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Wohl verhört?

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„Morgen, Rhode.“

„Morgen, Chef!“

Ich gähnte.

Nicht aus Respektlosigkeit.

Aus purer Müdigkeit.

Aber mein Chef hielt mich eh für respektlos, ich hatte also nicht viel zu verlieren.

„In mein Büro!“

Das hörte man immer gerne.

Naja, eigentlich nicht.

„Kann ich etwas später kommen?“

„Langweile ich Sie?“

„Noch nicht.“

„Haben Sie was Besseres vor?“

„Das kann man so nicht sagen.“

Das war nicht ganz richtig. Was ich „vorhatte“, war, ein paar Leute zu verhören, von denen sich einer hoffentlich als Mörder entlarven lassen würde. Prinzipiell war das natürlich interessanter, als ein lauschiges Pläuschchen mit meinem Chef zu halten; andererseits war aber zumindest einer dieser Leute ein Mörder und damit streng genommen keine angenehme Gesellschaft. Aber das hätte ich mir vielleicht überlegen sollen, bevor ich mich für diesen Beruf entschieden hatte.

„Ich muss noch wen verhören.“

„Die Sache mit dem Messer?“

„Die Sache mit dem Leuchtturm.“

„Leuchtturm?“

Mein Chef sah mich verwirrt an.

„Na, weil die Leiche doch… unter dem Leuchtturm… gefunden wurde?!“

„Sie brauchen dringend Urlaub, Rhode!“

Da mochte er Recht haben. Aber ich war nicht gewillt, ihm das zu zeigen.

„Sie wissen, dass Sie der einzige sind, dem der Leuchtturm da überhaupt aufgefallen ist, oder?“

Ich maulte ein undeutliches: „Ja.“

„Gut. Kommen Sie in mein Büro, wenn Sie fertig sind.“

„Wenn ich den Täter habe?“

„Wenn Sie mit den Verhören fertig sind!“ wiederholte er und nahm mir damit meine Ausflucht, diesen Termin weiter und weiter vor mir her zu schieben, indem ich den Fall einfach nicht löste.

„Na gut“, murmelte ich und trottete weiter. Ich fühlte mich ausgelaugt und müde. Vielleicht hatte er Recht, vielleicht brauchte ich wirklich Urlaub.

Je mehr ich darüber nachdachte, umso mehr wurde diese Theorie unterstützt. Der Fall war inzwischen nämlich noch eine kleine Spur unglaubwürdiger geworden. Nicht nur, dass es nur vier Verdächtige gab, diese vier waren auch noch allesamt Ärzte – fünf, wenn man den Toten mitzählte.

„Soll das n Scherz sein?“ hatte ich den Beamten in einer Mischung aus Verwirrung und Müdigkeit gefragt.

„Ich fürchte nicht.“

Wäre das eine Wendung gewesen, dann eine interessante – aber nichts hatte sich gewunden, von mir mal abgesehen, und das hatte nichts zum Fall beigetragen.

„Hatten die nen Kongress?“ war das einzige, was mir einfiel, doch ich erahnte die Antwort bereits.

„Die haben sich wohl öfter hier getroffen.“

Ja, so was in der Art hatte ich auch angenommen.

„Wahrscheinlich haben die auch alle ihre eigenen Messer dabei“, murmelte ich.

„Nein, nur das Opfer.“

War ja klar gewesen. Wenn jetzt nur einer immer ein Messer dabei gehabt hätte, dann hätte das die Aufklärung unglaublich erleichtert. Obwohl, genau genommen war es ja so – und genau genommen erschwerte das die Aufklärung eigentlich eher. Ich unterdrückte ein Gähnen indem ich laut gähnte.

„Langweilt Sie dieser Fall?“

„Ich wünschte, es wäre so.“

„Sie sehen so aus, als…“

„…würde ich Urlaub brauchen?“

„Nee, nen Kaffee.“

„Danke, aber ich mag keinen Kaffee.“

„Wollen Sie n Bier?“

„Haben Sie eins da?“

„Nein.“

Wär auch zu schön gewesen. Um. Wahr. Zu. Sein. Ich wurde immer müder.

„Also fünf Ärzte, vier Verdächtige, das Opfer hatte sein eigenes Messer.“

„So sieht’s wohl aus.“

„Okay.“ Ich kratzte mich am Kopf. „Und es kann wirklich niemand anders gewesen sein?“

„Der hätte den Kollegen auffallen müssen.“

Prima. Jemand drückte mir einen Autopsiebericht in die Hand. Die Worte verschwammen vor meinen Augen. Vielleicht war ich gar nicht müde, vielleicht brauchte ich einfach eine Brille? Nein, mein lautstarkes Gähnen widerlegte diese Theorie.

