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05 »Hedy, hast du das Habsburg-Gilet gesehen?«, rief Alois Zumboldt quer durch die Wohnung. Er fischte sich noch ein Champagnertrüffel aus der Schachtel und schob ihn sich unter die Zunge. Er liebte es, die feine Schokolade langsam im Mund schmelzen zu lassen.

»Das rote oder das blaue?«, kam es aus dem Badezimmer zurück.

»Blau!«

»Wenn es nicht in deinem … ach, Moment, da hast du doch neulich ein Triangel reingerissen.« Hedwig Zumboldt kam zu ihrem Mann in dessen Ankleidezimmer. Ihre Absätze klackten auf dem geölten Eichenparkett. Sie trug ein knöchellanges nachtblaues Dirndl mit hellblauer Schürze und zupfte sich Lockenwickler aus den zu dunkel gefärbten Haaren. Das Mieder mit den Goldknöpfen gab ihrem umfangreichen Körper den Hauch einer Taille und hielt den üppigen Busen hoch. Ihr Blick fiel auf die offene Pralinenschachtel.

»Ach, Alois«, schimpfte sie. »Was soll denn das? Du weißt doch, was die kosten! Die sind außerdem für die Gäste!« Sie begann sofort, die Gästegeschenke zu kontrollieren.

»Hab dich nicht so.« Er schob sich noch einen Trüffel nach. »Die Packung ist eh angebrochen. Da kann ich sie gleich aufessen. Wir kaufen bei Elly Seidl einfach ein paar neue. Liegt quasi auf dem Weg. Was ist nun mit meinem Gilet«, sagte er ungeduldig. »Nicht das mit dem eingerissenen Triangel. Das ist aus grünem Samt. Ich mein das blaue von Habsburg.«

»Zieh halt das schwarze mit den kleinen gestickten Hirschen an. Das passt auch zu deiner Hose und dem Hemd. Ziehst halt den dunklen Janker dazu an, nicht den grünen.« Sie beendete die Geschenkekontrolle. »Jeweils zehn Wiesntische für die fünf. Also mal fünf sind fünfzig. Stimmt. Aber du kannst die Gutscheine doch nicht in dem sterilen Aktenkoffer mitnehmen!«

»Wie denn dann?«

»Das muss passen, Loisl. Wie oft hab ich dir das gesagt. Die Optik zählt. Hier.« Sie zog eine alte abgewetzte Ledertasche hervor. »Die hat Patina. Die schreit: Welcome to Bavaria. Mia san griabig und gmiatli.«

»Als ob da Kines boarisch kenna dad!«

»Ach, Loisl! So, des hamma. Dann: Zwei Kisten Pommery Champagner Cuvée Louise 1999. Wunderbar. Die alte Schnepfe säuft ja nix anderes. Halt, wieso zwei Kisten?«

»Die eine ist für die alte Schnepfe und die andere für Doktor Meinhardt.«

»Hat der uns nicht schon genug abgezockt? Ach, was solls. Wo sind die Pralinen für die anderen Damen und die Chinesen? Ah, hier. Sehr gut. Eine Packung nachkaufen. Passt. Hast du beim Escortservice die fünf Damen bestellt?«

»Drei«, brummte Alois Zumboldt. »Die anderen beiden wollen in den Puff. Alles schon reserviert und bezahlt.«

»Und einen Kerl für die alte Schnepfe?«

»Einen Neger, so wie sie es mag.«

»Gut so, Loisl. So, und jetzt beeil dich, sonst kommen wir noch zu spät.

»Das sagt die Richtige. Du bist ja noch nicht mal mit dem Bad fertig. Außerdem brauch ich erst noch einen Kaffee.« Er schlüpfte in die Weste, die seine Frau vorgeschlagen hatte. Er musste tief einatmen und den Bauch einziehen, um sie zuknöpfen zu können. Dann legte er sein goldenes Armkettchen und den Siegelring an. Zuletzt sorgte er mit geübten Handbewegungen dafür, dass sein schulterlanges graues Haar hinten über den Hemdkragen wellte.

