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KAPITEL 2

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Man tat Milo Drecksfresse unrecht, wenn man ihn nur als einfachen Zuhälter sah. Oder als freundlich. Nett. Sympathisch. Pflegeleicht. Er war der Inbegriff eines arroganten Arschlochs, bei dem die Arroganz leider nicht auf irgendeiner Grundlage aufgebaut war, außer der, anderen einen aufs Maul zu hauen. Ich hatte das schon immer ein wenig wenig gefunden und so war unsere erste Begegnung auch nicht wirklich rosig verlaufen – und die darauf folgenden noch viel weniger.

Es war nicht ganz sicher, ob er als Zuhälter angefangen hatte, oder ob er das nur noch als so eine Art Hobby betrieb, oder, um leicht an leichte Mädchen zu kommen, oder aus steuerlichen Gründen. Immerhin war Prostitution legal, da konnte man sich nie so ganz sicher sein, ob es Zuhälterei nicht auch war. Also betrieb er einen Puff, den größten in der Stadt, dem er den Namen „Freudenhaus“ gegeben hatte, woran ich nicht ganz unschuldig war, denn tatsächlich war der erste Name dieses Betriebs für bezahlten Geschlechtsverkehr „Der Puff“ gewesen – und keiner seiner speichelleckenden „Mitarbeiter“ aus dem Rotlichtmilieu hatte ihm gesagt, dass der Name nicht unbedingt positiv besetzt war. Die Kundschaft blieb aus und leider ließ ich bei einem unserer weniger blutigen Treffen die Bemerkung fallen, dass ich den Namen für absolut angemessen hielt, da er genauso billig war wie der Leiter dieses Bordells und der Kunde also genau wusste, worauf er sich einließ. Drecksfresse besuchte dann das Abendgymnasium oder das Internet und fand ein bisschen mehr über die deutsche Sprache heraus, so dass er es erst mit „Das Bordell“ versuchte, aber vom Besitzer eines gleichnamigen Puffs verklagt wurde, was ihn dazu brachte, zu „Freudenhaus“ zu wechseln. Hätte er mehr Gefühl für die deutsche Sprache gehabt, hätte er – und viele seiner Kollegen – gewusst, dass das eigentlich ein schöner Name für einen Ort war, an dem man eine eigentlich schöne Tätigkeit vollzog. Leider traf nichts davon auf sein schmieriges Bordell zu, das dem Begriff „Absteige“ einen schlechten Ruf verliehen hätte, der Begriff „Haus“ ging vielleicht rein technisch gesehen noch so gerade eben durch, aber das mit der „Freude“ ging dem ganzen Ort völlig ab. Was nicht dreckig und schmierig und billig war, wirkte irgendwie zwanghaft und industrialisiert. Was nicht zuletzt daran lag, dass er billig – wie treffend – an ein paar Taxameter gekommen war. Wenn man seine Bedürfnisse also in Milos „Freudenhaus“ befriedigen wollte, fickte man im wahrsten Sinne nach der Uhr. Mich überraschte, dass sich das noch nicht negativ aufs Geschäft ausgewirkt hatte.

Drecksfresse gab sich gern als der große Zuhälter. Er hatte eine Vorliebe für blonde, brünette und rothaarige Mädchen, mit langen oder kurzen Haaren oder Glatze, ansonsten war er nicht festgelegt. Das war das, was er nach außen hin propagierte, aber unterm Strich – im doppelten Sinne – steckte mehr dahinter. Er war ein Gangsterboss. Jedenfalls hielt er sich für einen. Falls es so etwas heutzutage überhaupt noch gab, also ohne Wahlkreis oder Aufsichtsrat oder Gewerkschaftssitzungen. Er hatte seine Finger in allem drin, was irgendwie illegal war, außer Wahlfälschung, aber wahrscheinlich auch nur, weil er zu blöd dazu war – oder weil ihn die richtigen Verbrecher nicht mitspielen ließen. Ansonsten schien bei ihm alles auf der Speisekarte zu stehen, Raub, Einbruch, Entführung, Mord. Das „wusste“ man, was die Sache für mich ein wenig schwierig machte. Denn es mutete für mich immer ein wenig merkwürdig an, wenn es stadtbekannte Kriminelle gab, aber niemand was dagegen zu tun schien. Sollte die Polizei da nicht ermitteln? Ihm seine Verbrechen nachweisen? Ihn hinter Gitter bringen?

