Читать книгу Sie Sagen Es - Markus Seifert - Страница 7
02 - Ich will ehrlich zu Ihnen sein
ОглавлениеEs ist Donnerstagabend. Sie sitzen mit Ihrer Frau auf der Couch und begutachten die Unterlagen vor sich. Heute ist Ihr Versicherungsberater bei Ihnen. In den vergangenen neunzig Minuten hat er Sie über die Notwendigkeit eines umfassenden Versicherungsschutzes aufgeklärt. Hausrat, Haftpflicht, Ausbildungsversicherung für Ihre kürzlich geborene Tochter, Rentenversicherung, Sterbegeldversicherung, Rechtschutzversicherung – das ganze Programm. Sie sehen sich einem Berg von Unterlagen gegenüber. Ihre Köpfe rauchen. Fachtermini und Zahlen in den unterschiedlichsten Höhen schwirren umher. Alles hört sich soweit gut an, und doch haben Sie nun noch eine Frage. „Wie viel bekomme ich denn am Ende der Laufzeit meiner Rentenversicherung ausbezahlt?“
Ihr Berater - wobei er das erste Mal in Ihrem Wohnzimmer sitzt und Sie noch nicht wissen, ob das wirklich Ihr Berater wird – beugt sich ein wenig über den Tisch. Ein theatralisches Umsehen, ob auch wirklich niemand zu hört, und mit leicht gesenkter Stimme sagt er dann: „Ich will ehrlich zu Ihnen sein! Ganz so genau kann man das nie sagen, aber wenn Sie…“
Wenn Sie an diesem Tag unterschrieben haben, wünsche ich Ihnen von ganzem Herzen nur das Beste. Abgesehen einmal davon, dass dieser fiktive Versicherungsberater so einiges falsch gemacht hat, war seine absolute Glanzleistung die geheimnisumwobene Aussage, dass er ehrlich zu Ihnen sein möchte.
Ich nehme es zurück. Wenn Sie bei diesem Berater jemals einen Antrag unterzeichnen sollten, dann ist Ihnen nicht zu helfen.
Wie sieht es mit dieser Situation aus? Sie sind einkaufen. Nach dem Bezahlen kommen Sie auf dem Weg zum Ausgang an einem dieser Werbestände vorbei. Der neueste Telefontarif, den es derzeit auf dem Markt gibt, wird hier geboten. Mit Familienflat und Fernsehsender bis zum Abwinken. Hier und jetzt, für Sie, für sage und schreibe Null Euro. Ja, richtig gehört! Sie zahlen nichts, rien, nothing, intet, nic, nada, absolut - rein - gar - nichts! Der Verkäufer erzählt Ihnen die Vorteile und zeigt Ihnen, dass der Wechsel von Ihrem jetzigen auf den neuen Anbieter ohne Probleme möglich ist. Sie brauchen nicht einmal neue SIM-Karten für Ihre Mobilgeräte; alles läuft für Sie einfach so weiter. Sie fragen nach und der Verkäufer versichert Ihnen das eben Gesagte noch einmal.
„Aber, es muss doch einen Haken geben!“, sagen Sie zu Recht ein wenig misstrauisch.
Da nimmt Sie der Berater ein wenig bei Seite und sagt: „Wenn ich ehrlich bin, dann werden natürlich Anschlussgebühren in Höhe von 50 Euro fällig! Aber die übernehme ich für alle Schnellentschlossenen, wie Sie einer sind, die sich heute, hier und jetzt dazu entschließen, dieses unschlagbare Angebot in Anspruch zu nehmen!“
Kleiner Rat gefällig? Laufen Sie! Nehmen Sie Ihren Einkaufswagen und Ihre Familie in die Hand und laufen Sie, so schnell Sie können.
Und zum Schluss noch ein Baumarkt-Klassiker: Sie sehen sich einige Elektrogeräte an. Sie interessieren sich für einen Bohrhammer. Und es sind mittlerweile nur noch zwei Anbieter in Ihrer engeren Auswahl. Das eine Gerät ist ein robustes, schweres Gerät und man kann es durchaus auch als hochpreisig ansehen. Der Hersteller ist ein renommiertes, in Deutschland ansässiges Unternehmen. Das andere Gerät ist im Vergleich von der Leistung her nicht wesentlich schwächer aufgestellt. Es ist ein wenig leichter, handlicher und als Hausmarke des Baumarktes auch noch gut dreihundert Euro preiswerter.
