Читать книгу POLIZEIT-Inspektor - Martin Cordemann - Страница 3
10:00 Uhr
ОглавлениеDa war ein Maskierter. Da war eine Waffe. Da war ein Geschrei. Das war selten eine gute Kombination. Eigentlich nie. Es sei denn, es wurde ein neuer Holofilm gedreht. Obwohl... Ethan hatte in letzter Zeit keinen mehr gesehen, weil die im Laufe der Zeit auch immer schlechter geworden waren – also musste auch das nichts gutes sein. Manchmal fragte er sich, ob der Begriff Holo nicht in Wirklichkeit von hohl kam, denn das waren die meisten dieser Machwerke.
„Ich habe eine Geisel!“ rief der Maskierte und als wäre das als Aussage nicht klar genug gewesen, drückte er ebendieser seine Waffe an den Kopf. Die Situation wurde merklich schlechter.
Ethan hatte seine Waffe auf den Kopf des Gangsters gerichtet, als er neben sich eine Bewegung wahrnahm. Ohne die Waffe von seinem Ziel zu nehmen, sah er kurz zur Seite. Ein großer Typ mit blondem Haar stand da, ebenfalls eine Waffe in der Hand. Wenn der ein Komplize des Maskierten war, dann hatte sich die Situation gerade sehr zu Ethans Ungunsten verändert. Die Frage war, warum der Kerl dann nicht ebenfalls eine Maske trug. Die Antwort war, dass er sich dann wohl kaum an den Polizeit-Detective hätte heran pierschen können, jedenfalls nicht, ohne aufzufallen.
„Muss ich mich jetzt entscheiden, ob ich Sie auch erschieße?“ fragte der Detective trocken, immer bereit, die Waffe herumzureißen und zu hoffen, dass er schneller war als der andere.
„Ich würde es vorziehen, wenn wir das vermeiden könnten, Detective Cause“, meinte der Blonde höflich.
Das änderte die Situation... erstmal nicht. Denn auch unter Verbrechern gab es höfliche Menschen, was einer der Hauptgründe war, warum ihre Arbeit nicht so einfach war, wie sie eigentlich sein sollte. Alles, was er jetzt wusste, war, dass der andere seinen Namen kannte – aber das musste nichts heißen. Es gab auch gut informierte Verbrecher, was ebenfalls zur Schwierigkeit seines Berufs beitrug. Ethan versuchte, gleichzeitig den Kopf des Geiselnehmers im Visier zu behalten und trotzdem auf dem Sprung zu sein, sollte Blondie doch noch aktiv werden.
„Kennen wir uns?“ wollte Ethan wissen.
„Offensichtlich nicht.“
„Aber Sie kennen meinen Namen.“
„Und Ihr Gesicht.“
„Ist das schon alles?“
„Ein paar andere Dinge gibt es da schon.“ Aus den Augenwinkeln nahm Ethan wahr, wie der andere schmunzelte. „Da ist es also, unser erstes Aufeinandertreffen. Sie glauben gar nicht, wie lange ich darauf gewartet habe.“
Ethan musste sich eingestehen, dass das nicht gut klang. Sowas klang nach einem unangenehmen Ende für eine Situation, eins, bei dem der Tod einer der Personen eine Rolle spielte. In dem Fall vermutlich seiner. War dies der Augenblick, nun doch endlich den Blonden zu erschießen und sich dann dem Geiselnehmer zu widmen? Erst schießen, dann die Fragen stellen... er war Zeitreisepolizist, also prinzipiell war das durchaus möglich. Nur dann dafür zu sorgen, dass ein möglicherweise Unschuldiger wieder ans Leben kam, das hatte sich im Laufe der Zeit als schwierig erwiesen.
„Auch auf die Gefahr hin, unhöflich zu klingen, aber ich bin hier ein bisschen bei der Arbeit“, begann der Detective. „Wenn Sie also so freundlich wären, Ihre Waffe dort drüben hinzulegen und sich so hinzustellen, dass ich Ihre Hände sehen kann, wäre uns beiden sehr geholfen.“
„Wäre es das?“
„Nun, das hängt ein bisschen davon ab.“
„Wovon?“
„Ob Sie zu den Leuten gehören, die es genießen, niedergeschossen zu werden.“
Der Blonde lachte. „Sie haben sich kein bisschen verändert... oder werden sich kein bisschen verändern.“ Langsam, sehr langsam nahm er etwas aus der Tasche und hielt es Ethan hin. Es war ein Ausweis. Ein Polizeitausweis!
„Kommissar Chris Mulligan, zu Ihren Diensten.“
„Sie sind ein Kollege?“
„Ja.“
„Und wir haben uns schonmal getroffen?“
„Wir haben schonmal zusammengearbeitet! Mehrmals.“
„Nicht von meinem Standpunkt aus.“
„Das hab ich gemerkt. Sie hätten mich warnen können.“
„Worüber?“
„Wie Sie bei unserem ersten Treffen reagiert haben.“
„Wie hätten Sie reagiert, wenn in einer solchen Situation ein bewaffneter Mann neben Ihnen aufgetaucht wäre?“
„Punkt für Sie.“ Mulligan deutete auf den Maskierten. „Das ist übrigens ein Kunde von mir. Ich war gerade auf dem Weg, ihn zu verhaften.“
„Na, das hat ja super geklappt.“
Der Blonde lachte wieder. „Am Anfang hatte ich echt ein paar Probleme mit Ihren Sprüchen.“
„Man gewöhnt sich dran.“
„Das haben Sie damals auch gesagt.“
„Scheint ja zu stimmen.“ Cause visierte weiterhin den Kopf des Geiselnehmers an. „Also Sie verfolgen den da?“
„Ja.“
„Und ich nehme an, keiner von Ihnen ist aus dieser Zeit?“
„Nein. Er ist geflohen, ich habe ihn verfolgt.“
„Wie hoffen Sie, dass dieses Szenario endet?“
„Bitte?“ Mulligan sah den Detective überrascht an.
„Was hat er ausgefressen?“
„Geiselnahme. Und Mord. Vielfachen Mord.“
„An Geiseln?“
„Auch.“
„Sonst noch was, das ich wissen müsste?“
„Rücksichtslos, labil… mit einem Hang zu Sprengstoffen?!“
Der Maskierte fummelte nun an seiner Jacke herum und nahm etwas heraus, etwas, das Ethan schon einmal gesehen hatte und von dem er wusste, dass es nichts Gutes war: Eine kleine Bombe, die gerne von Geiselnehmern verwendet wurde und mit der man ganze Marktplätze in die Luft jagen konnte, wenn man das wollte. Sobald das Ding aktiviert war, hatte der Maskierte ein Argument in der Hand, das sich schwer wegdiskutieren ließ. Ethan drückte ab. Unter der Maske passierte etwas. Der Kopf des Geiselgangsters wackelte, dann brach der Mann zusammen.
„Ist das in Ordnung für Sie?“ fragte Ethan und sah seinen Kollegen an. „Oder bestehen Sie auf einer Verhaftung?“
Blondie lächelte. „Ich denke, das geht in Ordnung.“
„Freut mich sehr.“
„Mich kennenzulernen?“
„Das auch.“ Der Detective betrachtete seinen Kollegen nun in Ruhe von oben bis unten. „Wir haben uns also schonmal getroffen?“
„Hätte ich Ihnen sonst vertraut?“
„Möglicherweise nicht.“
„Nun ist es also geschehen“, murmelte der andere. „Irgendwann musste es ja so kommen, aber ich war mir nie sicher, wann. Sehen Sie, Detective, so wie es aussieht, haben wir uns bisher in der umgedrehten Reihenfolge getroffen. Ihr erstes Treffen...“
„...ist also Ihr letztes.“
„Es sieht ganz so aus.“
„Na, dann ist es ja gut, dass wir keine Affäre haben. Wie würde das mit Kindern aussehen? Man trifft erst die 20jährige Tochter und erlebt dann langsam mit, wie sie jünger wird.“
„Klingt schwierig.“
„Ja. Und doch glaube ich, dass es solche Familien gibt.“ Ethan deutete auf die Leiche des Maskierten und auf seine weinende Geisel. „Vielleicht kümmern Sie sich mal lieber um die beiden. Immerhin ist es Ihr Fall.“
„Danke, Detective.“
„Was für’n Fall ist das überhaupt?“
„Man hat bei ihm die Köpfe von ein paar Leichen gefunden.“
„Das ist meist ein schlechtes Zeichen.“
„Das dachte ich auch. Und da er ein Mörder war, dachte ich, ich nehm ihn lieber fest, aber dann hat er eine Geisel genommen…“
„…und ich denke, ab da kenne ich die Geschichte.“
„Ja.“ Mulligan sah den Detective lächelnd an. „Wissen Sie, manchmal habe ich das Gefühl, Sie sind der einzige Mensch, der mich versteht… und der mich schon immer verstanden hat.“
„Da erwarten Sie etwas viel von einem ersten Treffen, fürchte ich.“
„Vielleicht haben Sie recht.“
Ethan legte den Kopf schief. „Schicke Frisur“, meinte er dann.
