Читать книгу Fioria Band 2 - Mit Lüge und Wahrheit - Maron Fuchs - Страница 11

Kein leichtes Los

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Nach der Pleite im Versteck der Schattenbringer kehrten wir zur Zweigstelle Windfeld zurück. Meine Laune war im Keller, was die meisten meiner Kollegen nicht verstanden. „Immerhin haben wir ein paar von ihnen verhaftet“, redete der ältere Viktor auf mich ein.

„Und die wichtigsten sind noch frei“, schnaubte ich.

„Bleib cool, Takuto“, riet mir Lasse, der sich an Melodias Schreibtisch lehnte. „Klar, es ist ärgerlich, aber wir sind weiter als vorher, nicht wahr?“

„Wobei uns die Akten aus dem Versteck nichts gebracht haben“, seufzte Jonas deprimiert. „Es waren nur Aufzeichnungen über die beiden Legenden.“

„Klar, die Schattenbringer wollen ja mithilfe der Fiorita an Macht kommen“, antwortete Lasse. „Also brauchen sie das Mädchen aus der Legende.“

„Wir werden Mia Sato vor ihnen finden“, prophezeite Viktor.

Ich zog den Kopf ein und fixierte den Fußboden. Nein, niemand würde mich finden. Und die Schattenbringer würden wahrscheinlich auch nicht mehr versuchen, mithilfe der Fiorita an die Macht zu gelangen. Der Plan war bereits schiefgegangen, auch wenn die anderen Ranger nichts davon wussten.

„Wenn sie überhaupt das Mädchen aus der Legende ist“, warf Melodia ein, um mich zu decken. „Ihr haltet sie ja sogar für eine Verbrecherin, ihr Idioten!“

„Wir wissen, dass sie in der Schulzeit deine beste Freundin war, aber sie arbeitet mit den Schattenbringern zusammen“, entgegnete Riku, wobei mir wieder auffiel, dass er ein wenig lispelte. „Sie ist untergetaucht, war mit diesem Lloyd unterwegs, also steckt sie knietief in den Verbrechen der Organisation.“

Bei solchen Behauptungen konnte ich nicht still bleiben. „Dafür habt ihr überhaupt keine Beweise“, meldete ich mich zu Wort.

„Seht ihr, Takuto versteht mich!“, rief die blonde Technikerin und fiel mir um den Hals. „Er ist der einzige anständige Kerl hier.“

„Darum darf er auch als Einziger mit uns Filmabende machen“, lachte Haru und zwinkerte mir zu. „Nach dem Essen setzen wir uns wieder zusammen.“

Es war erst Nachmittag, bis zum gemeinsamen Abendessen in der Zweigstelle dauerte es noch ein wenig. Wobei mich soeben das ungute Gefühl beschlich, dass ich bis dahin womöglich nicht überleben würde. Lasse, Riku, Genta, Jonas und ein paar andere Ranger starrten mich finster an, weil Melodia mich fest an sich drückte. In ihren Blicken lag keine Freude darüber, dass ich endlich wieder arbeitete, obwohl wir uns eigentlich gut verstanden. Aber sie hielten mich für eine Konkurrenz bei den Technikerinnen ... Dabei waren sie viel zu alt für die beiden! Aus diesem Grund hatte ich immer ein Auge auf Melodia und Haru. Nur zur Sicherheit.

„Gerne, das machen wir“, stimmte ich zu. „Aber zuerst muss ich was erledigen.“

„Solange du erreichbar bleibst und deinen Peilsender nicht abschaltest, geht das klar“, stimmte der Stationsleiter zu. „Willst du wieder Nachforschungen über die Bande anstellen?“

Ich nickte. „Unbedingt.“

„Sei vorsichtig!“, schärfte er mir ein. Dann wandte er sich den anderen zu. „Wir müssen auch dringend los, wir konnten wegen des Einsatzes nicht auf Patrouille gehen. Lasse und Viktor, ihr übernehmt den Stadtpark. Jakob, wir kümmern uns um die Innenstadt. Benjiro und Riku, ruht euch für die Nachtschicht aus. Genta, Jonas und Eduard, ihr seht in den äußeren Gebieten nach dem Rechten. Leo, du bleibst bei Melodia und Haru in der Zweigstelle.“

Sofort machten sich alle an die Arbeit, ich lief zum Wald bei der Stadt, weil ich mich dringend mit den Geistern und Dämonen beratschlagen musste. Darum suchte ich eine abgelegene Stelle, die nicht zu dicht bewachsen war, und sah mich nach möglichen Zeugen um. Niemand hier. Also konnte ich gefahrlos singen. Zuerst rief ich das Dämonenoberhaupt Shadow zu mir, mit dem Lied über die tiefe Finsternis und das kleine Licht. Während ich sang, verspürte ich plötzlich ein Schwächegefühl, wie immer. Keine Sekunde später erschien der Schattenkreis vor mir und der Dämon schwebte heraus.

„Shadow! Weißt du, wo sich die Schattenbringer niedergelassen haben? Wo ihr größtes Versteck ist? Wohin mein Vater geflohen ist?“, überfiel ich ihn sofort.

„Gemach, gemach“, beruhigte er mich und erhob seinen nebligen Arm, um mir eine Hand auf die Schulter zu legen. Die Bäume und Sträucher verschwanden um mich herum, ebenso wie Shadows nebliger Körper, der im schwachen Wind um seine stabile Mitte waberte. Die Berührung des Dämons brachte Dunkelheit, alles wurde schlagartig schwarz. „So aufgebracht wirst du die Schattenbringer nie erwischen, Mia.“

„Bitte, raus mit der Sprache!“, flehte ich.

Er ließ mich los, sodass die Farben um mich herum zurückkehrten. Ich blinzelte kurz desorientiert und richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf Shadow.

