen gehört schließlich das Wissen über sich selbst als Lernende und Lernender (fachliches Vorwissen, Lerngewohnheiten, eigenes Lernstrategie- repertoire), über die Lernsituation (Metzger, 2001, S. 43) und über Aufgaben und Aufgabentypen (Büchel & Büchel, 2010, S. 33–38). Solches Wissen bezeichnen wir als Metawissen.
Fertigkeiten: Die Lernenden müssen ihr Wissen auch in bestimmten Situationen anwenden können; dazu brauchen sie Fertigkeiten, also Verhaltensweisen, die im Verlauf der Ausbildung in Form von Lern- und Arbeitstechniken gezielt geschult werden und mit der Zeit in Fleisch und Blut übergehen.
Haltungen: Als Haltungen bezeichnen wir die inneren Einstellungen eines Menschen, seine Werte und Normen. Haltungen prägen das Handeln wesentlich mit. Beispiele für Haltungen in diesem Sinn sind etwa Verantwortungsbewusstsein, Einfühlungsvermögen, Toleranz und Interesse am Umfeld.
Aus diesem Begriffsverständnis leiten wir folgende Regeln ab:
1.Werden bei kompetentem Handeln Ressourcen gebündelt, müssen diese Ressourcen schon vorhanden sein – im Unterricht werden sie also zunächst aufgebaut, weiterentwickelt und systematisiert.
2.Kompetentes Handeln ist immer situationsbezogen – und jede Situation ist anders. Situationen lassen sich allerdings auch typisieren und konstruieren. Dies sind für die Ausbildung im schulischen Bereich zentrale Annahmen.
1.2Kernelemente des AVIVA-Modells
Jeder Unterricht hat eine äußere und eine innere Seite. Außen ist sichtbar, in welcher Organisations- und Sozialform der Unterrichtsprozess bei einer gegebenen Methode gestaltet wird. Ihre Außenseite zeigt also, wie der Unterricht aufgebaut und rhythmisiert ist (Abbildung 3, Kreis 1). Mit Innenseite meinen wir die Aktivitäten der Lernenden bei der fraglichen Methode, die Art und Weise, wie sie Inhalte, Ziele und Vorgehensweisen miteinander verknüpfen, wie sie also durch Aufgaben- und Problemstellungen Ressourcen aufbauen und einsetzen müssen, um das vorgegebene Ziel zu erreichen, kurz: wie sie lernen (Abbildung 3, Kreis 2).
Abbildung 3: AVIVA – ein Modell zur Förderung von Kompetenzen
In den folgenden Abschnitten stellen wir die Kernelemente des AVIVA-Modells vor, so wie sie in der Abbildung 3 dargestellt sind.
1.2.1Die Außensicht – Methoden und Arbeitsweisen
Die Gestaltung des Unterrichts hat wesentlichen Einfluss auf die Art und Weise, wie in der Schule gelernt wird. Wenn immer alle Fäden in der Hand der Lehrperson zusammenlaufen, werden die Lernenden nie dazu ermutigt, ihr Lernen selbst zu steuern. Wenn die Lehrperson den Lernenden von Anfang an inhaltlich und methodisch das Feld überlässt, ist die Chance, dass diese sich selbstständig Wissen und Können aneignen, genauso gering, da ihnen vielfach nicht klar sein wird, wie sie in einer bestimmten Situation vorgehen sollen. Für den Unterricht ist wohl eine gute Balance zwischen Steuerung durch die Lehrperson (direktes Vorgehen) und Elementen des selbstregulierten Lernens (indirektes Vorgehen) sinnvoll.