Doch nichts dergleichen geschah. Er trieb seine komischen Spiele und alle kauften ihm den Gangsterboss ab. Was nicht völlig ohne jede Grundlage war. Er war, wie gesagt, ein Arschloch und das eine oder andere Gewaltdelikt sollte man ihm sicher nachweisen können. Oder Zigarettenschmuggel. Oder Menschenschmuggel, denn dass die minderjährig aussehenden aber angeblich nicht seienden Mädchen aus dem Ostblock, die in seinem Bordell arbeiteten, auf legalem Wege ins Land gekommen waren, wagte ich zu bezweifeln. Sie hatten keine Papiere, also konnten sie werweißwiejung sein – und wenn sie nach ein paar Jahren nicht nur innerlich, sondern auch äußerlich ihre Jugend verloren hatten, müde und verbraucht aussahen, dann konnte man sie problemlos wieder abschieben. Ich hatte gehört, dass Drecksfresse in einigen Fällen sogar selbst die Polizei informiert hatte und die musste dann seine dreckige Arbeit machen. Vielleicht hatte ich mich geirrt, vielleicht war er gar nicht so blöd, wie ich dachte.

Ich betrat das „Etablissement“. Das wäre auch ein guter Name gewesen, aber wenn Drecksfresse schon mit der deutschen Sprache auf Kriegsfuß stand, dann dürfte französisch wohl kaum zu seinen Fertigkeiten gehören – eher zu denen seines „Personals“. Es war düster hinter der Tür und ein unangenehmer Geruch aus Schweiß und anderen Körperflüssigkeiten schlug mir entgegen. Nein, „Etablissement“ wäre diesem Laden wohl kaum gerecht geworden, eher „Kaschemme“ oder „Drecksloch“. Wobei das als Name für ein Bordell vielleicht doch zu wenig subtil war.

„Hallo?“ fragte ich in das Halbdunkel, dann krachte etwas gegen meinen Kiefer. Heißer Schmerz flutete durch meinen Kopf, meine Knie sackten ein. Scheiße.

Ein Schatten bewegte sich und ein fieses Lachen erfüllte den Raum. Vor meinen Augen flatterte es. Jetzt nur nicht ohnmächtig werden.

Der Schatten raste auf mich zu und ein weiterer Schlag traf meinen Mund. Ich spürte, wie etwas brach, ich ging zu Boden. Mein Kopf war nur noch Schmerz. Schmerz, der durch den ganzen Körper raste und mich lähmte. Ich schmeckte Blut in meinem Mund und etwas kleines, hartes, den Teil eines Zahns.

Da war wieder dieses Lachen, genauso dreckig und schmierig wie dieser Laden. Es wurde lauter und der Mund hauchte mir seinen ekligen Atem ins Gesicht. Dagegen war der Geruch des Bordells das reinste Rosenwasser.

„Wen haben wir denn hier?“ zischte die stinkende Stimme. „Hab ich dir nicht gesagt, du sollst hier nie w“

Ich mobilisierte alles, was ich noch hatte und traf ihn da, wo’s besonders weh tut. Das stopft selbst dem vorlautesten Arschloch das Maul. Zumindest kurzfristig.

Aus seinem Mund kam jetzt nur noch ein tonloser Laut – und sein ekelhafter Mundgeruch.

Mühsam rappelte ich mich hoch. Ich musste auf den Beinen sein, bevor er es war. Ich schaffte es und spendierte ihm noch einen kleinen Nachschlag. Er sackte zusammen und fühlte sich in etwa so, wie ich es eben noch getan hatte – und eigentlich noch immer tat.