„Ich kann dir leider nicht sagen, wo dein Vater und seine Leute sind“, antwortete er leise. „Während wir heute Vormittag in der Schattenwelt waren, muss viel passiert sein, was Luna und wir Dämonen verpasst haben.“

Natürlich, das hatte ich nicht bedacht. In der Schattenwelt hatten wir uns alle nur darauf konzentriert, Shadow zu beruhigen, weil er total außer Kontrolle geraten war.

„Haben die anderen Geister vielleicht beobachtet, wohin die Schattenbringer geflohen sind?“, erkundigte ich mich.

Ein Windstoß brachte Shadows instabilen Körper dazu, heftiger um seine feste Mitte zu flattern. „Gut möglich. Es tut mir leid, dass ich gerade keine große Hilfe bin. Die jüngsten Ereignisse haben mich völlig eingenommen.“

„Kann ich verstehen.“ Ich lächelte schief. „Du wurdest von diesen Verbrechern kontrolliert, hättest fast den Himmel für immer verdunkelt und bist endlich aus deinem finsteren Gefängnis befreit ...“

„Und deswegen fällt es mir schwer, an andere Dinge zu denken“, ergänzte das Dämonenoberhaupt. „Aber ich werde dir von nun an wieder mit Rat und Tat zur Seite stehen. Ich werde versuchen, die Schattenbringer ausfindig zu machen und gleichzeitig auf dich zu achten.“

Ich zwinkerte ihm zu. „Genau, und wenn ich mal in Gefahr bin, schickst du mir wieder eine Warnung.“

„Darauf kannst du dich verlassen“, versprach er.

Auch wenn Shadow keine Neuigkeiten hatte, freute ich mich sehr, mit ihm zu reden. Er war mein wichtigster Freund und Berater, ohne Zweifel. Wir plauderten noch eine ganze Weile, wobei ich Shadows überwältigende Freude darüber spürte, endlich frei zu sein.

„Es dämmert schon“, stellte ich plötzlich erschrocken fest. „Ich muss unbedingt noch mit einem der Geister sprechen.“

„Dann ruf doch einen“, schlug Shadow vor und grinste mich an. „Seit unserer Befreiung aus der Schattenwelt bist du doch imstande, mehr als einen Dämon oder Geist zu dir zu rufen.“

„Ach, richtig“, lachte ich. „Das hab ich ganz vergessen.“

Also schloss ich die Augen und stimmte das uralte Lied eines Waldstammes an. Kurzzeitig befürchtete ich, vor Überanstrengung umzukippen, weil mich Shadow vor einigen Jahren eindringlich davor gewarnt hatte, mehrere Geister oder Dämonen nach Fioria zu holen. Aber diese Befürchtung erfüllte sich nicht, ich fühlte mich gut. Zwar verspürte ich ein Schwächegefühl, aber als Waldgeist Celeps mit einem hellen Lichtblitz erschien, war es verschwunden.

„Mia!“, rief der kleine aufgedrehte Geist, dessen Arme und Beine etwas heller waren als der Rest seines grünen Körpers. Er flog ein paar wahnsinnig schnelle Runden um mich herum, bevor er auf meiner Augenhöhe verharrte. Nun erkannte ich auch seine beinahe unsichtbaren Flügel. „Schön, dich zu sehen! Wie geht’s dir? Es geht dir gut, das spüre ich. Aber du bist sauer wegen deines Vaters. Und du freust dich, dass Shadow und ich gleichzeitig auf Fioria sein können.“

„Das klappt ja wirklich“, jubelte ich. „Echt cool!“

„Natürlich klappt es. Du bist das Mädchen aus der Legende“, kicherte Celeps und flatterte vor meinem Gesicht herum.

„Aber früher konnte ich das noch nicht“, wandte ich ein.

„Du musst ja auch irgendwie dazulernen. Wäre doch schlimm, wenn du keine Fortschritte machen würdest“, neckte er mich.

„Du Scherzkeks“, entgegnete ich und streichelte seinen kleinen Kopf. Ich mochte seine kindliche, fröhliche Art. Sie brachte mich immer zum Lächeln.

„Glückwunsch übrigens! Du hast die Dämonen befreit“, gratulierte er mir.

„Danke. Aber ich muss dich jetzt unbedingt was fragen“, merkte ich an. „Wo sind die Schattenbringer? Hast du eine Ahnung?“

„Das Chaos bei ihrer Flucht war unbeschreiblich“, erzählte er. „Sie haben sich möglichst viele Sachen aus dem alten Versteck geschnappt und sind mit den Booten und Helikoptern in alle Richtungen abgehauen, bis auf ein paar, die zurückgeblieben sind. Hefolg, Sol und ich haben sie zwar beobachtet, aber völlig aus den Augen verloren ...“

Die Geister und Dämonen konnten zwar sehen, was auf Fioria geschah, doch Allwissenheit zählte nicht zu ihren Fähigkeiten. Außerdem war es unmöglich, dass nur 27 Wesen die komplette Welt im Auge behielten. Auch wenn Celeps, der Geist der Empfindungen Hefolg und der Sonnengeist Sol sehr clevere und aufmerksame Fiorita waren, hatten sie zu dritt keine Chance, die ganze Bande zu beobachten.

Ich seufzte. „Mist. Also müssen wir wieder ganz von vorne anfangen.“

Der Waldgeist flatterte etwas höher. „Es tut mir leid ...“

„Dafür kannst du doch nichts“, beruhigte ich ihn und lächelte ihn ermutigend an. „Wir kriegen diese Mistkerle.“

„Und wir unterstützen dich dabei, so gut wir können“, versprach Shadow.

Ich ließ die beiden meinen Dank spüren, bevor ich mich kurz streckte und mein Cap zurechtrückte. „Okay, ihr zwei, dann gehe ich mal zur Station zurück. Es gibt bestimmt noch einiges in Windfeld zu tun.“ So dringend ich die Schattenbringer aufhalten wollte, bis sie geschnappt waren, arbeitete ich als ganz normaler Ranger. Also durfte ich mich nicht nur um diesen einen Fall kümmern.