Wenn ich den vorläufigen Bericht richtig verstand – wovon nicht unbedingt auszugehen war –, dann war das Opfer von jemandem umgebracht worden, der mit einem Messer umzugehen verstand. Und damit war weder ein Messerwerfer gemeint noch ein Fleischer, sondern ein Arzt. Was gut ins Bild passte, da wir ja ein paar verdächtige Ärzte zur Auswahl hatten.

„Wo sind die Verdächtigen?“ fragte ich einen vorbeikommenden Polizisten. Der sah mich nur an, hob die Schultern und erklärte, dass er zu dem Einsatzkommando gehörte, das wegen der Demo hier war. Was mich zu der Idee einer Polizeidemo brachte. Wenn die Polizei demonstrieren würde, würden zur Bewachung der Demo ja sicher auch Einheiten aus ganz Deutschland in Mannschaftswagen angekarrt werden. Und die Demonstranten würden auch aus ganz Deutschland anreisen. Ob man die dann wohl in den Einsatzwagen mitnehmen würde, da sowieso alle dasselbe Ziel hatten – sowohl geographisch als auch ideologisch? Ich wusste es nicht und ich vermied es, einen der Kollegen zu fragen. Wenig später hatte ich den Polizisten ausgemacht, mit dem ich eben die ganze Zeit gesprochen hatte. Ich ging hin und wiederholte meine Frage.

„Wir haben sie in ein paar Verhörräumen untergebracht.“

„Personalien, Fingerabdrücke…“

„Alles in Arbeit.“

„Hmmm.“ Ich dachte nach. „Wissen die, dass nur sie verdächtig sind?“

„Sie meinen, dass es nur einer von ihnen gewesen sein kann?“

„Ja.“

„Nein.“

„Gut.“ Ich lächelte. „Das heißt, in deren Augen kann es jeder gewesen sein?!“

„Das stimmt.“

Das konnte hilfreich sein. Oder werden. Ich wagte jedoch zu bezweifeln, dass es eine gute Idee wäre, sie jetzt zu verhören. Jedenfalls, was meinen Zustand betraf. Natürlich war es unerlässlich, sie jetzt zu verhören, weil es, was ihren Zustand betraf, zweifellos der beste Zeitpunkt war. Das war ungemein schlechtes Timing – aber ich hatte wohl keine andere Wahl.

„Brauchen Sie noch was?“

„Ne große Cola“, meinte ich. Vielleicht würde mich das ja wieder ein bisschen wach machen. Vielleicht würde es aber auch das Adrenalin sein. Oder ich würde einpennen, wie dem auch war, es gab nur eine Möglichkeit, es herauszufinden. „Tja, dann fangen wir mal an.“ Sprach’s, öffnete die Tür – und landete im falschen Raum! War ja klar!

Ich klopfte.

„Das ist ein Verhörzimmer“, sagte der Polizist.

„Ja, und?“

„Da klopft man nicht, da geht man einfach rein.“

„Oh.“

„Um einen starken Eindruck zu machen.“

„Sie meinen, Höflichkeit…“

„…ist nicht unbedingt das, was einen in einem Verhör weiterbringt.“

Woher wusste er all das? Wahrscheinlich aus dem Fernsehen. Oder war es wahrscheinlich, dass er hier in Köln Ehrenfeld ständig Verhöre durchführte?

„Gehen Sie jetzt rein?“

„Ja, natürlich!“

Ich nickte und öffnete die Tür. Ein Mann saß an einem Tisch, ein Polizist in Uniform saß ihm gegenüber und nahm seine Aussage auf. Einen Spiegel, hinter dem jemand anders saß, um das Verhör zu beobachten, gab es nicht. Wieder mal hatte uns das Fernsehen belogen.

„Guten Abend“, sagte ich. „Mein Name ist Rhode und ich bin von der Mordkommission.“

Der Uniformierte sah auf, nickte mir zu, reichte mir eine dünne Mappe und meinte: „Ich habe seine Personalien aufgenommen.“ Dann ging er hinaus und ließ mich mit dem Mann allein.

„Sie sind…“ Ich sah auf das Formular. „Dr. Nabuse?“ Das konnte nur ein Tippfehler sein. Oder ein Schreibfehler. Oder ein Scherz.

„Ja, das stimmt“, nickte er.

Soviel dazu.

