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Heißer Tanz

Bis vor vier Jahren reiste Arianne Caoili mit ihrer Mutter um die Welt. Die zarte Filipina gewann einige Schachturniere und im Alter von 13 Jahren sogar gegen den russischen Großmeister Wladimir Jepischin. Doch mit 15 wollte Arianne lieber wieder zur Schule gehen. Heute ist sie 19 und singt Jazz.

Bei der Schacholympiade in Turin hat Caoili sich wieder ans Brett gesetzt, für Australien, wo sie mittlerweile lebt. Sie erregte diesmal aber nicht mit Turmopfern Aufsehen, sondern auf einer Party, Salsa tanzend mit Levon Aronjan, dem in Berlin lebenden Weltranglistendritten. Dies ärgerte den englischen Großmeister Daniel Gormally so sehr, dass er Aronjan zu Boden stieß, was wiederum dessen armenischen Freunde auf den Plan rief. Anderntags reiste Gormally ab. Aronjan und die Seinen wurden am Ende Olympiasieger. Caoili war bereits wenige Tage zuvor in eine andere unangenehme Lage geraten (siehe Diagramm). Weil sie einen hübschen Zug ihrer mit den schwarzen Steinen spielenden Gegnerin, Le Than Tu, übersehen hatte. Welcher war’s?

Lösung: Scheinbar hat Weiß alle wichtigen Felder unter Kontrolle, aber nach dem folgenden Damenopfer knüpfen die drei übrigen schwarzen Figuren ein Mattnetz: 1…Dg2+! 2.Sxg2 hxg2+ (Und ohne das Matt nach 3.Kg1 Sh3 abzuwarten, gab Caoili auf.) 0:1.


Führte Armenien in Turin zur Goldmedaille: Großmeister Levon Aronjan.


Garry Kasparow zockt inkognito

Seitdem Garry Kasparow, der vielleicht beste Schachspieler aller Zeiten, seine Karriere beendet hat, erklärt er den Russen vom Kaukasus bis Sibirien, weshalb Präsident Wladimir Putin seiner Meinung nach ein Diktator ist. Natürlich kommt Kasparows neue Rolle nicht überall gut an. Der Geheimdienst FSB belauere ihn, sagt er. Wenn er als Vorsitzender des für freie Wahlen kämpfenden „Komitees 2008“ unterwegs ist, schützen ihn Bodyguards – und sein Name. Aufgewiegelte hätten zwar schon mit Eiern geworfen, aber weniger berühmte Oppositionelle lebten weitaus gefährdeter als er.

Letzten Sonntag hat Kasparow auf dem Triumfalnaja-Platz in Moskau eine Demonstration organisiert. Die Demonstranten forderten besseren Schutz für Bürger durch die Polizei. Und nach der Demo? Zockte Kasparow unter Pseudonym im Internet! Blitzschach bei www.schach.de. In der Diagrammstellung ließ er, als Weißer am Zug, Großmeister Wladimir Below keine Chance. Der ehemalige Weltmeister führte den einzig wahren Zug übrigens in nur 0,9 Sekunden aus. Und Sie?

Lösung: 1.Lf6! (Nur dieser Zwischenzug gewinnt, denn erst jetzt droht der d-Bauer mit Mattkraft vorzurücken.) 1…Td8 (Hoffnungslos wäre z. B. auch 1…Tcc8 2.dxc8D+ Txc8 3.Txf1, mit Mehrfigur für Weiß.) 2.Lxd8 Se3 3.Lf6 (Below gab auf.) 1:0.


Matt mit Magnus

Als Fünfjähriger kannte Magnus Carlsen aus Lommedalen bei Oslo alle Länder der Welt, samt ihren Hauptstädten, Bevölkerungszahlen und Fahnen. Anschließend gelang ihm die gleiche Übung mit den etwa 430 Kommunen Norwegens. Glücklicherweise war noch Platz in seinem Kopf, als er sich mit acht endlich für Schach zu interessieren begann. Seitdem entspringen diesem Superhirn immer wieder Züge feinster Qualität. Schon mit 13 wurde Magnus Großmeister; inzwischen ist er 15 und soeben, im Sommer 2006, auf Platz 31 der Weltrangliste vorgerückt. Ein Weltmeister in spe – auf den sich auch der OSC Baden-Baden freut, denn in der kommenden Saison 2006/07 setzt Carlsen auch für den deutschen Mannschaftsmeister matt.

Zur Diagrammstellung kam es nun beim Mitternachtssonne-Turnier im norwegischen Tromsø. Obwohl dort Tag und Nacht die Sonne schien, sah es für Leif Erland Johannessen düster aus, als Carlsen mit Schwarz einen unwiderstehlichen Angriff einleitete, der ihn entscheidend in Vorteil brachte. Wie?

Lösung: 1… Sg4! (Vorsicht, Gabel auf f2!) 2.Lxg4 (Kaum zäher wäre 2.Ta2 Ta3! 3.Tb2 Dxb2! 4.Sxb2 Sf2+ und 5…Sxd1, mit gewonnenem Endspiel. Oder 2.De2 Txf3! 3.Dxf3 Tc2 4.h3 Th2+ 5.Kg1 Da7+.) 2… Lxg4 3.Dxg4 Dxd5+ 4.Kg1 Tc2 5.Dh3 (Oder 5.Te2 Dd4+.) 5…Dd4+ 6.Kh1 Te3! (Plant …De4+, bzw. 7.Txe3 Dxa1+.) 7.Df1 Dd2 0:1.