„Wie heißt es doch so schön, um ein Omelett zu machen, muss man ein paar Leuten in die Eier treten!“ murmelte ich und spuckte aus. Blut und die Hälfte eines Zahns landeten auf dem Fußboden. Nicht, dass ihn das dreckiger gemacht hätte.

Mein Mund brannte noch immer. Ich hätte mir ne Schmerzzulage geben lassen sollen, kam mir der Gedanke. Ob Zahnarztrechnungen als Spesen gelten konnten? Ich wusste es nicht, aber ich wusste, dass ich bei meinem nächsten Auftrag eine Schmerzzulage definitiv in den Vertrag aufnehmen ließ!

Ich fuhr mir mit der Zunge durch den Mund und fühlte das Schlachtfeld. Ich spuckte noch einmal aus und diesmal traf ich ihn. Ich hatte ihn schon an seinem fiesen Lachen erkannt. Er war jemand, den das Schicksal mit genau dem passenden Namen beschenkt hatte. Denn auch, wenn er sich selbst gern „der nette Mario“ nannte, war er für mich immer nur „Mario Nette“ gewesen.

„Hat jemand der Marionette die Bänder gekappt?“ fragte ich und beugte mich über ihn. Leute wie er waren für gewöhnlich bewaffnet. Nicht, weil sie so harte Typen waren, sondern, streng genommen, weil das Gegenteil der Fall war. Als harter Typ kam man auch ohne Knarre klar, aber wenn man die Dunkelheit benötigte, um jemanden anzugreifen, der kleiner als man selbst war, dann trug man auch eine Waffe bei sich. „Ich hoffe, die ist registriert“, meinte ich und schob sie in meine Jackentasche. Offenbar war er noch immer zu sehr mit seinen Schmerzen beschäftigt, um mir antworten zu können. Ich überlegte, ob ich noch einmal nachtreten sollte, aber das war nicht wirklich guter Stil. Obwohl auch das streng genommen eine Sache des Standpunkts war.

Finden Sie nicht? Oh doch, ich fürchte, wie wir Handlungen beurteilen, wird von den Personen bestimmt, die sie durchführen, nicht von den Handlungen selbst. Nehmen wir den Serienkiller aus dem Kino. Wenn der auf einen zukommt und man schießt auf ihn, einmal, zweimal, dreimal, und er geht nicht zu Boden, dann ist er für uns ein Monster. Aber wenn wir einen guten Ritter haben, und der böse Feind schießt auf ihn mit Pfeilen und trifft ihn einmal, zweimal, dreimal, dann ist er kein Monster, sondern ein Held. Nicht die Handlungen bestimmen, was wir ihnen halten, sondern das, was wir über die ausführende Person denken.

„Ist nicht persönlich gemeint“, murmelte ich und nahm mir Mario Nettes rechten Zeigefinger vor, „aber du hast deine Klavierstunden doch aufgegeben, oder?“ Das kurze Erschrecken in seinem Gesicht wurde vom kurzen Knacken seines Fingers für einen Augenblick überstrahlt. Leute wie er schossen einem gern in den Rücken – und ich wollte sichergehen, dass er in nächster Zeit keine Pistole benutzen würde. Ich erhob mich und sah zur Tür des Büros hinüber. Wenn Mario wusste, dass ich hier war, dann wusste sein Chef es auch. Und um den zu sprechen war ich hier. Es galt also, dafür zu sorgen, dass ihm dieses Zusammentreffen noch unangenehmer wurde, als es mir ohnehin schon war.

„Mario?“

„Nicht ganz.“

„Wo ist er?“

„Windet sich in seinem Blut.“ Oder eher in meinem, wenn wir ehrlich waren.

An einem großen Schreibtisch saß der Boss der Bosse, seine Eminenz der Crimelord der Stadt.

