Читать книгу Geldsack - Martin Arz - Страница 10

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04 »Das ist jetzt ein Scherz«, stöhnte Kommissar Erdal Yusufoglu.

»Leider nein. So leid es mir tut! Das ist uns äußerst peinlich. Äußerst!« Jürgen Hartwig riss die Augen weit auf, um die Dramatik der Situation mimisch zu unterstützen. »Und dann passiert ausgerechnet so etwas!« Er schlug die Hände zusammen. »Ich weiß nicht, was ich sagen soll, meine Herren …« Er schielte zu Hauptkommissarin Bella Hemberger hinüber und fügte schnell »… und meine Dame« hinzu. »Das muss selbstverständlich unter uns bleiben!«

»Wir ermitteln in einem Mordfall, Herr Hartwig«, sagte Max Pfeffer und sah dem hibbeligen Mann mit der auffälligen Designerbrille fest in die Augen. »Es bleibt erst einmal alles unter uns.«

»Natürlich. Natürlich.« Hartwig hüpfte von einem Bein auf das andere. Er trug einen tadellosen dunkelblauen Anzug mit passender dezenter Krawatte und schwarze Budapester Schuhe. Seine mittelblonden Haare waren streng gescheitelt. Er hatte sich den Kriminalbeamten als der zuständige Objektmanager für den »Einstein-Tower« vorgestellt. Pfeffer und seine Kollegen Hemberger und Yusufoglu standen im ersten Stock. Hier befanden sich die Gebäudeverwaltung und auch die Sicherheitszentrale.

»Ich darf aber doch meine Verwunderung darüber ausdrücken, dass in diesem Anwesen, das angeblich besser bewacht wird als Fort Knox, dass ausgerechnet hier die Videoüberwachung ausgefallen ist und Sie keine Erklärung dafür haben.« Pfeffer deutete auf fünf Monitore an der Wand, die alle schwarz waren. Auf dem sechsten konnte man die Eingangshalle sehen. Dort saß der Concierge hinter seinem Desk und tippte etwas in einen Computer. Fünf weitere Monitore zeigten leere Flure.

»Wir suchen fieberhaft den Fehler.« Hartwig rang die Hände. »Nicht wahr, Bodo? Bodo Kiesekamp ist unser IT-Spezialist.«

Bodo Kiesekamp sah missmutig drein. Er war übernächtigt und blass, wie man sich das bei einem Computernerd vorstellte, ansonsten war er wie ein Metal-Fan gekleidet. Schwarze Jeans, schwarzes T-Shirt mit einem wüsten, blutigen Totenkopfmotiv. Er roch ungeduscht. Seit Tagen ungeduscht. Seine ungepflegten langen Haare waren achtlos zu einem dünnen Pferdeschwanz zusammengebunden. »Jemand muss das System gehackt haben.«

»Das ist praktisch unmöglich«, warf Hartwig ein. »Wir haben alle erdenklichen Sicherheitsmaßnahmen getroffen.«

»Pfhhh«, gab Bodo Kiesekamp von sich.

»Mäßigen Sie sich bitte«, wies Hartwig ihn zurecht.

»Sie wollten etwas sagen, Herr Kiesekamp«, sagte Pfeffer.

Der IT-Spezialist warf einen verächtlichen Blick auf Jürgen Hartwig. »Allerdings. Zum einen, und das wollen die hier einfach nicht kapieren, gibt es keine totale Sicherheit. Alles kann gehackt werden. Alles! Außerdem bin ich hier ganz allein mit dem ganzen Scheiß. Für alles ist Geld da, nur für das, was wirklich wichtig ist, nicht. Ich kann nicht Tag und Nacht durcharbeiten. Das habe ich Ihnen schon zigmal gesagt. Ich tu, was ich kann. Aber für einen allein …«

»Sie haben einen Assistenten!«, wandte Hartwig ein.