Grauer Held

Eines heißen Sommers übermannte mich auf der niederländischen Insel Schiermonnikoog das Bedürfnis nach einer Schachzeitschrift. Zwar sprach ich kaum ein Wort Niederländisch, wusste aber immerhin, dass Schach „schaak“ heißt. Die Frau im örtlichen Zeitungsladen konnte jedoch nichts anfangen mit meiner Frage „Heb je Schaaknieuws?“. Also probierte ich es auf Englisch, dann auf Deutsch – vergebens. Zerstreut unternahm ich einen letzten Versuch: „Jan Timman!“ – „Aaaah, sraaak!“, rief die Frau nun mit funkelnden Augen. Seitdem weiß ich, wie man „schaak“ ausspricht und wie populär Timman in seiner Heimat wirklich ist. In den 1970er Jahren war er Hippie, in den 1980ern längst Volksheld, in den 1990ern kämpfte er um den WM-Titel. Mittlerweile ist Timman ergraut und rausgerutscht aus den Top 100.

Bei der Landesmeisterschaft in Hilversum sah man nicht viel von der Kraft, die sein Spiel manchmal noch hat. Bloß oben (gegen Jan Smeets) siegte Timman als Weißer mit Stil. Wie?

Lösung: 1.Lxf7+! Kd8 (Auf 1…Kf8 gewänne 2.Dg2! und auf 1…Kxf7 u. a. 2.Txe5! Lxe5 3.Dh5+ Kf8 4.Dh6+ Ke8 5.Dg7! Lxf5 6.f7+! Dxf7 7.Dxe5+.) 2.Dd5! Sxf7 (Oder 2…Dc6 3.Txe5.) 3.Dxf7 Kc8 (Oder 3…Tf8 4.Dg7 nebst 5.Ted1.) 4.Sd5 Da5 5.b4! 1:0 (Denn chancenlos wären z. B. 5…Da3+ 6.Kb1 bzw. 5…Dd8 6.Se7+.)


Fußballfieber in Dresden

Manchen mag verborgen geblieben sein, dass letzten Sonntag nicht Italien Weltmeister wurde, sondern die USA. Zugegeben, was da in Dresden lief, war in Wirklichkeit kein Fußball und im Grunde auch keine WM: 32 Meisterinnen spielten Schnellschach, und jede repräsentierte eines der 32 Länder, die an der Fußball-WM teilnahmen. Im Finale siegte Susan Polgar, die für die USA spielende Favoritin, gegen Elisabeth Pähtz, Junioren-Weltmeisterin aus Erfurt.

„Ein tolles Turnier“, jubelte Pähtz hinterher. Die 20-Jährige, bekannt für schrille Outfits, saß diesmal in einem weißen Nationaltrikot am Brett. Ihren Frohsinn hat offenbar auch der geleistete Grundwehrdienst nicht trüben können. „War lustig“, sagt Pähtz. Seitdem genießt sie die Vorzüge der Sportförderkompanie und trainiert. Das bekam in Dresden im Halbfinale auch die Französin Marie Sebag zu spüren (siehe Diagramm). „Ich hatte gehofft, dass Marie den Bauern auf d6 nimmt.“ Und Sebag tat es! Sehen Sie, wie Pähtz mit Schwarz daraufhin ihre Falle zuschnappen ließ?

Lösung: 1…Tg5! („Danach hätte Marie aufgeben können“, sagte Pähtz. Es droht matt auf g2; und falls 2.fxg5 Le5+ 3.Dxe5 Txe5, verlöre Weiß weiteres Material, z. B. 4.h4 Tb5 5.b4 Dxc3 oder 4.Tec1 Dd2 5.h4 Txe4.) 2.Tg1 Txg2+! (Gewinnt eine Figur.) 3.Txg2 Dxb1 (Nach einigen belanglosen Zügen gab Sebag auf.) 0:1.


Indiens Boom

Es wundert kaum noch, dass immer wieder Wunderkinder auftauchen. In den 1970er und 1980er Jahren wurden Jungstars meist mit 18 oder 19 Großmeister – heute schaffen es manche weitaus früher. Sie erfassen eben das gewaltige Schachwissen dank der Computer viel schneller. Ganz so einfach ist es aber nicht, es wachsen ja nicht überall Wunderkinder heran, in Deutschland zum Beispiel bislang keine. Eigentlich lässt sich auch nicht zweifelsfrei erklären, wieso Parimarjan Negi aus Neu-Delhi soeben mit 13 Jahren zweitjüngster Großmeister aller Zeiten geworden ist. Klar, Negi hat überragendes Talent und Eltern, die ihn fördern. Vielleicht spielte es auch eine Rolle, dass zu Hause kein Fernseher rumsteht und er jeden Tag Yoga macht. Doch besonders prägend für Negi war wohl der indische Schachboom, ausgelöst durch die Erfolge seines Idols, Viswanathan Anand. In diesen Tagen hat Negi in Kopenhagen gespielt. Sehen Sie, wie er oben mit Schwarz den Amateur Aage Olsen flott ausknockte?

Lösung: 1…Txg2+! (Negi entfernt humorlos den einzigen Verteidiger des Königs. Zu brav wäre 1… Se8?! gewesen, dann hätte Weiß nach 2.Dg4 noch hoffen können.) 2.Kh1 (Oder 2.Kxg2 Dxe4+ nebst matt, z. B. 3.Kh2 Sf3+ usw.) 2…Th2+! (Weiß gab auf, wegen 3.Kxh2 Sf3+ und 4…Sxg5.) 0:1.


