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Doktorspiele

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Der nächste Kandidat hatte ebenfalls säuberlich sein Formular ausgefüllt, bzw. der Polizist, der sich mit ihm den Raum teilte, hatte das. Vorsichtshalber ließ ich mir direkt seinen Ausweis zeigen. Er identifizierte ihn als Dr. Patrick Huuh. Dr. Huuh? Ach Gott, warum nicht?

„Wie geht es Ihnen?“ fragte ich, nachdem der Polizist den Raum verlassen hatte.

„Nicht besonders. Es kommt nicht alle Tage vor, dass ich von der Polizei verhaftet werde.“

Von dem denn sonst?, lag mir auf der Zunge, aber ich verkniff es mir. Dies war nicht der Zeitpunkt um eine Debatte darüber zu führen, von wem er am liebsten verhaftet werden wollte. Eine Horde Cheerleaderinnen würde sich da anbieten, die einen statt mit Handschellen mit Pontons… waren das nicht Brücken? Pontonbrücken? Aber wie hießen dann die puscheligen Dinger, mit denen die Cheerleader… ach, es war einfach zu spät.

„Sie sehen müde aus“, sagte er, ein weiterer Hinweis darauf, dass dies ein ausgeklügelter Plan war, um mich in den Urlaub zu treiben. „Aber keine Sorge, Sie werden schon wach werden, wenn ich Sie verklage!“ Und da war die Theorie dahin.

„Verklagen?“ fragte ich, wenn auch wenig interessiert.

„Ihr Verhalten ist eine Unverschämtheit!“

„Mein Verhalten?“

„Das der Polizei“, stellte er klar und sah mich aus dem an, was man in der Literatur gerne als „stahlgraue Augen“ bezeichnete, obwohl seine grün waren. Aber es sollte wohl stahlhart und kalt wirken.

„Aha“, sagte ich nur und wäre ich Raucher gewesen, hätte ich mir jetzt bestimmt eine angesteckt, nur, um ihm mein Desinteresse zu verdeutlichen. „Dann kommen wir doch mal zu dem Grund, warum Sie hier sind.“

„Das frage ich mich langsam auch. Oder wollen Sie behaupten, ich stehe unter Mordverdacht?“

Das… war eine gute Frage. Bislang war er einer von nur vier Verdächtigen, also, ja, er stand unter Mordverdacht. War aber vielleicht besser, wenn ich ihm das jetzt nicht so unter die Nase rieb. Pompoms, so hießen die Dinger. Oder so ähnlich. Streng genommen war es nicht wichtig.

„Sie wissen, was passiert ist?“ formulierte ich meine Frage um.

„Ein Bekannter von mir wurde ermordet.“

„Ein Bekannter?“ Bei dem anderen Doktor hatte es so geklungen, als wären sie alle Freunde.

„Ein guter Bekannter“, ergänzte er.

„Haben Sie die Tat gesehen?“

„Nein.“

„Wissen Sie, das wäre nämlich…“ ein Grund, warum er hier wäre, weil wir einen Zeugen für die Tat suchen. „…interessant gewesen. Und sehr hilfreich.“

„Ich habe die Tat nicht gesehen“, wiederholte er.

„Können Sie mir sagen, was passiert ist? Außer, dass Sie die Tat nicht gesehen haben?“

„Muss ich mir dieses Verhalten gefallen lassen?“

„Ich fürchte schon. Also?“

„Wir waren verabredet, wie üblich, einmal im Monat.“

„Um was zu tun?“

„Um etwas trinken zu gehen.“

„Warum?“

Er sah mich verständnislos an.

„Ich versteh die Frage nicht.“

„Nun, er war nicht Ihr Freund, wie Sie sagen, also warum sind Sie einmal im Monat mit ihm was trinken gegangen?“

Er war nicht mein Freund, aber Felix ist es!“

Felix war… Dr. Nabuse.

„Wie eng?“

Sehr eng!“

„Sie haben also nur wegen Ihres Freundes an diesen Treffen teilgenommen?“

„Er hat großen Wert darauf gelegt.“

„Sind Sie zusammen dort angekommen?“

„Wir arbeiten in unterschiedlichen Krankenhäusern.“

„Das beantwortet meine Frage nicht.“

„Nein.“

„Beantwortet das meine Frage?“

„Ja.“ Er überlegte kurz. „Wir sind nicht zusammen dort angekommen.“

„Aha.“ Nun war es an mir, kurz zu überlegen. „Was ist passiert, als Sie dort angekommen sind?“

„Ich hab mich beeilt, weil ich dachte, ich wäre spät dran. Dann wurde ich auch schon verhaftet.“

„Nun, Sie wissen, was sich dort ereignet hat?!“

„Ehrlich gesagt hat man mir nicht viel gesagt. Aber ich denke, das werden Sie in meiner Klage gegen Sie ausführlich nachlesen können.“

„Und ich freue mich auch schon darauf. Aber zunächst kommen wir doch noch mal zu dieser besagten Zeit zurück.“

„Herr…“

„Rhode!“

Ich war relativ sicher, dass ich mich vorgestellt hatte.

