Читать книгу Walther Rauff – In deutschen Diensten - Martin Cüppers - Страница 7

Einleitung

Оглавление

Walther Rauff war viele Jahre einer der meistgesuchten Täter des Holocaust. Verantwortlich ist er für den Tod von mehreren hunderttausend Menschen.1 Die vorliegende Studie stellt die Biographie dieser Person umfassend dar. Der Deutsche war im frühen 20. Jahrhundert aufgewachsen, hatte geheiratet und einen aussichtsreichen Karriereweg beschritten, bevor er dann entschied, sich der SS zuzuwenden. Dort gelang ihm ebenfalls eine ansehnliche Laufbahn, die ihn im Rahmen der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik zum Massenmörder werden ließ. Mit dem Ende des Nationalsozialismus brach dieser Lebensentwurf abrupt ab, doch in den folgenden Jahrzehnten kam Rauff noch auf drei Kontinenten in Ländern mit verschiedensten Regierungen und Regimen, mit unterschiedlichsten Personen und schillernden Persönlichkeiten in Kontakt. Und bei seinem über Jahrzehnte andauernden Bemühen, sich einer gerechten Strafe für seine Taten zu entziehen, sorgte er wiederholt für Schlagzeilen in der Weltpresse. Klar getrennt sind diese beiden Leben, das eines erfolgreichen Berufstätigen und Familienvaters und das des flüchtigen NS-Verbrechers, durch Ereignisse, die innerhalb von Minuten Rauffs Leben tiefgreifend veränderten.

Damals, im April 1945, hatte ein warmer, sonniger Frühling in Europa Einzug gehalten. Im Zentrum des Kontinents war Deutschland bereits größtenteils von alliierten Truppen besetzt, und unter den Trümmern Berlins sollte Adolf Hitler in seinem Bunker unter der neuen Reichskanzlei am Nachmittag des 30. April Selbstmord begehen, während die Reichshauptstadt unmittelbar vor der vollständigen Eroberung durch die Rote Armee stand.2 In den Tagen zuvor waren die großen Konzentrationslager Buchenwald, Bergen-Belsen, Dachau und Sachsenhausen befreit worden. Den erschütterten alliierten Soldaten hatten die dortigen Zustände den verbrecherischen Charakter des Dritten Reiches ein weiteres Mal nachhaltig vor Augen geführt. Der Herrschaftsbereich der Nationalsozialisten war nunmehr auf Enklaven in Nord- und Süddeutschland, Österreich und Norditalien zusammengeschrumpft, die unter dem weiteren Ansturm der Alliierten täglich kleiner wurden.3

Mit großer Spannung erwarteten die Menschen überall in Europa in diesen Frühlingstagen die bedingungslose Kapitulation Nazideutschlands und das lang ersehnte Kriegsende. In Kürze würden wohl zwölf Jahre NS-Diktatur, annähernd sechs Jahre Krieg und die Besatzungszeit durch deutsche Autoritäten der Vergangenheit angehören.4 Auch in Italien freute sich ein Großteil der Bevölkerung auf ein baldiges Ende von Krieg und deutscher Repression. Amerikanische Truppen hatten Mailand erreicht, wo sich die italienischen Partisanen am 25. April gegen die verhassten Nationalsozialisten erhoben. Verbände der „Resistenza“ rückten in der norditalienischen Industriemetropole von den Außenbezirken aus Richtung Stadtzentrum vor, wobei sie nur mehr auf sporadischen deutschen Widerstand stießen.5 Nur um das in der Via Santa Margherita zentral, unweit des Doms gelegene Hotel „Regina“ drohten noch heftige Kämpfe. Dort hatten sich etwa 200 schwerbewaffnete SS-Angehörige verschanzt, die entschlossen schienen, das bevorstehende Ende des Dritten Reiches nicht wahrhaben zu wollen, sondern vielmehr verbissen noch einen Kampf bis zum Letzten zu führen.6