Elenis Züge

Bertina Henrichs Debütroman Die Schachspielerin hat es inzwischen in die Bestsellerlisten geschafft. Es ist die Geschichte von Eleni, die in einem Hotel auf der griechischen Insel Naxos als Zimmermädchen arbeitet und täglich „die Spuren des Lebens in all seinen Formen [beseitigt]. Spritzer von Blut, Sperma, Wein oder Urin“. Ihr ödes Leben ändert sich, als sie zufällig das Schachspiel kennenlernt. Eleni, Mutter zweier Kinder, entwickelt fortan eine Leidenschaft, die in ihrer Welt aber auf Widerstände stößt. Eine Emanzipationsgeschichte – mit missglückten Details: Als Eleni zum Beispiel gegen einen Schachcomputer spielt, wird sie nach acht Zügen matt gesetzt. Huch? Ich überlegte. Rief Meisterspieler an und las ihnen die Textstelle vor. Nein, wie Henrichs den Partieverlauf beschreibt, ist ein Matt unrealistisch.

Anders in der Stellung oben, zu der es jüngst in Göteborg kam: Großmeister Johan Hellsten setzte mit Schwarz Johan Eriksson in vier Zügen matt und wurde schwedischer Meister. Wie?

Lösung: 1…Dxa3+! (Rums! Übrigens ist 1…Dxa3+ der einzige Gewinnzug – und was für einer! Falsch wäre natürlich 1…Lxh1?? 2.Tg1+!) 2.bxa3 Tc2+ 3.Kb1 (Auch mit 3.Ka1 Sb3+ 4.Kb1 Td2 hätte der König dem Mattnetz nicht entkommen können.) 3…Td2+ 4.Ka1 Sb3 matt 0:1.


Vor dem Millionenspiel

Früher saß Peer Steinbrück sommers gerne mal im Dortmunder Schauspielhaus und schaute Schachgroßmeistern beim Grübeln zu. Doch schon als Ministerpräsident ließ es sich nicht mehr so gut unerkannt kiebitzen; und auch diesmal verpasste der schachbegeisterte Bundesfinanzminister, wie Weltmeister Wladimir Kramnik das Turnier in Dortmund gewann. Zwei Tage später saßen beide aber nebeneinander und gaben Auskunft über ein im November in Bonn beginnendes Duell zwischen Kramnik und Deep Fritz, jenem Computerprogramm, das viele Millionen Züge pro Sekunde berechnet.

Eine Million Dollar bekäme Kramnik, wenn er Deep Fritz nach sechs Partien bezwungen haben sollte. Natürlich wünsche er dem Menschen den Sieg, sagte Steinbrück, der Schirmherr der Veranstaltung ist. Gespielt wird in der Bundeskunsthalle, wo Steinbrück im letzten Jahr selber eine Schaupartie gegen Kramnik austrug. Und mithielt! Erst spät nahm ihm der mit Schwarz spielende Russe entscheidendes Material ab. Wie?

Lösung: 1…Te5! (Steinbrücks Springer hat sich nach h6 vergaloppiert, also schneidet ihm Kramnik den Rückweg über f5 ab.) 2.Txa6 (Auch andere Züge änderten nichts.) 2…f6 3.Ta7 Kxh6 (Steinbrück gab auf. Mit einer Minusfigur machte das Weiterspielen gegen den Weltmeister natürlich keinen Sinn mehr.) 0:1.


Fast wie Rubinstein

Der großartige Akiba Rubinstein vertraute einst einem Kollegen an, dass er sich quer durch Europa von einer Fliege verfolgt fühle. Wohin er auch komme, hindere ihn das Tier daran, konzentriert Schach zu spielen. Ein schicksalhaftes Vorzeichen. Ausgangs des 19. Jahrhunderts hatte sich der junge Pole entschieden, statt der Tora lieber Schachbücher zu studieren. Bald gelangen ihm Partien voller Kraft und Klarheit, und von 1907 bis 1913 war er der wohl schärfste Rivale des deutschen Weltmeisters Emanuel Lasker. Ein WM-Kampf kam aber nie zustande. Rubinsteins psychische Probleme verschlimmerten sich, und 1931 verschwand der Menschenscheue ganz aus der Öffentlichkeit. Er starb 1961 in einem Heim in Belgien.

Als unsterblich gilt seine brillante Opferpartie gegen Rotlevi in Lodz 1907. Kenner denken vielleicht an jenes Meisterwerk, wenn sie die obige Stellung sehen, zu der es nun in Amsterdam kam. Zumindest erinnert der schwarze Gewinnzug, ausgeführt vom Briten Mark Ferguson (gegen Ben Ahlers), an Rubinsteins Unsterbliche.

Lösung: 1…Td2! (Eine feine Ablenkung. Falls nun 2.gxf4, gewänne 2…Txe2 3.Lg3 exf4 4.Lxf4 Txc2 eine Figur; und 2.Dxd2 scheitert an 2…Df1 matt.) 2.Lxd2 Dxg3 (Nun droht’s auf g1.) 3.Sc3 (Oder 3.Le3 Dh3+ 4.Kg1 Sxe3 und gewinnt, z. B. 5.Df2 Sd7 6.Ta3 Dg4+ 7.Kh2 Sxd1.) 3…Dh3+ 0:1.


Junge Russen

Zwar haben die Russen zurzeit kein Nachwuchstalent im guten, alten K-Format wie Karpow oder Kramnik, doch die Schachkultur ist bei ihnen immer noch enorm tief verwurzelt, was anlässlich der 59. russischen Meisterschaft in Tomsk mal wieder deutlich wurde. Die sieben Spieler, die sich dort für das Superfinale qualifiziert haben, sind alle erst zwischen 16 und 22 Jahre alt. Man sollte, auch wenn es manchmal schwer fällt, ihre Namen im Kopf behalten: etwa Jan Nepomnjaschtschi, 16 Jahre jung, oder Nikita Witjugow und andere bisher kaum bekannte Größen, die sich den zweiten Platz teilten hinter Ernesto Inarkijew, dem Turniersieger.