Arbeitsweisen – direktes und indirektes Vorgehen
Beim direkten Vorgehen ist es die Lehrperson, die vorgibt, welche Ressourcen für das Bearbeiten einer vorgegebenen Situation benötigt werden. Bildlich gesprochen: Die Puzzleteile werden den Lernenden einzeln präsentiert; die Lehrperson zeigt, wie die Teile zusammenpassen, mit welchem Wissen und welchen Fertigkeiten sie eine Situation meistern können. In solchen Settings ist das Vor- und Nachmachen ein wichtiger methodischer Zugang. Mithilfe von Lehrmitteln zum Thema «Lernen lernen» oder konkreten Arbeitsanweisungen erhalten die Lernenden Einblick in verschiedene Vorgehensweisen und entwickeln gezielt Ressourcen. Mit der Zeit entsteht für sie aus den einzelnen Teilen ein Ganzes. Nachdem ihnen die Instruktion der Lehrperson den Weg gewiesen hat, sind sie allmählich in der Lage, eine vorgegebene Situation planmäßig anzugehen und selbst zu meistern. Solch schrittweises, durch die Lehrperson gelenktes Vorgehen ist dann sinnvoll, wenn die Lernenden noch über wenig Ressourcen verfügen oder wenn die Ausbildungssituation den Einsatz ganz bestimmter Ressourcen voraussetzt.
Beim indirekten Vorgehen wird den Lernenden lediglich eine komplexe Situation vorgegeben. Sie versuchen autonom, die Situation mit den vorhandenen Ressourcen zu analysieren und herauszufinden, wie ein Problem gelöst werden kann. Aufgrund der Analyse wird festgehalten, welche Ressourcen in den Feldern «Wissen», «Fertigkeiten» und «Haltungen» allenfalls noch zu erwerben, zu optimieren oder zu hinterfragen sind. Im Anschluss an die Analyse wird im Team das weitere Vorgehen geplant, werden die nächsten Schritte definiert. Beim indirekten Vorgehen ist also bereits zu Beginn das ganze Bild ersichtlich; die Lernenden können jeden weiterführenden Schritt stets mit der zu lösenden Situation in Verbindung bringen und versuchen, sie aus eigener Kraft zu meistern, ohne dass die Lehrperson mit methodischen Vorgaben eingreift.
PHASEN | DIREKTES VORGEHEN | INDIREKTES VORGEHEN | |
A | Ankommen und einstimmen | Lernziele und Programm werden bekannt gegeben. | Die Situation, das Problem wird vorgestellt; die Lernenden bestimmen Ziele und Vorgehen weitgehend selbst. |
V | Vorwissen aktivieren | Die Lernenden aktivieren ihr Vorwissen unter Anleitung und strukturiert durch die Methoden der Lehrperson. | Die Lernenden aktivieren ihr Vorwissen selbstständig. |
I | Informieren | Ressourcen werden gemeinsam entwickelt oder erweitert; die Lehrperson gibt dabei den Weg vor. | Die Lernenden bestimmen selbst, welche Ressourcen sie sich noch aneignen müssen, und bestimmen, wie sie konkret vorgehen wollen. |
V | Verarbeiten | Aktiver Umgang der Lernenden mit den vorgegebenen Ressourcen: verarbeiten, vertiefen, üben, anwenden, konsolidieren … | Aktiver Umgang der Lernenden mit den neuen Ressourcen: verarbeiten, vertiefen, üben, anwenden, diskutieren … |
A | Auswerten | Ziele, Vorgehen und Lernerfolg überprüfen. | Ziele, Vorgehen und Lernerfolg überprüfen. |
Tabelle 1: Direktes und indirektes Vorgehen
Selbstverständlich markieren die Begriffe direktes und indirektes Vorgehen nur die Eckpunkte eines Kontinuums – im konkreten Unterricht sind stets auch Zwischenformen und Übergänge denkbar. Darüber hinaus lassen sich die beiden beschriebenen Verfahren ergänzen: durch isoliertes, eingebettetes oder kombiniertes Training von Lerntechniken und Arbeitsstrategien (Dubs, 2009, S. 261). Beim isolierten Training werden eigenständige Unterrichtseinheiten zur Förderung bestimmter Techniken und Strategien eingeschaltet, wie sie in manchen Lehrplänen bereits vorgesehen sind. Beim eingebetteten Strategie- und Kompetenztraining wird in den Lehrplänen ausgeführt, welche Kompetenzen mit welchen Inhalten oder Leistungszielen in Verbindung gebracht werden können. Natürlich lassen sich die verschiedenen Formen bei der Gestaltung konkreten Unterrichts auch mischen.
