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2. Geschichte des Fachs
Оглавлениеhebräische Gotteserfahrung im Medium griechischer Sprache und Philosophie
Das Christentum beginnt mit Jesus. Doch Jesus war kein Theologe, sondern Jesus war ein religiös zutiefst bewegter und engagierter Mensch, der – vermutlich wider Willen – zum Gegenstand religiöser Verehrung und zum Ausgangspunkt einer neuen Religion und damit zum Religionsstifter wurde. Er hatte mit Sicherheit keine griechisch-philosophische Ausbildung erfahren und war wohl mit der jüdisch-rabbinischen Gelehrsamkeit nur ansatzweise vertraut. Das Christentum entstand, indem Männer und Frauen, die von Jesus begeistert waren, zunächst ausschließlich Juden, diesen nach seinem Kreuzestod als Auferstandenen bekannten, weiter an ihn glaubten und seiner Botschaft weiter vertrauten sowie mit ihm und für ihn zu leben suchten. Nach der Entstehung des Christentums entfaltete sich im griechischen Kulturraum rasch eine christliche Theologie: im Medium der griechischen Sprache und Philosophie reflektierte hebräische Gotteserfahrung.
Paulus als erster Theologe der Christenheit
Der erste greifbare Theologe der Christenheit war der Judenchrist Paulus, ein Griechisch sprechender, aus dem hellenistischen Judentum kommender, mit rabbinischer Theologie gut und mit der griechischen Philosophie ansatzweise vertrauter Mann aus der Stadt Tarsus (griech.: Tarsos) im östlichen Kleinasien. Paulus ist die erste auch biografisch fassbare Gestalt der Christenheit, die das Auftreten, das Schicksal und die Botschaft Jesu theologisch durchdacht hat. Die in der Bibel enthaltenen Briefe des Paulus zeugen von seiner Theologie. Paulus war Theologe, aber er war nicht in erster Linie Theologe, sondern vielmehr Missionar und Gemeindegründer. Seine Theologie hat er sozusagen nebenbei entwickelt, indem er auf Fragen und Probleme der Gemeinden reagierte.
Nicht anders war das bei den frühen christlichen Theologen, die auf Paulus gefolgt sind. Ihre uns aus dem ersten und dem frühen zweiten Jahrhundert überkommenen Schriften werden unter dem Überbegriff „Apostolische Väter“ zusammengefasst. Eine auch biografisch anschauliche Gestalt ist der Bischof Ignatius von Antiochien. Antiochien, an der Küste des Mittelmeers im heutigen Syrien gelegen, war ein frühes, von Anfang an heidenchristlich geprägtes Zentrum der Christenheit. In der hellenistischen Großstadt wirkte Ignatius, bis zu seinem Märtyrertod um das Jahr 115, als Gemeindeleiter. Seine Theologie entfaltete er wie Paulus in Briefen, die er an andere Gemeinden schrieb.
Theologie im 2. Jahrhundert
Neben Bischöfen betätigten sich auch freie Lehrer als Theologen. Hier wirkte das Vorbild der griechischen Philosophen nach. Ein Beispiel ist Justin, ein aus Nablus in Palästina stammender griechischer Philosoph, der sich dem Christentum anschloss und in Rom eine christliche Lehrstätte nach der Art antiker Philosophenschulen errichtete. Im Jahre 165 starb er in Rom als Märtyrer. Justin bezeichnet man mit anderen christlichen Theologen des zweiten und frühen dritten Jahrhunderts als einen Apologeten, also einen Verteidiger (griech.: apologeomai = sich verteidigen). Er versuchte mit seiner Theologie das Christentum gegenüber Anfragen und Angriffen von Griechen und Juden zu verteidigen. Hierfür schrieb er mehrere Schriften, Apologien genannt. Die eigentliche Zielgruppe dieser äußerlich betrachtet an Nichtchristen gerichteten Schriften waren aber wie bei Paulus und Ignatius die christlichen Gemeinden selbst, die durch sie in ihrem Glauben gestärkt und gegen von außen gestellte und intern aufkommende Fragen und Zweifel argumentativ gerüstet werden sollten. Thematisch beschäftigte sich die christliche Theologie des ersten und zweiten Jahrhunderts mit zentralen und strittigen Fragen wie der Messianität und Gottessohnschaft Jesu, mit Problemen des Gemeindeaufbaus und der Gemeindeleitung, mit dem Verhältnis der Christen zum Staat und zur Obrigkeit und mit den Beziehungen zum Judentum. Eine in sich geschlossene Gesamtdarstellung der christlichen Lehre, eine Dogmatik, wurde noch nicht verfasst.