„Ol’ yellow shoes“, sagte die Stimme leise.

„Die waren billig. Und bequem.“

„Warum tragen Sie sie dann nicht?“

„Sind nicht mehr wasserdicht. Und wenn ich mir den Boden hier so betrachte…“

„Ihr Geschmack scheint sich verbessert zu haben.“ Er sah mich an, sein Blick wurde besitzergreifend. „Schöne Lederjacke. Was, wenn ich Ihnen die wegnehmen wollte?“

„Die würde Ihnen nicht passen.“

„Weil Sie zu klein sind?“

„Weil Ihre Arme in Gips wären.“

Drecksfresse schenkte mir einen kalten Blick.

„Nicht auf den Mund gefallen – obwohl Ihr Gesicht eine andere Sprache spricht.“

„Und es ist nicht gerade die Sprache der Liebe.“

„Was wollen Sie hier?“

„Ich hatte einen Termin.“

„Das stimmt nicht.“

„Nun, sagen wir, ich nehme Marios, denn der hat ja wohl einen, denn immerhin haben Sie ihn erwartet.“

„Mario braucht keinen Termin.“

„Da wär ich nicht so sicher.“

„Ach nein?“

„Ein Arzttermin wäre sicher schön für ihn. Ist er versichert?“

Drecksfresse fuhr hoch.

„Was haben Sie ihm angetan?“

„So dies und das“, meinte ich und schlenderte langsam durch den Raum.

„Er wird Sie…“

„Wird er nicht.“ Ich zog Marios Kanone aus meiner Jackentasche. „Denn ich habe ihm sein bestes Stück genommen.“

Drecksfresse sah mich hasserfüllt an – ein Anblick, an den ich mich inzwischen gewöhnt hatte. Von ihm – und anderen Leuten. Offenbar hatte ich eine gewisse Ausstrahlung auf manche Menschen.

„Ich habe Ihnen gesagt, dass Sie in diesem Club nicht erwünscht sind“, zischte der Zuhälter.

„Aber Sie haben dafür ein anderes Vokabular benutzt“, korrigierte ich ihn. „Und einen Schlagring.“

„Die Wunden scheinen verheilt zu sein.“

„Was ist mit den Wunden auf meiner Seele?“ fragte ich, ohne den ganzen Mist ernst zu meinen. Er hatte versucht, mir mit einem Schlagring zu erklären, dass ich in seinem Hause nichts zu suchen hatte und ich hatte mich dafür revangiert, indem ich ihm drei Rippen gebrochen hatte. „Außerdem ist das hier schwerlich ein Club.“

„Wie würden Sie es bezeichnen?“

„Drecksloch?!“

„Und mich?“

„Drecksfresse!“

Ich sah den Schlagring in seiner Hand, doch bevor er mir einmal mehr beweisen konnte, wie gut er damit umgehen konnte, sah er in den Lauf von Marios Pistole, entsichert, gespannt und schussbereit.

„Bitte gern, dann wäre es Notwehr.“

In der Tat war das eigentlich eine hervorragende Gelegenheit. Ich hatte das Gebäude legal betreten, durch eine offene Tür, es war also kein Einbruch. Ich war angegriffen und geschlagen worden – und ich musste mit weiteren Feindseligkeiten rechnen. Es juckte mich ein wenig in den Fingern. Einfach abdrücken und die Welt von einem miesen Arschloch befreien. Aber zu was würde mich das machen, zum Monster oder zum Helden? Nun, hängt wohl davon ab, wie man mich vorher gesehen hat.

„Reizt es sie?“ fragte Drecksfresse und ich nahm eine Spur Unsicherheit, vielleicht sogar Furcht in seiner Stimme wahr.

„Mehr als Sie denken.“

Er schluckte. Jeder harte Kerl hätte jetzt gesagt: „Dann sollten Sie es vielleicht tun“, darauf spekulierend, dass man es nicht tat. Oder es wenigstens darauf ankommen lassend. Aber Drecksfresse war offensichtlich nicht so hart, wie er glaubte.

