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KAPITEL 1

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Ich war müde und fertig und durch den Wind. Ich hatte mich um eine Verdächtige gekümmert, die im Schlaf sprach. Es hatte mich einige Zeit gekostet, bis ich ihre volle Aussage hatte. Nun war ich ausgelaugt und der Schlafmangel wirkte sich negativ auf meine Urteilskraft aus. Ich wollte nichts als nach Hause und schlafen, aber wie man sich denken kann, stand das nicht auf der Tagesordnung.

„Wie du schon aussiehst“, drang eine laute, aggressive Stimme in mein Ohr. „Schau dich doch mal an. So kann man doch nicht rumlaufen.“

Wenn ich Glück hatte, war es nur irgendein Prolet, der seiner Liebsten zeigen wollte, dass das Tragen von Trainingsanzügen noch immer nicht aus der Mode war und sie sich ihr kleines Schwarzes irgendwohin stecken konnte, aber wie üblich hatte ich kein Glück. Mein Blick streifte vier Personen, drei davon sahen aus wie gewaltbereite Befürworter eines Neudeutschen Staates und die vierte trug ein Kopftuch.

„Ich… ich…“

„Stotter hier nicht rum“, rief einer der Glatzenträger, „du solltest dahin gehen, woher du kommst.“

Das Mädchen sah auf. Ich kannte sie. Sie arbeitete im Supermarkt. Oder hatte da mal gearbeitet? Ich hatte sie länger nicht mehr gesehen. Sie war schön. Nicht hübsch, nicht ganz nett, sondern wirklich schön. Mich hatte immer ein wenig irritiert, dass sie nicht von Anfang an Kopftuch getragen hatte. Früher hatte sie ohne an der Kasse gesessen, aber irgendwann hatte sie ihr dunkles Haar dann verhüllt. Dann hatte man sie aus dem Kassenbereich in die Brotabteilung verbannt, wo man bestenfalls noch einen Hauch von ihr erhaschen konnte, wenn man Glück hatte, und dann hatte ich sie eine Weile gar nicht mehr gesehen. Es hatte mich immer interessiert, warum sie auf einmal angefangen hatte, ein Kopftuch zu tragen… aber dies war möglicherweise nicht der geeignete Zeitpunkt, danach zu fragen.

Unsere Blicke trafen sich. Meiner war müde, ihrer war flehentlich. Ich setzte mein schönstes Lächeln auf und blieb vor ihr stehen.

„Da bist du ja“, meinte ich fröhlich. „Tut mir leid, hab mich verspätet.“ Ich nickte ihren drei Belagerern zu. „Hi. Freunde von dir?“ Immerhin war es möglich, dass ich die Situation völlig falsch einschätzte. Vielleicht waren es Freunde und das ganze war irgendein merkwürdiges Spiel.

Sie schüttelte den Kopf. „Nein.“

„Tja, dann.“ Ich reichte ihr meinen Arm, so dass sie sich einhaken konnte. „Wollen wir?“

Ihr Blick war unsicher, dann kam sie auf mich zu. Nur noch ein paar Schritte, und wir waren raus…

„Hey!“ mischte sich nun einer der glatzierten Herren ein.

Natürlich, wäre ja auch zu einfach gewesen.

„Ja?“ fragte ich freundlich.

„Ich gebe dir einen guten Rat.“

„Das ist aber nett.“

„Verschwinde von hier.“

„Das haben wir vor.“

Du verschwindest“, machte er nun klar und klopfte mir auf die Brust. „Sie bleibt.“

„Ah.“ Ich sah sie an. „Möchtest du denn bleiben?“

Das Mädchen schüttelte den Kopf.

„Na, dann wäre das wohl geklärt“, sagte ich, hakte sie bei mir unter und wollte los. „Schönen Abend noch.“

Doch leider war Glatzköpfchen zielorientierter, als ich gehofft hatte. Gott, war ich müde. Ich war weder in der Lage noch willig, mich auf eine gewaltsame Auseinandersetzung einzulassen – auch wenn diese drei offensichtlich die Art Leute waren, die von einem Schlag in die Fresse einmal gehörig profitieren konnten.

„Vielleicht habe ich mich nicht klar ausgedrückt?“ Glatze hieb sich mit der Faust in die flache Hand. „Wir sind hier, um ein bisschen Spaß zu haben.“ Er deutete auf das Mädchen. „Mit ihr.“

„Oh. Spaß!“ Ich lächelte, als ginge mir ein Licht auf. „Kann… kann ich da mitmachen?“

Seinem Gesichtsausdruck nach war das nicht die Frage, mit der er gerechnet hatte.

„Äh…“

„Moment!“ Dies war der Zeitpunkt… in dem ein Handy hilfreich gewesen wäre. Meins lag irgendwo rum, aber befand sich nicht in meiner Tasche, wo es mir von Diensten hätte sein können. Ich sah das Mädchen an. „Du hast nicht zufällig dein Handy dabei?“

Sie nickte.

„Könnte ich mal kurz?“

Fast so verwirrt wie der Gewaltmensch reichte sie es mir. Der wollte Einspruch erheben, aber ich winkte ab, während ich wählte.