„Herr Rhode, halten Sie mich für tatverdächtig?“

„Es gab vier Menschen, die zum Tatzeitpunkt an Tatort waren, einer dieser vier Menschen waren Sie – also ja. Und ich bin ganz sicher, ich werde auch das in Ihrer Klage ausführlich nachlesen können.“

„Darauf können Sie sich verlassen!“

„Schön, aber wenn Sie weiter hier herumeiern und meinen Fragen ausweichen, kriegen Sie von mir persönlich ein Verfahren wegen Verdunkelung eines Verbrechens, Behinderung der Ermittlungen und Täuschung der Polizei an den Hals, also wenn Sie da nicht ausführlich nachlesen wollen, was Sie hier für eine unkooperative Figur abgeben, dann sollten Sie sich langsam mal auf meine Fragen konzentrieren!“

Ich hatte recht behalten: Das Adrenalin tat seine Wirkung. Inzwischen war ich hellwach – und fand sogar ein wenig Spaß an diesen Wortduellen. Ihm, das konnte man sehen, ging das anders. Er hatte seine hochtrabende Arroganz nun gegen wütende Einsicht eingetauscht; das war nicht unbedingt sympathischer, aber wenigstens waren wir auf dem richtigen Weg.

„Bevor ich also veranlasse, dass Sie eine Nacht in Untersuchungshaft verbringen, weil Sie unter dringendem Tatverdacht stehen, vielleicht erzählen Sie mir einfach mal was.“

„Felix und ich sind ein Paar.“

Nicht unbedingt das, was ich hören wollte, aber immerhin.

„War das für einen der Beteiligten ein Problem?“

„Nein.“

„Keine Eifersucht oder so was?“

„Nein. Wir sind das einzige Paar in der Gruppe. Frank war, glaub ich, Single. Ich hab ihn nie so gemocht. Und ich komme auch nur mit, weil Felix so wenig Freizeit hat und wir soviel wie möglich davon zusammen verbringen möchten.“

„Sie kamen dort an…“

„Ich kam dort an und habe mich beeilt, weil ich dachte, ich wäre spät dran, aber letzten Endes macht das keinen Unterschied, weil Frank sowieso immer zu früh war.“

„Und dann?“

„Ich bin über den Platz gegangen.“

„Haben Sie etwas gesehen?“

„Nein. Ich war stur auf mein Ziel gerichtet. Dann gab es Schreie und die Polizei. Die haben mich dann hierher gebracht und haben meine Personalien aufgenommen.“

Das klang irgendwie vertraut.

„Was, glauben Sie, ist passiert?“

„Jemand hat Frank umgebracht.“

Ich nickte. Das war exakt das, was ich auch wusste.

„Kommt Ihnen das merkwürdig vor?“

„Natürlich.“

„Weil er so ein netter Mensch war?“

„Weil er so ein großes Messer hatte. Und immer damit rumgeprahlt hat. Und rumgefuchtelt. Ganz ehrlich, ich hatte eigentlich immer gedacht, er wäre derjenige, der jemanden umbringt!“

„Wissen Sie schon, wer von uns es war?“ fragte Dr…. ich sah die Akte, Bringmann, natürlich, Dr. Bringmann, wer auch sonst. Da durfte ich ja schon froh sein, dass ich um einen Dr. Jagyll irgendwie herumgekommen war.

„Nein, das weiß ich noch nicht, Doktor…“

„Bringmann“, sagte er, „Klausjürgen Bringmann. Fanden meine Eltern wohl lustig.“

„Keine Sorge, in 10 Jahren wird keiner mehr diesen Scherz verstehen.“

Ich nahm Platz und mir seine Akte vor. Sie war genau so dünn wie die anderen.

„Also?“ fragte er aufgeregt.

„Also was?“

„Wer war es?“

„Gute Frage“, sagte ich. Eigentlich die einzig wichtige Frage, die ein solcher Fall bot. Gut, da gab es noch das Warum, aber streng genommen war das Wer eigentlich das, worum es bei einem Mordfall ging.

„Es war einer von uns, oder?“

„Haben Sie die Tat gesehen?“

„Nein.“ Er schüttelte den Kopf.

