Читать книгу Mohnblumen - Markus Szaszka - Страница 5

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Prolog

Schwere Hufe klappern über das Kopfsteinpflaster des ersten Wiener Gemeindebezirkes.

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In den Kaffeehäusern werden Sachertorten mit Schlag verputzt.

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Die untergehende Sonne taucht den wolkenbesetzten Himmel in warme Farbtöne.

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Blaumeisen eilen um die Baumwipfel der Parks.

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Die letzten Touristen werden rechtzeitig zur Sperrstunde aus dem Schlosspark Schönbrunn gebeten.

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Das Riesenrad dreht ein paar letzte Runden vor der Nachtruhe.

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Es ist ein herrlich einfach zu lebender Spätsommerabend.

In einer der prächtigen Altbauten, wo die hohen Decken mit Stuck besetzt sind, gibt eine antike Kaminuhr ihren Geist auf.

Nur kurz sieht Eleonore hinüber, stellt vergnügt fest, dass sie eine weitere ihrer Antiquitäten überlebt hat, und blickt wieder aus dem geöffneten Fenster.

Schade, dass die Zeit dennoch vergeht, huscht ihr durch den Kopf.

»Aber was denk ich nur für dummes Zeug«, murmelt die betagte Dame über sich selbst verwundert. »Als ob ich eine Göre wär. Als ob ich nicht gelebt hätt.«

Jeden Abend sitzt sie in ihrem bequemen Ohrensessel und beobachtet die Gloriette, deren anmutige Umrisse den Horizont schmücken.

Und dann wartet sie auf die ersten Sterne, schwelgt in Erinnerungen oder denkt sich Märchengeschichten aus wie ein Jungspund, der sie im Herzen ja auch geblieben ist.

Welch schöne Erinnerungen trägt die warme Brise an ihr Fensterbrett, an ein langes und ereignisreiches Leben. Freilich nicht von Erschwernissen und Kummer befreit, aber die gehören nun einmal zu einem guten Leben dazu.

»Kannst du es denn glauben. Es ist jetzt schon 59 Jahre her, seit unserem ersten Rendezvous. Damals sind wir durch den Schlosspark geschlendert und haben Eis gegessen. Und dann hast du mich geküsst, vor der Gloriette.«

Eleonore plaudert, als ob ihr Ehemann in seinem Sessel beim Kamin sitzen würde, aber das tut er schon seit einer Weile nicht mehr.

»Und deshalb haben wir diese Wohnung genommen und sie zwei Jahrzehnte abbezahlt, damit wir uns jeden Tag an den Beginn unseres Glücks erinnern konnten.«

Manchmal denkt sie viel über ihre gemeinsame Zeit nach, über ihre ersten Jahre, ihre vielen Höhen und Tiefen, ihre Zweisamkeit.

»Ja, es war ein gutes Leben. Ein vielfältiges Leben. Viel ist passiert. Vieles ist gekommen – und gegangen. Manches zu früh.«

Aber an diesem Abend ist Eleonore nicht nach Erinnerungen zumute. Nach Märchengeschichten schon eher.

Nun, da es beinahe dunkel geworden ist, tauchen weiße Schatten inmitten des Schönbrunner Irrgartens auf. Geister.

»Sieht aus, als ob die Crème de la Crème der Nachtgesellschaft aufgewacht wäre, um einen Spaziergang zu wagen. Wen haben wir denn da? Klimt und Schiele, Beethoven und Brahms, alle sind sie hier und werfen einen Blick auf eine neue Zeit, mit der sie so bestimmt nicht gerechnet haben.«

Eleonore kann sich des Gefühls nicht erwehren, irgendwo einen leisen Walzer vernehmen zu können. Wobei es weniger ein Klang und mehr eine Art Walzer-Gefühl ist. Ferner fragt sie sich, ob es dem Oberkellner des Cafés in der Gloriette ähnlich wie ihr geht, wenn er seinen Blick auf die tonfarbene Dachlandschaft vor ihm hebt.

Was er von dort oben gewiss sieht, das sind nicht nur zahlreiche Kirchtürme, sondern auch das Allgemeine Krankenhaus der Stadt Wien.

Das AKH besteht aus zwei Schwesterbauten, riesenhaften Quadern, die prominent aus dem Stadtbild herausstechen. Zweckmäßige Kolosse der sechziger Jahre.

Damals, als mittzwanzigjährige junge Frau, war sich Eleonore nicht sicher, ob solche Klotze in ein ansonsten jugendstilistisches Umfeld passen würden. Sie weiß es immer noch nicht.

Interessant sehen sie allemal aus, außen wie überdimensionierte Spielzeug-Bausteine, innen wie ein Raumschiff.

Und die Anzahl der Stationen ist derart groß, dass sich zu verlieren ein Leichtes ist. Es gibt unterirdische, wo mit nuklearem Material und Tieren rumhantiert wird. Die ebenerdigen, wo Studenten lernen, Patienten eingeliefert werden und Passanten Lebensmittel einkaufen, zur Post oder der Trafik gehen. Und die vielen darüberliegenden, wo Verunglückte, Kranke und Sterbende nichts sehnlicher möchten, als nach Hause zurückzukehren.

Leonore hat ihr ganzes Leben in Wien verbracht, abgesehen von ein paar kleinen Reisen, und natürlich war auch sie des Öfteren in diesem Gebäudekomplex – aus traurigen, aber auch aus alltäglichen Gründen.

Während eines dieser Besuche hat sie Folgendes für interessant befunden.

Von der Affinität zum Tod, die den Wienern nachgesagt wird, fehlt an diesem Ort jede Spur. Vielleicht deshalb, weil es schwer ist den Tod zu romantisieren, wenn er allzu nahe ist.

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