„Warum setzen wir uns nicht?“ schlug ich vor.

„Möchten Sie auch ein Getränk?“

Er schien seine Selbstsicherheit langsam wiederzufinden. Vielleicht steckte sie aber auch nur in Mario Nettes Zeigefinger – und wir wussten ja, wie es um den bestellt war.

„Schmerztabletten wären ganz nett.“

Ich deutete ihm an, den Schlagring auf den Tisch zu legen. Er tat es.

„Ja, Ihr Gesicht sieht angeschlagen aus.“

„Gut formuliert.“

„Sollten Sie nicht sagen: Sie sollten mal den anderen sehen?“

„Nein.“

„Warum nicht?“

„Ist ein gebrochener Mann. Und wir müssen hier ja nicht alle Klischees durchkauen, die das Handbuch für Privatdetektive für eine solche Situation empfiehlt.“

„Sie halten sich für einen Privatdetektiv?“ lachte er spöttisch.

„Sie halten sich doch auch für einen Gangsterboss.“

„Höre ich Spott in Ihrer Stimme?“

„Ist Ihnen also aufgefallen.“

„Sie sind nur ein mieser Schnüffler, Schwartz“, zischte der Zuhälter abfällig. „Dreckig, schmierig, klein.“

„Dann würde ich doch super in diesen Laden hier passen.“

„Sie machen sich über mein Geschäft lustig?“

„Und über Ihre Person.“

„Ich hätte Mario sagen sollen, dass er Sie nicht wieder aufstehen lassen soll.“

„Ich bin sicher, er hatte vor, Ihnen genau diesen Wunsch zu erfüllen.“ In meinem Mund hatte sich wieder Blut angesammelt und ich spuckte es auf den Teppich. Es war ein teurer Teppich. Das ganze Büro war teuer eingerichtet, teurer und sauberer als die Kaschemme für die Besucher dieses Bumsladens.

Auch wenn das kaum möglich schien, aber Drecksfresses Gesicht schien noch eine Spur hasserfüllter zu werden.

„Das werden Sie bereuen!“

„Immer diese leeren Versprechungen“, murmelte ich, mir sehr bewusst darüber, dass ich mich auf sehr dünnes Eis begab. Leute wie Milo und Mario hatten wenig Skrupel, ihren Drohungen auch Taten folgen zu lassen. Sie waren Verbrecher und Arschlöcher und solchen Leuten pinkelte man besser nicht ans Bein. Aber ich hatte Zahnschmerzen und die wirkten sich irgendwie negativ auf meine Stimmung aus. Gott, ich hätte ihn abknallen sollen, als ich die Gelegenheit dazu gehabt hatte. Vielleicht sollte ich es mir zur Aufgabe machen, das zu machen, wozu sich offensichtlich niemand aufraffen konnte, nämlich dafür zu sorgen, dass Drecksfresse und seine Marionette endlich ein neues Heim hinter schwedischen Gardinen fanden, aber andererseits würde mich wohl niemand dafür bezahlen und von irgendwas musste man ja leben, selbst als schmieriger Privatschnüffler.

„Sie haben mir noch nicht gesagt, was Sie hier wollen.“

„Wir waren so schön dabei, Nettigkeiten auszutauschen, das wollte ich uns nicht verderben.“

„Sie hängen wohl nicht sehr an Ihrem Leben.“

„Nein, Sie?“

„An Ihrem Leben?“

Ich lächelte. „Ich sehe, Sie haben viel dazugelernt.“

„Was das Drohen angeht?“

„Was die deutsche Sprache angeht, Herr Jebalnik.“

Drecksfresse sah mich überrascht an.

„Woher…“

„Ich Ihren richtigen Namen kenne?“ Ich zuckte die Schultern, was cool wirken sollte, aber seinen Zweck verfehlte, weil durch die Bewegung etwas in meinem Mund berührt wurde und mir eine Welle des Schmerzes durch den Körper fuhr.