Hedwig Zumboldt hatte mit schnellen Griffen die letzten Lockenwickler herausgezogen. »Ich muss nur noch mal schnell durchkämmen, dann bin ich schon fertig.«

»Sollen wir das wirklich durchziehen?«, fragte Alois Zumboldt und zog seine Frau so nah an sich heran, wie es ihrer beider Leibesfülle gestattete.

»Was, den Empfang im Tourismusamt?«

»Schmarrn, Hedy, stell dich nicht so blöd. Ich meine das mit dem Buben.«

»Ist das jetzt dein Ernst?« Sie sah ihn verwundert an.

»Na ja. Er ist schließlich unser einziger Bub.«

»Was ist denn los mit dir? Wir tun das Richtige, Loiserl.« Sie tätschelte ihrem Mann die mächtige Wampe.

»Ich weiß. Aber der Herr Pfarrer hat doch auch gesagt …« Alois Zumboldt sah seiner Frau traurig in die Augen. Dann bebten seine Lippen, und er konnte den Blick nicht mehr ernsthaft halten. Seine Wangen begannen zu glühen, und er kicherte albern.

»Ach, du! Fast wäre ich drauf reingefallen. Kindskopf.« Hedwig Zumboldt gab ihrem Mann einen spielerischen Klaps. Alois löste sich von ihr und verließ das Ankleidezimmer in Richtung Küche. Er schenkte sich einen Becher Kaffee ein, keine Milch, kein Zucker, und trank ihn hastig. »Gut, Weib. Dann schauen wir auf dem Weg nach unten schnell bei der Fiona vorbei.«

»Von mir aus.« Sie verdrehte die Augen. »Dann versauen wir uns eben den Tag gleich von Anfang an und machen dem Flitscherl noch unsere Aufwartung.«

»Reiß dich zamm, Weib!«

»Wissen Sie, warum dieses Anwesen hier den schönen Namen Einstein-Tower trägt?«, plauderte Hartwig während sich die Lifttür geräuschlos schloss. Er hielt seinen Transponder an eine Metallplatte und tippte dann »11« ein.

»Ich dachte, wir fahren in den zehnten Stock«, fragte Pfeffer verwundert.

»Das tun wir auch«, antwortete Hartwig lächelnd. »Das ist etwas verwirrend. Aber die Bauherren hatten Angst, dass dreizehn Stockwerke mögliche Käufer abschrecken könnten. Sie wissen schon, Unglückszahl. Darum machen wir es wie die Amerikaner. Das Erdgeschoss zählt als eins, so haben wir vierzehn Etagen.«

Der Lift schoss nach oben.

»Und warum heißt es nun Einstein-Tower?«, fragte Pfeffer.

»Hier stand früher mal das Gymnasium, auf das Albert Einstein gegangen ist. Das königliche Luitpold-Gymnasium. Ist das nicht faszinierend? Da zu leben, wo der Geist des größten Genies aller Zeiten geformt wurde? Das ist historischer Boden!«

»Sie brauchen sich keine Mühe geben«, sagte Pfeffer lakonisch. »Ich möchte hier nichts kaufen.«

»Ich …«, Hartwig begriff die Ironie verzögert. »Ach so.« Er lachte künstlich. »Da müsste ich Sie ohnehin enttäuschen. Längst alles verkauft. Ich kann Ihnen das ganze Anwesen zeigen, wenn Sie möchten.«

»Darauf komme ich gerne zurück.«

Die Lifttür öffnete sich. Pfeffer und Hartwig betraten den Flur, der mit zartgrauen italienischen Marmorplatten gekachelt war. Pfeffer sah nur zwei Türen, eine war offenbar die Wohnungstür, über der anderen leuchtete ein grünes Notausgangsschild, sie führte also zum Treppenhaus.

»Lassen Sie bitte mich das regeln«, sagte der Objektmanager und trat vor die Gegensprechanlage links von der Wohnungstür. Er läutete und wartete. Er sah dabei ernst und direkt in die kleine Kamera oberhalb der Klingel, in der Erwartung, dass sich gleich jemand melden würde.