„Ich dachte mir schon, dass Sie so was sagen würden“, lächelte Mulligan. Dann nickte er ihm zu. „Wir sehen uns.“
„Offensichtlich“, nickte Ethan. „Ach ja“, meinte er nach einem Moment, „war nett, Sie kennenzulernen!“
„Und, hattest du einen interessanten Tag?“ fragte Captain Fect, seine Vorgesetzte, als er in deren Büro stand und durch das Fenster die Wälder betrachtete. Er mochte es, wenn das Rot der Ahornblätter langsam in das Rot des Abendhimmels überging.
„Ich hab einen alten Bekannten getroffen“, meinte er.
„Das klingt doch ganz interessant.“
„Ja. Zumal ich bisher nur sein Bekannter bin, er aber bis eben noch nicht meiner war.“
„Muss ich das verstehen?“
„Besser nicht.“
„Was macht…“
„Mein Liebesleben?“
„Ja.“ Fect nickte langsam.
„Kompliziert, wie immer.“ Ethan senkte den Blick. Er traf seit einiger Zeit eine Frau, von der er wusste, wann sie sterben würde. „Und ein wenig deprimierend.“
„Weil sie sterben wird und du dagegen nichts unternehmen kannst?“
„Weil meine Zeit mit ihr dem Ende entgegen geht.“ Der Detective seufzte traurig. „Ich habe nur noch viermal die Möglichkeit, sie zu sehen. Nur noch viermal… und danach nie wieder.“
Seine Vorgesetzte und Freundin schwieg. Es gab nichts, womit sie ihn aufheitern, was sie ihm sagen konnte. Liebe war eine komplizierte Angelegenheit, und mit einer Zeitmaschine wurde sie das sogar umso mehr. Es hatte mal einen Kollegen gegeben, der in eine Frau am Hofe von König Ludwig XVI. verliebt gewesen war. Er hatte sie oft getroffen – bis man ihn, wie viele andere, hinrichtete.
Ethan blickte noch einmal nach draußen, dann wandte er seinen Blick von der angenehmen Natur ab und sah seine angenehme Vorgesetzte an. „Was führt mich hierher?“
„Jemand möchte mit dir sprechen.“
„Und ich nehme mal an, dieser Jemand bist nicht du?“
„Im Moment nicht, nein.“
„Möchtest du das Ganze etwas spannender gestalten?“
„Du meinst, dir vorenthalten, wer dich sprechen will und warum?“ schmunzelte sie spöttisch.
„Sowas in der Art.“
„Es handelt sich um einen Special Agent Carl Brewster vom EBI.“
„Das… beantwortet meine Frage nur halb.“
„Ich weiß.“
„Und was möchte das Earth Bureau of Investigations von mir?“
„Das… weiß ich nicht.“
„Ah“, nickte Ethan.
„Na, interessant?“ neckte ihn Fect.
„Nicht unbedingt. Die waren schon immer Geheimniskrämer, die sich nicht gern in die Karten haben sehen lassen.“
„Vielleicht wollen sie dir einen Job anbieten.“
„Vielleicht will Special Agent Brewster sich um einen Job bewerben?“
„Sollte er das dann nicht bei mir machen?“
„Vielleicht hat er von mir gehört.“
„Du meinst von deinen ewigen Vorträgen über Zeitreise und all das?“
„Ganz genau. Vielleicht will er wissen, wie viel er hier die Ohren vollgequatscht bekommt, sollte er den Job annehmen.“
„Das ist tatsächlich eine brauchbare Theorie“, lächelte der Captain. „Wollen wir?“
Ethan zuckte die Schultern. „Warum nicht?“
Konferenzraum 5 bot einen eher unromantischen Ausblick auf den Parkplatz des Polizeitpräsidiums, so war es kaum verwunderlich, dass Agent Brewster nicht am Fenster stand und die Aussicht genoss. Er erhob sich, als Ethan und Fect den Raum betraten.
„Special Agent Brewster?“ fragte der Captain.
„Ja?“
„Ich bin Captain Elisabeth Fect, das ist Detective Inspektor Ethan Cause.“
Wie automatisch griff Ethan nach seiner Marke, überlegte es sich auf halbem Weg aber anders. Möglicherweise war es hier unnötig, sich nach der Vorstellung auch auszuweisen.
Brewster schüttelte ihnen beiden die Hand, Ethan mit ein wenig Misstrauen im Blick. Dann nahmen sie alle am großen Konferenztisch Platz.
„Nun, Agent Brewster, was führt Sie zu uns?“ wollte Fect freundlich wissen.
„Es geht um einen Mord. Oder vielmehr um mehrere Morde“, begann der Special Agent. „Ein Fall, in dem ich ermittle.“
„Würde es Ihnen etwas ausmachen, ein wenig mehr in die Details zu gehen?“
Agent Brewster seufzte. „Es handelt sich um einen Serienkiller, den ich seit 18 Jahren verfolge.“
„Seit 18 Jahren?“
„Ja“, nickte der Mann. „Er schlägt alle sechs Jahre zu und tötet sechs Menschen. Dann hören wir eine Zeitlang nichts von ihm. Aber pünktlich nach sechs Jahren fängt er wieder an zu morden. Wieder sechs Opfer. Sechs Jahre Ruhe und dann wieder sechs.“
„Das bedeutet, wenn er seit 18 Jahren unterwegs ist…“
„Hat er bereits 24 Menschen ermordet“, nickte der Special Agent.
„Wann war der letzte Mord?“
„Vor zwei Tagen. Opfer Nummer 24.“
„Das bedeutet, er wird erst wieder in sechs Jahren zuschlagen.“
„Ja“, stimmte Brewster zu.
Ethan dachte nach. „Aber Sie wollen nicht so lange warten? Sie haben eine heiße Spur und nun wollen Sie uns um Unterstützung bitten? Wir können die sechs Jahre überbrücken und zuschlagen, ohne dass Sie noch einen weiteren Tag warten müssen.“
Das hätten die schon viel früher machen sollen. Warum kamen die erst jetzt zu ihnen?
„Darum geht es mir nicht“, widersprach der Agent.
„Nicht?“
„Nein. Jedenfalls nicht ganz. In einem Punkt haben Sie allerdings recht.“
„Und der wäre?“
„Ich habe eine heiße Spur.“
„Ah.“ Der Detective lächelte. „Haben Sie Zeitreiseaktivitäten festgestellt?“
„Deswegen bin ich hier.“
Ethan hob eine Braue. Das kam ihm ein wenig merkwürdig vor. Wenn eine Zeitreisesignatur gemessen wurde, wurde die Polizeit automatisch eingeschaltet. Warum kam der Mann erst jetzt zu ihnen? Verdammte Geheimniskrämer vom EBI!
„Ich fürchte, das müssen Sie etwas näher erläutern.“
„Allerdings“, mischte sich nun auch Fect ein, „denn in einem solchen Fall fällt der Mord eindeutig in unseren Zuständigkeitsbereich.“
„Die Spuren sind erst später aufgetreten. Und nicht bei allen Tatorten.“
„Geht es etwas ungenauer?“
„Wir haben die drei ersten Tatorte überprüft, so, wie es üblich ist, aber wir haben nichts gefunden. Erst beim vierten gab es eine Spur, aber zu dem Zeitpunkt waren wir uns sicher, dass der Täter keine Zeitmaschine benutzt. Es fanden sich auch bei ein paar weiteren Tatorten Zeitreiserückstände, aber wir sind davon ausgegangen, dass sie nichts mit dem Täter zu tun haben.“
„Was hat diese Ansicht geändert?“
„DNA-Spuren. Die wir an unterschiedlichen Tatorten gefunden haben. Und die von derselben Person stammen.“
„Ein Komplize?“
„Möglich.“
„Hmmm“, murmelte Ethan, während es in seinem Kopf arbeitete. „Vielleicht auch nicht.“
Der Special Agent sah ihn fragend an.
„Nein?“
„Nein“, dachte Cause nun laut nach, „was, wenn Ihr Serienkiller gar nicht in Serie mordet?“
„Wenn… was?“
Ethan lächelte. „Was, wenn er nicht alle sechs Opfer auf einmal umbringt? Oder vielmehr direkt hintereinander? Was, wenn er zum Beispiel nur die ersten drei Opfer direkt ermordet – und für die anderen drei aus der Zukunft anreist?“ Das war eine faszinierende Idee für einen Serienkiller. Etwas, das es so bestimmt noch nie gegeben hatte. „Vielleicht“, sponn er seinen Faden weiter, „vertreibt er sich die Zeit in den drei Jahren zwischen den Haupttaten damit, jeweils noch ein Opfer hinzuzufügen. Also in einem Jahr drei auf einen Schlag, danach jedes Jahr eins, bis es wieder den großen Schlag gibt.“
„Das…“ Brewster nickte mit offenem Mund. „…wäre durchaus… anders.“ Er dachte darüber nach. Dann zeigte sein Gesicht Zustimmung. „Genau genommen würde das sogar einiges erklären.“
„Die fehlenden Spuren bei den anderen Morden.“
„In der Tat.“ Agent Brewster lächelte, nun langsam begeistert. „In der Tat, das würde vieles bei diesem Fall erklären.“
„Es ist nur eine Theorie“, meinte der Detective bescheiden.