VORTEILE | NACHTEILE | |
Direktes Vorgehen | - Die Lehrperson zeigt direkt auf, wie die einzelnen Ressourcen miteinander verbunden werden können.- Einzelne Ressourcen können ganz gezielt und bewusst aufgebaut werden.- Zeitnahes Feedback durch die Lehrperson vor allem bei den ersten Anwendungen einer Strategie. | - Die Lernenden wenden die vermittelten Ressourcen schematisch oder mechanisch an, ohne dass sie auf ihr individuelles Vorwissen Bezug nehmen müssten.- Lernende, die bereits über ein Bündel von gut funktionierenden Ressourcen verfügen, können bei der Anwendung der neuen, expliziten Ressourcen verunsichert werden oder sich langweilen. |
Indirektes Vorgehen | - Dank der vertieften Auseinandersetzung mit dem Problem erkennen die Lernenden selbst, welche Ressourcen sie noch entwickeln oder erweitern müssen. | - Wenn die Lernenden über wenig Vorwissen verfügen, können sie nur wenige Ressourcen selbst mobilisieren. Sie sind vielleicht überfordert oder verunsichert. |
Tabelle 2: Wesentliche Vor- und Nachteile des direkten und des indirekten Vorgehens (nach Dubs, 2009, S. 262)
Welches Vorgehen kommt wann zum Zug? In einer Klasse von Lernenden, die über wenig Vorwissen verfügen, werden wir zunächst den direkten oder gelenkten Weg einschlagen, aber immer mit dem Ziel, zum indirekten Vorgehen zu wechseln, sobald die Lernenden dazu bereit und motiviert sind. Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Haltung der Lehrperson. Die Lernenden sind eher dazu bereit, sich gezielt auf die Förderung von Kompetenzen einzulassen, wenn die Lehrperson sinnvolle Aufgaben und Probleme stellt und immer wieder darauf achtet, die Lernenden in diesem Prozess sorgsam zu begleiten. Zudem entscheiden bei den Lernenden motivationale Faktoren, ob sie überhaupt dazu bereit sind, ihre Lern- und Arbeitsgewohnheiten anzupassen (vgl. dazu die Ausführungen auf Seite 18).
Stellenwert der Methoden im AVIVA-Modell
Was verstehen wir unter «Methoden»? Unterrichtsmethoden sind, wie Hilbert Meyer (2005, S. 45) schreibt, «Formen und Verfahren, in und mit denen sich Lehrer und Schüler die sie umgebende natürliche und gesellschaftliche Wirklichkeit unter institutionellen Rahmenbedingungen aneignen». Bezogen auf den kompetenzorientierten Unterricht nach AVIVA bedeutet dies, dass durch den Einsatz von Methoden gezielt Situationen geschaffen werden, die möglichst viel mit der natürlichen und gesellschaftlichen Wirklichkeit zu tun haben. In diesen Lehr-Lern- Arrangements unter den institutionellen Rahmenbedingungen von Unterricht können sich die Lernenden Ressourcen aneignen oder die bereits erworbenen Ressourcen in noch wenig bekannten Feldern anwenden.
Bei der Planung von Unterricht stellt die Lehrperson aber nicht die methodischen Settings in den Vordergrund, sondern überlegt sich zuerst, welche Ressourcen aufgebaut und gefördert werden sollen. Bei der Ressource «Wissen» erstellt sie eine inhaltliche und thematische Struktur (Städeli & Caduff, 2019, S. 32–39) und denkt darüber nach, mit welchen Ressourcen aus den Bereichen «Fertigkeiten» und «Haltungen» die entsprechenden Inhalte verbunden werden können – dies natürlich in Übereinstimmung mit den Zielen, die in den Lehrplänen vorgegeben sind. Unterrichtsziele, -inhalte und -methoden stehen immer in Wechselwirkung zueinander.