»Da sind Sie ja«, sagte die Frau, die mit Schwung die Tür aufriss. Sie schob einen großen Koffer durch die Tür. Sie war eine attraktive Blondine in den Dreißigern, doch ihr Gesicht wirkte einen kleinen Hauch zu maskenhaft. »Den können Sie gleich schon mal mit runternehmen. Dann kommen Sie wieder rauf und holen den Rest. Bin gleich fertig.«

»Äh, nein, Frau Zumboldt«, stotterte Hartwig. »Das ist nicht der Chauffeur …«

»Pfeffer, Kripo München.« Max Pfeffer hielt seine Dienstmarke hoch. Die Frau stoppte irritiert in ihrer Betriebsamkeit, kniff die Augen zusammen und kam ganz nah. Offenkundig war sie zu eitel für eine Brille und hatte keine Kontaktlinsen drin.

»Kripo?«, fragte sie abschätzig. Dann lächelte sie und musterte Pfeffer. Dass ihr gefiel, was sie sah, verbarg sie nicht. »Ich fürchte, Sie kommen nicht wegen mir, oder?« Sie warf ihren Kopf kokett nach hinten. Ihr streng nach hinten gebundener Pferdeschwanz wippte frech.

»Sollte ich denn Ihretwegen kommen?«, fragte Pfeffer.

Statt darauf zu antworten, machte sie eine einladende Geste und gab den Weg in die Wohnung frei. Pfeffer trat ein, und als Hartwig ihm folgen wollte, schenkte er ihm einen scharfen Blick. Hartwig stockte. Dann sagte Fiona Zumboldt: »Danke, Hartwig, wir kommen sicher alleine zurecht.«

»Ich … ich verabschiede mich dann mal. Frau Zumboldt. Herr Pfeffer.« Objektmanager Jürgen Hartwig verbeugte sich leicht und zog sich zurück.

»Was für eine schleimige Schwuchtel«, sagte Fiona Zumboldt und verlor damit sofort alle Sympathiepunkte bei Pfeffer, obwohl er sie auf den ersten Blick für durchaus sympathisch und trotz des zu heftigen Botoxeinsatzes für sehr attraktiv gehalten hatte. Dann schob sie ein »Entschuldigen Sie die Ausdrucksweise« hinterher, und Pfeffer war halbwegs versöhnt. Sie führte Pfeffer in den großzügigen Eingangsbereich des Lofts. Die bodentiefe Fensterfront genehmigte einen atemberaubenden Blick über Münchens Süden hinweg in die Weite. Wenn Föhn geherrscht hätte, hätte man die Alpen sehen können. So konnte man sie nur im blauen Dunst erahnen. Das Entree war spärlich, aber höchst erlesen möbliert.

»Kann ich Ihnen etwas zu trinken anbieten, Herr Pfeffer? Und bitte nehmen Sie doch Platz.« Sie deutete auf eine kleine, massive Eichenholzbank, die so schlicht aussah, dass sie ein Vermögen gekostet haben musste.

»Danke.«

»Danke ja oder danke nein.«

»Danke nein. Ich bleibe auch lieber stehen. Sie verreisen?«, fragte Pfeffer und deutete auf die gepackten Koffer.

»Ich? Nein. Bestimmt nicht. Mein Mann verreist. Auch wenn er das noch nicht weiß. Irgendwann reicht es.«

»Ich verstehe«, sagte Pfeffer langsam.

»Nein, das glaube ich nicht. Keiner versteht meinen Mann. Ich schon mal gleich gar nicht.« Sie lehnte sich mit verschränkten Armen gegen eine Kommode, die ebenso schlicht und streng gestaltet war wie die Holzbank. Über dem Möbel hing eine alte afrikanische Maske. »Sie wollten mit mir über meinen Mann sprechen, Herr Pfeffer?«

»Richtig.« Max Pfeffer kam nicht weiter. Es läutete an der Tür.