„Ich will nur ein paar Freunden bescheid sagen. Wegen…“ Ich nickte in Richtung des Mädchens. Dann hatte ich eine Verbindung. „Ja, hi, Schwartz hier. Ich fänd’s super, wenn ihr kommen könntet. Ich bin hier zusammen mit…“ Ich sah die drei Jungs an und lächelte strahlend. „Mit wem?“

„Kevin“, sagte einer.

„Justin“, meinte der zweite.

„Ashton“, kam es vom dritten.

„Kevin, Justin und Ashton.“ Ich strahlte. „Ihr seid wirklich gute deutsche Jungs mit guten deutschen Namen.“ Ich sah mich kurz nach einem Straßenschild um, wandte mich wieder dem Handy zu und sagte, wo wir uns befanden. „Es wäre super, wenn ihr euch ein wenig beeilen könntet. Danke, bis gleich.“ Ich beendete die Verbindung, dann sah ich zu dem Mädchen. „Kamera?“ Sie zeigte es mir.

„Was?“ wollte Kevin wissen.

„Moment.“ Ich strahlte sie an. „Lächeln.“

Die drei blickten mehr verwirrt als lächelnd, aber mit so was war ja zu rechnen gewesen.

„Kann man das auch irgendwohin schicken?“ wollte ich von dem Mädchen wissen und schon war das Ding unterwegs. „Damit uns unsere Freunde auch direkt erkennen“, lächelte ich die drei an, doch langsam schien Kevin die Warterei ein wenig auf die Nerven zu gehen.

„Was soll das?“ herrschte er mich an und kam mir bedrohlich nahe.

„Bitte?“ fragte ich möglichst unschuldig.

„Was für Freunde sollen das denn bitte sein?“ zischte er mich an und seine Aussprache war feuchter, als ich es mir gewünscht hätte.

„Gute Freunde.“

„Haben die auch was gegen Ausländer?“

„Nein, die haben was gegen Arschlöcher.“ Eine, wie ich zugeben musste, durchaus kritische Aussage in einer solchen Situation, weil sie durchaus so aufgefasst werden konnte, wie sie gemeint war. Und Kevins Blick nach zu urteilen war auch genau das der Fall, aber der Gott des Timings hatte Mitleid mit mir und noch bevor Kevin mir beweisen konnte, dass er nicht nur was gegen Ausländer hatte, sondern auch gegen Deutsche, die ihn beleidigten, hielt ein Wagen neben uns. „Ah“, sagte ich, doch wie sich auf den zweiten Blick herausstellte, war es nicht der Wagen, den ich erwartet hatte.

„Du hast den Pizzadienst gerufen?“ fragte Justin überrascht. Möglicherweise war es auch Ashton, schwer zu sagen.

„Wer schlägt und vergewaltigt schon gern auf nüchternen Magen?“ warf ich in die Runde und diesmal erntete ich einen erschrockenen Blick von dem schönen Mädchen. Ich hielt noch immer ihr Handy in der Hand und hatte inzwischen herausgekriegt, wie man verschiedene Funktionen bediente.

Kevin schien nicht ganz so blöd zu sein, wie er wirkte, ein Arschloch zwar, ein gewaltbereites, gewalttätiges, faschistisches Arschloch, aber immerhin noch clever genug, zu erkennen, wenn die Situation schöner als erlaubt war. Er war kurz davor, zum Angriff überzugehen, was mich dazu zwang, ihm zuvorzukommen.

„Ich nehme an, ihr macht das hier öfter? Den blöden Ausländern zu zeigen, dass sie hier nichts zu suchen haben?“

„Ja.“

„Und denen eins aufs Maul zu hauen?“

„Ja.“

Ich lächelte ungläubig. „Ach, ich glaub euch kein Wort. Ich glaub nicht, dass ihr so was schon mal gemacht habt.“

„Haben wir aber!“ Ashtons Brust schwoll an und er erzählte von einem Kaufmann, den sie zusammengeschlagen hatten, Justin prahlte von einem Asylantenheim, das sie angesteckt hatten und Kevin berichtete von einem alten Sack, den sie zusammengetreten hatten.

„Ich bin beeindruckt“, sagte ich, womit ich meinte: von ihrer Blödheit. Aber nachdem Kevin eben auf solche Spitzfindigkeiten hinsichtlich seiner Persönlichkeit ein wenig negativ reagiert hatte, behielt ich den Teil lieber für mich.

„Echt.“

„Klar.“

Die drei sahen das Mädchen an, das inzwischen ein wenig von mir abgerückt war.

„Ehrlich gesagt…“ Ich seufzte die drei an. „Seht ihr, ihr habt mir eure Namen gesagt. Ich habe euch fotografiert. Und die Bilder verschickt. Und ihr habt eben ein paar Verbrechen zugegeben“, ich drückte ein paar Knöpfe auf dem Handy, „die ich aufgenommen und ebenfalls verschickt habe.“ Ich sah freundlich in die Runde. „Seht ihr, unter anderen Umständen hätte ich gesagt: Die Polizei weiß, wer ihr seid, also wäre dies der Zeitpunkt, wo wir uns gütlich voneinander trennen und ihr das Mädchen hier und alle anderen Leute in diesem Viertel in Ruhe lasst.“

Kevin sah mich hasserfüllt und mit zu Fäusten geballten Händen an.