Befehligt wurde die Truppe von SS-Standartenführer Walther Rauff, dem Protagonisten dieser Studie. Der Chef von Sicherheitspolizei und SD in Norditalien hatte bei Verhandlungen mit den Partisanen eine Kapitulation bereits abgelehnt. Damit schien an diesem 30. April der Kampf um das zur Festung ausgebaute Hotel unmittelbar bevorzustehen, während der „Führer“ im fernen Berlin gleichzeitig seinen Selbstmord vorbereitete. Einem einzelnen, nur von seinem Dolmetscher begleiteten US-Offizier gelang es in der zugespitzten Situation jedoch, das von der SS gehaltene Mailänder Hotel zu erreichen und mit Rauff neue Verhandlungen zu beginnen. Nachdem Oberstleutnant John Davis dem Deutschen in eindringlichen Worten die völlige Sinnlosigkeit weiteren Widerstands vor Augen geführt hatte, willigte der SS-Offizier letzten Endes widerwillig in die Kapitulation ein. Unmittelbar darauf stießen weitere US-Soldaten zu ihrem mutigen Unterhändler, und ein Kameramann begann die Szenerie um das Hotel zu filmen. Die erhalten gebliebenen Filmsequenzen geben noch heute die Momente der deutschen Kapitulation in Mailand wieder.7

Letzte Absprachen wegen der Übergabe des Gebäudes und des Abtransports der SS-Männer in die Kriegsgefangenschaft mussten getroffen werden. Auf dem Film ist auch Walther Rauff als zentraler Gegenspieler der Amerikaner immer wieder im vollen Ornat eines SS-Standartenführers zu erkennen. Sein damaliger Rang entsprach dem eines Obersten der Wehrmacht, womit er bei militärischer Verwendung ein Regiment oder eine Brigade kommandiert hätte oder als Stabsoffizier in höheren Führungsebenen eingesetzt gewesen wäre. In Mailand jedoch diente Rauff nicht der Wehrmacht, sondern war der höchste Repräsentant der Sicherheitspolizei der SS in Norditalien, und das arrogante Elitebewusstsein dieser Truppe versuchte er selbst im Moment der Kapitulation noch zur Schau zu stellen. Die Schirmmütze mit dem Totenkopf schräg aufgesetzt und auf der einen Seite betont lässig tiefer ins Gesicht gezogen, trug er über seiner Uniformjacke mit den Rangabzeichen einen jener langen schwarzen Ledermäntel, die als Signet der Gestapo in ganz Europa berüchtigt waren. Mit seiner ganzen Erscheinung suchte Rauff so noch dem Idealtypus des deutschen „Herrenmenschen“ zu entsprechen.

Momenthaft wurde diese Selbststilisierung aber bereits von anderen, widersprüchlichen Regungen überlagert. Der etwas zu hastige Zug an der Zigarette und eine plötzliche, hektische Kopfbewegung als Reaktion auf die Präsenz der US-Soldaten wollten nicht recht zum Habitus des Standartenführers passen. Auch das kurz aufscheinende Flackern in den Augen, ein nervöser Wimpernschlag und ein weiterer, unsicherer Seitenblick in Richtung der herumstehenden Amerikaner verraten, dass dessen Selbstsicherheit im Wanken begriffen war und Rauff realisierte, wie sich sein Leben in eben jenen Minuten vollständig zu ändern begann.8 Vor dem Mailänder Hotel „Regina“ endete am 30. April 1945 Rauffs Karriere in der SS. Sieben Jahre und vier Monate hatte er Himmlers „schwarzem Orden“ bereitwillig gedient, der in Europa in eben dieser Zeit unermessliches Leid hervorgerufen hatte. Nun hörte Rauff erzwungenermaßen auf, der ambitionierte Offizier der selbst ernannten nationalsozialistischen Elite zu sein und wurde zu einem der unzähligen Kriegsgefangenen, der zudem noch fürchten musste, von den Siegermächten für seine Taten zur Verantwortung gezogen zu werden. Zufällig markiert das Datum des zentralen Wendepunkts seines Lebens auch ziemlich genau die Mitte seiner Biographie. Damals war Rauff fast 39 Jahre alt und ohne dass er das zum damaligen Zeitpunkt geahnt haben konnte, sollten ihm in seinem Leben noch 39 weitere Jahre vergönnt bleiben.

Walther Rauff – In deutschen Diensten

Подняться наверх