»Herrschaftszeiten«, stöhnte Fiona Zumboldt und ging mit großen Schritten zum Eingang. Sie riss die Tür mit einem unfreundlichen »Ist der Chauffeur endlich da?« auf und prallte mit einem Seufzer zurück. Vor der Tür stand ein dralles Trachtlerpaar. Sie im nachtblauen Dirndl mit hellblauer Schürze, er in einem dunklen Lodenanzug mit besticktem Gilet und Filzhut mit prächtigem Gamsbart. Er trug eine alte Aktentasche in der linken Hand. Beide lächelten ebenso zuckersüß wie falsch. Jeder, der auch nur gelegentlich einen Blick in eine Münchner Zeitung warf, erkannte das prominente Wirtspaar Hedwig und Alois Zumboldt sofort – Großgastronomen, Wiesnwirte, Münchner Institutionen.

»Mei, Fiona.« Die dicke Trachtlerin rauschte herein und drückte die Hausherrin kurz an ihren mächtigen Busen. »Gut schaust du aus. Bisschen blass, na, das liegt wahrscheinlich nur an dem grünen Dings, das du da trägst. Grün ist einfach nicht deine Farbe, Schatz.«

»Freu mich auch, dich zu sehen, Hedwig.« Fiona Zumboldt ertrug mit stoischem Blick auch das Bussi-Bussi des dicken alten Manns.

»Wir wollen nicht lange stören«, sagte Alois Zumboldt und schob sich in die Wohnung. »Termine, Termine, Termine und dann müssen wir noch zum Empfang vom Tourismusamt. Die Chinesen sind doch da. Da muss man ein bissl antichambrieren, gell?«

»Herr Pfeffer, meine Schwiegereltern. Hedwig und Alois Zumboldt«, stellte Fiona Zumboldt sie einander ganz nebenbei vor. »Sie wohnen direkt über uns. Überaus praktisch«, fügte sie sarkastisch hinzu.

»Soso«, sagte Hedwig Zumboldt demonstrativ desinteressiert und streifte den Kriminalrat kurz mit einem Blick. Dann sah sie irritiert noch ein zweites Mal hin. Pfeffer glaubte fast, ihre Gedanken lesen zu können. Zuerst, das war ihm klar, hatte sie ihn für Personal gehalten, den Chauffeur vielleicht. Mann im besten Alter, grauhaarig zwar bereits, aber sehr athletisch gebaut, breite Schultern, markantes Kinn. Und dann diese Augen. Schokoladiges Kuschelbraun, fiel Hedwig Zumboldt spontan ein. Dann registrierte sie, dass er für Personal zu teuer und zu geschmackssicher angezogen war. Womöglich ein Chauffeur mit speziellen Diensten für die Schwiegertochter? Wenn ja, dann verstand sie ihre Schwiegertochter bestens.

»Und was macht der Herr Pfeffer?«, fragte sie und schenkte ihm plötzlich ihre ganze Aufmerksamkeit. Pfeffer war sich sogar sicher, dass sie einen kleinen Flirtversuch in ihre blauen Augen legte. Irgendetwas an dieser Frau erinnerte Pfeffer an jemanden, an den er absolut nicht erinnert werden wollte.

»Der Herr Pfeffer ist bei der Kriminalpolizei«, sagte Pfeffer. Ihm entging nicht, dass Alois Zumboldt kurz zusammenzuckte und die Augenbrauen kraus zog.

»Und was verschafft uns die Ehre?«, fragte Hedwig Zumboldt. Sie ließ sich dabei ein wenig zu offensichtlich und zu tief in Pfeffers kuschelbraune Augen fallen.

»Es betrifft Ihren Sohn und Ihren Gatten«, antwortete Pfeffer. Doch bevor er weiterreden konnte, stürmten zwei Kinder den Flur entlang.

