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Die Kleine für die Hosentasche
ОглавлениеWer nur ab und zu im Urlaub oder auf Familienfeiern fotografieren will, entscheidet sich meist für eine digitale Kompaktkamera. Die ist klein, handlich und zudem noch günstiger als eine Systemcam oder DSLR. Doch sind das die einzigen Unterschiede? Die Antworten finden Sie in diesem Abschnitt
Beim Kauf einer neuen Kamera steht der Anwender zunächst einmal vor einer wichtigen Grundsatzentscheidung. Soll es eine teure DSLR werden, eine schicke Systemkamera oder eine praktische Kompaktkamera, die je nach Modell schon für deutlich unter 100 Euro zu haben ist. Vor allem Gelegenheitsfotografen entscheiden sich dann in der Regel für eine digitale Kompaktkamera. Zum einen aufgrund des günstigeren Preises, zum anderen aber auch deshalb, weil sie vielen praktischer erscheint. Man steckt unterwegs einfach in die Hosentasche und nimmt sie bei Bedarf heraus. Das ist zugegebener Maßen deutlich komfortabler, als eine DSLR ständig um den Hals baumeln zu haben. Für dieses Preis- und Bauformvorteil müssen Anwender jedoch mit Qualitätseinbußen rechnen – so zumindest lautet die gängige Meinung. Doch stimmt das überhaupt? Und wenn ja: Woran liegt das?
1. Komplizierter Aufbau
Digitale Kompaktkameras verdanken wie ihre analogen Vorgänger ihren Namen ihrer Bauform. Aktuelle Modelle sind kaum größer als eine Zigarettenschachtel – und zugleich häufig auch noch deutlich schmaler. Um solch eine Bauform zu erreichen, müssen die Hersteller bei der Produktion tricksen. Anders als bei System-, Prosumerkameras und DSLRs verschwindet das Objektiv im Ruhezustand komplett im Kameragehäuse. Das klingt zunächst wenig spektakulär, ist aber eine große technische Herausforderung, wenn man bedenkt, dass aktuelle Modelle trotzdem ein optisches 5fach, 7fach oder sogar 10faches Zoom mitbringen. Über Gewindelösungen fährt solch ein Objektiv dann mehrere Zentimeter weit aus. Manche Hersteller setzen auf Lösungen, bei denen die Linse im Gehäuse fest verbaut und das Objektiv inneliegend ist. Diese Technik wird vor allem dann eingesetzt, um Kameras möglichst komplett wasserdicht zu bekommen. Outdoor- und Unterwasserkameras sind also häufig in dieser Form aufgebaut.
Typisch für die meisten Kompaktcams: Bei dieser Nikon Coolpix S3500 verschwindet das Objektiv im Ruhezustand komplett im Gehäuse Foto: Nikon
2. Kleine Sensoren
Die kompakte Bauform der Kameras sorgt dafür, dass der Platz im Inneren natürlich begrenzt ist. Optische oder elektronische Sucher findet man bei Kompaktkameras fast nie, stattdessen füllt fast die komplette Rückseite der Cam ein LCD-Monitor, der zur Motivauswahl und Bildkontrolle dient. Auch im Inneren gibt es im Vergleich zu DSLRs deutliche Unterschiede – in Form eines deutlich kleineren Bildsensors. Standardgröße ist hier das Format 1 / 2,3 Zoll, während Sensoren von DSLRs teilweise 12fach so groß sind. Um das zu verdeutlichen: 1 / 2,3 Zoll entspricht einer effektiven Größe des Sensors von 6,2 x 4,6 Millimetern. Der bei vielen Systemkameras verbaute Four Thirds – Sensor weist 17,3 x 13,0 mm auf - Canon-DSLRs mit APS-C-Format kommen sogar auf 22,2 x 14,8 mm. Übrigens: Während bei Systemkameras und DSLRs auf CMOS-Sensoren gesetzt wird, werden bei fast allen Kompaktkameras CCD-Sensoren verbaut – nur in wenigen Modellen wie der Canon Ixus 255 HS findet man auch in diesem Segment CMOS-Sensoren.