Wir dürfen also unsere methodischen Vorbereitungsarbeiten und unser methodisches Handeln einerseits nie von den Inhalten und Zielen abkoppeln. Die Wahl der Methode ist zugleich eng mit dem vorgegebenen Inhalt verwoben. Man kann ja nicht über nichts unterrichten, wie es Terhart (2009) postuliert. Im Unterricht werden über das methodische Handeln der Lehrperson und der Lernenden stets auch inhaltliche Strukturen – Wissen – aufgebaut: Eine Methode ohne Inhalt, das wäre, bildlich gesprochen, wie Stricken ohne Wolle.
Mit jeder Methode erwerben die Lernenden bei der Umsetzung Strategien, die sie befähigen, in Zukunft vergleichbare Situationen zu meistern. Als Strategien bezeichnen wir die komplexen Vorgehensweisen bei der Lösung einer Aufgabe oder der Bearbeitung eines Problems (Wild, Hofer & Pekrun, 2006, S. 245).
1.2.2Die Innensicht – Ressourcen und Strategien
Mit Innenseite meinen wir die Aktivitäten der Lernenden, die Art und Weise, wie sie Inhalte, Ziele und Vorgehensweisen miteinander verknüpfen, wie sie also durch Aufgaben- und Problemstellungen Ressourcen aufbauen und einsetzen müssen, um das vorgegebene Ziel zu erreichen, kurz: wie sie lernen (Abbildung 3, Kreis 2).
Lernen – auch schulisches Lernen – ist ein komplexes Geschehen, dessen wesentliche Aspekte (Reinmann-Rothmeier & Mandl, 2006; Reusser & Reusser-Weyeneth, 1994) im Unterricht immer berücksichtigt werden müssen:
1.Lernen ist ein aktiver Prozess, an dem die Lernenden selbst maßgeblich beteiligt sind. Sie müssen Lernmotivation und ein situatives Interesse entwickeln.
2.Lernen ist ein selbstgesteuerter Prozess. Die Lernenden sind für die Steuerungs- und Kontrollprozesse selbst verantwortlich, wobei das Ausmaß ihrer Beteiligung beim direkten oder beim indirekten Vorgehen variiert. Lernen ohne jegliche Selbststeuerung ist nicht denkbar.
3.Lernen ist ein konstruktiver Prozess und baut immer auf vorhandenen Ressourcen auf. Ohne entsprechenden Erfahrungs- und Wissenshintergrund und ohne eigene «Aufbauleistung» finden keine nachhaltigen kognitiven Prozesse statt.
4.Lernen ist ein situativer Prozess, der stets in spezifischen Kontexten erfolgt. Situationen ermöglichen die konkreten Lernerfahrungen und liefern einen Interpretationshintergrund für die Bewertung der Ressourcen.
5.Beim Lernen sind die emotionalen Prozesse von großer Bedeutung. Viel Einfluss haben die leistungsbezogenen und sozialen Emotionen (wie Freude), vor allem auch im Hinblick auf die Motivation.
6.Last but not least ist Lernen auch ein sozialer Prozess. Lernen geschieht häufig in der sozialen Interaktion und am Modell – wobei keineswegs nur Ausbilderinnen und Ausbilder das Modell sein müssen – sehr oft übernehmen auch die Peers diese Rolle, die Gleichaltrigen, die Mitlernenden.
Beim Lernen kommen ferner verschiedene Strategien zum Zug: kognitive und metakognitive Strategien, über die jemand verfügt, aber selbstverständlich auch motivationale Strategien. Ganz bewusst sprechen wir in diesem Zusammenhang von Strategien – es geht um komplexe Denk- und Arbeitsweisen und nicht um bloße Techniken. Strategien werden mit Absicht und gezielt eingesetzt; sie werden in ihrer Wirksamkeit kontrolliert und bei Bedarf angepasst.
Diese drei Strategie-Komponenten (Boekaerts, 1999) fügen sich schichtartig übereinander (Abbildung 4).