„Viel Erfolg!“, wünschte Celeps mir. „Ich fliege zum Waldrand und belebe ein paar verdorrte Sträucher. Das schadet nicht.“

„Dir auch viel Erfolg“, entgegnete ich, während er sich auf den Weg machte.

Shadow nickte mir zu und schwebte in seinen Schattenkreis, mit dem er verschwand. Ich verließ ebenfalls den Wald, um nach Windfeld zurückzukehren und mich dort nützlich zu machen. Die einheimischen Animalia begleiteten mich, bis ich die Stadt erreichte. Dank der Fiorita fühlte ich mich nie einsam. Am Waldrand trennten sich unsere Wege allerdings, schnell kam ich in der Zweigstelle an.

„Du bist genau pünktlich zum Abendessen“, begrüßte Melodia mich, die zusammen mit Haru einige Töpfe auf den gedeckten Tisch stellte.

Ich lächelte schief und setzte mich zwischen Lasse und Viktor. Meine Kollegen waren alle schon da. „Es riecht toll. Ich hab richtig Hunger.“

Die beiden Technikerinnen sorgten immer für großartiges Essen. Ich mochte diese Tradition, dass wir immer zusammen aßen.

„Und hast du was herausgefunden?“, wandte sich Ulrich beim Essen an mich.

„Nicht wirklich“, antwortete ich zögerlich und schob mir eine Gabel Reis in den Mund. „Was ist eigentlich mit der Maschine, die wir hier untersuchen?“

Haru seufzte leise. „Wir haben sie gründlich mit den Technikern aus dem Hauptquartier auseinandergenommen, aber wir konnten nicht herausfinden, wie sie funktioniert. Sie war schon zu stark beschädigt.“

„Immerhin haben wir heute sämtliche Gerätschaften der Schattenbringer zerstört“, meldete sich Jakob zu Wort. „Also können sie keine Fiorita mehr unter ihre Kontrolle bringen.“

„Das ist auch besser so“, äußerte ich mich. „Diese Technologie ist viel zu gefährlich. Menschen sollten nicht imstande sein, Fiorita willenlos zu machen und zu unterwerfen. Es bringt das natürliche Gleichgewicht durcheinander.“

„Da hast du recht“, stimmte mir der Stationsleiter zu.

„Aber diese Verbrecher werden neue Maschinen bauen“, gab Lasse zu bedenken. „Wenn wir nicht wissen, wie ihre Funkwellen die Animalia beeinflussen, können wir nichts unternehmen.“

Ich biss mir auf die Zunge, um nicht zu sagen, dass die Schattenbringer ihren Plan wahrscheinlich ändern würden. Zu meinem Glück wechselte Viktor das Thema.

„Wir sollten sowieso noch den anonymen Hinweis zurückverfolgen. Wer hat uns das Versteck der Schattenbringer verraten?“

„N...nun ... der Anrufer war vermutlich eine Frau“, murmelte Melodia. „Ich glaube, ich hab die Stimme erkannt.“

Erstaunt, geradezu alarmiert sah ich sie an. Was für eine Lüge wollte sie den anderen bloß auftischen? „Ach ja?“, hakte ich deshalb mit hochgezogenen Augenbrauen nach.

Sie nickte, plötzlich wirkte sie entschlossener. „Ich bin mir sicher, es war Mia. Ich kenne doch ihre Stimme! Sie hat die Schattenbringer verraten. Das beweist, dass sie nicht mit ihnen zusammenarbeitet.“

Ein Raunen ging durch den Raum, mir klappte der Mund auf. Melodia hatte sich das bestimmt ausgedacht, um den Verdacht gegen mich auszuräumen. Das rührte mich wirklich. Und es überzeugte unsere Kollegen sogar ein wenig.

„Wenn du ... äh ... dich nicht irrst ...“ Genta zögerte. „Äh ... das wäre merkwürdig. Das passt doch nicht ins Bild. Sie ... hmm ... arbeitet doch mit ihnen ...“

„Oder gegen sie“, wandte nun Jakob ein. „Wenn sie tatsächlich das Mädchen aus der Legende ist, würde sie niemals unterstützen, dass die Fiorita gequält und unterworfen werden.“

„Sie sollte sich mit uns zusammenschließen, wenn sie gegen diese Verbrecher arbeitet“, schnaubte Benjiro, der kaum ruhig auf seinem Stuhl sitzen konnte. „Warum versteckt sie sich auch vor den Rangern? Dazu gibt es keinen Grund.“

„Also bitte, wenn sie wirklich solche Kräfte hat, hat sie Angst“, erklärte Haru, als wäre es selbstverständlich. „Sie kann niemandem trauen. An ihrer Stelle würde ich ebenfalls untertauchen.“

Unbehaglich senkte ich den Blick auf die Tischplatte. Das Gespräch gefiel mir nicht. Meine Freunde versuchten zwar, mich in Schutz zu nehmen, aber ich fühlte mich unwohl.

Benjiro nickte langsam. „Ja, irgendwie logisch. Aber es nervt mich.“

Für einen Augenblick kehrte Stille ein, die ich dazu nutzte, um aufzustehen und vor der Situation zu flüchten. „Gute Nacht, Leute. Ich lege mich schlafen. Der erste Arbeitstag nach zwei Wochen Urlaub war hart.“ Zumal ich einen vor Zorn rasenden Dämon zur Vernunft gebracht hatte.

„Schlaf gut. Und sag Bescheid, wenn du was brauchst“, bot Viktor mir an. „Du kannst zum Beispiel gerne morgen mit uns zum Stammtisch gehen.“ Mir entging sein mitleidiger Blick nicht. Auch einige der anderen Ranger sahen mich so an. Sie glaubten schließlich, ich hätte gerade erst meinen Vater verloren.