»Ach, da sind ja meine Schätzchen«, kreischte Hedwig Zumboldt und umarmte die beiden semmelblonden Kinder, die die Umarmung nicht erwiderten, sondern mit hängenden Armen über sich ergehen ließen. Der Junge mochte acht oder neun sein, seine kleine Schwester fünf oder sechs.

»Hast du uns was mitgebracht, Oma?«, fragte der Junge, als er wieder festen Boden unter den Füßen hatte.

»Natürlich, meine Schätzchen.« Sie nestelte zwei klein gefaltete Zwanzigeuroscheine aus ihrem Dekolleté und reichte sie den Kindern. Die tauschten einen schnellen abschätzigen Blick und schnappten sich das Geld.

»Du verwöhnst sie zu sehr«, sagte Fiona Zumboldt streng.

»Einer muss es ja tun«, antwortete ihre Schwiegermutter.

»Wie sagt man, Kinder?« Fiona Zumboldt sah ihre Kleinen streng an.

»Danke, liebe Oma«, sagten die beiden Kinder wie aus einem Mund, dressiert und gelangweilt.

»Deborah!«, rief ihre Mutter ungeduldig mit starkem, deutschem Akzent den Flur hinunter. »Deborah, where are you?«

Ein junges Mädchen mit hektischen roten Flecken auf den Wangen kam angerannt. »Yes, Ma’am.« Dass sie Britin war, konnte man selbst bei den wenigen Worten hören.

»Would you please take care of the children?«

»Of course, Ma’am. Come on my sweeties …« Das Kindermädchen namens Deborah führte die Kleinen weg. Pfeffer hörte noch, wie der Bub seiner Schwester »Twenty fucking Euro« zuflüsterte. »Yeah, so fucking miserly«, tuschelte die Kleine zurück. Die Nanny sah sich erschrocken um, doch da keiner der Zumboldts das offenbar gehört hatte und es keinen Anschiss gab, schob sie die Kinder schnell den Flur hinunter. »In this case, stingy would be the better word«, hauchte die Nanny den Kleinen zu. Dass das niemand mitbekam, lag daran, dass Alois Zumboldt lospolterte und alle Aufmerksamkeit auf sich zog: »Können wir jetzt endlich mal hören, warum dieser Pfeffer von der Kriminalpolizei hier ist? Also, Pfeffer, was gibt es?«

Pfeffer sagte, was es gab, ohne zu viele Details zu verraten. »Mehr kann ich Ihnen momentan noch nicht sagen, denn wir müssen das Obduktionsergebnis abwarten.«

Die Reaktion der Familie erstaunte ihn nicht, nach allem, was er bisher mitbekommen hatte. Die drei wechselten lauernde Blicke, als ob sie darauf warteten, wer als erstes eine Reaktion zeigte. Schließlich sagte die Witwe: »Das ist unschön.«

»So kann man es auch formulieren«, sagte Max Pfeffer.

Sie öffnete die oberste Schublade der Kommode, entnahm ihr eine Schachtel Zigaretten und zündete sich eine an.

»Mein Bub. Mein armer Bub.« Hedwig Zumboldt blinzelte hektisch, bis sie tatsächlich feuchte Augen bekam. »Ich hab immer befürchtet, dass es mal nicht gut mit ihm endet. Aber so?« Sie keuchte und schniefte, wühlte in ihrer Tasche nach einem Taschentuch und betupfte sich die Augen. Pfeffer glaubte ihr nicht.

»Hedy, was redest denn du.« Alois Zumboldt legte seinen Arm um seine Frau, schien aber über die Todesnachricht nicht weiter erschüttert. »Dass unser Bub mal nicht gut endet. So ein Schmarrn. Wieso sagst du denn so was?«

»Das würde mich auch interessieren«, sagte Max Pfeffer.

»Ach, das war nur so dahingesagt.« Die Frau schnäuzte sich lautstark und klopfte sich mit der Faust gegen die Brust. »Ich hab mir halt immer Sorgen um meinen Bub gemacht. Wie man das als Mutter halt so macht. Er war ja manchmal ein bissl wild und unangepasst. Da macht man sich als Mutter öfter mal Sorgen, nicht wahr, Herr Pfeffer? Haben Sie auch Kinder?«

Pfeffer nickte. Und ihr Blick rutsche sofort zu seinen Händen. Kein Ring.