„Aber eine gute. Oder hätten Sie noch eine?“
„Dazu kenne ich den Fall zu wenig. Aber ich nehme an, Sie haben sicher…“ Cause dachte nach. „…auch andere Planeten überprüft?“
„Bitte?“
„Vielleicht schlägt er ja gar nicht nur alle sechs Jahre zu, vielleicht tötet er jedes Jahr sechs Menschen, nur eben nicht hier auf der Erde sondern auf anderen Planeten.“
„Oh, das habe ich überprüft. Die Morde gibt es nur hier auf der Erde.“
„Könnte der Mörder trotzdem in den sechs Jahren dazwischen den Planeten verlassen?“ brachte sich Fect ein. „Vielleicht ist er nur alle sechs Jahre hier und vielleicht hält er die Erde für sein Jagdrevier?“
„Wir haben das erwogen, aber wir sind zu dem Schluss gekommen, dass er die ganze Zeit auf der Erde ist, aber nur in einem Rhythmus von sechs Jahren mordet.“ Brewster sah Ethan an. „Oder so, wie Sie es eben beschrieben haben.“
Der Detective nickte. Dann fiel ihm etwas ein.
„Sie sagten eben, Sie hätten eine heiße Spur?“
„Ja.“
„Und deswegen sind Sie hier?“
„Ganz genau.“
„Darf man fragen, was diese Spur ist?“
„Wir haben eine Vermutung, wer der Täter sein könnte.“
„Und der wäre?“
„Wir nehmen an, dass Sie es sind, Detective Cause.“
Ethan sah den Special Agent verblüfft an.
„Hm?“
„Wir halten Sie für den Serienkiller, Detective Cause“, wiederholte Agent Brewster.
„Mich?“
„Und du dachtest, dein Tag könnte nicht interessanter werden“, spöttelte Fect. Dann musterte sie den EBI-Beamten. „Im Ernst?“
„Im Ernst, Captain Fect“, bestätigte der. „Wir haben Spuren von Zeitreiseaktivitäten gefunden, aber eben nicht bei allen Tatorten. Und bei ein paar davon haben wir auch DNA-Spuren gefunden.“ Er deutete auf Ethan. „Und die stammen von ihm.“ Er lächelte. „Bis eben hatten wir keine Idee, wie es hätte sein können, dass der Täter bei manchen Taten eine Zeitmaschine benutzt hat und bei manchen nicht, aber Sie haben uns gerade eine sehr schöne Antwort auf diese Frage präsentiert.“ Er legte den Kopf schief. „Konnten Sie das, weil Sie so clever sind oder weil Sie die Taten auf diese Weise begangen haben?“
„Das möchte ich lieber nicht beantworten.“
„Warum? Weil es Sie belasten würde?“
„Weil es arrogant klingen würde!“ Ethan seufzte. „Sehen Sie, selbst wenn ich Ihr Serienkiller wäre… dann würde ich es erst noch!“
Brewster öffnete den Mund, aber sein Gesichtsausdruck sagte ein deutliches: Häh?
„Sehen Sie, ich war noch nicht an Ihren Tatorten. Ich schätze mal, das ließe sich auch anhand der Logbücher der Zeitmaschinen hier belegen lassen. Wenn Sie mich also jetzt verhaften und wegsperren, würden Sie bestenfalls ein Zeitparadoxon erschaffen, bei dem ich nie zu den Tatorten reise und Sie deshalb nie meine Spuren finden und Sie mich deshalb nie verhaften… Sie wissen ja, wie solche Paradoxa funktionieren.“
Diesmal sagte sein Gesichtsausdruck: Para…was?
„Wissen Sie, wenn Ihr Verein nicht so arrogant wäre, dann würde es zur Standardprozedur gehören, die Polizeit in alle Serienmörderfälle einzuschalten, um in der Tat nicht mehrere Jahre warten zu müssen, bis man einen neuen Tatort zu sehen bekommt, wodurch man keine 18 Jahre verschwendet und den Täter wieder und wieder zuschlagen lässt, weil man den Fall schlicht und ergreifend nicht knacken kann.“
„Man könnte…“
„Wir ändern die Geschichte nicht, das hat man Ihnen doch hoffentlich bei Ihrem Zeitreiseseminar beigebracht.“
„Nun…“
„Ich hätte es Ihnen beigebracht.“ Ethan kratzte sich das Kinn. „Also, wie es aussieht, werde ich mir also ein paar Ihrer Tatorte ansehen – sagen wir mal, um sie zu untersuchen, und nicht, weil ich der Serienkiller bin. Das bringt sie dann doch mal nach 18 Jahren und 24 Leichen dazu, uns hier einen kleinen Besuch abzustatten und uns um Amtshilfe zu bitten.“
„Ich bitte Sie nicht um…“
„Sagen wir einfach mal, Sie tun es, um Ihnen noch mehr Peinlichkeiten zu ersparen.“ Ethan erhob sich und ging ans Fenster, um den langweiligen Ausblick zu genießen. Er war so öde, dass er einen wenigstens nicht ablenkte. „Ich würde folgende Vorgehensweise vorschlagen: Sie erzählen mir alles, was ich über den Fall wissen muss, und dann schaue ich, ob ich Ihnen bei Ihren Ermittlungen helfen kann.“
„Indem Sie in die Vergangenheit reisen? Und sich die Tatorte ansehen?“
„Sie haben meine Spuren dort gefunden, also wenn die nicht jemand dort platziert hat, um mich zu belasten, sollte ich dort irgendwann vorstellig werden.“
„Okay“, meinte Brewster langsam. „Und was, wenn Sie doch der Täter sind?“
„Dann… haben Sie mich ja schon gefunden!“
Ethan nahm dem EBI-Agenten gegenüber Platz und sah ihn aufmerksam an. „Also“, begann er freundlich, „nehmen wir mal an, ich wäre nicht der Täter. Was könnten Sie mir dann über den Fall erzählen?“
Special Agent Brewster schenkte dem Polizisten einen zweifelnden Blick. „Ich bin mir noch nicht so ganz sicher, ob das der richtige Weg ist.“
„Warum nicht?“
„Weil ich Ihnen, wenn Sie der Täter sind, wertvolle Informationen gebe, wie Sie Ihre Tat verschleiern können.“
„Da wäre ich nicht so sicher.“
„Und warum das nicht?“
„Weil ich die Tat ja, wenn ich es denn wäre, noch nicht begangen habe. Sie dagegen sind aber hier und das, weil Sie Spuren von mir gefunden haben. Nehmen wir also einfach mal an, dass sich die Vergangenheit nicht verändern lässt, weil sie bereits geschehen ist: Wie blöde müsste ich also sein, nach diesem Gespräch heute noch Spuren zu hinterlassen? Der Schaden, wenn Sie so wollen, wäre also mangels bisheriger Ausführung der Tat von mir bereits angerichtet.“
„Das… äh… das…“
„Ich weiß, es ist kompliziert.“ Ethan schlug die Beine übereinander und rieb sich das Kinn. „So gesehen müsste ich sie also absichtlich hinterlassen, damit Sie sie finden können.“
„Aber…“
„Das mit dem Paradox, das sonst entstehen würde, hatte ich ja schon angedeutet. Also weiter im Text. Wenn Sie nur an ausgesuchten Tatorten Spuren gefunden haben, sowohl einer Zeitmaschine als auch von mir, bedeutet das, dass alle anderen Tatorte keine Spuren aufweisen. Sehe ich das richtig?“
„Nuun…“
„Ich fasse das als Ja auf.“ Der Detective legte den Kopf schief. „Dafür, dass Sie hier sind, um Amtshilfe zu ersuchen, sind Sie nicht besonders kooperativ. Sie sind immerhin zu uns gekommen.“
„Um dich zu verhaften, Liebling, um dich zu verhaften.“
Fect klopfte ihm aufmunternd auf den Arm.
„Richtig, das vergesse ich immer.“ Ethan seufzte. „Kommt eben zu selten vor, dass ich auf dieser Seite des Verhörtisches sitze. Aber egal, wo waren wir? Also, der Täter hinterlässt keine Spuren?“
„Nein.“
„Außer meinen Spuren?!“
„Ja.“
„Die nicht daher rühren könnten, dass ich mir die Tatorte angesehen habe?“
„Nuuun…“
„Sehen Sie, falls ich nicht der Täter wäre…“
„Bin“, korrigierte ihn seine Chefin.
„Bitte?“
„Falls du nicht der Täter bist! Falls du nicht der Täter wärst, setzt, glaube ich voraus, dass du der Täter bist, während bist ironischerweise sagt, dass du es nicht bist. Glaub ich jedenfalls.“
„Guter Einwand“, stimmte der Detective zu, „wir möchten hier ja keinen falschen Eindruck hinterlassen.“
„Wir?“ lachte Fect. „Ich stehe nicht unter Verdacht.“ Ihr Lachen verschwand und sie sah den Special Agent an. „Oder?“
„Äh, nein, Sie stehen nicht unter Verdacht.“
Sie grinste ihren Freund mit leichter Schadenfreude an.