„Danke. Aber ich hab’s euch ja schon mal gesagt, ein Stammtisch ist nicht so mein Fall“, lachte ich. Ich durfte nicht auffliegen, deshalb musste ich Distanz zu meinen Kollegen wahren. Leider.

Melodia umarmte mich fest, bevor ich die Zweigstelle verließ. „Wir räumen nur schnell auf, dann kommen wir in dein Zimmer, ja? Wir wollten doch einen Mädelsabend machen“, wisperte sie.

Ich schmunzelte, als ich sie an mich drückte. Das hätte ich beinahe vergessen, dabei würde mir die Ablenkung sicher guttun. „Klingt super. Bis später.“

Nachdem wir uns wieder losgelassen hatten, machte ich mich unter den bösen Blicken einiger meiner Kollegen auf den Weg zum Appartementwohnhaus. Draußen an der frischen Luft atmete ich tief durch. Ich fühlte mich nach diesem schrecklich langen Tag wie erschlagen.

Als ich meine Zimmertür hinter mir geschlossen hatte, ließ ich mich sofort auf mein Bett fallen. Mein Cap und das Halstuch legte ich ab, auch meine braune Uniformjacke zog ich aus. Für den Sommer war meine Kleidung viel zu warm. Ich schloss die Augen und genoss die Ruhe, die schlagartig vom Klingeln meines Handys unterbrochen wurde. Seufzend zog ich das Telefon aus meiner Hosentasche und hob ab. „Ja, hallo?“, meldete ich mich erschöpft.

„Hi Mia“, antwortete eine wohlbekannte Stimme am anderen Ende der Leitung. „Du klingst fertig. Alles klar bei dir?“

Sofort saß ich senkrecht im Bett. „Lloyd!“ Ein Lächeln stahl sich auf meine Lippen. Ich freute mich sehr, von meinem Freund zu hören. „Keine Sorge, ich bin okay. Nur müde. Der Tag war zu verrückt ...“

„Wem sagst du das?“, brummte er. „Wir mussten in Rekordzeit unser Versteck räumen. Der Boss tobt vor Wut. Unsere Sponsoren wollen uns umbringen, weil der Plan mit der Verdunklung des Himmels fehlgeschlagen ist ...“

„Und wie geht’s dir?“, erkundigte ich mich besorgt. Immerhin hatte er wirklich alles riskiert, indem er mir geholfen hatte, Shadow zu befreien.

Es dauerte lange, bis er mir eine Antwort gab. „Wie’s einem halt geht, wenn man als Verräter gebrandmarkt wurde. Außer Sebastian und Sam redet niemand mehr freiwillig mit mir, der Boss gibt mir nur noch Drecksarbeit.“

„Es tut mir so leid“, flüsterte ich. „Dass du nur meinetwegen ...“

„Nein, Mia“, unterbrach er mich. „Es war meine Entscheidung. Ich wusste vorher, was passieren würde. Ich komme klar.“

Ich verzog das Gesicht. „Wenn dich jeder ignoriert? Wirklich?“

„Derzeit wird jeder einzelne Mann gebraucht, um unseren neuen Plan ohne die Fiorita umzusetzen“, erzählte er.

„Ihr gebt also nicht auf.“ Leise seufzte ich. „Na ja, wenigstens benutzt ihr keine Fiorita mehr für eure Zwecke.“

„Nie wieder“, beruhigte er mich. „Dein Vater hat ja auch gemerkt, was er dir mit seinem Plan angetan hat.“

„Nicht, dass es ihn davon abgehalten hätte“, knurrte ich. Ja, mein Vater hatte mich mit den Fiorita leiden sehen, aber er hatte trotzdem versucht, seinen Plan um jeden Preis durchzuziehen. „Zum Glück hat es nicht funktioniert. Mir tut es nur leid, dass du jetzt der Buhmann bist.“

„Ganz ehrlich? Ich bin froh drüber, nicht ständig mit jedem dieser Idioten reden zu müssen. Die meisten hier sind und bleiben niedere Verbrecher.“

Ich runzelte die Stirn. Lloyd gehörte doch selbst der Verbrecherorganisation an. Warum redete er plötzlich so herablassend darüber? „Tja, damit hast du jedenfalls eine neue Herausforderung ...“

„Eben“, lachte er. „Ich liebe Herausforderungen.“

„Und ich liebe dich“, antwortete ich leise.

„Ich dich auch, Mia“, entgegnete er sanft. „Können wir uns morgen treffen? Dann gebe ich dir deine Klamotten und das Liedblatt vom Mondgeist zurück.“

„Gerne. Ich hab auch noch deine Sportsachen hier. Aber ist es nicht etwas zu riskant, wenn du dich von der Arbeit wegschleichst?“, vergewisserte ich mich. „Du hast dich meinetwegen ohnehin schon ziemlich unbeliebt gemacht ...“

„Kein Problem“, wiegelte er ab. „Sonst würde ich’s nicht vorschlagen. Sagen wir um zwölf am Brunnen in Gakuen? Dann ist jede Menge los und wir werden gar nicht auffallen. Nach Windfeld käme ich nur ungern, die Ranger dort halten konkret Ausschau nach mir.“

„Geht klar“, stimmte ich zu. „Ich freue mich schon auf dich.“ Da klopfte es an meiner Zimmertür. „Das müssen Melodia und Haru sein. Bis morgen, Lloyd.“

„Bis morgen. Ich freue mich auch. Und gute Nacht schon mal“, wünschte er mir, bevor wir auflegten.

„Melodia? Haru?“, fragte ich zur Sicherheit, damit ich nicht ohne Verkleidung vor einem meiner Kollegen stand.

„Wir sind’s“, trällerte meine Grundschulfreundin von draußen.