„Schmerzen?“ lächelte mein Gegenüber.

„Ja. Aber Sie kennen ja das Sprichwort.“

„Welches?“

„Geteiltes Leid ist halbes Leid!“ Ich richtete Nettes Kanone auf Drecksfresses Schulter. „Wollen Sie teilen?“

„Ich verzichte.“

„Zu schade, ich wollte wirklich mal testen, ob an dem Sprichwort was dran ist.“

Ich ließ die Waffe sinken, hielt sie aber weiterhin so, dass ich den Zuhälter Schrägstrich Gangsterboss abknallen konnte, sollte sich das als notwenig erweisen – und ich hoffte stark, dass es das tun würde.

Ich atmete tief durch, um die Schmerzen unter Kontrolle zu kriegen. Mein Blick verschwamm ein wenig, aber dann war ich wieder klar. Mir war aber auch bewusst, dass es so nicht den ganzen Tag weitergehen würde. Mein Kiefer fühlte sich an wie der Regenwald nach der Rodung und über kurz oder lang würde das meine Reserven aufbrauchen und mit etwas Pech würde ich irgendwo zusammenbrechen, mit sehr viel Pech direkt hier – und dann würde man wahrscheinlich Schwierigkeiten haben, meine Leiche zu identifizieren. Falls man sie denn fand.

Ich versuchte, mich zu konzentrieren. Ich war aus einem bestimmten Grund hier, und der war nicht gewesen, dem netten Mario eins aufs Maul zu hauen, obwohl das nie verkehrt war. Eigentlich, und ich musste das nach den Ereignissen der letzten paar Minuten schon sehr einschränken, war ich hier, um etwas herauszufinden, um den Mann, der mir jetzt gegenüber saß und mir wahrscheinlich einen langsamen und schmerzhaften Tod wünschte, etwas zu fragen. Angesichts der gerade beschriebenen Umstände sah es wohl nicht so aus, als würde ich hier Antworten bekommen, die mir weiterhelfen würden. Andererseits wusste ich aber auch nicht, wie ich den Verlauf der Dinge hätte verhindern können, denn immerhin waren die Feindseligkeiten diesmal nicht von mir ausgegangen.

Mühsam unterdrückte ich ein Schreien, als ich versuchte, etwas aus meiner Innentasche herauszuangeln. Ich hatte Abzüge gemacht, von den beiden Mädchen. Sicher, man konnte den Leuten auch einfach das Display seines Handy zeigen, aber ich war in dieser Beziehung ein wenig altmodisch – und so Handys waren teuer, die konnten dann bei einem unwilligen Kunden mal schnell auf dem Boden oder im Schwimmbecken landen und die Gefahr bestand bei ausgedruckten Bildern dann eher weniger.

„Brauchen Sie Hilfe“, fragte Drecksfresse hämisch.

„Deshalb bin ich hier.“

Nicht die Antwort, mit der er gerechnet hätte. Und nicht die Antwort, die ich im Sinn gehabt hatte. Aber, wenn ich es mir recht überlegte, würde ich um einen weiteren Schritt nicht herumkommen – und in dem Fall würde er garantiert nicht kooperativ sein.

„Kennen Sie diese Mädchen?“ wollte ich wissen und schob stöhnend die Bilder über den Schreibtisch, immer bedacht, nicht in seine Reichweite zu kommen.

Er warf einen kurzen Blick darauf.

„Nie gesehen“, sagte er.

Ich seufzte. „Auch wenn Sie das wahrscheinlich anders sehen, aber bis hierher habe ich wirklich versucht, höflich zu sein.“

Ein Stöhnen von draußen, das anzeigte, dass die Marionette offenbar gerade erwachte, deutete das Gegenteil an.