Vielleicht vollzog sich in Tomsk bereits ein abrupter Generationswechsel. Etablierte Großmeister wie Chalifman, Drejew oder Najer verpassten die Qualifikation; Jewgeni Najer allerdings ziemlich knapp. Tröstlicherweise hatte er oben als Weißer am Zug (gegen Großmeister Oleg Kornejew) eine besonders erfrischende Kombination ausgeheckt. Wie kam’s?

Lösung: 1.Txc6+! (Schon in der Vorausberechnung musste Najer das Feld b8 als den wunden Punkt im schwarzen Lager ausgemacht haben; Schwarz erkannte es nun auch und kapitulierte. Denn auf 1… bxc6 folgt die hübsche Pointe 2.Dxc2! Dxc2 3.Tb8 matt.) 1:0.


Der Anrufer

Seit gestern spielen die Weltmeister Wladimir Kramnik und Wesselin Topalow in Elista, Hauptstadt der autonomen russischen Republik Kalmückien. In drei Wochen wird es nur noch einen Champion geben und die Schachwelt, seit 13 Jahren entzweit, zumindest in dieser Frage wieder vereint sein. Das Dilemma hatte mit einem Anruf begonnen: Im Jahr 1993 schlug der Brite Nigel Short, gerade als Herausforderer qualifiziert, dem damaligen Weltmeister Kasparow vor, das gemeinsame WM-Finale ohne den Weltschachbund Fide durchzuführen. Der Russe stimmte erfreut zu. Im Grunde erschien ihnen das Preisgeld von 2,58 Millionen SFr. zu gering. Sie gründeten einen eigenen Verband, übersahen aber, dass dies den traditionsreichen Titel eines Weltmeisters arg beschädigen sollte. Fortan gab es zwei Verbände und zwei Weltmeister. Heute ist (der damals chancenlose) Short 41.

Und er hat kaum etwas verlernt, wie sein Turniersieg bei der EU-Einzelmeisterschaft in Liverpool zeigt. Dort fand er mit Weiß gegen den Finnen Karttunen ein leises Gewinnmanöver.

Lösung: 1.Th6! (Dies gewinnt sofort, denn der mächtige Läufer d5 ermöglicht das entscheidende Manöver Th6-g6; z. B. 1…Lg7 2.Tg6 gefolgt von 3.f6, oder 1…Dd8 2.Tg6+ Kf8 3.Dh6+ nebst 4.Txf6, oder 1…Kg7 2.Th7+ Kg8 3.Dh5 und ggf. 4.Dg6+. Ergo gab Schwarz auf.) 1:0.


Kortschnoi empfindet „nichts“

Viktor Kortschnoi ist endlich Weltmeister geworden, genauer: Senioren-Weltmeister. Und was bedeutet ihm der in der italienischen Gemeinde Arvier errungene Titel? „Nichts“, sagt der 75-Jährige und lacht. Gewiss, viel lieber wäre er einmal „richtiger“ Weltmeister geworden, damals, 1978 und 1981, in den Duellen gegen Anatoli Karpow, im Kalten Krieg auf dem Schachbrett, der Sowjetflüchtling Kortschnoi gegen den linientreuen Karpow. Obwohl Kortschnoi beide Male unterlag, gilt er längst als eine der größten Persönlichkeiten der Schachgeschichte. Dieser Kampfgeist! Diese Hingabe! Seine Energien scheinen unerschöpflich. Demnächst wolle er die Mannschafts-EM spielen und im November vielleicht einen Wettkampf in Teheran. Immer unterwegs. Mit 75. „Für mich ist Schach ein bisschen Kunst, ein bisschen Psychologie und ein bisschen Sport“, sagt Kortschnoi. Bei der Senioren-WM habe er auch ein bisschen Glück gehabt.

Jedoch nicht in der Diagrammstellung! Sehen Sie, was Kortschnoi mit Schwarz Stefano Tatai vorsetzte?

Lösung: 1…Dd2! (Die eine Lady opfert sich, um die andere abzulenken: auf 2.Dxd2 folgt 2…f2+ 3.Tg2 f1D matt.) 2.Tf1 Dxf2 3.Txf2 Ta8?! (Weiß gab auf, obwohl er mit 4.Kg1 noch etwas kämpfen könnte. Klarer als 3…Ta8 gewann 3…Tf6! 4.Sg5 Lc6 nebst …e4 und …e3.) 0:1.


Viktor Kortschnoi


Psychotricks in Kalmückien

Eigentlich sind der Russe Wladimir Kramnik und der Bulgare Wesselin Topalow nach Kalmückien gekommen, um die geteilte Schachwelt zu einen. Doch aus dem großen WM-Kampf ist ein Spiel mit Psychotricks geworden. Als Kramnik 3:1 in Führung lag, streute Topalows Manager, Silvio Danailow, den Verdacht, Kramnik empfange während der Partien heimlich Computerzüge auf der Toilette. Der Bulgare erwirkte mithilfe seiner Freunde im (mittlerweile zurückgetretenen) Schiedsgericht sogar die Verriegelung des Klos. Woraufhin der empörte Kramnik nicht zur fünften Partie antrat und diese kampflos verlor. Jetzt, nach tagelangem Hin und Her, spielt der Russe weiter. Unter Protest.

Vor der WM waren auf Wunsch Kramniks strikte Maßnahmen gegen Hilfen von außen getroffen worden, u. a. Störsender rund um das Spielgebäude und eine Glaswand zwischen Zuschauern und Spielern. Zudem weisen einige typisch menschliche Fehler stark darauf hin, dass in Elista nicht gemogelt wird. Oben übersahen beide, wie Topalow mit Weiß leicht hätte gewinnen können.