Schnell ließ ich die beiden ins Zimmer, dann schloss ich die Tür.

„Bereit für einen spannenden Film?“, kicherte Haru.

„Mit euch?“ Ich lächelte. „Auf jeden Fall.“

Es tat wirklich gut, den Abend mit meinen Freundinnen ausklingen zu lassen. Außerdem hatte ich etwas, worauf ich mich freuen konnte. Nämlich mein morgiges Treffen mit Lloyd.

„Du schon wieder“, brummte ich.

„Du bist ja immer noch nicht in den Stimmbruch gekommen, Takuto“, lachte mein Gegenüber gehässig und fuhr sich durchs dunkelbraune Haar.

„Und du bist immer noch nicht charmanter geworden, Mark.“

Der 17-jährige Ranger grinste nur und widmete sich wieder der Akte in seiner Hand. Ich kannte ihn seit der Grundschule, auch die Ranger-Schule hatten wir gemeinsam besucht. Zu meinem Glück hatte er mich nicht als Mia Sato erkannt. Aber er war und blieb ein übermäßig ehrgeiziges Ekelpaket. Seit er im Hauptquartier stationiert war, war er sogar noch arroganter geworden.

Ich setzte mich auf Harus Schreibtisch und tauschte einen genervten Blick mit der Technikerin. Melodia hingegen schielte immer wieder unauffällig zu unserem ehemaligen Mitschüler hinüber. Sie fand es selbst schrecklich, dass sie seit Jahren in ihn verknallt war, aber sie konnte es nicht ändern.

„Guten Morgen!“, riss mich Ulrich aus meinen Gedanken. „Wir haben eine Nachricht vom Vorsitzenden erhalten. Mark, darf ich bitten?“

Der Angesprochene nickte. Er klappte die Akte zu, richtete seine braune Jacke und räusperte sich. So ein Wichtigtuer!

„Großes Lob für die Festnahme der sechs Schattenbringer. Bisher haben wir sie nicht zum Reden gebracht, aber das wird schon. Hinweise auf den Bandenboss gibt es noch keine. Aber darum bin ich ja hier. Mit meiner Hilfe kriegen wir die Schattenbringer schon.“

Ich musste mich korrigieren: selbstgefälliger Wichtigtuer!

„Ein paar Ranger aus dem Hauptquartier helfen weiterhin bei der Suche nach den Schattenbringern“, ergriff Ulrich wieder das Wort.

„Und bei der Suche nach Mia Sato“, ergänzte Mark. Er wandte sich Melodia zu. „Du glaubst wirklich, der anonyme Hinweis stammte von ihr?“

Prompt wurde meine Freundin ein wenig rot um die Nase. „Ja. Es war ihre Stimme. Du weißt doch am besten, dass wir alle zusammen in der Grundschule waren. Ich kenne Mia. Sie hat uns geholfen.“

Mark hob zweifelnd eine Augenbraue, nickte aber. „Gut möglich, dass sie auf unserer Seite steht. Ich kann mir tatsächlich nicht vorstellen, dass sie Verbrecher unterstützt.“

Überrascht sah ich ihn an. Etwas Nettes über mich aus seinem Mund zu hören, hätte ich nie erwartet. Doch es freute mich.

Melodia strahlte ihn an. „Danke! Danke, dass du vernünftig bist, Mark.“

Da lachte er auf. „Ist doch logisch. Jemand wie Mia hätte nicht den Schneid, Verbrechen zu begehen.“

Jakob unterdrückte ein Kichern, grinste aber in meine Richtung. Ich verdrehte die Augen. Mark war ein Idiot.

„Takuto, Mark ist gemein“, jammerte Melodia und warf sich stürmisch in meine Arme.

Perplex fing ich sie auf, ohne vom Schreibtisch aufzustehen. „Äh, ja ... nichts Neues“, entgegnete ich.

Sie drückte mich fester. „Zum Glück hab ich dich. Du bist der netteste, vernünftigste und liebste Kerl der Welt! Und der beste Ranger!“

Verkrampft lächelte ich. Ich wusste wohl, dass sie Mark mit dieser Szene eifersüchtig machen wollte, aber jetzt gerade sorgte sie eher dafür, dass mich jeder Ranger in dieser Zweigstelle hasste. Die vielen bösen Blicke hätten töten können. Nicht nur Lasse, Leo und Genta erdolchten mich gerade mit den Augen, auch Mark tat es.

Vorsichtig löste ich mich aus der Umarmung meiner Freundin. „Du übertreibst, Melodia.“

„Was liegt heute an?“, wechselte Haru das Thema, wofür ich sie dankbar ansah.

Sofort verteilte Ulrich die Aufgaben des Tages. „Lasse, Genta, ihr eskortiert einen Transporter mit wertvollen Zuchtanimalia. Der Besitzer befürchtet, dass jemand es auf seine Fiorita abgesehen hat. Leo, Viktor, ihr helft den Rangern aus dem Hauptquartier bei den Ermittlungen. Jonas, Eduard, wir gehen auf Patrouille. Jakob, du hältst hier die Stellung. Takuto ... mach, was du willst.“

Ich schmunzelte. „Gerne.“ Optimal. Ich hatte wie üblich völlig freie Hand, sodass ich mich mittags unauffällig mit Lloyd treffen konnte. Der Vorsitzende hatte beschlossen, dass ich allein arbeiten durfte, obwohl Ranger normalerweise immer zu zweit unterwegs waren. Aber meine Leistungen während der Schulzeit hatten ihn überzeugt.

Wir frühstückten noch gemeinsam, danach verließ ich die Zweigstelle und holte die Tüte mit Lloyds Sportsachen aus meinem Zimmer. Bis zwölf Uhr war es noch eine Weile hin, also begab ich mich auf einem Flugvogel in den Wald zwischen Brislingen und Gakuen.

