Читать книгу Drei Phantome 1 - Gänsehaut für Kids - Martin Clauß - Страница 5

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Ein Vorfall im Paketzentrum

Seinem Boss hätte er es nie ins Gesicht gesagt, aber Heiner fand seine Arbeit stinklangweilig. Nie passierte etwas im Paketzentrum, absolut nie! Wenn er die Pakete und Päckchen von den Wagen lud und sie aufs Laufband legte, rollten sie einfach auf Nimmerwiedersehen davon. Die automatische Sortiermaschine verteilte sie auf verschiedene Bahnen, und Heiner würde nie erfahren, was aus ihnen wurde. Die Rollen der Transportbänder rumpelten den ganzen Tag dumpf vor sich hin. Sie murmelten eine geheime Sprache, und er verstand kein Wort davon.

Frustrierend und öde.

In den letzten Tagen beobachtete er allerdings etwas Seltsames. Eine sehr dicke Frau mit einer großen Sonnenbrille war in der Firma aufgetaucht. Sie bewegte sich langsam zwischen den Bändern hindurch, stundenlang, ohne dass sie irgendetwas Bestimmtes tat. Es war, als würde sie im Paketzentrum spazieren gehen. Sie berührte die Pakete nicht einmal, und sie sah sie auch nicht an. Wahrscheinlich konnte sie durch die dunklen Brillengläser ohnehin nicht viel erkennen.

Heiner wagte nicht, sie anzusprechen. Er fragte nur seine Kollegen, aber die hatten auch keinen Funken Ahnung, was die Frau da trieb.

Und dann geschah es!

Er kriegte alles genau mit, denn sie kam gerade ganz in seiner Nähe vorbei. Nur ein Laufband trennte sie von ihm. Sie gab ein merkwürdiges Geräusch von sich, als würde sie nach Luft schnappen. Dann schwankte sie. Sie versuchte sich an dem Laufband festzuhalten, doch auf den Rollen fand ihre Hand keinen Halt. Sie kippte mit dem Oberkörper auf das Band, ihre Sonnenbrille fiel hinunter. Panisch riss sie die Augen auf, starrte auf das Etikett eines großen Pakets, rutschte ab und stürzte.

Mit einem Stöhnen blieb sie auf dem Rücken liegen. Ihr rundes, schwabbeliges Gesicht war rot geworden, ihre dicken Backen zitterten, ihre Augen waren jetzt geschlossen, doch ihre Lider flatterten.

Sofort warf Heiner das Paket, das er eben mit einem leisen „Hau-ruck“ vom Wagen genommen hatte, wieder dorthin zurück. Er duckte sich unter dem Fließband hindurch, um der Frau zu Hilfe zu eilen.

Als er sich neben sie kniete, beobachtete er, wie etwas Unglaubliches geschah.

Ihre fleischigen Hände schienen ein Eigenleben zu führen. Obwohl die Frau ansonsten reglos auf dem Fußboden lag, krabbelten die Hände über ihren Körper. Die roten Wurstfinger krochen in die Handtasche, die auf ihrem Bauch lag, und kramten vier Dinge heraus: zwei Blatt Papier und zwei Kugelschreiber.

Die Hände breiteten das Papier auf ihrem prallen Bauch aus, rechts und links von der Handtasche. Dann ergriff jede Hand einen Stift und begann auf eines der Blätter zu schreiben. Die rechte Hand malte auf das rechte Blatt, die linke auf das linke, und jede malte etwas völlig Unterschiedliches.

„Ich glaube, ich träume“, flüsterte Heiner.

Während die rechte Hand der Frau eine Adresse notierte, malte die linke Hand ein Bild aufs Papier. Was genau es werden sollte, war im Moment noch schwer zu sagen. In der Mitte gab es einen runden Kreis, eine Art Gesicht vielleicht, und davon gingen Strahlen ab wie bei einer Sonne oder einem Stern. Die ganze Zeit über hielt die Frau die Augen geschlossen. Es schien, als schlafe sie. Nur ihre Hände waren wach.

„Hilfe!“, schrie Heiner. „Einen Arzt!“

Einer seiner Kollegen hörte ihn und tippte auf dem Diensthandy die 112.

Als der Notarzt fünf Minuten später eintraf, kniete Heiner noch immer neben der Frau. Ihre Hände hatten aufgehört zu malen, hielten jetzt die Blätter fest. Sieben Kollegen standen im Kreis um ihn und die Dicke herum, und die Retter mussten sich einen Weg durch die Gaffer bahnen.

„Hallo“, sagte einer der Weißgekleideten zu der Frau. „Können Sie mich hören?“

Sie atmete ruhig und gleichmäßig, doch sie reagierte nicht.

Zwei kräftige Sanitäter und ein Arzt schafften es nicht, sie auf die Bahre zu hieven. Schließlich musste jeder der Umstehenden mit anpacken. Die Bahre mit der schweren Patientin in gebückter Haltung unter dem Laufband durchzutragen, war eine Tortur. Irgendwie schafften sie es, doch einige von ihnen hielten sich danach das Kreuz und konnten minutenlang nicht aufrecht gehen.

Alle erzählten sich ausführlich, welche grässlichen Rückenschmerzen sie hatten, und keiner merkte, wie der Frau eines der beiden Blätter entschlüpfte und zu Boden flatterte.

Keiner außer Heiner.

Er hob das Papier auf und betrachtete es, während die anderen die Sanis zum Krankenwagen begleiteten. Die Zeichnung füllte das gesamte Blatt. Sie zeigte eine Art Maske mit vielen Stacheln. Die Maske streckte dem Betrachter die Zunge heraus und sah ziemlich schlecht gelaunt aus. Nein, nicht schlecht gelaunt, sondern abgrundböse. Heiner erinnerte das Bild an Reliefs von indianischen Gottheiten, die man in Mexiko gefunden hatte. Er hatte so etwas einmal in einer Zeitschrift gesehen.

Er wollte es den Sanitätern bringen, doch sie waren beschäftigt und hörten ihm nicht zu. Als der Krankenwagen schließlich abfuhr, stand Heiner mit der Zeichnung in der Hand da wie ein begossener Pudel.

„Heute“, murmelte er geistesabwesend, „heute ist endlich mal etwas passiert.“ Er faltete die Zeichnung zusammen, steckte sie in seine Hosentasche und machte sich wieder an die Arbeit.

Drei Phantome 1 - Gänsehaut für Kids

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