3. Problem: Bildrauschen
Schaut man sich die maximale Bildauflösung an, gibt es zwischen den Kameraklassen keine nennenswerten Unterschiede. Im Kompaktkamerabereich gibt es ebenso wie bei Systemcams und DSLRs Modelle mit 12,16 und sogar 20 Megapixeln. Ist also der vermeintliche Qualitätsunterschied zwischen den Kameraklassen nur ein Märchen? Dies lässt sich aus der Zahl der Megapixel nicht ableiten. Stattdessen ist der wesentlich wichtigere Wert die Größe des verbauten Bildsensors. Wie man sich leicht ausrechnen kann, ist der Platz, den ein einzelner Pixel auf dem Chip hat, bei einer Kompaktcam deutlich kleiner, wenn die Megapixelzahl identisch, der Bildsensor aber unterschiedlich groß ist. Daraus resultiert indirekt eine schlechtere Bildqualität. Je weniger Platz die Pixel nämlich haben, desto weniger Licht können sie aufnehmen. Bei höheren ISO-Werten, die die Kameraautomatik bei Innenaufnahmen, Fotos in der Dämmerung und nachts einstellt, führt dies zu deutlich sichtbarem, störendem Bildrauschen. Während Sie bei Aufnahmen im hellen Tageslicht also keine Probleme bekommen, schadet Ihnen die hohe Megapixelanzahl einer Kompaktkamera bei schlechten Lichtverhältnissen also eher, anstatt dass sie Ihnen nutzt.
4. Zu langsam für Bewegung
Eine weitere typische Schwäche von Kompaktkameras wird all denen zwangsläufig auffallen, die schon einmal mit einer DSLR oder einer Systemcam zum Vergleich fotografiert haben: die Geschwindigkeit des Autofokus. Kompaktkameras kommen immer dann ins Trudeln, wenn sich Objekte oder Personen bei einem Motiv bewegen. Dann nämlich braucht der Autofokus zu lange um scharf zu stellen. Sportfotos mit gehobenem Anspruch sind so beispielsweise mit einer Kompaktkamera völlig unmöglich. Doch nicht nur das: Mit vielen Modellen wird es sogar schwierig, spielende Kinder scharf abzubilden. Die häufig als Schnappschusskamera titulierte Kompaktkamera ist also für eine Art von Foto alles andere als geeignet: für einen Schnappschuss!
5. Gute „Tagesergebnisse“
Während Kompaktkameras in den Segmenten „schlechte Lichtverhältnisse“ und „Bewegung“ traditionell Probleme bekommen, liefern sie bei Landschafts- und Architekturaufnahmen durchaus gute Qualität. Immer dann, wenn mit einer hohen Schärfentiefe fotografiert werden soll, die Lichtverhältnisse gut sind und sich kein Motiv bewegt, müssen sich die kleinen Kameras vor ihren großen Verwandten nicht verstecken. Anders sieht es jedoch aus, wenn Sie mit einer geringen Schärfentiefe fotografieren wollen: beispielsweise, um Porträts vor einem unscharf gestellten Hintergrund aufzunehmen. Hier scheitern Sie mit einer Kompaktkamera gleich aus mehreren Gründen. Um mit einer geringen Schärfentiefe fotografieren zu können, müssen Sie mit einer offenen Blende fotografieren, um viel Licht auf den Sensor fallen zu lassen. Je offener die Blende ist, desto geringer ist die Schärfentiefe. Fotografen steuern bei einer DSLR und einer Systemkamera die Schärfentiefe, indem Sie den Blendenwert (offene Blende = kleiner Blendenwert) manuell vorgeben. Das ist bei Kompaktkameras, die alle Einstellungen automatisch vornehmen, meist gar nicht möglich. Doch selbst wenn Sie die Blende einstellen könnten, dürfte Ihnen dies nicht viel nützen, denn die in Kompaktkameras verbauten Objektive sind nicht sehr lichtstark. Die Folge: der kleinste mögliche Blendenwert reicht für Fotos mit unscharfem Hintergrund gar nicht aus. Ausnahmen bestätigen übrigens auch hier die Regel. So bieten einige Kameras wie die Panasonic Lumix LF1 mit einer von Lichtstärke von f/2,0 durchaus lichtstarke Optiken an.