Lösung: 1.Dg6+? (So nicht! Topalow hat ebenso wie Kramnik ein einfaches Matt auf g7 übersehen. Richtig war 1.Txg4+! Lg7 2.Dc7! Df1+ 3.Sg1 bzw. 1…Kh8 2.Th4+ und 3.Dh7 matt.) 1…Lg7 2.f5 Te7 3.f6 De2! (Danach befreite Kramnik sich allmählich aus seiner misslichen Lage und gewann später sogar noch.)


Edler Bauer

„Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose“, ist, zugegeben, ein viel zitierter Satz aus Gertrude Steins Die Welt ist rund. Es lässt sich ja auch allerhand hineindeuten in so einen schönen, runden Satz. Schachspieler kennen eine ähnliche Weisheit: Ein Bauer ist ein Bauer. Gut, das klingt vergleichsweise plump; aber die Welt ist eben rund und das Schachbrett eckig. Das mit dem Bauern ist ungefähr so gemeint: Selbst ein kleiner Bauer hat seinen Wert. Schon Meister Philidor hatte im 18. Jahrhundert erkannt, die Bauern seien die Seele des Schachspiels. Und wer ihre Bedeutung begreift, wird die gewaltige Macht einer Dame erst recht zu schätzen wissen, die ist schließlich neunmal so viel Wert wie ein Bauer.

Bloß manchmal scheinen all diese ehernen Gesetze auf den Kopf gestellt, beispielsweise in der Diagrammstellung, die beim Turnier in Gausdal/Norwegen zu sehen war. Zeigen Sie, womit der Lette Kaido Kulaots als Weißer am Zug seinen Großmeisterkollegen Felix Levin überraschte!

Lösung: 1.Db5+! (Nach diesem reizvollen Damenopfer ist der letzte verbliebene weiße Bauer, der bis dahin kümmerlich am Brettrand herumstand, der Held des Tages. Schwarz gab sofort auf, denn nach 1…axb5 folgt natürlich 2.axb5 matt!) 1:0.


Kurz und frech

Fast jeder Schachprofi hat einen Freund namens Fritz. Früher mussten die Meister immer selber denken, heute fragen sie Fritz, und der weiß oft Rat. „Fritz ist einer von uns, bloß dass er abends nicht mit an die Bar kommt“, sagt Viswanathan Anand. Fritz bleibt dann nämlich im Hotelzimmer, er wohnt in den Laptops der Profis: Fritz ist ein Schachprogramm. Gewiss, heute gibt es andere Programme, die ebenso stark spielen, sie heißen zum Beispiel Rybka oder Shredder. Doch als die Hamburger Fritz-Väter im Jahr 1991 einen Namen für ihr Kind suchten, sollte es kein kryptischer sein, sondern ein kurzer, frecher, freundlicher. Fritz’ Erfolgsgeschichte ist zweifellos auch mit dem Charme des Namens verbunden.Viel an ihn denken muss wohl zurzeit Wladimir Kramnik. Der Russe spielt bald in Bonn gegen Deep Fritz; es ist Kramniks zweiter Kraftakt innerhalb kurzer Zeit. Erst Mitte Oktober hat er in Elista/Russland seinen WM-Titel verteidigt, indem er oben mit Weiß Wesselin Topalow in der letzten Stichpartie besiegte.

Lösung: 1.Tb7+! (Der Zug, der die Weltmeisterschaft entschied! Falls nun 1…Txb7, gewinnt einfach 2.Txc5+ Kb6 3.axb7! Topalow hatte bei seinem vorherigen Zug, …Tc2xBc5, offenbar nur mit der Antwort 1.Kxb6? gerechnet.) 1:0.


Neben Bunker und Bolzplatz

Im Hamburger Stadtteil Eilbek steht ein Haus, in dem sich täglich Menschen zum Schachspielen treffen. Es handelt sich um das Schachzentrum des Hamburger SK, der mit seinen 176 Jahren der älteste bestehende Schachklub Deutschlands ist und mit über 400 Mitgliedern auch der größte. In diesem verklinkerten Haus, gelegen neben einem Bunker und einem Bolzplatz, wird die Kultur des Schachs auf bemerkenswerte Weise gepflegt. Der HSK hat 25 Mannschaften, darunter ein Männer- und ein Frauenbundesligateam, und besonders kümmert man sich um den Nachwuchs.

Aber auch um das Wohl der Denksportler. Denn als sie nun das zehnjährige Bestehen ihres Hauses mit einem kleinen internationalen Meisterturnier feierten, waren sogar Schnittchen und Kuchen von verlockender Qualität. Freundlicherweise ließen sie auch mich mitspielen, weshalb hier ausnahmsweise von einer eigenen Partie die Rede ist. Ahnen Sie, warum ich oben als Weißer am Zug gegen Wolfgang Pajeken ein bisschen Herzklopfen bekam?

Lösung: 1.Tc7! (Diesen Eindringling darf Schwarz nicht nehmen, denn auf 1…Txc7 setzt 2.Df8 matt; während das zähere 1…Dxc7 2.Lxc7 Txc7 3.Dg5 letztlich auch chancenlos wäre.) 1…De8 2.Df7+! (Das war’s – auf 2…Dxf7 gewinnt 3.Txc8+. Schwarz gab auf.) 1:0.