Ich landete auf der Lichtung, auf der ich zum ersten Mal Shadow gerufen hatte. An diesem Ort rief ich die Fiorita am liebsten zu mir. Die Lichtung war klein, kreisrund und vollständig von Bäumen umgeben. Inmitten der Wiese lag ein umgestürzter Stamm, auf den ich mich setzte. Ich musste nicht mal singen, damit die Animalia des Waldes zu mir kamen.

Da ich ihnen gestern versprochen hatte, bald wieder mit ihnen zu spielen, erinnerten sie mich nur zu gerne an mein Wort. Und weil ich mich zu ausgebrannt fühlte, um irgendeine sinnvolle Arbeit zu leisten, gönnte ich mir diese heimliche Pause.

Klar, mein Peilsender bewegte sich nicht, während ich mich nur hier auf der Lichtung aufhielt, doch Haru und Melodia würden mich schon nicht verpetzen. Notfalls konnte ich ja behaupten, ich hätte mich mit den Fiorita beraten, wie wir die Schattenbringer finden konnten.

„Jetzt muss ich aber los“, stellte ich fest. „Es ist kurz vor zwölf.“

Unter dem Protest der Animalia lief ich nach Gakuen. Der prächtige Brunnen, an dem ich mich mit Lloyd treffen wollte, lag in der Innenstadt. Auf dem Weg kam ich an meiner alten Schule vorbei, die ich bis zu meinem Wechsel auf die Ranger-Schule besucht hatte. Schlechte Erinnerungen überkamen mich beim Anblick des Gebäudes. Erinnerungen an die Hänseleien, weil meine Augen und Haare so anders aussahen als die der anderen Kinder. Schnell lief ich weiter.

Der Brunnen war ein beliebter Treffpunkt, dementsprechend viele Leute tummelten sich auf dem großen Platz. Kurz blieb mein Blick an den realistisch gearbeiteten Animaliastatuen auf dem Brunnen hängen, dann stach mir ein blauer Mantel ins Auge. Unwillkürlich schmunzelte ich. Lloyd. Selbst im Sommer legte er seinen geliebten Mantel nicht ab.

Ich schlich mich näher an ihn heran, er bemerkte mich nicht. Als ich hinter ihm stand, stellte ich mich auf die Zehenspitzen, um ihm ins Ohr zu flüstern: „Ist dir nicht zu warm?“

Abrupt wirbelte er herum. Seine blauen Augen weiteten sich und er lachte auf. „Hast du mich erschreckt! Ich dachte erst, mich würde gleich ein Ranger verhaften.“

„Muss an meiner Uniform liegen“, kicherte ich. Schließlich war ich als Takuto unterwegs, in voller Montur.

Er umarmte mich fest, was ich nur zu gerne erwiderte. Seine Wärme und sein Duft waren mir ganz vertraut. Im Gegensatz zu sonst küssten wir uns nicht zur Begrüßung. Immerhin lief ich als männlicher Ranger durch die Gegend und wir wollten keine Aufmerksamkeit erregen.

„Gehen wir zur Lichtung?“, schlug ich vor.

Er nickte. „Ist privater.“

Verstohlen musterte ich ihn, als wir uns auf den Weg machten. Sein dunkelbraunes Haar wirkte chaotisch, die dunklen Ringe unter seinen Augen sahen gar nicht gut aus. „Du hast zwei schreckliche Tage hinter dir, oder?“

Überrascht sah er mich an. „Ach ... halb so wild ... nur wenig geschlafen.“

„Du siehst ziemlich fertig aus“, stellte ich besorgt fest. In diesem Moment wirkte er nicht wie 19, sondern viel älter.

„War nicht ganz so einfach abzuhauen“, erzählte er schulterzuckend. „Aber Sebastian deckt mich. Er hat echt was gut bei mir.“

„Sag ihm auch Danke von mir“, bat ich. Endlich verließen wir die Stadt, sodass ich seine Hand nehmen und unsere Finger miteinander verschränken konnte.

„Mach ich“, antwortete er und strich mir über den Handrücken. „Du glaubst gar nicht, wie sehr es nervt, plötzlich wieder die bescheuerten grauen Uniformen tragen zu müssen. Ich hab mich zu sehr ans Dasein als zweiter Boss gewöhnt.“

Kurz musterte ich seine Jeans und das weiße T-Shirt. „Gut, dass du dich vor unserem Treffen noch umgezogen hast. Und entschuldige den Stress.“

Mitten im Wald blieb er stehen und hielt mich zurück. „Bitte, Mia, lass die Entschuldigungen“, seufzte er und zog mich in seine Arme. „Und mach dir keine Sorgen. Das wird wieder.“

Ich schmiegte mich an ihn, den Kopf an seine Schulter gelehnt. „Okay.“

Für einen Augenblick verharrten wir so. Spürten einfach nur die Nähe des anderen. Dann lösten wir die Umarmung.

Lloyd nahm meine Hand und ging weiter. „Setzen wir uns auf die Lichtung.“

Die Animalia des Waldes leisteten uns Gesellschaft, doch sie störten uns nicht. Mein Freund setzte sich in die Wiese und lehnte sich an den alten Baumstamm, ich kuschelte mich an ihn, während er mich von hinten mit den Armen umschloss. Wohlig seufzte ich. Diese Ruhe tat gut.

Vorsichtig zog Lloyd mir das Cap vom Kopf, sodass meine Haare über meine Schultern fielen. „Besser“, lachte er und fuhr mit seinen Fingern durch die losen Strähnen.

„Ach du“, kicherte ich und schloss die Augen, während ich seine freie Hand fest in meiner hielt. „Wie viel Zeit hast du eigentlich? Kannst du bis heute Abend bleiben?“

„Leider nicht“, antwortete er. „Ich hab Sebastian versprochen, dass ich um halb vier zurück bin.“

„Schade“, murmelte ich.