„Und warum machst du das unter diesen Umständen nicht?“ zischte er gewaltbereit.

Weil diesmal der Gott des Timings tatsächlich ein Einsehen mit mir hatte. „Deswegen“, sagte ich und deutete auf den Polizeiwagen, der nun hinter den dreien hielt.

„Wie kommen die denn hierher?“ fragte Justin fassungslos.

Das wäre Anlass gewesen, über ihn den Kopf zu schütteln, aber ich verkniff es mir.

Drei Beamte stiegen aus dem Wagen und zum Glück kannte ich zwei davon.

„Aber…“ war das eine Wort, das Kevin noch herausbrachte.

„Ja“, sagte ich, auch wenn das eine etwas vage Antwort auf seine etwas vage Frage war. „Oh, eins noch…“

„Ich fürchte, wir brauchen deine Aussage auf dem Revier“, unterbrach mich Wachtmeister Kowalski, der meinen Hang zu moralischen Abschlussreden kannte.

„Na super“, seufzte ich. Zwei Stunden später dann war mir ein wenig die Lust vergangen, aber als die drei an mir vorbeigeführt wurden, sprang ich dann doch über meinen Schatten und beendete meinen Satz mit: „…wenn ich euch noch mal bei so einer Scheiße erwischen sollte, dann werden wir ganz derben Ärger miteinander kriegen. Drücke ich mich klar aus?“

Kevin spuckte mir ins Gesicht, was ich dann mal als Ja auffasste.

„Ich nehme an, du schließt dich dieser Meinung an?“ fragte ich Justin und er spuckte ebenfalls. Ich konnte hören, wie Ashton schon allen Rotz aus Mund und Nase zusammenzog, um mir was wirklich schönes zu bieten für mein Geld, aber ich meinte nur: „Dich frag ich gar nicht erst.“ Er spuckte trotzdem, aber ich wich aus und er traf Wachtmeister Kowalski, der ihn dann ein bisschen in die Kunst der Polizeibrutalität einführte.

Vor der Tür der Wache traf ich das schöne Mädchen. Sie lächelte mich an.

„Danke“, sagte sie.

„Keine Ursache. Ist das schon mal passiert?“

„Nein.“

Ich seufzte. Immerhin etwas. Ein Gedanke klopfte an die Tür zu meinem müden Geist. Kevin und seine Spießgesellen würden diese Sache wahrscheinlich nicht auf sich sitzen lassen. Sie würden Rache üben oder Zeugen ausschalten oder sonst was tun wollen, was Arschlöcher wie sie eben so taten. Was bedeutete, dass ich mich ihrer irgendwann wahrscheinlich würde annehmen müssen. Aber nicht heute, nicht heute, ich brauchte jetzt erstmal ein Bett.

„Darf ich dich irgendwann mal zum Essen einladen?“ drang die Stimme des Mädchens in meinen Verstand durch.

„Klar“, meinte ich. Das wäre dann ein guter Zeitpunkt um meine Frage zu stellen… an die ich mich grad nicht erinnern konnte. Ich gähnte herzergreifend. „Tschuldigung. Zu wenig Schlaf.“

Sie lächelte.

„Hier ist meine Nummer. Ich heiße Vildan.“

„Freut mich, dich kennenzulernen.“

„Haben wir uns nicht schon öfter an der Kasse gesehen?“

„Das haben wir.“ Wieder eine Frage, von der ich wusste, dass ich sie verschieben würde.

„Danke“, sagte sie noch einmal und stieg dann in einen Polizeiwagen. Ich hatte Kowalski gebeten, sie von jemandem nach Hause bringen zu lassen. Ich hätte für mich das gleiche tun sollen, fiel mir unter anhaltendem Gähnen ein. Naja, musste ich halt laufen. Immerhin war es trocken und…

Der erste Regentropfen, einer von vielen, traf meinen Kopf. Der Gott des Timings hatte es eben drauf – und mit mir, hatte ich das Gefühl, spielte er am liebsten.

Ich verbrachte die nächsten Tage im Bett, diesmal aber mit Schlafen. Als ich wieder halbwegs fit war, erreichte mich eine Nachricht – und damit ein möglicher neuer Auftrag. Natürlich stellt man sich das Leben eines Privatdetektivs nicht besonders glamourös vor, hatte man nie, aber wir waren an einem Punkt angelangt, wo man zwei Dinge von seiner Klischeeliste streichen musste: Eine Sekretärin und ein Büro!

Prinzipiell wusste ich schon nicht so richtig, wofür ein Detektiv eine Sekretärin brauchte, außer, um ihre Strümpfe zurechtzuziehen und eine neue Kundin anzukündigen, die im Vorzimmer auf einen wartete. Und natürlich für den Sex zwischen den Kundinnen, also zwischen den Kundinnen, mit denen man Sex hatte, das Schnuckelchen für Zwischendurch. In den 50ern mochte so was noch möglich und für „30 Dollar plus Spesen“ vielleicht sogar bezahlbar gewesen sein, aber wenn man heutzutage ein knackiges Mädel für beide Formen von „Ablage“ haben wollte, dann konnte man das erstens nicht bezahlen und zweitens waren da die Anzeigen wegen sexueller Belästigung am Arbeitsplatz doch quasi vorprogrammiert. Eine Sekretärin war also aus den genannten Gründen illusorisch – und ein Büro war es auch.