Kuss des Todes

Der unbegreifliche Fehler von Schachweltmeister Kramnik

Wer die Guggenheim Collection in der Bonner Bundeskunsthalle betritt, sieht sogleich Entscheidendes Rosa, ein Bild von Wassily Kandinsky. Der Meister hatte im Jahr 1932 unter anderem ein dreieckiges Schachbrettmotiv auf die Leinwand gepinselt. Wladimir Kramnik, der Schachweltmeister, ist ein Kunstliebhaber, er wird sich die Ausstellung aber erst nächste Woche ansehen können, weil er zurzeit noch mit dem Supercomputer Deep Fritz beschäftigt ist, genau eine Etage unter Guggenheims Meisterwerken.

Am Montagabend muss jedoch auch Kramnik das Schachbrett einen Moment lang nur als Dreieck wahrgenommen haben, eine Ecke hatte er im Duell mit Deep Fritz völlig außer Acht gelassen – unglücklicherweise jene, in der sein König stand. Nach einer bis dahin stark vorgetragenen Partie zog Kramnik im 34. Zug seine Dame nach e3. Offenbar träumte er von einem entscheidenden, ja rosaroten Gewinnzug. In Wirklichkeit war es ein unbegreiflicher, schachhistorisch einmaliger Fehler: Der Weltmeister hatte ein einzügiges Matt übersehen!

Als daraufhin Mathias Feist, der Bediener von Deep Fritz, die Dame nach h7 schwang, wo sie Kramniks König einen sogenannten Kuss des Todes verpasste, durchzuckte es den Weltmeister. Von den Zuschauerrängen waren Laute des Entsetzens zu vernehmen und auch Gelächter. Das geschlagene Genie gratulierte seinem Gegenüber, unterschrieb das Partieformular, fasste sich noch einmal an die Stirn und verschwand. „So etwas ist mir noch nie passiert, ich habe überhaupt keine Erklärung dafür“, sagte Kramnik. Er habe sich gut gefühlt und die Variante mit dem scheinbar krönenden Abschluss lange zuvor berechnet und immer wieder geprüft. „Das sah alles so gut aus für mich, und dann bin ich matt in einem.“ Auch Deep Fritz’ Bediener hatte es nicht gleich gesehen. „Auf dem Monitor leuchtete plötzlich ‚Matt‘, und ich dachte, ist jetzt der Computer kaputt oder was?“, sagte Feist.

Die Schachgeschichte hat zwar immer wieder gezeigt, dass selbst den größten Denkern hin und wieder schlimme Fehler unterlaufen, aber einen solch krassen wie diesen hat es zumindest in einer Turnierpartie eines Weltmeisters noch nie gegeben. Man muss lange zurückdenken, um einen nur annähernd vergleichbaren Fall heranzuziehen: Im Jahre 1892 ließ sich der russische Meister Michail Tschigorin, der in der entscheidenden 23. WM-Partie den Sieg vor Augen hatte, von Wilhelm Steinitz plump mattsetzen – allerdings in zwei Zügen, nicht in einem. Steinitz, der erste Weltmeister der Schachgeschichte, behielt dank des glücklichen Sieges seinen Titel.

Müdigkeit oder Druck hat Kramnik selber als Erklärung ausgeschlossen. Auch mit Zeitnot ist das Unbegreifliche nicht zu erklären, schließlich stand ihm für die nächsten sechs Züge mit 32 Minuten noch ausreichend Bedenkzeit zur Verfügung. Für den deutschen Großmeister Artur Jussupow liegt die Ursache für Kramniks menschliches Versagen sowieso weniger im Psychologischen als im Schachtaktischen begründet, nämlich im Mattmotiv selber.

Einerseits sei es ein banales Angriffsmotiv gewesen, andererseits kein alltägliches: Deep Fritz’ Dame konnte auf dem Feld h7 mattsetzen, weil sie dort von einem auf f8 stehenden Springer gedeckt war. Und dass ein weißer Springer auf der gegnerischen Grundreihe steht, sei kein gewöhnlicher Fall, meint Jussupow. „Wenn dieser Springer wie üblich über g5 oder f6 gekommen wäre, hätte jeder sofort erkannt, dass auf h7 Matt droht“, sagt Jussupow, „aber einen Springer auf f8, den sieht man nicht so oft.“


Kuss des Todes: die Stellung nach De4-h7 matt!

Diese Erklärung erscheint im Falle eines Hobbyspielers völlig einleuchtend. Aber bei einem Genie wie Kramnik? Wie der Maler Kandinsky dank seiner synästhetischen Wahrnehmung die Farben nicht nur sehen, sondern auch hören konnte, scheint doch gerade der 31-jährige Russe wie kaum ein anderer zu fühlen, wo Gefahren lauern und wo seine Figuren hingehören, damit sie perfekt harmonieren.

Es bleibt abzuwarten, ob der geknickt wirkende Weltmeister zu seiner Spielkunst und Präzision zurückfindet. Vor der dritten Partie führt Deep Fritz mit 1,5:0,5 Punkten. Kaum wahrscheinlich, dass Kramnik den Rückstand in den verbleibenden vier Partien noch in einen Vorsprung verwandelt, was neben einer halben Million Dollar Antrittsprämie mit einer weiteren halben Million vergütet würde.

Später am Abend machte er sich selber Mut und wies darauf hin, dass der Spielstand keinesfalls den Spielverlauf widerspiegele. „Ich habe in der ersten Partie Druck gemacht, und ich habe heute wieder Druck gemacht, man kann wirklich nicht behaupten, dass Fritz mir überlegen ist“, sagte Kramnik. „Ja, es stimmt, ich hätte ein Remis erzwingen können, aber ich sah keinen Sinn darin, ich konnte doch ohne Risiko auf Gewinn spielen.“

(„Kuss des Todes“ erschien am 29. November 2006 in der Süddeutschen Zeitung.)