Lloyd legte nun seinen zweiten Arm wieder um mich und drückte mich sanft. „Wir werden uns bald wiedertreffen. Versprochen.“

„Und wenn mein Vater dich festhält? Wenn er herausfindet, dass wir uns treffen?“, wandte ich ein und drehte mich zu ihm um. „Ich will nicht, dass dir was passiert!“

„Allein darum würde er mir nichts tun“, lachte er. „Einerseits würdest du ihn dann ... tja ... noch mehr hassen, andererseits hätte er ein großes Problem, weil meine Eltern so gut mit deinen befreundet sind.“

Es stimmte, Fiona und Nico Sakai waren enge Freunde meiner Eltern. Deswegen hatten Lloyd und ich uns überhaupt erst näher kennengelernt.

Langsam nickte ich. „Du hast recht. Hoffentlich hält ihn das zurück.“

Wir lächelten uns an. Ohne ein weiteres Wort, wie von selbst kamen wir uns näher, bis sich unsere Lippen berührten. Plötzlich war alles wie vor ein paar Wochen. Wie zu der Zeit, als außer Lloyd niemand von meinen Fähigkeiten gewusst hatte. Es war wie bei unserem heimlichen Date in Windfeld, als uns Ulrich und Jakob erwischt hatten. Ich schloss die Augen und versank in dem warmen, wunderschönen Gefühl des Kusses. Viel zu früh lösten wir uns voneinander. Lloyd umarmte mich fest und auch ich legte meine Arme um seinen Hals. Mein Freund mochte furchtbar erschöpft aussehen, doch in diesem Moment wirkte auch er glücklich.

„Bevor ich’s vergesse, hier sind deine Sachen“, fiel ihm ein und er reichte mir eine Tüte. „Schuhe, Klamotten und das Liedblatt.“

„Danke. Ich hab meine alten Treter schon richtig vermisst“, lachte ich. „Hier sind deine Sportsachen.“

Er strich mir durchs offene Haar. „Ebenfalls danke.“

Kurz zögerte ich, doch schließlich konnte ich die Frage, die mich seit gestern Abend quälte, nicht mehr zurückhalten. „Warum hast du eigentlich bei unserem Telefonat so abfällig über die Schattenbringer geredet?“

„Nicht so wichtig“, winkte er schnell ab. „Wollen wir was essen gehen?“ Es kostete mich viel Mühe, ihn nicht weiterhin mit diesem Thema zu nerven. Doch er hatte meinetwegen genug durchgemacht. Wenn er nicht darüber reden wollte, würde ich ihn nicht zwingen.

„Sicher, dass du öffentlich essen gehen willst?“, erkundigte ich mich stattdessen. „Nach dir wird gefahndet.“

Er grinste. „Aber ich hab einen Ranger dabei. Da wird wohl kaum jemand misstrauisch werden.“

Ich griff nach meinem Cap und versteckte meine Haare darunter. „Gutes Argument. Ich bin die perfekte Tarnung.“

Lloyd stand auf und reichte mir eine Hand. „Ganz genau.“ Ich ließ mich von ihm auf die Beine ziehen. Bevor wir uns in Bewegung setzten, umarmte er mich noch mal fest. „Wobei ich mir wünschte, wir könnten ohne Tarnung ausgehen.“

Halbherzig lächelte ich. „Keine Chance. Meine Haare sind zu auffällig. Die haben beim letzten Date schon dafür gesorgt, dass uns die Ranger verfolgen.“

„Immerhin können wir uns überhaupt sehen“, entgegnete er und nahm meine Hand, um mit mir in Richtung Gakuen zurückzuspazieren.

„Ich stehe übrigens nicht mehr so sehr unter Verdacht, mit den Schattenbringern gemeinsame Sache zu machen“, merkte ich an.

Er runzelte die Stirn. „Nicht mehr so sehr? Wie meinst du das?“

„Melodia, Haru, Ulrich und Jakob geben sich Mühe, mich zu entlasten“, erzählte ich. „Die anderen fangen langsam an, ihnen zu glauben. Vielleicht werde ich bald nur noch als vermeintliches Mädchen aus der Legende gesucht und nicht mehr als Verbrecherin.“

„Gute Nachrichten!“, freute er sich. „Und gute Idee von deinen Kollegen.“

„Die vier sind einfach die Besten“, schwärmte ich. „Sie lassen mich sogar weiterarbeiten, obwohl ich das als Frau gar nicht dürfte.“

Erst am Waldrand lösten wir unsere verschränkten Hände voneinander. Wir plauderten über unverfängliche Dinge, nur für den Fall, dass wir belauscht wurden. Musik, Kampfsport, unsere gemeinsamen Interessen eben.

„Meine E-Gitarre steht übrigens noch bei dir“, fiel ihm ein. „Ich hab momentan nur meine akustische, um zu spielen.“

„Willst du deine Gitarre mitnehmen?“, bot ich an. „Sie steht bei mir zu Hause.“

„Das eilt nicht“, winkte er ab. „Ich komme derzeit sowieso nicht zum Üben.“

„Überarbeite dich nicht“, bat ich und musterte ihn besorgt.

Er lächelte schief. „Mach dir keine Gedanken. Worauf hast du eigentlich Lust? Irgendein bestimmtes Restaurant?“

Ich überlegte kurz. „Wie wäre es mit Pizza?“

„Klingt sehr gut“, stimmte er zu.

Die Zeit verging viel zu schnell. Ehe wir uns versahen, zeigte die Uhr schon kurz nach drei an.

„Ich muss mich auf den Weg machen“, seufzte Lloyd, während wir durch Gakuen zurück in Richtung Wald schlenderten. „Sag mal, kann ich dich um etwas bitten?“

„Worum denn?“, wunderte ich mich.