»Eins? Zwei? Buben oder Mädchen?«

»Zwei Buben.«

»Sehen Sie, da kennen Sie das sicher auch!«, rief Hedwig Zumboldt. »Man macht sich um die Buben einfach immer mehr Sorgen!«

»Als um was?«, fragte Fiona zynisch und hektisch rauchend. »Als um Mädchen? Du hast keine Tochter, Hedy, nur einen Sohn. Hattest!«

»Musst du jetzt rauchen?«, zischte ihre Schwiegermutter. »Kannst du nicht mal an die Kinder denken?«

»Ich glaube, es ist besser, wenn ihr jetzt geht.« Fiona Zumboldt drückte die Zigarette in einem Porzellanaschenbecher aus. »Ich möchte ein wenig allein sein und das alles erst einmal verdauen.«

»Wenn wir irgendwas für dich tun können …«, sagte Hedwig Zumboldt.

»Sicher nicht.«

»Verständlich, dass Sie nun allein sein möchten«, sagte Pfeffer. »Sie haben ja einiges zu regeln. Ich muss Sie allerdings alle bitten, sich in den nächsten Stunden zur Verfügung zu halten. Meine Kollegen und ich werden Ihnen einige Fragen stellen müssen, wenn wir die Laborergebnisse haben.«

»Sicher.« Alois Zumboldt nickte.

»Eine Frage jedoch, bevor ich Sie allein lasse. Wo waren Sie heute früh so zwischen fünf und sieben Uhr?«

Fiona Zumboldt lachte gepresst. »Wo wohl? Im Bett! Und nein, dafür habe ich keinen Zeugen. Mein Mann und ich haben getrennte Schlafzimmer. Abgesehen davon, war er ja um diese Zeit nicht zu Hause!«

»Wir haben auch geschlafen«, sagte ihr Schwiegervater.

»Allerdings«, ergänzte seine Frau. »Und wenn Sie es genau wissen wollen, auch wir haben getrennte Schlafzimmer.«

Max Pfeffer trat hinaus in die milde Aprilsonne und atmete tief durch. Auf der Straße rauschte eine Tram vorbei, dann noch eine. Der Boden vibrierte leicht. Pfeffer telefonierte kurz mit Hauptkommissarin Hemberger, um diverse Anweisungen zu geben. Sie und Kollege Yusufoglu sollten sich in Zumboldts Büro umsehen.

Pfeffer, ganz Koffeinjunkie, brauchte sofort ganz viel Koffein, stark und schwarz. Er ließ den Tower hinter sich, lief die Müllerstraße ein kurzes Stück entlang und kehrte im Café Forum an der Ecke zur Corneliusstraße ein. Er kannte den Laden von früher, als er noch nicht so schick eingerichtet war und die Preise moderater waren. Man orientierte sich eben an der neuen Klientel im Viertel. Viele Tische waren mit meist weiblichen Frühstückern besetzt, Kinderwägen überall in den Gängen. Pfeffer erkannte auch einen beliebten Schauspieler. An der Bar schüttete Pfeffer schnell hintereinander einen doppelten Espresso und dann noch einen Macchiato hinunter und fühlte sich endlich besser. Er legte das Geld auf den Tresen und ging wieder zurück zum Tower. Er umrundete das Gebäude, um sich hinten im Garten noch einmal die Fundstelle der Leiche ganz in Ruhe anzusehen. Das machte er gerne. Nicht, dass er den Kollegen von der Spurensicherung misstrauen würde, aber Pfeffer hielt durchaus etwas von Intuition, und manchmal gab ein Tatort mehr preis, als wissenschaftlich zu benennen war.