»Das ist ein Praktikant!«, antwortete Kiesekamp trotzig. »Der hat keine Ahnung! Es ist ja auch nicht das erste Mal.«

»Nun«, gab sich Hartwig wieder ganz jovial. »Anfangsschwierigkeiten, meine Herrschaften. So lange ist das hier ja noch nicht in Betrieb. Das ganze Ensemble hier ist ein Multimilloneneuroprojekt, das gerade erst richtig zu laufen beginnt. Das spielt sich peu à peu ein.«

Kiesekamp machte wieder »pfhhh«, verdrehte die Augen und lehnte sich mit verschränkten Armen gegen einen Schreibtisch.

»Langsam«, sagte Pfeffer. »Noch einmal zum Mitschreiben: Das Videoüberwachungssystem funktioniert automatisch durch Bewegungsmelder. Die Kameras zeichnen nur auf, wenn eine Bewegung registriert wird …«

»Ja. Rings ums Haus, in den Fluren und in den Gemeinschaftsräumen wie Eingangsbereich, Tiefgarage et cetera. Die einzigen Ausnahmen sind das Foyer sowie die Flure in den Büroetagen, die werden ständig videoüberwacht. Ansonsten gilt: Erst sobald jemand sich bewegt, gehen die Kameras los und zeichnen auf. Alle zwei Sekunden ein Bild. Dazu noch dreißig Sekunden Nachschlag, also wenn die Person schon längst weg ist.«

»Kann man das leicht überlisten?«, fragte Bella Hemberger.

»Na, so einfach nicht.« Kiesekamp kratze sich am Kinn. »Man kann natürlich ganz einfach einen Klebestreifen über einen Bewegungsmelder pappen, dann löst er nicht aus. Das ist aber ein Schuss ins Knie, weil man sich ja erst mal dem Ding nähern muss und schon zeichnet die Kamera auf, wer da manipuliert.«

»Und ist das schon mal vorgekommen?«, fragte Pfeffer. »Wenn ich Ihre Worte richtig interpretiert habe, war das nicht das erste Mal.«

Kiesekamp und Hartwig wechselten einen schnellen Blick. »Ja, neulich Abend«, sagte der IT-Spezialist. »Das war ein kleiner Bub, der hat da einen Sticker draufgeklebt. Konnte man auf dem Video sehen.

»Zeigen Sie uns das bitte mal.«

»Geht nicht.« Kiesekamp zuckte mit den Schultern. »Die Aufzeichnungen werden nach vierundzwanzig Stunden überspielt. Es war ein Junge. So um die neun, zehn, dunkle Locken. Keine Ahnung, kenne mich bei Kindern nicht so aus. Der hat dann auch noch mal gestern früh einen Aufkleber hingepappt. Mit irgendwelchen Mangas drauf. Findet das wohl total lustig.«

»Und wie lange hat es gedauert, bis das jemandem aufgefallen ist?«, fragte Pfeffer.

»Das von neulich Abend ist mir erst am nächsten Tag aufgefallen, als ich mich gewundert habe, dass gar niemand durch die Hintertüre ein oder ausgeht. Da bin ich runter und habs entdeckt. Ich hab dann Schorsch, den Chefhausmeister, darauf aufmerksam gemacht, dass er immer mal wieder die Bewegungsmelder im Außenbereich kontrollieren soll, ob was abgeklebt ist. Drum hat er gestern früh auch den neuen Sticker entdeckt.«

»Hat heute schon jemand nachgesehen?«, fragte Pfeffer ungehalten.

Wieder tauschten Kiesekamp und Hartwig einen Blick, diesmal einen schuldbewussten.

Hartwig zückte sofort sein Mobiltelefon, rief den Hausmeister an und gab ihm die entsprechenden Instruktionen. Hartwig blieb am Apparat, während der Hausmeister nachsah. Plötzlich flimmerte ein bislang toter Monitor auf, man sah den Bereich des hinteren Ausgangs, der Hausmeister kam ins Bild, bückte sich seitlich und richtete sich dann wieder auf. Er fuchtelte herum und sagte etwas in sein Handy.

»Nichts«, übermittelte Hartwig und legte auf. »Der Bewegungsmelder ist frei und funktioniert.«

»Es gibt also keinerlei Videoaufzeichnungen von der mutmaßlichen Tatzeit«, fasste Erdal Yusufoglu zusammen. Die Enttäuschung darüber, dass der Fall schnell aufgeklärt werden könnte, stand ihm ins Gesicht geschrieben.