„Wie Sie wissen…“ Ich unterbrach mich. Das war ein guter Zeitpunkt für eine Frage. „Was genau wissen Sie?“

„Dass es einen Mord gegeben hat?“

„Ja, ich denke, das triff es in etwa.“

„Und, dass es ein Freund von mir war.“

„Der Mörder?“

„Das Opfer.“

„Oh.“ Wäre wohl auch zu leicht gewesen. „Sie waren also mit ihm befreundet?“

„Ja.“

Ich suchte in den Unterlagen nach dem Namen des Toten, aber diese unwesentliche Information schien man mir vorzuenthalten.

„Und sein Name ist, ich meine, damit wir auch über denselben Toten sprechen?“

„Dr. Frank Stein.“

Ja, da stand es doch, ganz unten. Dr. Frank N. Stein. Das konnte doch alles nur ein Scherz sein. Oder war ich so überarbeitet, dass mir meine Phantasie Streiche spielte? Oder meine Kollegen? Ja, das wäre eine Erklärung gewesen. Irgendjemand war auf die Idee gekommen, mich reinzulegen und hatte sich dieses komplizierte Szenario ausgedacht: ein Toter, ein Leuchtturm, vier Verdächtige, ein Fall, der sich nur dann als Agatha Christie würdig erwiese, wenn alle die Verdächtigen und das Opfer auf irgendeine unglaubwürdige Weise miteinander verwandt wären oder so was.

„Sie waren mit ihm befreundet?“ sprach ich in die langsam länger werdende Stille.

„Ja.“

„Wie kommt es, dass Sie alle zum selben Zeitpunkt hier in der Gegend waren? Wohnen Sie hier? Arbeiten Sie hier?“

„Wir treffen uns einmal im Monat, um hier zusammen etwas zu trinken. In einer Kneipe.“

„Einmal im Monat?“

„Ja. Öfter schaffen wir es nicht. Sie wissen, wie das mit Diensten bei Ärzten so ist.“

Ich wusste es nicht, aber ich könnte es bestimmt nachschlagen. Wahrscheinlich schlecht, viel zu tun, wenig Freizeit, viel Bereitschaft, all so was.

„Also Sie haben sich hier getroffen?“

„Ja. Unsere Stammkneipe ist hier in der Nähe. Aus Studienzeiten.“

„Sie haben also alle zusammen studiert?“

„Nur Frank, Stefan und ich.“

„Stefan?“

„Dr. Cimbell, Dr. Stefan Cimbell.“

Na klar, dachte ich. Dr. Cimbell auf der Flucht. Das konnte doch nur ein Scherz sein.

„Kann ich mal Ihre Papiere sehen? Nur aus… Routine!“

Das würden wir ja sehen, ob er… er hatte. Einen Personalausweis. Der ihn als Dr. Felix Nabuse auswies. Und der Pass sah verdammt echt aus, jedenfalls sofern ich das beurteilen konnte… was ich, zugegebenermaßen, nicht tat. Aber wenn das hier ein Scherz auf meine Kosten sein sollte, dann hatten sich die Kollegen wirklich verdammt Mühe gegeben.

„Gut, Dr. Nabuse, also Sie haben sich hier mit Dr. Cimbell getroffen?!“

„Ja.“ Er nickte. „Wir waren verabredet. Und mit Frank.“

„Frank?“ Ach so, ja, das Opfer. Den sollte man nicht vergessen – nicht, dass das bei seinem Namen so sonderlich schwierig wäre. Wäre er noch am Leben gewesen, mit dem Namen wäre er Verdächtiger Nummer 1. Aber so einfach wollte man es mir dann wohl doch nicht machen. „Haben Sie ihn gesehen?“

„Frank? Nein. Er war da wohl schon…“

Tot.

„Hmm.“ Ich nickte zustimmend. Dann dachte ich nach. „Wie kommen Sie darauf?“

„Weil ich, als ich über den Platz kam, direkt verhaftet wurde.“

„Oh.“ Okay, das war ein guter Hinweis, selbst für einen Laien. „Was hat Sie aufgehalten?“

„Die Polizei.“

„Nein, ich meine vorher. Warum waren Sie spät dran?“

„Das war ich nicht.“ Nabuse schüttelte den Kopf. „Frank war immer zu früh.“

„Aha.“

Ja, das erklärte…

„Was mich verwundert ist…?“ unterbrach der Doktor meinen Gedankengang.

„Ja?“

Er sah mich fragend an.

„Warum hat er sich nicht gewehrt?“

„Wie hätte er das tun sollen?“

„Naja, er hatte doch dieses Messer. Dieses Messer, das er jedem, den er kannte, gezeigt hat. Also warum hat er es nicht benutzt, um sich damit zu wehren?“

Vermutlich, weil es in seinem Rücken steckte, dachte ich.

Tod unterm Leuchtturm

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