Abbildung 4: Das Drei-Schichten-Modell des Lernens
Die kognitiven Strategien bilden die innerste Schicht des Zwiebel-Modells: Unter kognitiven Strategien verstehen wir all jene Prozesse, die unmittelbar mit der Aufnahme, Verarbeitung und Speicherung von Information zu tun haben. Dabei unterscheiden wir Oberflächenstrategien, die hauptsächlich auf Reproduktion von Wissen ausgerichtet sind – etwa auswendig lernen, einen Text mehrmals lesen und sich den Inhalt einprägen –, und Tiefenstrategien, die man einsetzt, wenn man die zu erlernenden Inhalte wirklich verstehen, Wichtiges von Unwichtigem trennen oder Zusammenhänge aufdecken will. Wenn die Lernenden an den Inhalten interessiert sind und das Erarbeitete mit den eigenen Erfahrungen in Verbindung bringen können, dann besteht die Chance, dass sie sich nicht auf oberflächliches Lernen beschränken, sondern der Sache auf den Grund gehen wollen und Tiefenstrategien einsetzen.
Mit metakognitiven Strategien steuern die Lernenden ihr Lernen selbst. Sie können zum Beispiel Ziele formulieren, selbstständig eine Gliederung erstellen, mögliche Stolpersteine vor der Ausführung der Arbeit erkennen und sich selbst kontrollieren, aber auch abschätzen, was nötig ist, um möglichst ökonomisch zu arbeiten.
Zentral für den Lernerfolg ist die äußerste Schicht der Zwiebel, die Motivation. Darunter verstehen wir die Bereitschaft der Lernenden, sich auf den Weg zu machen und auch in schwierigen Situationen nicht aufzugeben. Ob eine Lernende oder ein Lernender sich gut motivieren kann, hängt unter anderem davon ab, ob sie oder er sich selbst realistische Ziele zu setzen vermag und ob es so möglich wird, die eigene Stimmung positiv zu beeinflussen, das eigene Interesse am Thema zu wecken, zu erhalten und sich Erfolgserlebnisse zu verschaffen (Metzger, 2008, S. 15–18). Motivation ist der Wille, sich in einer konkreten Lernsituation intensiv und ausdauernd mit einem Gegenstand auseinanderzusetzen (Wild, Hofer & Pekrun, 2006). Im Unterricht ist in diesem Sinn namentlich das Bedürfnis nach Selbstwirksamkeit, nach Autonomie und sozialer Eingebundenheit (Zughörigkeit, Wohlfühlen, Sicherheit, Unterstützung) wirksam. Dass solche Bedürfnisse im Unterricht befriedigt werden, ist die Grundbedingung für ein produktives und subjektiv bedeutsam erlebtes Lernen (Messner, Niggli & Reusser, 2009, S. 154).
Welche Strategien die Lernenden im Unterricht anwenden, hängt zu einem guten Teil von der Gestaltung des Unterrichts durch die Lehrperson ab. Die Lernenden werden tiefen- und metakognitive Strategien eher dann einsetzen, wenn sie im Unterricht gefordert und gefördert werden.
Gefordert werden sie, wenn ihnen anspruchsvolle und anregende Aufgaben zur Bearbeitung vorliegen, die sie nur durch den Einsatz von Tiefenstrategien bearbeiten können. Lernende haushalten in der Regel mit ihren Kräften. Deshalb müssen sie in Situationen gebracht werden, die sie nur durch den Einsatz von metakognitiven Strategien bewältigen können.
Gefördert werden die Lernenden dann, wenn die Lehrperson ihnen gezielte Rückmeldungen gibt, wie gut sie durch den individuellen Einsatz von Ressourcen und persönliches Engagement Fortschritte erzielen konnten, und wenn die Lehrperson ihren Unterricht immer wieder nach dem direkten oder indirekten Verfahren variieren kann.
Aus diesem Begriffsverständnis leiten wir folgende Schlussfolgerungen ab:
Ein kompetenzorientierter Unterricht ist ausgerichtet auf die Entwicklung …
–von kognitiven Strategien,
–von metakognitiven Strategien,
–und von motivationalen Strategien.