»Anfangsschwierigkeiten, wie ich schon sagte«, gab Jürgen Hartwig von sich. »Das ist hochkomplizierte und hochsensible Technik. Für diesen höchst unwahrscheinlichen Fall, dass mal tatsächlich die Kameraüberwachung ausfällt, hat die Security die Anweisung, mit erhöhter Frequenz Kontrollgänge durchzuführen.«

»Wenn es aber niemandem auffällt?«, warf Kiesekamp sarkastisch ein. »Machen wir uns doch nichts vor. Das hier ist vor allem Kosmetik. Soll halt abschrecken und die Bewohner in einer gewissen Sicherheit wiegen. Wirklich was bringen tun die Kameras hier nicht.«

»Zeigen Sie uns bitte die Sequenzen, die heute nach dem Kameraausfall aufgenommen wurden. Die Kameras vom Kellerausgang und vom Durchgang zur Straße«, sagte Pfeffer. »Auch die von gestern Abend vor dem Ausfall.«

Bodo Kiesekamp setzte sich an seinen Computer und tippte etwas ein. »Hier.« Er deutete auf den letzten Bildschirm links unten. Alle starrten angestrengt auf die zuckenden Bilder. Die Kameras nahmen keine Filme auf, sondern machten alle zwei Sekunden ein Foto. Im rechten oberen Eck lief eine Zeitangabe mit. Die Aufnahmen der Lobbykameras zeigten, dass um 06:37:33 der Gärtner hereinkam, den Nachtportier grüßte, kurz mit ihm schwatzte und schließlich hinter einer Tür am Ende des Saals verschwand. Bald danach betrat Schorsch, der Chefhausmeister, das Haus, machte einen kurzen Smalltalk mit dem Portier und verschwand dann auch hinter der Tür, die der Gärtner genommen hatte.

»Externes Personal wie der Gärtner hat eine Zeitsperre in den Chips«, erklärte Hartwig ungefragt. »Die können zwischen zweiundzwanzig und sieben Uhr nur durch die Lobby reinkommen, nicht durch andere Türen.«

»Der Hausmeister ist extern?«, fragte Erdal Yusufoglu ungläubig.

»Ja, nein, nicht wirklich. Der ist noch in der Probezeit. Darum.«

»Hier gehts los«, unterbrach Bodo Kiesekamp und deutete auf einen Monitor. 07:07:25 zeigte die Zeitangabe. Aus verschiedenen Kameraperspektiven sah man zwischen Hecke und Hauswand die Leiche, auf dem Rasen daneben lag der Rasentrimmer, sonst war niemand zu sehen. Das Bild wurde wieder dunkel. Um 07:08:51 kam der Gärtner Lenz Stockmair aus der Kellertür und wischte sich mit einem Taschentuch über das Gesicht. Dann holte er sein Mobiltelefon heraus und telefonierte.

»Jetzt ruft er die Polizei, oder«, sagte Yusufoglu. »Warum war er erst noch drinnen?«

»So derangiert, wie der vorhin ausgesehen hat, vermute ich mal, dass er sich übergeben musste«, meinte Bella Hemberger.

»Wer hat kurz vor sieben Uhr sieben und fünfundzwanzig Sekunden die Kamera ausgelöst? Jemand, der hineingegangen ist? Warum ist er dann nicht auf dem Bild?«, sinnierte Pfeffer. »Es lag also nicht am Bewegungsmelder.«

»Sondern?«, fragte Hartwig unbedarft.

»An der Kamera«, schnaufte Bobo Kiesekamp ungehalten über die Begriffsstutzigkeit seines Vorgesetzten.

»Jemand muss das also manipuliert haben«, sagte Hauptkommissarin Hemberger.

»Unmöglich«, brummte Hartwig.

»Möglich«, brummte Kiesekamp wie ein Echo, »aber sehr unwahrscheinlich. Das muss dann ein echter Profi gewesen sein.«

»So schauts aus«, sagte Max Pfeffer.