„Und du weißt auch, was das bedeutet?“ fragte der.
„Und was bedeutet das?“
„Dass ich dich nicht zu den Tatorten mitnehme!“
„Och Mönsch“, schmollte die Polizistin.
Der Agent tauschte jetzt seine Verwirrung gegen Verärgerung aus. „Kann es sein, dass Sie diese Sache nicht ernst nehmen?“ schrie er angesäuert.
„Fragen Sie mich oder sie?“
„Ich frage…“
„Ist ja auch egal“, wiegelte Ethan ab. „Haben Sie sich schon mal überlegt, dass das hier eine geniale Falle von uns für Sie sein könnte?“
„Eine geniale… was?“
„Haben Sie also nicht“, schloss Cause. „Sehen Sie, Sie haben mich in Verdacht, aus Gründen, die zumindest zweifelhaft sind. Aber was, wenn ich eine Komplizin hätte? Meine verehrte Vorgesetzte und Freundin Captain Elisabeth Fect. Was, wenn wir seit 18 Jahren durch die Gegend ziehen und gemeinsam Leute abschlachten? Und wenn wir irgendwann die Vermutung hatten, dass uns so langsam selbst die lahmarschigen Schwachköpfe vom EBI auf die Spur kommen müssten? Was, wenn wir bis dahin pro Jahr nur 3 Leute ermordet haben, dann aber dachten: Hey, wir haben eine Zeitmaschine, verdoppeln wir die Zahl doch einfach.“
„Zum Beispiel, weil wir eine Wette verloren haben oder so was“, ergänzte Fect mit Freude an der Sache.
„Ja, genau“, fuhr Ethan, ob des Einwandes ein wenig irritiert, fort, „also reisen wir zurück, machen das halbe Dutzend voll und hinterlassen dann endlich auch mal ein paar Hinweise, die den ermittelnden…“
„Ermittler?“
„…hierher zu uns führen würden.“ Der Detectice lächelte. „Aber nur Spuren von mir, damit Sie sie nicht verdächtigen. Sie tappen in unsere Falle, wir lassen Sie verschwinden und dann setzen wir unsere Mordserie in sechs Jahren ohne weitere Unterbrechungen fort.“
„Nur, dass wir dann tatsächlich sechs Leute umbringen müssen, damit keiner merkt, dass wir die bei den anderen Fällen nur nachträglich…“
„Nachgereicht?“
„…haben“, lächelte Fect, während man Brewster ansehen konnte, dass er noch nicht ganz sicher war, ob er das alles richtig verstand und ob es an der Zeit war, Angst zu bekommen.
Ethan fiel noch etwas ein.
„Sie gehen also, wenn wir meine Theorie zugrunde legen wollen, davon aus, dass ich die Taten, bei denen keine Hinweise auf eine Zeitmaschine gefunden wurden, vor“, er rechnete nach, „sechs, 12 und 18 Jahren begangen habe?“
„Äh… ja.“
„Und das sind die Taten, die ich nach der Theorie bereits begangen habe, weil sie mein damaliges Ich begangen hat?!“
„Ja.“
„Und das sind die Taten, bei denen Sie keine Spuren gefunden haben?!“
Wieder nickte der Special Agent. „Ja.“
„Dann erklären Sie mir mal, warum ich bei meinen bereits begangenen Taten keine Spuren hinterlassen habe, bei denen, die ich aber noch begehen müsste, schon?“
„Was?“
„Andersrum wäre es doch sinnvoller. Ich versiebe meine ersten Taten, bei denen mir noch niemand auf der Spur ist, aber ich lerne dazu und hinterlasse bei späteren Taten keine Spuren. Schon, weil wir darüber gesprochen haben. Aber, wie Sie es nun darstellen, habe ich alle Taten, bevor wir uns getroffen haben, perfekt und ohne Spuren begangen, aber die noch folgenden nicht. Das klingt… irgendwie idiotisch, wenn Sie mich fragen.“
„Das wird er nicht“, warf Fect ein.
„Was?“
„Dich fragen.“
„Stimmt“, stimmte Ethan zu, „es war mehr ein rhetorisches ‚Wenn Sie mich fragen’.“
„Gibt es so was denn?“
„Jetzt schon.“
Die beiden sahen den Agenten an. Seine Vorstellungskraft schien langsam an ihre Grenzen zu gelangen. „Äh…“
„Lassen Sie sich Zeit“, meinte Ethan und lehnte sich zurück.
Agent Brewster dachte darüber nach. Er sah von Cause zu Fect und wieder zu Cause.
„Sie müssen schon allein drauf kommen“, sagte der.
„Sie meinen… da Sie Ihre anderen Taten schon begangen hätten… bei denen man keine Spuren gefunden hat…“
„Die liegen zeitlich zurück. In meiner Vergangenheit. Sind schon geschehen.“
„Dann… hätten Sie da eher Fehler gemacht als bei denen mit der Zeitmaschine.“
„Wäre zumindest logisch.“ Der Detective lächelte. „Zu welcher Schlussfolgerung sollte Sie das bringen?“
„Dass… dass…“
„Ihre Angst war, dass ich die Untersuchung irgendwie dadurch verändern könnte, dass ich zuviel über Ihre Ermittlungen erfahre?!“
„Äh… ja.“
„Ist es dafür in den genannten Fällen dann nicht schon zu spät?“
Agent Brewster seufzte. „Sie wollen also sagen, dass Sie… die geschehenen Morde nicht beeinflussen können, weil die schon begangen wurden und Sie – oder wer auch immer – keine Spuren hinterlassen hat?!“
„Sowas in der Art.“ Er sparte sich, auf die Variante einzugehen, dass ein kluger Killer in der Zeit zurückreisen und seinem jüngeren Ich ein paar Tipps geben könnte, denn die Sache war auch so schon verwirrend genug. „Können wir dann also mal rein zum Spaß annehmen, dass ich es nicht war?“
„Okay“, meinte der Special Agent nach einer kleinen Pause.
„Gut.“ Ethan kam ein Gedanke. „Haben Sie an den verunreinigten Tatorten außer Zeitreiseaktivitäten und meiner DNA noch irgendwas gefunden?“
Brewster schüttelte den Kopf.
„Waren Spuren von mir an den anderen Tatorten?“
Erneutes Kopfschütteln.
„Okay, das bringt uns dann zu den Morden. Warum zum Teufel haben Sie keinerlei Spuren gefunden?“
„Weil der Täter sehr behutsam vorgegangen ist.“
„Behutsam? Heißt das, er hat das Opfer sanft in den Schlaf gesungen?“
„Oh, nicht behutsam dem Opfer gegenüber?“ Der Beamte schüttelte angewidert den Kopf. „Die mussten… Aber behutsam, was den Tatort angeht. Wobei Tatort eigentlich nicht ganz zutreffend ist.“
Cause seufzte. „Was darf ich mir unter ‚nicht ganz’ vorstellen?“
„Gar nicht.“
Der Detective verdrehte die Augen. „Und was heißt das nun wieder?“
„Wir haben den oder die Tatorte nie gefunden.“
„Und die Leichen wurden Ihnen mit der Post geschickt?“
„Nein, wir haben nur die Leichen gefunden. Ich habe von Tatorten gesprochen, obwohl eigentlich die Leichenfundorte gemeint waren.“
„Und wären Sie ein wirklich guter Verhörexperte und ich ein wenig cleverer Serienkiller, hätte ich mich dann nicht bereits verraten können, indem ich Sie auf diesen kleinen Fehler hingewiesen hätte?“
„Vielleicht sind Sie einfach ein besonders cleverer Serienkiller.“
„Kann man nie wissen“, stimmte Ethan zu. „Also Sie haben nur die Leichen gefunden. Wie? Wo?“
„In kleinen Parks. Tot.“
„Wie sind sie gestorben?“
„Der Mörder hat sie langsam ausbluten lassen.“
„Wie langsam?“
„Über den Zeitraum von etwa zwei Tagen.“
„Oh“, murmelte Fect.
„Und dann?“
„Hat er sie in den Parks deponiert.“
„Ohne Spuren zu hinterlassen?“
„Das ist richtig.“
„Und wie, mein lieber Kollege, soll das bitte möglich sein?“
Nun war es an Agent Brewster, den Polizeit-Detective von oben herab anzusehen. „Indem er einen Beta-T-Stealth-Anzug benutzt. Und einen tragbaren De-Gen-Generator. Mit dem hat er alle seine Spuren entfernt – und damit jede Möglichkeit, ihn zu identifizieren. Und durch den Tarnanzug kann er auf soviel Überwachungsanlagen auftauchen wie er will, wir haben keine Möglichkeit, herauszufinden, wer er ist. Und da wir nicht wissen, wo er seine Leichen deponiert…“
„Können Sie ihm auch keine Falle stellen.“ Ethan lächelte. „Anders als wir.“
„Bitte?“
„Wir wissen, wo er seine Leichen ablädt. Und wir wissen, wann er es macht.“
„Und wie soll das weiterhelfen?“ bellte Agent Brewster genervt.