Ermittlungen bestanden in etwa aus drei möglichen Szenarien: Man war unterwegs, man telefonierte oder man befragte das Internet. Die heute Technik machte es möglich, dass man alles drei sogar auf einmal machen konnte – und die Preise für Quadratmeter machten es unmöglich, dass man sich ein Büro hielt, das man eh nicht benötigte, denn immerhin hatte man ja auch keine Sekretärin, mit der man den Begriff „Ablage“ neu definieren konnte.

Also hatte ich ein Telefon. Ich war nicht mal nur eine Briefkastendetektei, nicht einmal das, nein, es gab ein Telefon, auf dem ich erreichbar war. Und eine E-Mail-Adresse. Und eine Homepage, natürlich. Aber das war es auch eigentlich. Man traf sich mit den Klienten in einem Café oder bei ihnen zu Hause oder in einer Anwaltskanzlei – so, wie es meine aktuelle Kundin vorgeschlagen hatte. Oder mögliche Kundin in Spe, um genau zu sein. Sie klang alt und reich und adelig und zumindest zwei der Punkte schienen sich bei meiner kurzen Recherche als zutreffend zu erweisen. Es war hin und wieder kein Fehler, sich auch über den Klienten selbst zu informieren. Zu leicht konnte man da auf halber Strecke erfahren, dass man eigentlich für den Falschen arbeitete, zum Beispiel für denjenigen, der alles Geld verlieren würde, wenn das, was man gerade herausbekommen hatte, an die Öffentlichkeit kam und man wollte ja auch bezahlt werden. Natürlich wäre das nicht möglich gewesen, wenn einem ein Klient in seinem Büro auflauerte, aber wenn man ein bisschen Zeit bis zu einem Treffen hatte, konnte man schon das eine oder andere in Erfahrung bringen.

Zum Beispiel, dass Franziska van Aark durchaus wohlhabend war, aber trotzdem nicht zu den reichsten Leuten der Stadt gehörte. Und so war auch die Anwaltskanzlei, die sie vertrat und in der ich sie treffen sollte, eher der Mercedes unter den Kanzleien, während andere Familie den Porsche oder den Ferrari beschäftigen konnten.

Was konnte man für einen Auftrag von einer wohlhabenden alten Dame erwarten? Nun, für gewöhnlich klang das nach etwas, das man spielend einfach bewerkstelligen konnte. Eine Katze aus dem Baum befreien. Einen weggelaufenen Hund suchen. Aber wenn dem so wäre, warum sollte man sich dann in einer mittelteuren Kanzlei treffen? Offensichtlich schien mehr als das Verschwinden eines Haustieres dahinterzustecken. Da ihr Ehemann, zusammen mit ihrer Tochter und deren Mann, vor Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen war, ging es wahrscheinlich auch nicht um Ehebruch. Andererseits konnte man nie wissen, ob die alte Dame nicht einen Geliebten hatte und sich eventuell mit dem Gedanken trug, noch einmal zu heiraten und nun einen Detektiv beauftragen wollte, herauszufinden, ob es der Herr denn auch ehrlich mit ihr meinte oder es nur auf ihr Vermögen abgesehen hatte, möglicherweise in der Hoffnung auf einen baldigen Tod ihrerseits.

Ich zog einen meiner besseren Anzüge und gute Schuhe an. Ein passendes Hemd, eine passende Krawatte. Als Detektiv oder überhaupt als Ermittler war es sinnvoll, ein relativ breites Spektrum an Garderobe zur Verfügung zu haben. Nicht nur, weil man, wenn man zu faul war zum Waschen, dann immer noch genügend saubere Wäsche hatte, sondern auch, weil es hilfreich war, nicht überall gleich aufzufallen. Wenn man als Geheimagent in einem Smoking durch einen türkischen Basar läuft, dann verdient man es eigentlich, in den Rücken geschossen zu werden. Man passte sich seiner Umgebung an, denn wenn sich die Leute an einen erinnerten, war es schwierig, unbemerkt jemanden zu observieren. Ich hatte einmal den Fehler gemacht, bei meinem ersten Besuch bei einem stadtbekannten Zuhälter gelbe Schuhe zu tragen. Die waren billig gewesen und sie waren bequem. Seitdem nannte er mich „Ol’ jellow shoes“, jedenfalls, wenn er gut drauf war. Sonst nannte er mich etwas anderes und das kam eigentlich öfter vor, wenn sich unsere Wege kreuzten.

Ich band die Krawatte und machte mich auf den Weg.