»Ich habe vorhin die Logfiles gecheckt«, sagte Bodo Kiesekamp. »Da gab es noch eine Bewegung in den Büroetagen.« Er tippte etwas in seine Tastatur ein. Dann sah man auf einem Monitor, wie ein Mann um 05:48:19 den Büroflur im vierten Stock betrat und in einem Raum verschwand. »Das ist Guido Zumboldt«, erklärte Jürgen Hartwig. »Er hat sein Büro im vierten Stock.« Um 05:53:02 verließ der Mann wieder das Büro, ging den Flur entlang auf die Kamera zu, drückte den Liftknopf und bestieg dann den Fahrstuhl.

»Warum war er so kurz im Büro? Er scheint nichts mitgenommen zu haben. Vermutlich fährt er jetzt runter und geht hinten raus«, sagte Pfeffer. »Damit wäre unsere Tatzeit so gegen sechs Uhr. Sagen Sie, Bodo, wer hat denn das Überwachungssystem hier installiert?«

»Na, im Wesentlichen ich. Also mit meinen Kollegen. Ich habe früher bei SecuCheck gearbeitet. Die haben den Auftrag für den Turm hier bekommen. Dann haben sie mich abgeworben, weil ich mich mit dem ganzen Scheiß eben gut auskenne. Die mich. Um das deutlich zu machen. Also, hier bin ich und verdiene deutlich mehr. Ist nie verkehrt.« Er grinste zufrieden.

»Gut.« Pfeffer machte Anstalten zu gehen. »Geben Sie meinen Kollegen bitte noch die Kontaktdaten der Securitymänner, die heute Nacht Dienst hatten. Und ich erwarte selbstverständlich, dass alle Aufnahmen der letzten Nacht und des heutigen Vormittags nicht wieder überspielt werden. Lassen Sie uns eine DVD von allem erhaltenen Filmmaterial zukommen. Ich werde dann mal nach oben gehen und den Angehörigen die traurige Mitteilung machen.«

»Ich begleite Sie«, sagte Hartwig etwas zu devot und beeilte sich, mit Max Pfeffer Schritt zu halten, als der durch den Büroflur Richtung Ausgang schritt.

»Danke, aber das schaffe ich schon alleine.«

»Ich fürchte, das wird nicht möglich sein.« Hartwig lächelte entschuldigend. Sie hatten die Fahrstühle erreicht. Hartwig zog eine kleine runde Plastikscheibe, die über eine dünne Kette an seinem Gürtel befestigt war, aus der Hosentasche. Er hielt die Plastikscheibe gegen einen Sensor. »Ohne den Chip können Sie den Fahrstuhl nicht bedienen.«

»Verstehe«, sagte Pfeffer.

»Nur Bewohner bekommen so einen Chip. Anders kommt man nicht in den Einstein-Tower.«

»Tiefgarage und Hintertür eingeschlossen?«

»Tiefgarage und Hintertüren eingeschlossen. Ohne Chip kommt niemand rein. Die Bewohner haben zusätzlich die Möglichkeit, neben dem Chip eine App auf dem Smartphone zu nutzen.«

»Und wer keinen Chip hat, muss am Haupteingang am Pförtner vorbei?«

»Richtig. Wobei wir den Begriff Concierge bevorzugen. Er kann dann den Lift für Lieferanten oder Besucher freigeben, nachdem er sie bei den Herrschaften angemeldet hat.«

Die Lifttür öffnete sich geräuschlos. Im Aufzug hielt Hartwig seinen Chip wieder gegen einen Sensor und drückte dann die Taste zum elften Stock. »Mit dem anderen Lift nebenan könnten wir gar nicht fahren«, erklärte er dabei. »Den können nur die Bewohner nutzen. Der führt direkt in die Wohnungen.«

»Verstehe«, sagte Pfeffer. »Daher gibt es auch keine Aufzeichnung von dem Zeitpunkt, an dem Zumboldt seine Wohnung verlassen hat. Er musste ja gar nicht in den Flur.«

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