„Sie haben das Prinzip einer Zeitmaschine noch immer nicht so richtig verstanden, oder?“
Fects Kopf hob sich. „Kann es sein, dass du versucht hast, den Täter zu identifizieren und man deshalb deine DNA gefunden hat?“
„So würde ich das auch interpretieren.“
„Sie haben…“
„Sie meint, ich werde. Ja, das ist in der Tat genau das, was ich vorhabe.“ Ethan sah Brewster an. „Und Sie sind sicher, dass er außer den Leichen nichts dagelassen hat?“
„Nein, dagelassen hat er nichts.“
„Aber?“
„Er hat etwas mitgenommen.“
„Mitgenommen?“
„Das nennt man eine Trophäe, glaub ich“, meldete sich Fect zu Wort. „Serienkiller nehmen gerne so eine Art Andenken mit, oder?“
„Ja.“
„Was hat er mitgenommen?“
„Die Zunge des Opfers.“
„Die…“ Ethan stockte. Manchmal fehlten selbst ihm die Worte. „Das heißt, wir müssen nur jemanden finden, der in seiner Wohnung 24 Zungen hat?“
„Ja“, nickte der Special Agent.
„Ganz ehrlich, wie schwer kann das sein?“
„Und?“ wollte Fect wissen.
„Es ist verdammt schwer!“ zischte Ethan und rieb sich den Staub von der Kleidung. Zusammen mit einem kleinen Einsatzkommando hatte er ein paar der Leichenfundorte unter die Lupe genommen. Nicht alle, nur ein paar der Orte. Da er wusste, dass er sich keine große Mühe zu geben brauchte, keine Spuren zu hinterlassen, tat er das auch nicht. Doch sie waren weniger da, um Spuren zu finden, als vielmehr den Täter bei der Arbeit zu beobachten. Sie versuchten es ein paar Mal – und sie hatten niemals Erfolg.
„Wo ist das Problem?“ fragte seine Chefin, die noch immer schmollte, weil sie nicht mit durfte.
„Das Problem ist, dass unser Serienkiller verdammt clever ist.“
„Wie clever?“
„Clever genug, um von Anfang an die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass wir das machen, was wir machen.“
„Könntest du dich vielleicht etwas kryptischer ausdrücken?“
„Ja, wenn’s dir hilft.“
„Du weißt schon, dass das ironisch gemeint war, oder?“
„Weiß ich – und kann ich, mach ich aber nicht.“ Ethan ließ sich ermattet auf einem der Stühle nieder, die es in der Zeitmaschinenkammer gab. „Er hat geahnt, dass irgendwann jemand versuchen würde, ihn auf die Weise zu finden, auf unsere Weise. Indem er aus der Zukunft kommt, weil er weiß, wann und wo der Täter seine Opfer hinterlegt. Er hat geahnt, dass ihn dabei jemand beobachten könnte.“
„Das… klingt nicht gut.“
„Nein. Auch wenn er selbst keine Zeitmaschine benutzt, da gibt es zumindest keine Hinweise drauf, hat er damit gerechnet – er hat mit verdammtnochmal allem gerechnet! Wir haben es mit Ferngläsern versucht, mit Sensoren, mit verfluchten Drohnen. Nichts davon hat funktioniert. Bei keinem der Tatorte. Sein Tarnanzug ist so gut, dass wir nichts erkennen können – und er hat sogar eine Art Tarnfahrzeug.“
„Verdammt!“
„In der Tat verdammt!“ seufzte der Detective. „Der Mistkerl taucht einfach auf, lädt sein Opfer ab und verschwindet wieder. Er hat Störsensoren, überall. Aber nicht die starken Dinger, die gleich die ganze Nachbarschaft lahm legen, sondern subtiles kleines Zeugs, das nichtmal als Störung gemessen wird.“ Cause zuckte die Schultern. „Der Dreckskerl hat das alles vorausgesehen. Ganz egal, was wir machen, auf die Weise kriegen wir ihn nicht.“
„Und wenn du…“
„Was? Die Geschichte änderst?“
„Und ihn verhaftest!“
„Streng genommen müsste ich dafür nichtmal die Geschichte verändern.“
„Ach nein?“
„Ach nein!“ Ethan grinste müde. „Wir müssten ihn nur verhaften, wenn er seine letzte Leiche abgelegt hat. Wir sacken ihn ein, sagen niemandem was davon und warten, bis Super Agent Brewster bei uns vorstellig wird.“
„Es heißt Special Agent, glaube ich. Und warum machst du das dann nicht?“
„Was meinst du, was wir eben versucht haben? Aber der Typ war schneller wieder weg, als wir ‚Sie sind verhaftet’ sagen konnten.“ Er winkte ab. „Und ja, ich hab’s auch mit erst schießen und dann Fragen stellen versucht. Hat nicht funktioniert.“
„Heißt das, du gibst dich geschlagen?“
„Nein. Ich muss nur einen Weg finden, den er nicht einkalkuliert hat… aber, na ja, eine gute Sache hat das Ganze wenigstens.“
„Und das wäre?“
„Ich habe Agent Brewster alle Spuren hinterlassen, die er braucht, um mich zu finden.“
Tagelang hockte Cause in einem kleinen Raum und betrachtete die Aufnahmen, die sie aus ihren Verstecken von dem Serienkiller hatten machen können. Viele waren es nicht und gut waren sie erst recht nicht. Er studierte intensiv die ebenfalls wenigen Informationen, die Agent Brewster ihnen zur Verfügung gestellt hatte. Und dann studierte er etwas anderes.
„Hat das mit dem Fall zu tun?“ fragte Fect, als sie das kleine Zimmer betrat, um ihm über die Schulter zu gucken.
„Möglicherweise.“
„Was ist das?“
Ethan sah auf und rieb sich seine müden Augen.
„Kennst du dich zufällig mit Strahlung aus?“
„Ein bisschen.“
„Ich suche nach einer Strahlung, die intensiv ist, aber nicht auffällt.“
„Oh, das ist…“
„Die kein Gewebe zerstört und auch nicht gefährlich ist – auch wenn das in diesem Fall keine große Rolle spielen dürfte.“
„Ich verstehe nicht.“
„Etwas, das man leicht finden kann, das lange hält, das man aber nur findet, wenn man speziell danach sucht – und das ansonsten ungefährlich ist.“
„Ah“, meinte Fect, „kein Problem, das Militär hat gerade so was erfunden.“
Der Detective seufzte.
„Sehr witzig.“
„Nein, das ist kein Scherz.“ Fect ließ sich neben ihm nieder und gab etwas in den Computer ein. In grüner Schrift erschien ein kleiner Text, der die neuste Errungenschaft im Bereich Strahlungsforschung anpries, auch wenn niemand sicher zu sein schien, wofür das eigentlich gut sein sollte. Und natürlich war es streng militärisch und streng geheim. „Hilft dir das weiter?“
Ethan grinste.
„Mehr als du denkst!“
„Wo wollen wir jetzt hin?“
„Uns mit ein paar Leuten unterhalten“, erklärte Ethan.
„Und da darf ich mit?“
„Aber sicher.“
„Und was ist mit Special Agent Brewster?“
„Der nicht.“
„Hat das einen Grund?“ fragte Fect, obwohl es ihr eigentlich ziemlich egal zu sein schien.
„Er ist keine so angenehme Gesellschaft.“
„Anders als ich?“
„Anders als du.“
Sie strahlte.
„Dabei hält er dich doch inzwischen für unschuldig.“
„Tut er das?“
„Er sollte“, seufzte der Captain, „immerhin war er bei all deinen Tatortbesichtigungen dabei.“
„Okay“, hatte Agent Brewster zugegeben, als sie den dritten Leichenfundort besucht hatten, „ich habe Sie die ganze Zeit im Auge behalten Detective Inspektor Cause, und ich habe den Killer gesehen – Sie können ja wohl nicht an zwei Orten gleichzeitig sein.“
„Ich hätte sie schicken können“, hatte Ethan gemeint und auf Fect gedeutet, die sie im Zeitmaschinenraum erwartet hatte. Ihr Lächeln erstarb.
„Natürlich hab ich ihm nicht erklärt, dass es mir eine Zeitmaschine erlauben würde, sehr wohl gleichzeitig zweimal am selben Ort zu sein, denn wir wollen es ja nicht übertreiben.“
„Du hast ihn aber nicht die Orte aussuchen lassen.“
„Natürlich nicht.“
„Warum nicht?“
„Weil er sie schon kannte.“
„Und warum wollen Sie die Orte dann bestimmen?“ hatte Brewster irritiert gefragt.
„Um zu sehen, ob ich auch richtig liege“, hatte Ethan gemeint.
„Hast du richtig gelegen?“ fragte Fect.
„Natürlich.“
„Hat dich das in seinen Augen wieder verdächtig gemacht?“
„Natürlich!“
„Was hast du ihm gesagt?“
„Sonder Agent Brewster, wenn ich der Mörder wäre, würde ich dann nicht bewusst andere Orte auswählen?“
Fect runzelte die Stirn.