Die Kanzlei „Habicht & Partner“ entpuppte sich als ähnlich steril, wie ich es erwartet hatte. Kalte Wände, kalte Tische. Mit wenig Gespür für Menschlichkeit eingerichtet – also passend für alle Arten von Anwälten. Eine aseptische Sekretärin, die unter Ablage bestimmt nur das eine verstand, lächelte mir gefühllos zu und brachte mich dann in einen Raum, der einem geradezu jede Lust darauf nahm, ihn durch ein zwischenmenschliches Techtelmechtel zu entweihen. Miss Aseptik bot mir einen Kaffee an, den ich dankend ablehnte, dann nahm ich Platz und wartete darauf, dass man sich meiner erinnerte. Es dauerte ein wenig. Ich hätte die Aussicht genossen, wenn es eine gegeben hätte, oder in den Magazinen geblättert, wenn es welche gegeben hätte. Statt dessen starrte ich auf die kahlen Wände und die kahle Tischplatte und fragte mich, ob ich einfach viel zu früh gekommen war oder ob man mich schlicht warten ließ.

Nach einiger Zeit ging die Tür auf und ein Anwalt älteren Modells kam herein. Er drückte mir höflich die Hand und sagte, sein Name wäre Partner und er sei der Partner von Herrn Habicht, der sich jedoch als Frau Habicht herausstellte, auch wenn ich die nie zu sehen bekommen würde, weil er es wäre, der die juristischen Dinge von Frau van Aark regele. Die wäre jeden Moment hier, sagte er, und ob man mir einen Kaffee angeboten habe, was ich bejahte, dann nickte er, sagte „Traurige Angelegenheit“ und ging.

Traurige Angelegenheit. Das war es also. Das hätte mir weiterhelfen sollen, wenn ich irgendwas hätte herausfinden können. Doch um was immer es hier ging, es schien das Internet noch nicht erreicht zu haben. Oder ich hatte nach dem Falschen gesucht. Ich weiß, ich sollte mir nicht die Überraschung versauen für das, was ein Klient wohl von mir möchte, aber wie gesagt kann es sich als hilfreich erweisen, wenn man vorher schon Erkundigungen eingezogen hat. Es kann einem eine bessere Vorstellung davon geben, womit man es zu tun haben wird und wie umfangreich die Untersuchungen möglicherweise sein werden. Ich hatte ein wenig über Frau van Aark erfahren, aber eine „traurige Angelegenheit“ war mir dabei nicht untergekommen. Es sei denn, es ging um den Autounfall vor ein paar Jahren. Das wäre natürlich eine Möglichkeit. Und da war noch die Enkelin, Jenny van Aark. Die war gerade in ein Alter gekommen, in dem sie das Familienvermögen vielleicht für sich beanspruchen wollte. Eine meiner Brauen schnellte in die Höhe. Das konnte es sein. Und würde die Sache mit dem Anwalt erklären. Enkeltöchterchen wollte Geld und Großmutti wollte das nicht. Oder wollte wissen, mit wem die Enkelin sich so abgab. Oder wen sie heiraten wollte, der dann möglicherweise das Geld beanspruchen würde. Dann hatte ich es. Oh, das war ja noch viel besser: Enkelin wurde erpresst. Jemand hatte sich die Kleine ausgesucht, um über sie an das Vermögen der Großmutter zu kommen. Und ich sollte… irgendwas machen. Die Erpresser finden. Das Geld übergeben. Die vermisste Katze aufspüren. Vielleicht steckte die auch hinter allem.

Anwalt Partner öffnete die Tür und ließ eine alte Dame eintreten. Sie entsprach so ziemlich allen Klischees, die man in Bezug auf eine wohl situierte (schlagen Sie den Begriff nach) alte Dame so haben konnte, vom Pelz bis zur Gebrechlichkeit, vom schütteren blaustichigen Haar bis zur Frisur, in der es aufbereitet war. Ich erhob mich und schüttelte der Dame vorsichtig die Hand, dann rückte Partner ihr einen Stuhl zurecht und sie nahm Platz.

„Rufen Sie mich, wenn Sie mich brauchen“, sagte der Anwalt, nickte mir zu und verließ das Zimmer. Damit hatte ich nicht unbedingt gerechnet. Bevor er den Raum verlassen hatte, hatte er vor der alten Dame noch etwas auf den Tisch gelegt. Eine Aktenmappe. Sehr dünn.

Franziska van Aark sah mich traurig an. „Man hat mir etwas genommen, Herr Schwartz“, sagte sie leise. „Etwas, das mir viel bedeutet hat.“ Eine Träne erschien in einem ihrer Augen. Sie ließ sie gewähren. Langsam fand sie ihren Weg die Wange der alten Dame hinunter. Es musste mehr sein, als nur irgendwelcher Schmuck. „Meine Enkelin“, brachte sie mühsam hervor, „wurde ermordet.“ Sie schob die dünne Akte über den Tisch. Ich las die wenigen Sätze, während sie versuchte, ihre Fassung wiederzuerlangen.

Ein Haus am Rande der Stadt. Zwei junge Mädchen, beide tot. Erstochen. Abgestochen, um genau zu sein. Ein Blutbad. Eine junge Frau hatte die Polizei angerufen und den Mord gemeldet. Sie hatte keinen Namen genannt, aber offenbar ihr Handy benutzt. Die Polizei war zum Tatort gekommen und hatte die beiden Leichen gefunden. Die Verkehrspolizei meldet ein paar Straßen weiter einen platten Reifen und eine blutverschmierte Tür an einem cremefarbenen Ferra- Die nächste Seite fehlte. Man kam zu der Schlussfolgerung, dass die beiden jungen Frauen offenbar von einem Obdachlosen ermordet wurden, der in der Gegend gesehen wurde. Zwei Tage später wurde die Leiche eines Obdachlosen unweit des Tatorts gefunden und der Fall abgeschlossen.