„Ich weiß, dass Sie lügen“, sagte ich sehr leise, nicht allein, weil das bedrohlicher wirkte, sondern weil meine Kräfte sich gerade in einem Tief befanden. „Und ich bin sicher, wenn Sie wüssten, dass Sie einer alten Dame damit einen Traum zerstören würden, würden Sie mir das Gegenteil sagen.“

„Ich kenne die beiden.“

„Das meinte ich.“ Ich lächelte erschöpft. Schweiß stand auf meiner Stirn. Wenn der kalt wurde, würde es eng werden. „War offenbar eine blöde Idee, hierher zu kommen.“

„Das erste Kluge, das Sie gesagt haben. Jemals!“

„Ja“, nickte ich. „Mir ist eben aufgegangen, dass Sie mir genau das erzählen werden, von dem Sie denken, dass ich es nicht hören will – und dass damit alles, was Sie sagen, für mich völlig wertlos ist.“

Er zeigte mir sein Siegerlächeln.

„Ihrem Gesichtsausdruck nach folgere ich, dass Sie aber zu den falschen Schlüssen gekommen sind. Denn das bedeutet einerseits, dass ich mich nicht mal anzustrengen brauche, Sie wie ein menschliches Wesen zu behandeln, weil mir das sowieso nichts bringen würde. Und es bedeutet andererseits…“

Ich hatte den Faden verloren.

„Was?“

„Oh, dass die Samthandschuhe weg sind.“ Ich deutete auf seinen Computer, der auf dem Schreibtisch stand. „Ich würde gerne einen Blick da hinein werfen. Das war es, was ich sagen wollte. Weil Sie zu fragen keinen Sinn hat.“

„Sie wollen in meine Privatsphäre eindringen?“

„Das sind ganz schön große Worte für einen kleinen Kriminellen wie Sie.“ Ich zielte mit der Kanone auf seine Kniescheibe. „Falls Sie wirklich so ein harter Kerl sind, wie Sie immer vorgeben, haben Sie sicher schon mal jemandem die Kniescheibe weggepustet. Und dann wissen Sie ja, wie schmerzhaft das ist. Sollten Sie das aber noch nicht getan haben, dann biete ich Ihnen jetzt an, eigene Erfahrungen auf diesem Gebiet zu machen, die Sie dann mit anderen Kollegen auf einem Ihrer üblichen Branchentreffen austauschen können.“

„Sie… wollen mich foltern?“

Wenn ein Verbrecher das tut, dann ist er ein Monster. Aber bei Jack Bauer oder Liam Neeson… Sie sehen, worauf ich hinauswill.

„Würden Sie einen anderen Weg vorziehen?“

Zu meiner Überraschung tat er das. Er drehte das Laptop so, dass ich es sehen konnte und zeigte mir das, was ich eigentlich nicht sehen wollte, aber sehen musste. Bilder. Erotische Bilder. Nacktbilder. Von Elena Bronskaja. Und von Jenny van Aark.

„Sie haben beide für mich gearbeitet.“ Er zuckte die Schultern. „Die eine hatte es nötig. Für die andere war es ein Abenteuer. Wollte sich was beweisen oder so was? Mädchen aus gutem Haus. Hat ein bisschen hineingeschnuppert. Ob es ihr gefallen hat? Sie hat jedenfalls nicht aufgehört.“

Das beantwortete ein paar Fragen, leider. Ich flitschte ihm einen Datenstick über den Tisch.

„Die Bilder?“

„Ja.“

„Das kostet. Die sind aus meiner privaten Sammlung.“

„Und wenn ich sage, dass die Tochter aus reichem Haus noch minderjährig war?“

„Dann hab ich nichts davon gewusst. Wir kontrollieren hier keine Papiere, wissen Sie?“

„Nein, Sie nehmen sie den Mädchen nur weg, damit Sie sie in der Hand haben.“

„Das sind aber böse Vorwürfe.“

„Ich bin eben ein böser Mensch.“ Er zog die Ordner mit den Bildern auf den Stick. Ich würde mir später überlegen, ob ich sie meiner Auftraggeberin zeigen würde. Vielleicht nicht. Vielleicht standen sie gar nicht in Verbindung mit dem Mord. Was einen anderen Gedanken aus den Tiefen meines schmerzenden Kopfes ans Tageslicht beförderte.