„Kannst du mir einen Flugvogel rufen?“

Ich nickte. „Kein Problem. Wo musst du denn hin?“

„Netter Versuch“, lachte er. „Aber wenn ich dir das verrate, bringt mich der Boss wirklich um. Die Ranger haben schon unser zweitgrößtes Versteck ausgeräumt. Unser größtes müssen wir schützen.“

Ich lächelte halbherzig. „Schon klar.“ Im dichten Gehölz, fernab aller Blicke, blieben wir stehen. „Dann rufe ich mal einen Flugvogel.“ Ich schloss die Augen, dachte an das Animalia und stimmte ein kurzes Lied an.

„Da ist er schon“, stelle Lloyd begeistert fest. „Danke.“

„Keine Ursache.“ Ich strich über das braune Gefieder des Geschöpfs. „Und du bringst Lloyd, wohin er will, ja?“ Der Flugvogel krähte Zustimmung.

Plötzlich umarmte mich mein Freund so stürmisch, dass ich beinahe mein Gleichgewicht verloren und das Animalia gerammt hätte. Ich musste lachen und klammerte mich ebenfalls an ihn. Für ein paar Minuten hielten wir uns nur stumm fest. Ich streckte mich ein wenig, um Lloyd zu küssen, was er leidenschaftlich erwiderte. Am liebsten hätte ich genau jetzt die Zeit angehalten, alles um uns herum vergessen. Insbesondere die Feindschaft zwischen den Organisationen, für die wir arbeiteten. Es wäre zu schön, wenn unsere Situation einfacher wäre. Aber sie war es nun einmal nicht. Und das wussten wir nur zu gut. Zögerlich, wirklich zögerlich lösten wir uns voneinander.

„Dann ... fliege ich mal los“, murmelte er.

Traurig sah ich ihn an. „Ja. Pass auf dich auf.“

„Du auch, Mia.“ Ein letztes Mal zog er mich ganz nah an sich heran. „Ich liebe dich“, hauchte er mir ins Ohr.

Ich küsste ihn auf die Wange. „Ich dich auch, Lloyd.“

„Wir hören uns“, versprach er. „Du kannst mich jederzeit anrufen.“

„Das Gleiche gilt für dich. Und bald treffen wir uns mal wieder länger. Ohne Verkleidung, ohne Zeitdruck, okay?“

Er lächelte. „Nur zu gerne.“

Der Abschied fiel mir schrecklich schwer. Als ich daran dachte, dass Lloyd gleich nicht mehr bei mir sein würde, stiegen mir Tränen in die Augen. „Tschüss ...“

„Ach, Mia, nicht weinen“, flehte er und wischte mir mit dem Ärmel seines Mantels die Tränen aus dem Gesicht. „Ich will doch auch nicht gehen. Aber ich muss.“

„Weiß ich. Ich wünschte nur, du ...“ Meine Stimme brach.

Er lehnte seine Stirn an meine. „Wünschte ich auch.“

Da schluchzte ich auf. Ich wollte mich zusammenreißen, aber ich schaffte es nicht. Der Gedanke an den Abschied schmerzte in meiner Brust. „Es tut mir alles so leid“, wimmerte ich. „Dass du solchen Stress hast. Dass wir uns kaum sehen können. Dass ich jetzt auch noch heule ... es tut mir wirklich leid.“

Er drückte mich fest an sich. „Muss es nicht. Wirklich. Du kannst nichts dafür.“ Er hauchte mir einen Kuss auf die Stirn. „Wir telefonieren heute Abend, okay? Ich ruf dich an.“

Ich nickte und vergrub mein verheultes Gesicht an seiner Brust. „Ja. Unbedingt.“

„Mach die Augen zu“, flüsterte er. „Atme tief durch.“

„Aber sobald ich sie wieder öffne, bist du weg“, wandte ich ein.

„Und wenn du mir hinterherschaust, weinst du nur noch mehr“, entgegnete er und verwickelte mich in einen Kuss, bevor ich etwas erwidern konnte.

Nachdem er seine Lippen von den meinen gelöst hatte, hielt er mir die Augen mit einer Hand zu. „Schau nicht hin. Geh wieder an die Arbeit, bevor auffällt, dass du dich heute gedrückt hast. Und später sprechen wir uns noch mal.“

Ich ließ die Augen geschlossen und nahm seine Hand. „Okay.“

Er drückte meine Finger kurz, dann ließ er mich los. Die Wärme um mich herum war verschwunden. Ich hörte ein Flügelschlagen, spürte, dass sich ein Animalia von mir entfernte. Da wusste ich, dass Lloyd verschwunden war.

Ich öffnete die Augen, blinzelte ein paar Tränen weg und seufzte leise. Bevor ich mich allerdings einsam fühlen konnte, umringten mich einige Animalia des Waldes. Ich schmiegte mich an einen der zotteligen Feuerhunde. „Danke, Leute“, wisperte ich. „Es ist schön, euch zu haben.“

Eilig wischte ich mir die letzten Tränen aus dem Gesicht und atmete tief durch. Ich durfte nicht verzweifeln. Ich musste mich darauf konzentrieren, die verbrecherische Organisation meines Vaters zu zerschlagen. Damit würden sich alle Probleme lösen. Fioria wäre in Sicherheit. Lloyd und ich wären keine Feinde mehr. Ich müsste mich nicht mehr länger als Mann ausgeben. Ja, ich würde kündigen, wie ich es versprochen hatte, aber das Ende der Schattenbringer wäre es mir wert. Mir würde schon eine neue Möglichkeit einfallen, um meine Identität als Mädchen aus der Legende vor der Welt zu verbergen.

Ich straffte meine Schultern, nickte den Animalia zu und rief einen Flugvogel für mich. Es musste weitergehen. Ich musste mich wieder in die Ermittlungen stürzen. Gemeinsam mit meinen Kollegen.

Fioria Band 2 - Mit Lüge und Wahrheit

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