Das Datum sagte mir dass sich all das abgespielt hatte, als ich die Zeit im Bett verbracht hatte, kein Wunder also, dass ich davon nichts wusste.

Ich sah auf.

„Das ist alles, was mein Anwalt von der Polizei bekommen konnte“, sagte Frau van Aark matt.

Es war nicht viel. Andererseits war es möglicherweise genug.

„Was erwarten Sie von mir?“ fragte ich.

„Sind Sie bereit, sich die Hände schmutzig zu machen?“

Das war selten ein guter Auftakt. Für gewöhnlich fragte man das, wenn man die Mörder seiner Tochter tot sehen wollte. Und man schickte vorher den Anwalt raus, damit der nichts davon erfuhr.

„Kommt drauf an“, hielt ich es vage. „Ich wiederhole meine Frage.“

„Meine Enkelin hat mir viel bedeutet“, begann die Dame, „sie war alles, was ich an Familie noch hatte. Sie war die letzte von uns – und ich habe sie vergöttert. Sie hat vor wenigen Wochen ihr Abitur gemacht und ich wollte ihr eine Reise um die Welt schenken. Sie war alles, was ich noch hatte – und man hat sie mir genommen.“ Sie ließ eine weitere Träne passieren. „Für die Polizei ist die Sache erledigt, aber für mich ist sie das noch lange nicht. Ich möchte wissen, warum dieser… diese Person meine kleine Jenny ermordet hat.“ Zwei weitere Tränen gesellten sich zu der ersten. „Sie wurde… brutal ermordet. Abgeschlachtet, wie ein Stück Vieh. Und ich will wissen, warum dieser Men… warum dieses Tier das gemacht hat. Von der Polizei werde ich keine Antworten bekommen. Deshalb beauftrage ich Sie. Finden Sie heraus, warum meine Jenny sterben musste, warum sie… auf diese Weise ermordet wurde.“

Das erschien mir, angesichts der Tatsache, dass der Mörder offenbar tot war, ein wenig schwierig. Andererseits hatte ich das Gefühl, die Polizei hatte die Sache vielleicht doch etwas schneller abgeschlossen, als es angebracht gewesen wäre und die alte Dame schien das auch so zu sehen.

Ich nickte. Wenn ich dazu beitragen konnte, dass sie ihren Frieden fand, dann sollte es so sein. Obwohl… Dinge, die man über einen Ermordeten herausfand, konnten mitunter eher das Gegenteil bewirken. Aber dann blieb mir immer noch der Weg, zu lügen und ihr zu versichern, dass ihre Enkelin diesen Tod nicht verdient hatte. Mein Blick fiel auf das Tatortfoto. Nein, diesen Tod hatte niemand verdient, und ein 19jähriges Mädchen ganz sicher nicht.

„Es wäre hilfreich, wenn ich etwas mehr über Ihre Enkelin und ihre Freundin erfahren könnte“, meinte ich.

„Mein Anwalt wird sich darum kümmern“, erklärte Frau van Aark. „Wie sind Ihre Konditionen?“

Ich hatte eine ungefähre Vorstellung von der Größe ihres Vermögens und ich wusste, was die Anwälte hier verlangten, also nannte ich eine stattliche Summe „plus Spesen“ und die alte Dame nickte. „Herr Partner wird sich auch darum kümmern.“

Sie erhob sich und ich geleitete sie zur Tür.

„Finden Sie heraus, was dort passiert ist, bitte“, flüsterte sie, „diese Ungewissheit lässt mich nicht mehr schlafen.“

Sie ging langsam den Korridor entlang und Anwalt Partner trat zu mir in den Raum.

Ich nahm wieder Platz und sah mir noch einmal die Akte an.

„Die habe ich von der Polizei bekommen“, meinte Partner stolz.

„Eine Seite fehlt“, sagte ich. Dann klopfte ich auf den beiliegenden Datenstick. „Was ist das?“

„Der Anruf. Von der Frau, die den Mord gemeldet hat.“

„Hat die Polizei noch einmal mit ihr gesprochen?“

„Nein.“

„Warum nicht?“

„Sie hat sie nicht aufgespürt.“

Wieder einmal ging eine meiner Brauen hoch.