Sie nehmen immer wieder erst das eine und dann das andere Gerät in die Hand, lesen die Kennzahlen und wiegen in Gedanken die Notwendigkeit der Anschaffung ab. Das erste Gerät ist natürlich Ihr Favorit. Ein Gerät für echte Männer. Grunz.
Aber Sie haben auch eine Frau, die nicht ganz zu Unrecht fragen wird, ob es wirklich dieses Gerät sein muss. Sie wissen es selber. Es müsste nicht sein. Aber die Maschine ist schon ein heißes Gerät. Durch Zufall stößt ein Verkäufer auf Sie und fragt, ob er behilflich sein könnte. Sie erzählen ihm kurz Ihre Überlegungen und erwähnen auch Ihre Frau, und dass sie durchaus auch ein Grund dafür ist, warum Sie sich nicht entscheiden können.
„Ich verstehe!“, zwinkert Ihnen der Verkäufer verständnisvoll und auch fast mitleidig, zu. „Ich sage immer, wer an Qualität spart, zahlt immer zweimal! Ist leider so. Ihre Frau hat Recht. Die erste ist teurer, aber sie ist auch unschlagbar. Damit gehen Sie in Beton wie ein heißes Messer in Butter! Und ganz ehrlich? Ich habe mir dieses Monster auch zugelegt. Und was soll ich sagen? Seit 5 Jahren ohne Probleme! Und ich benutze das Ding wirklich oft!“
Drei Szenarien, drei Aussagen, drei Unwahrheiten! Haben Sie sie entdecken können? Sind Ihnen die drei Aussagen auch sofort aufgestoßen? Ich bin mir sicher. Sie werden den Braten schon von Weiten gerochen haben. Aber wie steht es mit Ihnen? Benutzen Sie auch diese Phrasen? Nur zur Erinnerung: es ist egal, ob privat oder geschäftlich.
Was hat Ihnen der Versicherungsberater gesagt? Er will ehrlich zu Ihnen sein? Er möchte Sie in diesem heiklen Moment des Abends nicht belügen? Das hat er doch gesagt, oder? Was hat er also dann die neunzig Minuten davor getan? Ist er überhaupt ein Versicherungsberater?
Und die Telefongeschichte? Wenn er ehrlich ist? Wirklich? Also für den Fall, dass er ehrlich ist, bezahlt er die Anschlussgebühren für Sie? Das bedeutet ja, dass Sie durchaus damit rechnen dürfen, die Grundgebühren doch aus eigener Tasche zu bezahlen. Und wie wahrheitsgetreu ist dann tatsächlich seine Beteuerung gewesen, dass Sie keinerlei Änderungen wahrnehmen werden? Denn er sagte ja, dass alles für Sie einfach so weiter laufen würde.
Kommen wir zum Baumarktverkäufer. Ja, ich gebe zu, es ist durchaus möglich, dass er sich das teurere Gerät zugelegt hat. Ich weiß aber auch aus guter Quelle, dass dies eine beliebte Verkaufsphrase ist. Und ganz ehrlich? Warum sollte er das so betonen? Sagt er doch nicht die Wahrheit? Wenn ich darüber nachdenke, kommen in mir Zweifel auf. Vielleicht sollten Sie doch vorher noch einmal mit Ihrer Frau absprechen, ob es der teure Bohrhammer werden dürfte.
Welche Wörter sind es also, die uns aufhorchen lassen sollten? Die drei aus den Beispielen sind klar. Und dann gibt es da noch: ehrlich gesagt, ganz unter uns gesagt, offen gestanden, wirklich, tatsächlich, ehrlich, ganz im Vertrauen. Kommen Ihnen einige der Floskeln bekannt vor?
Stellen Sie sich die Frage, warum ein Mensch, der ehrlich ist, seine Ehrlichkeit besonders hervorheben muss? Selbst wenn er es tatsächlich so meint, er also damit seine Ehrlichkeit nur noch einmal betonen möchte, ist das in keiner Weise ein kluges Vorgehen. Diese Wörter und Wortkombinationen sind unnötiger Ballast und können eher schaden als nutzen.
Ein gut gemeinter Rat oder ein absolut ehrliches Beratungsgespräch können innerhalb von wenigen Augenblicken zu Staub zerfallen, und nichts wird diesen Vorgang rückgängig machen können.
Vergessen Sie also diese Sätze. Wenn Sie ehrlich sind, brauchen Sie nicht „ganz ehrlich“ sein. Ein Mensch, der nichts zu verschweigen hat, muss seine Unschuld auf diese Weise nicht beteuern.