„Ich weiß nicht, würdest du?“
„Ich habe nicht die geringste Ahnung“, gab Cause zu. „Obwohl… wenn ich der Mörder wäre, würde ich wahrscheinlich versuchen, die Geschichte zu verändern. Wenn ich der Mörder wäre.“
„Würdest du mich dann auch umbringen?“
„Dich würde ich niemals umbringen!“
Sie strahlte.
„Hast du ihm auch gesagt, warum du nicht der Mörder sein kannst, der die Geschichte verändert?“
„Weil jede Veränderung in unserer Zentrale sofort angezeigt würde und man mich damit sofort gefunden hätte?“
„Ja.“
„Ja.“
„Hat ihn nicht überzeugt?“
„Es gibt nur eine Sache, die ihn wirklich überzeugen würde.“
„Und das wäre?“
„Ihn den Täter auf frischer Tat erwischen zu lassen.“
„Und das hast du vor?“
„Allerdings.“
Ethan sah auf seine Liste. 24 Tote. Alle sechs Jahre sechs Opfer. Er kannte sie alle, jedenfalls dem Namen nach. Er seufzte.
„Ich weiß, was du denkst“, meinte Fect und tätschelte seinen Arm.
„Du meinst, zum Ursprungsort dieser Mordreihe reisen und den Täter ausschalten, bevor er all diese Menschen tötet?“
„Sollte man Zeitmaschinen nicht für so was nutzen?“
„Möglich.“
„Warum tun wir es dann nicht?“
„Weil wir gesehen haben, was passiert, wenn wir es versuchen.“
Sie richtete sich auf uns seufzte.
„Allerdings.“
„Das ist also keine wirkliche Option.“
„Aber du hast eine andere?“
„Ich hoffe es.“
„Und die ist?“
„Mit ein paar Leuten sprechen.“
Fect erhob sich voller Energie.
„Worauf warten wir dann noch?“
Die erste Person, die sie trafen, war eine junge Frau namens Jane McIvers. Sie war etwa Mitte 40 und hatte langes, brünettes Haar.
„Dein Typ?“ fragte Fect amüsiert.
„In gewisser Weise schon“, gestand Ethan.
„In welcher Weise?“
„Lass dich überraschen.“ Er lächelte seine alte Freundin an, dann stolperte er und knallte ein wenig ungeschickt in Miss McIvers. Die sah ihn mehr als überrascht an. „Tschuldigung“, murmelte er und deutete auf Fect. „Sie hat mich geschubst.“
„Was?“ kam es nahezu gleichzeitig aus beiden Frauenmündern.
„Okay, das war meine Ungeschicklichkeit“, gab Ethan zu und deutete auf den nunmehr leeren Becher in der Hand der jungen Dame. „Und das da geht auch auf mein Konto, fürchte ich.“
„Mein Kaffee“, brachte sie überrascht heraus.
„Ist jetzt mein Kaffee“, korrigierte der Detective und deutete auf seinen nunmehr braunen Ärmel. „War er lecker?“
„Ähm…“
„Ich würde Ihnen ja meinen Arm anbieten, aber das hat für gewöhnlich eine andere Bedeutung – und würde vielleicht etwas merkwürdig wirken, wenn ich Sie auffordere, an meinem Ärmel zu nuckeln.“ Er blickte sie so unschuldig an, dass sie lachen musste. „Darf ich Ihnen einen neuen Kaffee besorgen?“
„Ach…“
„Das war eigentlich keine Frage, obwohl ich es so formuliert habe“, stellte Ethan klar und forderte sie auf, ihm ihren Becher zu geben. „Ich nehme an, da steht drauf, was drin war?“ Kaffeetrinken war im Laufe der Jahre immer komplizierter geworden und es gab Universitäten, die Diplome für richtiges Kaffeebestellen vergaben – jedenfalls hatte Ethan mal so was gehört.
„Es ist nur Kaffee mit Milch und Zucker“, sagte die Brünette.
„Der Klassiker“, lächelte der Polizist und sah sich nach dem Kaffeeladen um, von dem der Becher stammte. „Bin sofort wieder da“, sagte er, als er ihn ausfindig gemacht hatte. „Vielleicht lassen Sie sich in der Zwischenzeit von meiner Freundin langweilen?“
„Immer zu Diensten“, meinte Fect und salutierte, während sich Ethan auf den Weg machte. Als er kurze Zeit später wieder kam, schallte ihm bereits das Lachen der beiden Damen entgegen, die sich blendend zu verstehen schienen.
„Hier, Ihr Kaffee.“
„Danke.“
„Kann ich sonst noch was für Sie tun?“
„Ein Stück Kuchen vielleicht?“ schlug Fect vor.
„Da hätte ich auch früher dran denken können.“ Er reichte Miss McIvers ihren Becher – und zu deren Überraschung reichte er auch Fect einen.
„Du hast an mich gedacht?“
„Wie könnte ich dich jemals vergessen?“
McIvers sah die beiden an.
„Wie lange sind Sie schon zusammen?“
„Gar nicht“, meinte Ethan.
„Ist ein bisschen her“, meinte Elisabeth.
„Häh?“ meinte Jane.
Mit einem „Es ist kompliziert“ wischte der Detective alle weitere Fragen hinfort und fragte dann: „Ich hoffe, ich habe den richtigen Kaffee mitgebracht?“
McIvers nippte daran. Dann lächelte sie erfreut. „Der ist sogar besser als der, den ich eben hatte“, sagte sie und nahm einen langen, kräftigen Schluck, genoss ihn und seufzte glücklich. „So muss Kaffee sein. Vielleicht sollten Sie mir öfter über den Weg laufen.“
„Oder vielmehr in den Weg“, korrigierte Fect, die weniger Freude an ihrem Kaffee zu finden schien.
„Heißt das, dass ich Ihnen die Reinigung meines Hemds in Rechnung stellen kann?“ hoffte Ethan. Die Brünette sah ihn schief an. „Versuch war’s wert.“
Fect nickte ihr zu. „War nett, Sie kennenzulernen.“
„Ganz meinerseits“, meinte McIvers.
„Wobei mich ehrlich gesagt wundert, dass wir Ihnen hier das erste Mal begegnen.“
„Das wundert mich auch, immerhin wohne ich schon mein ganzes Leben lang hier.“
„Wirklich?“
„Wirklich!“
„Nie herumgezogen? Immer in dieser Stadt?“
„Ich bin hier nie rausgekommen.“
„Nichtmal für einen Urlaub?“
„Nichtmal das.“
„Das… tut mir wirklich leid!“ meinte Ethan.
„Danke für Ihr… Mitgefühl.“ McIvers, die nicht so ganz zu wissen schien, wie sie Ethan einordnen sollte, lächelte Fect noch einmal zu, dann setzte sie ihren Weg fort.
„Manchmal verstehe ich dich nicht“, seufzte die, nachdem die Brünette außer Hörweite war.
„Ich denke, das ging ihr genauso.“
„Und, hast du von diesem Zusammentreffen das bekommen, was du dir erhofft hast?“
„Ich denke schon.“
„Und jetzt?“
„Zieh ich mir n neues Hemd an – und behellige die nächste Frau!“
Ihr Name war Clara Behrens. Auch sie hatte die Vierzig knapp überschritten, aber sie trug ihre braune Mähne zu einem formschönen Dutt gebunden. Sie trafen sie in einem kleinen Schnellrestaurant auf Rädern in der Nähe des Strandes. Die Sonne schien und Mrs. Behrens schien Leben und Essen gleichermaßen zu genießen.
„Sie sollten die neue Sauce probieren“, schlug Ethan vor, als er sich mit Fect und einer großen Portion Pommes am Nebentisch niederließ.
„Bitte?“ Behrens sah überrascht auf.
Cause deutete auf ihren Teller mit Pommes Frittes. „Wenn Sie die Dinger mögen, sollten Sie die neue Sauce ausprobieren.“ Sein Finger zeigte auf eine kleine Flasche, die vor ihr auf dem Tisch stand. „Das ist verdammt gutes Zeug.“ Er griff nach der gleichen Flasche auf ihrem Tisch und begann, seine Pommes in der gelblichen Sauce zu ertränken. Fect schüttelte nur den Kopf und bemühte die Mayonnaise. Während sie noch dabei war, klang ein „Mmmm!“ vom Nachbartisch zu ihnen herüber.
„Guter Vorschlag“, murmelte Frau Behrens mit vollem Mund.
„Ich bin Vertreter für diese Sauce“, erklärte Ethan.
Behrens Kauen hielt mitten in der Bewegung an.
„Nur ein Scherz“, lächelte der Polizist. „Ich ess sie nur gerne. Und manchmal möchte man seine Vorlieben ja auch mal mit anderen teilen.“ Er deutete auf Fect, die sich gerade mit der etwas unkooperativen Mayoflasche beschäftigte, was damit endete, dass sie sich einen Großteil des Inhalts über ihr Kleid spritzte. „Wenn andere sich davon schon nicht überzeugen lassen.“
Fect sah an sich herunter. „Weiß passt besser zu meinem Kleid.“
„Schwer, dir da zu widersprechen“, gestand Ethan. „Möchtest du noch Ketchup, um den Gesamteindruck abzurunden?“
„Ich verzichte.“
Cause sah Behrens an.