„Wie kommen Sie dann darauf?“

„Na, es muss einer von uns gewesen sein. Oder nicht?“

„Nein, eigentlich nicht.“ Gut, in dem Fall schon. Aber streng genommen hätte dieser Fall auch ganz anders aussehen können. Was, wenn das Opfer unter dem Leuchtturm hergelatscht wäre und irgendjemand mit dem Verlangen, ihn auszurauben, wäre ihm in den Weg getreten. Dr. Stein hätte sein viel beschworenes Messer herausgezogen, es hätte ein kurzes Handgemenge gegeben und das Ende vom Lied war, dass Stein tot und der Täter auf der Flucht war. Eigentlich wäre das sogar der viel glaubwürdigere Tathergang gewesen. „Wie kommen Sie darauf?“

„Na, weil nur wir ihn kannten. Also hatten nur wir ein Motiv, ihn umzubringen, oder?“

Ich nickte. Ja, das klang halbwegs vernünftig.

„Und was wäre da Ihr Motiv?“

Dr. Bringmann lachte. „Oh, ich war wohl auf seine Freundin scharf.“

„War er nicht Single?“

Er lachte wieder. „Gut, da haben Sie mich wohl erwischt.“

Erwischt haben wir Sie schon lange, wir müssen es Ihnen nur noch nachweisen“, sagte ich fröhlich.

„Gut pariert“, meinte er lächelnd. „Wir haben zusammen gearbeitet.“

„Sind Sie auch zusammen gekommen?“

„Nein. Er kam immer allein.“

„Hatten Sie ein gutes Verhältnis zu ihm?“

„Nicht so gut wie Felix, aber ja, es war okay.“

„Gut genug, um einmal im Monat mit ihm trinken zu gehen?!“

„Ja, das war es wohl.“ Er lachte, dann wurde er wieder ernst. „Ich kann das noch gar nicht richtig begreifen.“

„Sowas ist immer schwierig“, sagte ich. „Erinnern Sie sich noch, was passiert ist? Haben Sie vielleicht etwas gesehen?“

„Nein. Also schon, ich erinnere mich, aber ich habe nichts gesehen.“

„Mussten Sie sich beeilen?“

„Nein, ich war pünktlich. Aber ich hab mich nicht umgesehen.“

„Und dann?“

„Dann war da die Polizei und hat uns alle hierher gebracht. Da wusste ich, dass es einer von de-, einer von uns gewesen sein muss.“

„Damit haben Sie wahrscheinlich Recht.“

„Wussten Sie, dass er immer ein Messer dabei gehabt hat?“

„Ich habe davon gehört.“

„Wissen Sie, was mich am meisten bei der Sache überrascht?“

„Nein, was?“

„Ich hatte eigentlich immer gedacht, wenn es mal zu einer Auseinandersetzung kommt, dann wäre er derjenige, der jemanden damit umbringt!“

Blieb noch einer. Dr. Stefan Cimbell. Ihn fand ich in einem Raum, der eher wie eine Küche wirkte denn wie ein Verhörraum – was daran lag, dass es die Küche war, da den Kollegen bei dem Ansturm an Verdächtigen die Verhörräume ausgegangen waren. Als ich den Raum betrat, sah er nur auf, grunzte kurz und wandte sich dann wieder seinem Kreuzworträtsel zu.

„Stör ich?“ fragte ich.

Ein kurzes Grunzen kam zurück.

„Sie sind Dr. Stefan Cimbell?“ fragte ich.

Erneutes Grunzen.

„Sie sind zusammen mit Dr. Felix Nabuse?!“

Nun sah er auf. Überraschung stand in seinem Gesicht.

„Nein!“

Nein? Stimmt, da hatte ich was durcheinander gebracht, das war einer von den anderen gewesen. Gott, ich musste mir eine Liste machen, wie diese Kerle hießen und wer das Pärchen davon war.

Cimbell sah mich nun herausfordernd an.

„Haben Sie was gegen Homosexuelle?“

„Ich habe was gegen Mörder!“

„Wollen Sie damit sagen, ich wäre ein Mörder?“

„Noch nicht.“ Ich nahm ihm gegenüber Platz. „Aber das kann ja noch kommen.“

„Glauben Sie, ja?“

„Kann man nie wissen.“

Er legte seine Zeitung beiseite.

„Man hat mich verhaftet und hierher gebracht und dann hat sich niemand mehr um mich gekümmert.“

„Nett, dass Sie nicht abgehauen sind.“

Wäre bei seinem Namen nicht ganz überraschend gewesen.

„Würden Sie mir vielleicht endlich mal erzählen, worum es hier überhaupt geht?“ fragte er.

„Ich dachte, es wäre klar, um was es geht.“

„Um… Mord.“

Ich nickte.