6. Spiel mit der Blende
Auf das gestalterische Spiel mit Schärfe und Unschärfe müssen Kompaktkamerafotografen also leider verzichten, womit man das Ergebnis beim Fotografieren zum großen Teil der Kameraautomatik überlassen muss. Für kreative Fotografen ist eine Kompaktkamera deshalb keine wirkliche Alternative zu einer Kamera mit Wechselobjektiv – und hier versteckt sich ein weiterer entscheidender Unterschied. Bei kleinen digitalen Kompaktkameras müssen Sie mit der Brennweitenspanne auskommen, die Ihnen der Hersteller vorgibt. Mit einer DSLR und einer Systemkamera haben Sie hingegen den Vorteil, falls gewünscht für jede Motivsituation das optimale Objektiv anzulegen – insofern das nötige Equipment vorhanden ist. Das Ergebnis ist nicht nur ein höherer Spielraum, sondern auch eine deutlich bessere Bildqualität, denn kein Objektiv der Welt kann gleichzeitig perfekte Ergebnisse im Weitwinkel- und im Telebereich liefern.
7. Der Automatik vertrauen
Auffällige Unterschiede finden sich auch in den Bedienkonzepten der Kameraklassen. Dass sich Kompaktkameras eher an Einsteiger richten, erkennt man auch daran, dass manuelle Einstellmöglichkeiten fast völlig fehlen. Stattdessen ist die Kameraautomatik das Standardaufnahmeprogramm. In der Regel können die Nutzer ansonsten nur zwischen vordefinierten Motivprogrammen wählen. Beispielsweise einem Porträtmodus, Nachtaufnahmen, Bewegungen, Fotos bei Kerzenschein und ähnlichem. Einige Kameramodelle bieten auch eine „intelligente Automatik“, die selbstständig die Motivsituation analysiert und das passende Motivprogramm auswählt. Bei Kompaktkameras ist also alles darauf ausgelegt, dass der Anwender sich möglichst wenig mit technischen Fragen und manuellen Einstellungen aufhalten muss.
8. Prominente Hersteller
Digitale Kompaktkameras sind nach wie vor die meist verkauften Kameramodelle weltweit. Alle namhaften Hersteller wie Canon, Nikon, Panasonic, Olympus, Sony und Fujifilm bieten nicht nur hochpreisige digitale Spiegelreflex- und Systemkameras an, sondern auch die kleinen Hosentaschenkameras. Die grundlegende Technik zwischen aktuellen Modellen und denen, die vor einigen Jahren auf den Markt kamen, ist dabei meist gar nicht so verschieden. Verändert hat sich lediglich, dass neue Modelle in der Regel auf Touchscreen-Monitore setzen und auf Bedienknöpfe fast völlig verzichtet wird. Damit spart man wiederum Flächen ein und kann wahlweise größere Monitore verbauen oder das Gehäuse schrumpfen. Für die Anwender ist eine Touchscreenbedienung sicherlich bequem – hat allerdings den Nachteil, dass man statt Direktwahltasten sich nun häufig durch ein Menü klicken muss, um Einstellungen zu ändern. Auch der erhöhte Energieverbrauch der Touchscreen-Modelle ist in der Praxis ein Nachteil.
Bei dieser Ixus 210 besteht die komplette Kamerarückseite nur aus einem Touchscreen-Display Foto: Canon
9. Digitale Vorreiter
Während kompakte Modelle in punkto Bildqualität sicherlich nicht die Nase vorn haben, haben sie in anderen technischen Bereichen meist deutlich die Nase vorn. So bieten viele Modelle schon seit Jahren die Möglichkeit, Bilder per WLAN direkt nach der Aufnahme per Mail zu versenden, zu YouTube oder Facebook hochzuladen oder auf weiteren Wegen mit anderen zu teilen. DSLRs hinken in diesem Bereich meist deutlich hinterher. Auch angesagte Fototrends werden in Kompaktcams schnell technisch umgesetzt. So gehört zum Beispiel ein Panoramamodus ebenso zum Standard wie ein Miniaturoptik-Effekt.
10. Entweder, oder?
Trotz aller technischen Weiterentwicklungen sind digitale Kompaktkameras keine wirkliche Alternative zu DSLRs und Systemkameras. Nichtsdestotrotz sind sie bei vielen Anwendern beliebt – einfach, weil sie extrem praktisch sind! Deshalb muss die Frage eigentlich auch nicht lauten: Kompakt, DSLR oder Systemcam, sondern: Kaufe ich mir zu meiner DSLR oder Systemkamera vielleicht noch eine zusätzliche Kompakte? Immer dann, wenn es nämlich auf wenig Gewicht und eine komfortable Transportmöglichkeit ankommt, kann man zur Kompaktcam greifen. Wenn allerdings die optimale Bildqualität und die kreativen Gestaltungsmöglichkeiten ausschlaggebend sein sollen, greift man zur „echten“ Kamera!