„Sie vielleicht?“
„Danke, ich bevorzuge meine Kleidung ohne Sauce.“
„Geht den meisten so.“
„Aber Ihr kleiner Tipp hat mir mein Mittagessen versüßt. Im wahrsten Sinne des Wortes.“ Sie lächelte. „Außerdem hab ich mir nie viel aus Ketchup gemacht.“
„Weil es zu sehr wie Blut aussieht?“
Ein Schauder lief über ihren Rücken. „Das war es also. Blut, eklig!“
„Dann sind Sie wohl keine Ärztin?“
„Nein“, lachte sie. „Ich bin Entwicklungshelferin.“
„Hier in der Stadt?“
„Erst seit ein paar Monaten.“
„Und davor?“
„Ich bin viel herumgekommen. Ich war für acht Jahre auf Pandur, bis die ihre Grenzen geschlossen haben.“
„Acht Jahre lang? Ohne Unterbrechung?“
„Ohne Unterbrechung.“
„Das stell ich mir sehr hart vor.“
„Das war es auch“, nickte die Frau ernst. Dann lächelte sie. „Und deshalb freu ich mich, wenn ich eine ordentliche Portion Pommes bekomme. Die gibt’s auf Pandur nämlich nicht. Gibt einem ein Gefühl der Heimat. Und Ihre Saucenempfehlung, ich werd’s mir merken.“
„War mir ein Vergnügen.“
Mrs. Behrens nahm ihren leeren Teller, verabschiedete sich und verließ dann das kleine Strandlokal.
Fect legte den Kopf schief. „Meinst du, deine Sauce würde besser zu meinem Kleid passen?“
„Nein.“ Ethan schüttelte den Kopf. „Mayo war da wirklich die richtige Wahl!“
„Wer ist unsere Nummer 3?“ fragte der Captain, als sie sich in einer dunklen Bar mit lauter Musik befanden.
Der Detective sah sich um. Es dauerte einen Moment, bis er die Person gefunden hatte, nach der er suchte. „Dort drüben“, sagte er und nickte mit dem Kopf in die entsprechende Richtung. Dort stand eine attraktive Frau um die 40 mit langen, braunen Haaren.
„Da hätt ich auch selbst drauf kommen können“, murmelte Fect. „Wessen Klamotten werden diesmal eingesaut?“
„Ich hatte eigentlich vor, das in diesem Fall zu umgehen. Und hey, die Sache mit der Mayo war ja wohl nicht meine Schuld!“
„Ja, schieb’s ruhig auf mich. Und, wie heißt die?“
„Jaqueline Miehn.“
„Das reimt sich.“
„Ist mir nie aufgefallen.“ Ethan setzte sein bestes Lächeln auf und machte sich auf den Weg an die Bar. Wie zufällig blieb er neben Mrs. Miehn stehen und bestellte sich einen Martini.
„Ist das nicht etwas altmodisch?“ fragte die.
„Ich bin eben ein altmodischer Typ.“
„So sehen Sie aber gar nicht aus.“
„Der erste Eindruck kann täuschen. Ich bin altmodischer, als man meinen würde.“
„Wie äußert sich das?“
„Sie meinen, außer in der Wahl meiner Getränke?“
„Ja“, lächelte sie.
„In altmodischen Formulierungen.“
„Zum Beispiel.“
Sein Martini kam, er nahm ihn, prostete ihr zur, nahm einen Schluck, verzog das Gesicht und meinte: „Mann, schmeckt das scheiße!“
Miehn lachte. „Vielleicht hätten sie was anderes bestellen sollen.“
„Mit Sicherheit sogar.“
„Warum wollten Sie dann einen Martini?“
„Ich hab ne Wette verloren.“
„Mit wem?“
„Mit ihr.“ Ethan deutete auf Fect, die sich nun zu ihnen gesellte.
„Freundin? Ehefrau? Geliebte?“
„Schwester“, erklärte Fect lächelnd. „Hat er es geschafft?“
„Was?“
„Den Martini zu trinken, ohne sein Gesicht zu verziehen?“
Mrs. Miehn schüttelte den Kopf. „Ich fürchte, das hat er nicht.“
„Möchtest du vielleicht den Rest?“ Cause bot seiner Chefin das Glas an.
„Ich bin doch nicht blöde.“
„Zu schade.“ Ethan zuckte die Schultern und wandte sich der Brünetten zu. „Was trinken Sie da?“
Sie nannte einen exotischen Namen, den er noch nie gehört hatte.
„Häh?“ meinte er nur.
„Lrrptanuulk“, wiederholte sie.
„Klingt wie Schmerzmedizin.“
„Das ist ein Getränk von Telurfott.“
„Dem Modedesigner?“
„Dem Planeten!“
„Oh.“
„Der ist das neue Mode-Getränk diesen Sommer.“
„Schmeckt er so, wie er klingt?“
„Er…“ Sie verzog ein wenig das Gesicht. „…schmeckt nicht so toll. Eigentlich gar nicht“, lachte sie. „Das ist mit das Furchtbarste, das ich je getrunken habe.“
„Dann sollten Sie vielleicht mal meinen Martini probieren.“
„Vielleicht sollte ich das tun!“ Sie nippte daran – und schüttelte sich. „Auch nicht besser.“
„Aber wahrscheinlich weniger teuer.“
„Darauf können Sie wetten“, stimmte Miehn zu. Dann zuckte sie die Schultern. „Aber was soll ich machen? Ist meine einzige Möglichkeit, zu erfahren, wie es da draußen ist.“
„Da draußen?“
Sie deutete hinauf in den Himmel. „Da draußen in der Galaxis. Ob Sie’s glauben oder nicht, aber ich habe die Erde noch nie verlassen und auf die Weise“, sie deutete auf ihr halbleeres Glas, „versuche ich zu sehen, ob ich da oben irgendwas verpasse.“
„Außerirdische Kunst, außerirdische Getränke, außerirdisches Essen?“
„Ja“, nickte sie.
„Und?“
Miehn zuckte die Schultern. „Vielleicht fühlt sich das ja anders an, wenn man es auf der Welt zu sich nimmt, von der es kommt. Hier ist vieles davon… irgendwie nicht so toll.“
„Warum verlassen Sie die Erde dann nicht?“
Ihr Blick wurde schwärmerisch. „Sie meinen, hinaus ins Universum? Frühstück auf Telurfott? Die Bank von Klenndock Sinu ansehen? In den Spiralwasserfällen von Slann schwimmen? Oh, das wollte ich immer machen…“ Sie kehrte in die Gegenwart zurück. „…aber ich muss mich um meine Mutter kümmern. Der geht es nicht so gut und sie braucht meine Hilfe.“
„Das tut mir leid.“ Ethan überlegte. „Telubian Sunrise“, sagte er dann.
„Bitte?“
„Sie sollten den Telubian Sunrise probieren. Der ist… exotisch, aber lecker. Das Telub-System hat nicht nur eine, sondern drei Sonnen. Also ist er mit drei unterschiedlichen Arten von Alkohol zubereitet.“ Ethan winkte dem Barkeeper und bestellte. „Und man sagt, er hat eine ähnliche Wirkung, wie ein Sonnenaufgang auf Telub.“
„Und welche Wirkung ist das?“
Die Getränke kamen und er reichte ihr und Fect einen.
„Man hat das Gefühl, blind zu werden!“
Es war sehr spät, als sie sich auf den Rückweg ins Polizeitpräsidium machten.
„Mir ist etwas aufgefallen“, meinte Fect, während sie langsam nebeneinander her gingen.
„Das freut mich sehr.“
„Diese Frauen – sie sehen sich alle sehr ähnlich.“
„Ich weiß.“
„Du wolltest herausfinden, ob sie sich zu den Tatzeitpunkten auf der Erde befunden haben?“
„Auch.“
„Du glaubst also, eine von ihnen könnte der Serienkiller sein?“
„Nein.“
„Nein?“ Fect blieb stehen und sah ihn erstaunt an. „Ich dachte, du hättest aufgrund der Beobachtungen bei den Fundorten darauf geschlossen, wie der Killer aussehen könnte und dass es eine von diesen Frauen…“
„Nein“, wiederholte Ethan.
„Aber… wenn sie keine Tatverdächtigen sind, dann sind sie…“
„Die letzten drei Opfer“, bestätigte der Detective traurig.
„Die… Opfer…?“
„Deshalb habe ich es dir vorher nicht gesagt. Ich weiß, wie schwer du so was nimmst. Und deshalb hattest du nicht ganz unrecht damit, als du gesagt hast, sie wären mein Typ.“
„Inwiefern?“
„Es sind alles Frauen, bei denen ich sehr genau weiß, wann sie sterben werden!“
Fect saß in ihrem Büro und starrte aus dem Fenster. Sie hatte es noch nie gemocht, mit den Opfern eines Mordes zu sprechen, bevor diese zum Opfer wurden. Irgendwie kam es ihr falsch vor, sie nicht zu warnen – und deshalb war sie froh, dass sie Ethan nicht vorher eingeweiht hatte, mit wem sie sprechen würden.