„Ja, um Mord.“ Ein kurzer Moment der Erkenntnis traf mich. „Wissen Sie, was mich ein wenig überrascht, wenn ich darüber nachdenke? Einer Ihrer Freunde wurde ermordet, aber niemand scheint wirklich zu trauern.“

„Aha“, kam es dumpf zurück.

„Sollte man in einem solchen Fall nicht etwas mehr Mitgefühl oder so etwas erwarten?“

„Wo ist denn Ihr Mitgefühl?“ wollte er wissen.

„Ich kannte das Opfer nicht, ich arbeite hier nur.“

„Also haben Sie gelernt, kalt und gefühllos mit einem Toten umzugehen.“

Mehr oder weniger.

„Wir sind Ärzte, wir müssen das auch. Also erwarten Sie von uns keine Gefühlsausbrüche. Das ist nicht der Schock, das ist die Tatsache, dass wir tagtäglich mit so was zu tun haben.“

„Ganz egal, wie gut Sie das Opfer kannten?“

„Ganz egal.“

„Und wie gut kannten Sie es?“

„Meinten Sie kannten oder mochten?“

„Je nachdem.“

„Nicht so sehr. Wir haben zusammen studiert, aber wir waren keine Freunde. Und er hatte einen Tick.“

„Was für einen Tick?“

„Ein Messer. Hatte er immer dabei. Für den Fall, dass er mal überfallen würde oder so was. Tja, man sieht ja, was ihm das gebracht hat.“

„Ja. Konnte er gut damit umgehen?“

„Das hat er immer behauptet, aber keiner von uns hat ihn je mehr damit machen sehen, als damit herumzufuchteln. Meine Güte, der Mann war Chirurg, da sollte er doch wohl mit einem Messer umgehen können, oder? Aber er hat sich immer damit wichtig gemacht.“

„Können Sie mir den Tathergang schildern?“

„Nein, ich war ja nicht dabei.“

„Dann sagen Sie mir, was passiert ist und was Sie gesehen haben?“

„Ich bin über den Parkplatz gegangen. Ich nehme an, Frank war schon da, weil er immer zu früh kam. Also bin ich daher gegangen und dann kam auch schon die Polizei.“

„Sie haben also nichts gesehen?“

„Leider nein. Haben denn Ihre Polizeifreunde nichts gesehen?“

„Leider nein.“

„Echt ärgerlich.“ Er seufzte. „Was ist eigentlich mit Frank passiert? Ist er überfallen worden?“

„Irgendwie schon, ja.“

„Und, hat er sein Messer dabei benutzen können?“

„Nein, kann man nicht sagen.“

„Was ne Ironie. Da rechnet er sein ganzes Leben lang mit nem Überfall, bereitet sich darauf vor – und alles umsonst.“

„Ja“, seufzte ich.

„Und, schon eine Idee, wer es gewesen sein könnte?“

„Aber sicher“, sagte ich, und das war absolut… gelogen! Ich hatte nicht die leiseste Ahnung. Einer der vier Verdächtigen, wahrscheinlich. Was irgendwie zu einfach klang. Aber andererseits… ich wurde wieder müde. Morgen war auch noch ein Tag, da würde ich mit klarem Kopf noch einmal an die Sache herangehen.

Ich rief den Diensthabenden und sagte ihm, die vier Verdächtigen könnten über Nacht nach Hause gehen, sollten sich aber alle morgen früh im Präsidium bei mir einfinden. Während die vier aus ihren Wartezimmern kamen, tippte mir der Pathologe auf die Schulter.

„Sie haben Glück“, sagte er. „Wenn ich die Sache richtig sehe, war unser Täter ein Arzt. Er hat genau gewusst, wo er ihm das Messer hineinrammen musste, damit es möglichst schnell seine Wirkung entfaltet.“ Er reichte mir den erweiterten Autopsiebericht. „Wenn Sie Fragen haben, rufen Sie mich an.“

Mit diesen Worten ging er.

Dr. Cimbell, Dr. Bringmann, Dr. Huuh und Dr. Nabuse sahen zu mir herüber, während sie dem Ausgang entgegen strebten. Ein Uniformierter reichte ihnen die Dinge, die man ihnen bei ihrer vorläufigen Festnahme abgenommen hatte. Nabuse bekam einen Regenschirm, Huuh eine Sporttasche, Bringmann einen Regenmantel, der ganz schön nach Alkohol roch und Cimbell drückte man ein Notebook in die Hand. Bringmann grinste mich an. „Der Wetterbericht hatte für heute Regen angekündigt“, sagte er und schlüpfte in den Mantel. Wie um seine Aussage zu bestätigen, donnerte es nur draußen. Das stellte sich dann allerdings als Verkehrsunfall heraus.

„Und was jetzt?“ fragte der Polizist.

„Machen wir Schluss für heute!“

Tod unterm Leuchtturm

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