„Nicht aufgespürt oder nicht nach ihr gesucht?“

„Das weiß ich, ehrlich gesagt, nicht.“ Partner zuckte die Schultern. „Vielleicht hielten sie es nicht mehr für nötig. Weil sie den Mörder bereits gefunden hatten.“

„Hm“, meinte ich nur. Ich war der letzte, der der Polizei schlampige Arbeit unterstellen wollte. Ich kannte ein paar Polizisten und sie waren gute und ehrenwerte Jungs. Und es half auch nichts, dass die Politiker Polizisten wie Dreck behandelten und ständig Stellen strichen. Hatte denen denn nie jemand erklärt, dass sein lockeres Leben als Politiker nur durch eine einzige Sache gerechtfertigt wurde: Dass es in Deutschland ruhig und sicher war? Wenn man in einem unsicheren Land leben wollte, dann konnte man auch nach Mexiko oder sonst wohin ziehen. Aber die Existenz eines Politikers, so sah ich das, wurde durch ein sicheres Land garantiert. War es das nicht mehr, dann brauchte man auch keine Politiker mehr – also sollten die verdammnochmal tunlichst dafür sorgen, dass dieser Zustand niemals aufhörte, wenn ihnen Job und Leben lieb war. Leider, leider dachten Politiker nie so weit. Stellen wurden gekürzt – und dann glaubte jeder dritte Trottel auch noch, er müsse irgendwo eine Pseudo-Nicht-Ausländerfeindliche Demo machen, wo dann wieder Polizisten gebraucht wurden, um zu verhindern, dass irgendeiner diesen Nazis einen aufs Maul haute – ebenfalls eine Verschwendung von Ressourcen, wenn Sie mich fragen!

Nichtsdestotrotz sah das hier irgendwie merkwürdig aus. War das eine Folge von Kürzungen und Überarbeitung? Pennerleiche gefunden, Fall erledigt? Natürlich konnte es sich so abgespielt haben. Was dann aber noch immer nicht erklärte, warum der Obdachlose zwei hübsche junge Dinger aufgeschlitzt hatte, als wäre das eine koschere Schlachtung. Hatten die sich in sein Territorium verirrt? Gab es eine Vorgeschichte? War er von anderen reichen Kids gequält worden und wollte sich nun an diesen beiden, die zufällig in sein Revier gekommen waren, rächen? Oder steckte etwas völlig anderes dahinter?

Es wurde Zeit, mehr über die beiden Mädchen zu erfahren.

Der Anwalt reichte mir nun eine zweite Akte über den Tisch. Sie war unwesentlich dicker als die der Polizei. Ich überflog die wenigen Seiten schnell. Es gab ein paar Informationen über die Mädchen und einige wenige über den Tatverdächtigen. „Darf ich die behalten?“ fragte ich, während ich noch las.

„Sie können alle Akten mitnehmen.“

„Danke.“ Ich sah auf. „Was können Sie mir sagen?“

„Es ist nicht viel.“

„Aber Sie haben Ermittlungen angestellt, wie ich sehe.“

„Nicht viele.“

Das hatte ich auch gesehen. Ein Profil in einem sozialen Netzwerk würde einem wahrscheinlich mehr über die Mädchen sagen, als das hier – und das war genau der Punkt, wo ich ansetzen würde, sobald ich in meinem „Büro“ war, also zu Hause. Aber wenigstens hatte er sich um den Polizeibericht zum Tod des Obdachlosen gekümmert. Das ersparte mir eine Menge Herumgelaufe und Herumgefrage und vor allem Herumgebettele bei Leuten, die mir Informationen geben sollten, auf die ich eigentlich kein Anrecht hatte.

„Haben Sie eine Vollmacht für mich?“

Ich hatte auf meiner Website stehen, dass es hilfreich war, besonders in Ermittlungen, bei denen es um ein Verbrechen ging, eine Vollmacht des Auftraggebers zu haben, die besagte, dass man offiziell und in seinem Namen ermittelte.

Er reichte sie mir über den Tisch.

„Sehr gut“, meinte ich, faltete sie zusammen und schob sie in meine Jackentasche. Ich deutete auf die zweite Akte. „Was können Sie mir sagen? Über den Täter?“

„Ein Obdachloser. Man hat seine Leiche in einem kleinen Waldstück gefunden.“

„Todesursache?“

„Möglicherweise natürlich.“

Möglicherweise?“

Partner zuckte die Schulter. „Das ist es, was in dem Bericht steht. Der Mann war alkohol- und drogenabhängig, der Tod könnte eine Folge davon sein.“

„Ist eine Autopsie veranlasst worden?“

„Nein.“

Verdammte Sparmaßnahmen. Eigentlich gehörte es sich so, bei unbekannter Todesursache eine Autopsie zu veranlassen. Und die Leiche… war eingeäschert worden. Perfekt. Wäre ich weniger misstrauisch als ich war, ich glaube, ich hätte gedacht, die Sache würde zum Himmel stinken. Kamen wir zu meiner wichtigen Frage, zu der ich die Antwort bereits kannte, aber ich wollte sie von ihm hören: „Gab es Spuren bei ihm?“

„Spuren?“

„Blutspuren? DNA? Irgendwas, das ihn mit den beiden ermordeten Mädchen verbindet?“

Der Anwalt schüttelte den Kopf.

„Keine Spuren.“

Ja, das hatte ich beim Überfliegen des Berichts gesehen. Und es machte es umso nachvollziehbarer, dass die alte Dame einen externen Ermittler beauftragte, dieser Sache nachzugehen. Penner A wird verdächtigt, zwei Mädchen ermordet zu haben, und als die Leiche von Penner B gefunden wird, nimmt man an, es sei der gesuchte Täter und schließt die Akte? Nach dem, was ich in dem Bericht überflogen hatte, gab es keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass Penner A und Penner B identisch waren.