Nach seinem Blackout in der zweiten Partie und vier Remisen lag Wladimir Kramnik mit 2:3 Punkten zurück. In der letzten Partie wagte er viel, um noch den Ausgleich zu schaffen. Doch er verlor ein zweites Mal. Endstand: 4:2 für Deep Fritz.


Arik Braun ist U18-Weltmeister

Nach zwei Wochen Schach hat Arik Braun erst einmal genug. „Jetzt arbeite ich nur noch für die Schule“, sagt er. Schließlich macht der blonde Könner aus dem baden-württembergischen Allmersbach nächstes Jahr sein Abitur. Was er später werden will, weiß er aber noch nicht. „Da fällt mir einfach nichts ein.“ Muss auch nicht, denn notfalls wird er eben Schachprofi. Für den Großmeistertitel fehlt ihm sowieso nur noch eine Norm. Und jetzt, Ende Oktober, ist Arik in Batumi/Georgien U18-Weltmeister geworden!

Manchmal hatte er sich im Schwarzen Meer schwimmend in Spiellaune gebracht. Von seinen Partien gefällt ihm im Nachhinein die gegen den Georgier Jojua am besten. „Wir waren beide in Zeitnot, dann habe ich eine Kombination gesehen und einfach gezogen, ohne lang zu rechnen.“ Tja, großmeisterliche Intuition. Denn die spätere Analyse ergab, dass Arik selbst bei bester Verteidigung des Gegners ein gewonnenes Endspiel erreicht hätte. Was hatte er also oben als Weißer am Zug im Sinn?

Lösung: 1.Dxf7+! Txf7 2.Txc8+ Ke7 (Oder 2…Kg7? 3.Sxe6+.) 3.Tc7+ Ke8 (Verloren hätte auch 3… Kd8 4.Sxe6+ Ke8 5.Lb5+ Dd7 6.Txd7 Txd7 7.Kg2!, z. B. 7…a5 8.h4! Ke7 9.Lxd7 Kxd7 10.Sd4 a4 11.h5 gxh5 12.gxh5 Ke7 13.h6 Kf8 14.Kf3 Sc5 15.f5 a3 16.e6 a2 17.Sc2.) 4.Lb5+ Td7 5.Lxd7+ Dxd7 6.Txd7 Kxd7 7.Sxe4 1:0.


Levon, der Zauberer

Denkt der armenische Weltklassespieler Levon Aronjan an den früheren Weltmeister Michail Tal, kommen ihm „wunderschöne, romantische Schachpartien“ in den Sinn. So geht es vielen, schließlich war kaum ein Champion so fantasiereich wie Tal. Außerdem schätzte man den Zauberer aus Riga, der am 9. November 70 Jahre alt geworden wäre, wegen seiner Menschlichkeit. Der in Berlin lebende Aronjan sagt aber, es sei im modernen Schach nahezu unmöglich, so wild zu kombinieren, wie Tal es ab Ende der 1950er Jahre tat, als er regelmäßig die Figuren zu verhexen schien. Das Schachwissen ist ja im Laufe der Jahrzehnte enorm angewachsen, mittlerweile kennen sogar Amateure die Feinheiten des Najdorf-Systems, beispielsweise. Trotzdem verzaubern auch heutige Großmeister immer wieder mit ihrer Spielkunst, nicht zuletzt Aronjan: Beim Tal-Gedenkturnier in Moskau krönte er ein Meisterwerk, indem er oben mit den schwarzen Steinen Alexej Schirow, den anderen Zauberer aus Riga, aus allen Träumen riss. Wie?

Lösung: 1…Ke8! (Falls nun 2.Kxh8 Kf7, gerät Weiß in Zugzwang, z.B. 3.h4 Kf8 4.h5 Kf7 5.h6 Kf8 6.b4 cxb3.) 2.Kg6 Kf8 3.h4 Ke7! (Dreiecksmanöver treiben Weiß in Zugzwang.) 4.Kg7 Ke8 5.Kg6 Kf8 6.h5 Ke7 7.Kg7 Ke8 8.Kg6 Kf8 9.h6 Ke8 10.Kf6 Txh7 11.Kg6 Tf7 0:1 (wegen 11.h7 Tf8 12.Kg7 Th8! usw.).


Rabiegas Hammer

Es sah aus, als säßen David und Goliath an einem Tisch: Hier David Navara, das junge tschechische Schachgenie, ihm gegenüber der bullige Berliner Robert Rabiega. In Wirklichkeit verschmähte aber der zarte Navara eine Friedenschance, woraufhin Rabiega, wie er sich selber ausdrückte, „natürlich hammerhart zugeschlagen“ habe. Wohlgemerkt, sie haben nicht geboxt, sondern Schach gespielt am vergangenen Wochenende in der Berliner Bambushalle. Rabiega für den Aufsteiger Tegel, Navara für Bindlach. Eigentlich ist der 35-jährige Rabiega immer nur Außenseiter in der Bundesliga, weil er es am Spitzenbrett oft mit Weltklassegegnern zu tun hat. Bislang blieb Tegels Großmeister aber ungeschlagen; und Navara hat er sogar besiegt, obwohl der auf Rang 13 der Weltrangliste steht, etwa 450 Plätze vor ihm! Oben die entscheidende Stellung, Rabiega mit Schwarz am Zug. In nur anderthalb Minuten habe er sämtliche Verästelungen dieser herrlichen Kombination berechnet gehabt. Was sah Rabiega?

