Читать книгу müllersches volksbad - Markus Seidel - Страница 5
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ОглавлениеMit dem Buch von Krumbiegel setzte ich mich wieder auf das Sofa. Bis zum nächsten Tag musste die Kritik geschrieben sein. Es lagen noch vier Kapitel vor mir, sechzig Seiten. Nach einem weiteren schauderhaften, kurzen Kapitel blätterte ich vor und las den Rest bloß noch flüchtig und quer, alle vier oder fünf Seiten ein paar Zeilen, gelegentlich sogar einen ganzen Absatz. Das genügte. Selbst der Schluss des Romans war dann eine witzlose Trostlosigkeit. Ich hatte es nicht anders erwartet. Fast war ich beruhigt darüber. Ich setzte mich an meinen Computer und fing an zu schreiben. Krumbiegel hatte keine Schonung verdient. Es gab genügend Leute, die ihn schätzten. Die ihn hymnisch lobten. Ich würde nicht auf ihn hereinfallen.
Zwei Stunden später war die entsprechende Kritik geschrieben. Ich hatte ordentlich vom Leder gezogen. Zufrieden druckte ich den Text aus, las ihn zweimal laut und verabredete mich für den Abend mit einem Praktikanten aus meiner Redaktion, einem kahlrasierten, schmallippigen Germanistikstudenten mit immerschmutzigen Fingernägeln. Ein ehrgeiziger Bursche. Seinen Namen hatte ich vergessen. Hatte ich ihn eigentlich je gewusst? Egal.
Im Laufe des darauf folgenden Tages probierte ich es erneut bei Alexander, einmal, zweimal, dreimal, ohne Erfolg. Auch am zweiten Tag erreichte ich ihn nicht. Bei Ulrike ging niemand ans Telefon. Ein Anruf in ihrer Werkstatt ergab, dass sie im Urlaub und erst in zwei Wochen wieder erreichbar sei. Wohin sie denn gefahren sei, erkundigte ich mich. Man wisse es nicht so genau. Aus dem Hintergrund hörte ich jemand rufen: Mutter, verstand ich, und: Karlsruhe. Sie sei also bei ihrer Mutter in Karlsruhe? - Gut möglich, man müsse jetzt Schluss machen, es gäbe viel zu tun. - Gut möglich? Ja oder nein?, fragte ich, das müsse ich jetzt schon wissen, es sei dringend. Gut möglich, wiederholte man trotzig. - Ob man mir jetzt bitte noch die Nummer der Mutter geben könne?! Ich sei die Schwester des Freundes der Chefin, sprich Ulrike, es sei wirklich dringend. - Und er sei der Cousin der Freundin des Schwagers der Mutter, hörte ich. Offenbar ein Witzbold. Im Hintergrund hörte ich ein Lachen. Ich lachte nicht. Dann war das Gespräch plötzlich beendet. Ich starrte verdutzt auf den Telefonhörer und drückte dann auf Wahlwiederholung, es erklang das Besetztzeichen. Ich wartete eine halbe Minute und versuchte es noch einmal. Besetzt. Ich wartete eine weitere Minute und wählte die Nummer ein drittes Mal. Diesmal endlich das Freizeichen. Niemand nahm ab, nur der Anrufbeantworter schaltete sich ein. Ich hinterließ keine Nachricht.
Ulrike war also bei ihrer Mutter in Karlsruhe. Was bedeutete das? Ich konnte mir keinen Reim darauf machen, rief bei der Telefonauskunft an, fragte nach der Nummer von Frau Bach, Ulrikes Mutter, deren Vornamen ich nicht kannte, es gab vierundzwanzig Bachs in Karlsruhe. Ich ließ es bleiben. Zwischendurch meldete sich zweimal dieser Paul, um sich nach dem Stand der Dinge zu erkundigen. Er ging mir allmählich auf die Nerven. Seine Sorge hatte etwas Hysterisches. Ich fragte ihn nach dem Vornamen von Ulrikes Mutter, er stutzte und wollte wissen, wozu ich den jetzt bitte bräuchte. Ich sagte es ihm, natürlich hatte er keine Ahnung. Ich fragte ihn nach den Freunden von Alexander, vielleicht konnten die mir weiterhelfen. Zwecklos, er habe sie schon allesamt kontaktiert, leider ohne Erfolg, wie er meinte. Natürlich könne ich es gern auch selbst noch einmal versuchen. Ich dachte an das letzte Telefonat mit Ulrikes Werkstatt und lehnte ab. Dieser Paul, musste ich konstatieren, wusste nicht wirklich viel. Bis zum späten Nachmittag versuchte ich es weiter bei Alexander, dann gab ich es auf. Ich rief zunächst einen befreundeten Arzt an, damit er mir eine Krankmeldung schrieb, dann meinen Chef, erzählte ihm etwas von schwerer Erkältung und nieste dreimal hintereinander erbärmlich und geräuschvoll direkt ins Telefon. Kurbald legte dann eilig wieder auf, als könne er sich fernmündlich bei mir anstecken. Ich musste nach München. Schließlich hatte ich es versprochen. Wahrscheinlich war alles ohnehin nichts weiter als ein einziges großes Missverständnis.