„Hm“, machte ich und öffnete noch einmal die erste Akte. Nicht, dass die besonders umfangreich gewesen wäre, aber…

„Was?“

Es gab nur ein Bild vom Tatort, eins, das die beiden blutigen Leichen zeigte. Mehr gab es nicht. Und keinerlei Angaben über den Ort selbst, außer, dass er irgendwo am Rande der Stadt lag.

„Der Tatort. Was ist das für ein Ort? Was ist das für ein Haus? Wird es oft von Obdachlosen benutzt? Ist es ein Abrisshaus? Gibt es keine Schlösser? Was haben die Mädchen da gewollt?“

Ich sah in die unwissenden Augen des Anwalts.

„Dann werde ich mich da wohl mal umsehen müssen“, meinte ich und machte mir eine Notiz. Zum Glück stand die Adresse dabei. „Sagen Sie mir etwas über die Mädchen.“

„Sie waren auf der gleichen Schule. In derselben Jahrgangsstufe.“

„Waren sie Freundinnen?“

„Das weiß ich nicht.“

Das soziale Netzwerk konnte mir da möglicherweise einen Hinweis geben.

„Ihre Namen…?“

„Stehen in der Akte.“

Das stimmte. Jenny van Aark und Elena Bronskaja. Beide etwa gleich alt. Beide hübsch. Beide brutal ermordet. Warum?

Ich erhob mich, verabschiedete mich vom Anwalt der Familie und machte mich auf den Weg nach Hause. Dort kostete es mich keine halbe Stunde, bis ich eine ganze Menge mehr in Erfahrung gebracht hatte, als aus den spärlichen Unterlagen der Kanzlei hervorging. Jenny van Aark und Elena Bronskaja waren befreundet gewesen. In einem sozialen Netzwerk. Gut, das musste nichts heißen, eine „Freundschaft“ dort war in der wirklichen Welt für gewöhnlich nicht viel wert, aber es gab Bilder, die die beiden gemeinsam zeigten, hübsch und nett und lächelnd. Aber das war nicht das einzige, das ich herausfand.

„Scheiße!“ entfuhr es mir, als ich zum ersten Mal darauf stieß. Ich war gezwungen, den Begriff noch mehrmals zu wiederholen, als sich das, was ich gefunden hatte, offensichtlich als die Wahrheit herausstellte. „SCHEISSE SCHEISSE SCHEISSE SCHEISSE!“

Ich war mir nicht sicher, ob die Anwälte einfach nicht gut recherchiert hatten, oder ob sie diese Information vor der alten Dame lieber verborgen lassen wollten – und vor mir, was das anging.

Ich seufzte. Es ließ nicht zwingend einen Rückschluss auf Jenny van Aark zu. Es legte einen nahe, ja, und es offerierte eine Möglichkeit, eine unangenehme Möglichkeit. Es mochte nichts dran sein. Es konnte einfach eine alte Freundschaft sein, bei der sich die Wege der Freundinnen ein wenig voneinander entfernt hatten. Die eine machte ihr Abi und die andere… machte etwas anderes. Im Interesse der alten Dame hoffte ich, dass es so war – aber leider musste ich mir Gewissheit verschaffen. Und das war bei Leuten, die für ihren Lebensunterhalt logen und betrogen eine eher knifflige Angelegenheit.

Was ich gefunden hatte, war, dass Elena Bronskaja entweder die Schule verlassen hatte, oder sich aber nebenher was dazuverdiente. Dafür hatte sie sich keinen klassischen Hübsche-Mädchen-Job wie Stewardess oder Fotomodel ausgesucht, sondern das horizontale Gewerbe. Ihre Wege – und wahrscheinlich auch ihre Arbeit – hatten sie ins prominenteste Bordell der Stadt geführt, in die Hände vom Zuhälter par excellence. Sein Name war Milo Drecksfresse, jedenfalls hatte ich mir sagen lassen, dass das die korrekte Übersetzung seines Namens war. Er kam aus Osteuropa und hatte einen Namen, der genauso unaussprechlich war wie er unausstehlich. Er schien auch mit meiner Übersetzung seines Namens nicht ganz einverstanden gewesen zu sein, was sich in einer gebrochenen Nase bei mir und dann in zwei ausgeschlagenen Zähnen bei ihm bemerkbar gemacht hatte. Er war, abgesehen von den Politikern, der größte Verbrecher der Stadt – und wie bei den Politikern schien sich niemand bisher die Mühe gemacht zu haben, ihm seine Verbrechen nachzuweisen und ihn dafür zur Rechenschaft zu ziehen. Unsere Wege hatten sich bereits mehrmals gekreuzt und meist war dabei Blut geflossen.

Ich seufzte. Die Frage war nun also, ob Jenny nur eine alte Freundin von Elena war, oder ob auch sie für Milo Drecksfresse arbeitete. Und wie es aussah, hatte ich nur eine Möglichkeit, das herauszufinden: Ich musste mich in die Höhle des Zuhälters begeben!

Schwartz wie die Nacht

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