Die Stelle zwischen Hecke und Hauswand, an der die Leiche gelegen hatte, war mit frischem Rindenmulch bedeckt, der kräftig nach Natur roch. Pfeffer ging in die Hocke und betrachtete eingehend den leichten Abdruck, den der Körper im weichen Untergrund hinterlassen hatte. Dann umrundete er gebückt die Fundstelle. Warum hatte Guido Zumboldt den Weg verlassen und war hinter die niedrige Hecke gestiegen? Denn dass der Fundort auch der Tatort war, ließ sich recht leicht daran erkennen, dass es keinerlei Schleifspuren, abgeknickte oder zertrampelte Zweige an der Hecke gab. Der Täter musste auf der anderen Seite der Hecke gestanden und dann sein Opfer von hinten erschlagen haben.

Pfeffer spürte, dass er beobachtet wurde. Er blickte auf. Der Gärtner stand am anderen Ende der Grünfläche mit einem Rechen in der Hand und blickte herüber. Als er bemerkte, dass Pfeffer ihn bemerkt hatte, schaute er schnell weg und begann zu rechen. Max Pfeffer richtete sich auf, dabei fiel ihm etwas im Mulch auf. Zwei kleine Papierschnippelchen. Entweder lagen sie nicht im Bereich, den die Spurensicherung unter die Lupe genommen hatte, oder sie waren tatsächlich niemandem aufgefallen. Pfeffer hob sie auf und betrachtete sie nachdenklich. Irgendwie kam ihm das Papier bekannt vor, doch er konnte sich nicht erinnern. Mit ihren geraden Kanten sahen sie aus wie aus einem Aktenvernichter. Pfeffer steckte sie in seine Brieftasche und ging zum Gärtner hinüber, der rechte und dabei so tat, als würde er Pfeffer nicht beachten.

»Eine Frage noch, Herr Stockmair«, sagte Pfeffer.

»Sicher.« Lenz Stockmair stützte sich auf seinen Rechen und sah Pfeffer nicht in die Augen, sondern hielt den Blick auf dessen Brust fixiert.

»Was haben Sie gemacht, unmittelbar nachdem Sie den Toten gefunden haben?«

»Da habe ich die Polizei gerufen, was sonst?«

»Nein.«

»Nein?« Stockmairs Blick flatterte unsicher hinauf zu Pfeffers Augen und rutschte sofort wieder zurück zum Brustbein. »Doch. Habe ich.«

»Nein. Wie uns die Überwachungskameras verraten haben, waren Sie offenbar erst noch im Haus und haben dann bei Ihrer Rückkehr die Polizei gerufen.«

Stockmair schluckte und nickte langsam. »Ja. Ja. Das stimmt. Ich … ich musste mich übergeben. Tschuldigung. Ich bin schnell rein auf die Toilette, und danach habe ich die Polizei gerufen. Bekomme ich jetzt deswegen Ärger?«

Pfeffer glaubte erst, der Gärtner würde ihn auf den Arm nehmen, doch er sah, dass es ihn ernsthaft beschäftigte. »Nein, sicher nicht. Ach, doch noch eine Frage. Haben Sie jemanden gesehen?«

»Na ja, Schorsch, der Chefhausmeister ist bei mir in der Umkleide gewesen. Der ist dann aber gleich vor zum Portier, um die Aufgaben für den Tag zu besprechen. Das macht der immer so. Und dann, als ich zur Tür raus bin, hat da der Bursche aus dem siebten mit seiner Freundin rumgeknutscht. Timo Dollmann. Die sind fast die Treppe runtergefallen, als ich die Tür aufgemacht habe. Die sind dann reingegangen. Mehr weiß ich nicht.«

»Danke, das reicht erst einmal. Und ein Tipp so unter uns: Gehen Sie nach Hause. Ruhen Sie sich einen Tag lang aus. Dafür wird Ihr Chef sicher Verständnis haben.«

»Mein Chef schon …« Lenz Stockmair zuckte mit den Schultern. »Er hat schon gesagt, dass ich gehen soll. Ich mach das hier nur noch fertig. Dabei ist jetzt die Zeit, wo wir Gärtner so viel zu tun haben.«

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