Lösung: 1…Sb4! 2.Sxb4 (Auch 2.Dd1 rettete nichts, z. B. 2…Te2 3.Sxb4 Lh6+ 4.Kb1 Txb2+ 5.Ka1 a5 6.Sd3 Txa2+ 7.Kb1 Lf5.) 2…Lh6+ 3.Kb1 (Oder 3.Kd1 Dxb2 und gewinnt.) 3…Te1+! 4.Txe1 Dxe1+ 5.Kc2 Lf5! (Die Schlusspointe.) 6.Dxf5 Dd2+! (Navara gab auf, wegen 7.Kb1 Dd1+ 8.Lc1 Dxc1 matt.) 0:1.


Garry Kasparow wundert sich

Als Garry Kasparow neulich in Moskau Peter Leko herumspazieren sah, habe ihn dies zunächst völlig irritiert. Dieser Mann, dachte Kasparow wohl, gehört doch eigentlich ganz woanders hin, in mein altes Leben sozusagen. Schließlich ist Leko immer noch Schachprofi, und er lebt außerdem weit weg, in Ungarn. Die Begegnung zeigt aber vor allem, wie weit weg Kasparow, der Weltmeister von 1985 bis 2000, heute vom Schach lebt. Vor anderthalb Jahren beendete er seine Karriere, um fortan politisch gegen Präsident Putin zu kämpfen. Und nun will er nicht einmal mitbekommen haben, dass in Moskau das Tal-Gedenkturnier schon lief. Immerhin schaute Kasparow dann mal vorbei und kommentierte wie in alten Zeiten. So spiele der norwegische Wunderjunge Magnus Carlsen, der in Moskau Vorletzter wurde, für seinen Geschmack zu viele Turniere. Carlsen sei aber ein grandioser Taktiker.

Und was für einer! Sehen Sie, wie Carlsen kurz zuvor in Cap d’Agde/ Frankreich als Weißer am Zug Großmeister Laurent Fressinet bezwang?

Lösung: 1.Df5! (Schwarz gab sofort auf. Denn 1…Dxf5 2.Txb8+ würde offensichtlich gleich zum Matt führen, während 1…Txb5 2.Dxf4 die Dame verlöre beziehungsweise 1…Dd6 2.Txb8+ Dxb8 3.Dxe6 einen Turm.) 1:0.


Lady Lahno

Kaum zu glauben, Kateryna Lahno ist am 27. Dezember erst 17 Jahre alt geworden. Eigentlich wirkt sie älter, was bestimmt nicht nur daran liegt, dass sie immer so geheimnisvoll guckt und stilvoll gekleidet ist. Womöglich reifte die Ukrainerin schneller als andere, weil sie in ihrem jungen Leben schon viel herumgereist und früh herausgekommen ist aus Kramatorsk, wo sie als Vierjährige erstmals mit dem Schachspiel in Berührung gekommen war. Welch ein Talent! Im Sommer 2005 gewann sie schließlich – mit nur 15 Jahren – die Europameisterschaft der Frauen.

Das Jahr 2006 verlief dann wechselhaft für Lahno, aber es endete versöhnlich: In Neu-Delhi maß sie sich mit dem indischen Wunderjungen Parimarjan Negi, 13, in jeweils sechs Turnier-, Schnell- und Blitzpartien. Vielleicht wäre ihr 11:7-Sieg noch höher ausgefallen, wenn sie oben als Weiße am Zug eine Schwäche im schwarzen Lager erkannt hätte. Doch Lahno bemerkte sie nicht und verlor diese Partie später noch. Machen Sie’s besser!

Lösung: 1.Lxf6! (Prosaischer Auftakt einer Kombination, die auf der Schwäche der Grundreihe basiert. Lahno sah es jedoch nicht, zog 1.c3? und verlor später.) 1…Txf6 (Oder 1…gxf6 2.Lh5! nebst 3.Dg3 und Matt.) 2.Dxb4! axb4 (Oder 2…Txf5 3.exf5 axb4 4.Txd7!) 3.Ta8+ Lc8 und es gewänne z.B. 4.Txc8+ Dxc8 5.Se7+.


Sonne und Sterne

Bereits im Jahr 1983, als Computer noch keinen Einfluss auf die Eröffnungstheorie hatten, schien David Bronstein genervt von der fortschreitenden Verwissenschaftlichung des Schachs. Im Vorwort der dritten Ausgabe seines Kultbuches Sternstunden des Schachs. Zürich 1953 schrieb Bronstein, er finde es armselig, beim ständigen Auswendiglernen „weder Sterne noch Sonne zu sehen und sich nur auf sein Gedächtnis zu stützen“. Der aus Kiew stammende Bronstein hingegen hatte Schach immer als etwas Schöpferisches verstanden; er suchte das pralle Leben auf dem Brett, wollte seine Figuren auf reizvolle Weise zum Tanzen bringen – wie oben als Schwarzer am Zug (gegen Vladas Mikenas in Tallin 1965). „Ich denke nicht in Varianten, ich denke in Ideen“, lautete sein Motto. Im Jahr 1951 wäre er sogar beinahe Weltmeister geworden, aber Michail Botwinnik erreichte noch ein 12:12-Unentschieden und durfte den WM-Titel behalten.

Am 5. Dezember ist David Bronstein im Alter von 82 Jahren in Minsk gestorben.

Lösung: 1…Txa3! (Aber nicht 1…De1+? 2.Df1! Der Zug 1…Txa3! nutzt die Grundreihenschwäche richtig aus. Obwohl dreifach bedroht, kann der Turm nicht geschlagen werden: 2.Dxa3 De1+! oder 2.Txa3 De1+ oder 2.bxa3 Dxa1+ 3.Tb1 Te1+. Und weil auch 2.Db1 Txa1 3.Dxa1 De1+ nichts änderte, gab Weiß auf.) 0:1.

Todesküsse am Brett

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