Durch anspruchsvolle und anregende Aufgaben und den Einsatz von Methoden, die den Aufbau bestimmter Ressourcen unterstützen, tragen wir viel dazu bei, dass die Lernenden ihr Lernen und Arbeiten selbst in die Hand nehmen und künftige Herausforderungen in Arbeit und Beruf – dank gezieltem Einsatz von Ressourcen – bewältigen können.
1.3Unterrichten mit AVIVA – vier Vorteile
Kompetenzorientiert unterrichten bedeutet, die fünf Phasen nach dem AVIVA-Modell bei der Planung und Durchführung des Unterrichts stets sorgfältig zu beachten, den Lernenden den Weg mit verschiedenen Methoden – mehr oder weniger strukturiert, je nach den Voraussetzungen der Lernenden – vorzugeben und sie durch die Wahl der Methoden in Situationen zu versetzen, die sie nur durch den klugen Einsatz von Ressourcen meistern können. Der gezielte (und kreative) Einsatz von geeigneten Ressourcen selbst ist dann das, was wir als (Lern-) Kompetenz bezeichnen könnten. Das AVIVA-Modell bringt somit die wesentlichen Elemente eines gut strukturierten, kompetenzorientierten Unterrichts in einen praxisgerechten und klaren Ablauf. Daraus lassen sich vier Vorteile ableiten:
Das AVIVA-Modell verschafft Klarheit.
Wie bedeutsam das Merkmal «Klarheit der Lehrperson» für die Unterrichtsqualität ist, zeigen die Befunde aus der Studie Visible Learning von John Hattie. Es erreicht mit einer Effektstärke von 0.75 einen sehr hohen Wert und führt zu einer deutlichen Steigerung der Lernleistungen. Klarheit bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die Lehrpersonen alle Planungsschritte im Hinblick auf die Ziele, Inhalte, Methoden und Medien benennen, begründen und beispielhaft darlegen können kann (Hattie & Zierer, 2016, 47–48).
Das AVIVA-Modell ist ein Koordinationsinstrument.
Ein Unterricht, der nach dem AVIVA-Modell geplant und durchgeführt wird, ist auch von außen beobachtbar und beschreibbar. Kolleginnen und Kollegen, die den Unterricht besuchen, können ihre Beobachtungen nach drei Aspekten gliedern: Phasen nach AVIVA, Aktivität der Lehrperson, Aktivitäten der Schülerinnen und Schüler. Die aufgeführten Kriterien ermöglichen es allen Beteiligten, den Unterricht zu analysieren, um daraus Optimierungsmöglichkeiten abzuleiten.
Das AVIVA-Modell ist Analysemittel und Orientierungsraster zugleich.
Mit AVIVA hat die Lehrperson ein Analysemittel zur Hand, das ihr zeigt, welche Ressourcen in welcher Phase mit welchen Methoden sinnvoll aufgebaut werden. Es werden also nicht beliebig Ressourcen aufgebaut und Kompetenzen gefördert; beides steht vielmehr in einem direkten Zusammenhang mit den Inhalten (vorgegeben durch die verschiedenen Phasen) und der Art und Weise, wie die Lehrperson die Inhalte vermittelt.
Mit dem AVIVA-Modell lässt sich selbstverantwortetes Lernen fördern.
Wenn die Lehrperson den Lernenden das AVIVA-Modell erklärt, wird es ihnen besser gelingen, Ressourcen systematisch und gezielt aufzubauen und ihr Lernen zunehmend selbst zu steuern, also kompetente, selbstverantwortliche Lerner zu werden.
In den folgenden Kapiteln stellen wir die fünf Phasen nach dem AVIVA-Modell näher vor und zeigen, mit welchen Methoden die Lehrperson die Lernenden gezielt dazu anregen kann, bestimmte Ressourcen und Strategien aufzubauen. Bei den aufgeführten Methoden handelt es sich selbstverständlich nur um eine Auswahl. Jede Lehrperson kann und muss ihr Methodenrepertoire ihren Lernenden, dem Fach und den persönlichen Kompetenzen anpassen.