„Warum…“

Du mieser“, kam es undeutlich von der Tür. Mario Nette stand dort, schwankend, unsicher, ob er sich seine schmerzenden Eier oder seinen schmerzenden Finger halten sollte. Es hätte das Bild abgerundet, wenn ich ihm noch ein paar Zähne ausgeschlagen hätte – aber das hatte er ja schon bei mir getan.

„Kann ich helfen?“ fragte ich. Das Auftreten des angeschlagenen Handlangers hatte für einen kleinen Adrenalinschub gesorgt. Wenn ich den aufrechterhalten konnte, bis ich hier raus war, waren wir ein ganzes Stück weiter.

Du mieser!

„Das hör ich öfter.“

Drecksfresse zog den Stick aus seinem Computer und flitschte ihn zurück. Noch arbeitete mein Gehirn, deshalb kannte ich seinen Plan, noch bevor der Stick den Rand des Tisches erreichte: auf den Boden fallen, dafür sorgen, dass ich mich danach bücken musste, mich angreifen und mir mit vereinten Kräften das antun, was ich verdient hatte. Gute Reaktionen verhinderten das: Ich fing den Stick auf, als er über die Tischkante flog.

„Netter Versuch“, meinte ich, aber mehr aus Höflichkeit als aus echter Anerkennung. Ich schob ihn in meine Tasche und erhob mich langsam. Jede Bewegung tat mir weh, was ich Drecksfresse gerne verheimlicht hätte, aber ich wusste, dass er es wusste. „Die Mädchen haben also für Sie gearbeitet.“

„Ja.“

Da war er, der Gedanke: „Warum hat Sie dann niemand verdächtigt?“

„Ich dachte, es war ein Obdachloser.“

„Und ich dachte, dieses Klischee wäre inzwischen ausgestorben. Es war ein Obdachloser, also bitte. Die neigen eigentlich eher selten dazu, junge Mädchen umzubringen.“

„Vielleicht hatte dieser einen Grund?“

„Vielleicht hatte er das.“ Gründe, jemanden umzubringen, fanden sich ja schnell heutzutage. Wenn ich den Blick durch den Raum schweifen ließ, sah ich in vier Augen, die bestimmt jede Menge davon aufzählen konnten, wenn sie gefragt wurden. „Haben die Mädchen an dem Abend für Sie gearbeitet, als sie ermordet wurden?“

„Sie haben schon seit Wochen nicht mehr für mich gearbeitet“, sagte er mit Bedauern, „leider.“

„Warum nicht?“

„Ich habe sie ‚untervermietet’!“

„An wen?“

Er sah mich abschätzend an. „Glauben Sie, dass Ihr Adrenalin Sie noch lange genug auf den Beinen hält? Lange genug, das aus mir herauszupressen?“ Er lächelte siegesgewiss. „Glauben Sie das?“

Ich wusste, dass es das nicht tat.

Mühsam schwankte ich zur Tür.

„Meine Knarre.“

„Behalte ich noch ein bisschen. Damit du damit keinen Scheiß baust!“

Ich verließ das „Freudenhaus“ so schnell ich konnte und rief mir, entgegen meiner sonstigen Angewohnheiten, ein Taxi. Ausgelaugt sackte ich auf der Rückbank zusammen. Mein Adrenalin war aufgebraucht. Und auch wenn er das nicht gesagt hatte, so wusste ich doch, dass ich tunlichst hoffen sollte, dass sich meine Wege und die von Milo Drecksfresse nie wieder kreuzen würden. Und auch wenn ich das nicht geantwortet hatte, so wussten wir beide, dass sich das nicht umgehen lassen würde. Ich wachte wieder auf, als der Wagen vor der Notaufnahme hielt.

Schwartz wie die Nacht

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