„Sie waren alle im gleichen Alter“, murmelte sie.
„Das scheint seine bevorzugte Gruppe von Opfern zu sein.“
„Brünette Frauen um die 40?“
„Brünette Frauen“, korrigierte Ethan. „Das EBI vermutet, er bringt Frauen in seinem Alter um. Die ersten sechs Opfer waren um die 20, die nächsten Mitte bis Ende 20, die danach Anfang 30 und die letzten Ende 30 Anfang 40.“
„Man weiß, was er mit ihnen macht?“
„Das weiß man.“
„Aber man weiß nicht, wo?“
„Das EBI geht davon aus, dass er für alle seine Taten nur einen Tatort verwendet. Er hat, denken die, einen festen Wohnsitz, einen Wohnsitz, den er möglicherweise seit mehr als 18 Jahren nicht verlassen hat. Er scheint sich dort also sicher zu fühlen. Das Problem ist nur, dass man diesen Wohnsitz bislang nicht gefunden hat.“
„Hast du einen Plan?“
„Ja.“
„Einen guten Plan?“
„Wird sich zeigen.“
„Dein Optimismus erfüllt mich mit Wärme.“
„Möchtest du, dass ich dir was vorlüge?“
„Nein“, seufzte sie.
Es klopfte an der Tür.
„Special Agent Brewster, kommen Sie doch herein.“
„Haben Sie den Fall gelöst?“ fragte er und konnte den Spott in seiner Stimme nicht unterdrücken.
„Noch nicht“, gestand Ethan. „Aber wir haben eine Entdeckung gemacht.“
„Eine Entdeckung?“
„Eine Entdeckung, die geheim bleiben sollte.“
Brewster kniff die Augen zusammen.
„Was meinen Sie mit geheim?“
„Nun, unser Serienkiller ist offensichtlich sehr clever und gut ausgerüstet.“
„Allerdings“, gab der Special Agent zu.
„Es besteht also durchaus die Möglichkeit, dass er zum Beispiel in die Zukunft reist, um sich über gewisse Dinge zu informieren.“
„Über was für Dinge?“
„Ob er gefasst wurde, zum Beispiel. Deshalb sind die Informationen, die die Polizeit über ihre Ermittlungen der Öffentlichkeit zur Verfügung stellt… nunja, nicht unbedingt deckungsgleich mit der Realität. Um zu verhindern, dass sich Täter Inspirationen holen, wie man ihre Entdeckung umgeht.“ Ethan zuckte die Schultern. „Außerdem wissen wir nicht, ob er sich nicht vielleicht Zugang zu Ihrem EBI-Computer verschafft hat und immer weiß, wie viel Sie wissen.“ Oder wie wenig, dachte der Detective, sagte es aber nicht. „Deshalb darf das, was wir Ihnen jetzt anvertrauen, diesen Raum nicht verlassen.“
Der Special Agent sah die beiden gespannt an.
„Unser Gerichtsmediziner hat die Leichen der letzten sechs Opfer untersucht“, erklärte Fect. „Dabei hat er etwas gefunden, das Ihre Leute übersehen haben.“
„So“, meinte Brewster großspurig, „hat er das?“
„Er hat“, bestätigte Ethan. „Sagt Ihnen der Begriff QUO-12 etwas?“
Agent Brewster sah ihn verwirrt an. „Nein.“
„Gut, dachte ich mir auch nicht. QUO-12 ist ein geheimer Stoff, den das Militär entwickelt. Er ist völlig harmlos für den menschlichen Körper, sendet aber eine Strahlung aus, die man… leicht finden kann, wenn man weiß, wonach man suchen muss.“
„Ich verstehe kein Wort!“
„In den Körpern der letzten drei Opfer hat man diesen Stoff gefunden.“
Brewster zuckte die Schultern. „Und?“
Ethan seufzte. „Das versetzt uns in die Lage, Ihren Serienkiller zu finden.“
„Das… was… Wie? Weil er ihnen dieses Zeug verabreicht hat?“
„Nein.“
Der Blick, den Fect Ethan zuwarf sagte: „Weil wir ihnen dieses Zeug verabreicht haben!“ In einem Kaffee, in einer Sauce, in einem Cocktail. Aber sie blieb still.
„Wie Sie sagten, behält der Killer von jedem seiner Opfer ein Andenken zurück.“
„Ihre Zunge.“
„Ja. Nun besitzt er drei Zungen, die eine starke Strahlung aussenden – und solange diese Information unter uns bleibt, wird er nichts davon wissen, weil er nicht weiß, wonach er suchen muss.“
„Und wie hilft uns das?“
„Es hilft uns dabei, ihn zu finden. Unsere Sensoren haben bereits damit begonnen, alles nach dieser Strahlung abzusuchen. Dadurch erfahren wir, wo er wohnt, wie er heißt – wer er ist.“
„Und dann verhaften Sie ihn?“
„Nein, die Ehre gebührt Ihnen.“
„Und wann wird es so weit sein?“
Ethan lächelte. „In sechs Jahren!“
Ein Überwachungsteam fand heraus, wo sich die abgeschnittenen Zungen der drei letzten Opfer befanden. Sie fanden heraus, wem das Haus gehörte. Sein Name war Norman de Neig. Sie überwachten ihn aus der Ferne, so, dass er nichts davon mitbekam. Sie wussten, wer der Serienkiller war – und sechs Jahre später schlugen sie zu.
„Müssen wir auch sechs Jahre warten?“ fragte Fect.
„Wozu ist man bei der Polizeit?“ meinte Ethan und zuckte die Achseln.
Sie hatten einen genauen Plan ausgearbeitet. De Neig wurde überwacht. Sie beobachteten ihn dabei, wie er sein neues Opfer, Opfer Nummer 25, entführte und in sein Versteck brachte.
„Ich würde gerne vermeiden, dass es zu weiteren Toten kommt“, hatte Fect gesagt.
„Das würde ich auch gerne.“
„Und jetzt?“
„Hat das EBI ein Zeitfenster, das es hoffentlich einhalten kann.“
Fect hatte Ethan fragend angesehen. „Warum sollten die so lange warten? Warum haben wir den Killer nicht gleich verhaftet?“
„Weil er alles abstreiten könnte. Die Zungen hat er im Netz ersteigert oder was auch immer er behaupten könnte. Auf die Weise ist alles wasserdicht. Auf frischer Tat ertappt. Er lässt seine Opfer langsam ausbluten – also sollte das EBI sein Versteck stürmen, bevor es zu spät ist!“
Special Agent Brewster und seine Leute wussten, was auf dem Spiel stand. Detective Cause und Captain Fect hatten sie noch einmal eingehend instruiert, einen Tag, bevor es losgehen würde.
„Woher wissen Sie, wann er sein Opfer entführt?“
„Zeitreise“, meinte Ethan nur. Sie wussten, wann es passierte, sie mussten nur einen Tag vorher bei Brewster vorstellig werden. Kein Problem!
Brewster und seine Leute schlugen zu. Sie stürmten das Haus, fanden das Opfer – und verhafteten den Mörder. Die Spuren, die sie dort fanden, brachten ihn auch mit den anderen Taten in Verbindung. Der Fall war gelöst.
„Oh mein…“ hauchte Fect.
„Was?“
Sie saß vor dem Computer und starrte auf den Bildschirm. „Ich habe gerade die Zeitungsberichte der Wochen nach der Verhaftung durchgesehen. Wir dachten, wir hätten die Mordserie gestoppt, aber…“
Ethan hielt den Atem an.
Sie gab wieder etwas ein. „Und in 12 Jahren…“ Wieder verstummte sie mitten im Satz.
„Wir waren also nicht erfolgreich?“ fragte Ethan leise. „Die Morde gehen weiter? Wir haben es nicht aufgehalten?“
Fect löste ihren Blick von dem Bildschirm und wandte ihren Kopf Ethan zu. Dann grinste sie. „Doch!“
„Was?“
„Ich hab dich verarscht! Wir waren erfolgreich, keine Sorge. Aber das ist die Rache dafür, dass du mir nicht gesagt hast, dass wir den drei Frauen irgendeine experimentelle Substanz vom Militär einflößen, damit wir hinterher ihre…“ Sie brach ab.
„Herausgeschnittenen Zungen finden können?“
„Genau aus dem Grund hab ich das nicht gesagt!“
„Es klingt… genauso schlimm, wie es ist.“
„Allerdings.“ Sie legte den Kopf schief. „Manchmal frage ich mich, warum du nie den einfachen Weg gehst?“
„Du meinst, in den Zeitungsartikeln der Zukunft zu schauen, wer der Mörder ist, anstatt ihn auf eine komplizierte Weise zu finden?“
„Ja.“
„Weil wir diese Artikel manipulieren – aus gutem Grund. Und außerdem…“
„Ja?“
„Ich mag es nicht, zu schummeln!“