Theologie im 3. und 4. Jahrhundert
Die Theologie des dritten Jahrhunderts hatte bereits ein weit höher entwickeltes Profil. Die Theologen waren nun zahlreicher und die Theologien wurden vielfältiger. In mehreren Städten gab es richtige Schulen, z. B. in Alexandrien (Ägypten) und in Caesarea (Palästina). Hier unterrichteten Bischöfe und Lehrer, Letztere teilweise im Auftrag von Bischöfen, teilweise auf eigene Initiative, andere Christen – oder Heiden, die Christen werden wollten – im christlichen Glauben und Leben. Dieses Schulwesen darf man sich aber nicht institutionalisiert vorstellen. Es bestand nicht aus Schulgebäuden und Schulordnungen, sondern aus Lehrern, die Schüler um sich scharten. Natürlich wurde auch weiterhin in Antiochien und in Rom Theologie gelehrt.
Origenes als erster Dogmatiker der Christenheit
Ein großer Theologe dieser Zeit war Origenes. Er stammte aus Alexandrien, lehrte in Caesarea und starb im Jahre 254 an den Folgen der Folterqualen, die man ihm im Rahmen einer Christenverfolgung zugefügt hatte. Origenes hat als erster Theologe eine umfassende Dogmatik geschrieben. Außerdem hat er als Erster damit begonnen, den Text der Bibel, und zwar den des Alten Testaments, kritisch zu untersuchen, d. h. nach dem genauen Wortlaut zu fragen. Ferner hat er sich als Bibelausleger betätigt. Ein Schüler des Origenes, Eusebius von Caesarea, hat sich erstmals umfassend mit der Kirchengeschichte beschäftigt und eine apologetischen Zwecken dienende Gesamtdarstellung der Geschichte der Christenheit vorgelegt, die von den Anfängen bis in das frühe vierte Jahrhundert reicht. Aus ihr beziehen wir noch heute viele unserer Kenntnisse über die christliche Frühzeit. Eusebius war Zeuge eines der wichtigsten Umbrüche, die das Christentum in seiner Geschichte erlebte, der so genannten Konstantinischen Wende. Beginnend mit dem Jahr 312 wurde aus der staatlich verfolgten und bekämpften christlichen Religion eine staatlich anerkannte, dann staatlich geförderte und zuletzt (380) die staatlicherseits für verbindlich erklärte Religion. Hierdurch wurden auch die Bedingungen für die theologische Arbeit nachhaltig verändert. Theologie konnte sich in einer zuvor nie gekannten Intensität entfalten und sich von apologetischen Zwecken weitgehend ab- und vorrangig innerchristlichen Fragestellungen zuwenden, der Auseinandersetzung mit abweichenden Richtungen und Minderheitenpositionen innerhalb des Christentums.
Augustin als Theologe
Der bedeutendste Theologe der Antike war Augustin, der als Bischof von Hippo in Nordafrika wirkte. Eine gediegene rhetorisch-philosophische Ausbildung und seine langjährigen Erfahrungen als Sprach- und Rhetoriklehrer ermöglichten es ihm viele Themen der christlichen Theologie, darunter die anspruchsvolle Trinitätslehre (s. u. S. 49), gründlich zu durchdenken und präzis auszuformulieren. Augustin hat sehr viel geschrieben und seine Gedanken wurden nicht nur während des ganzen Mittelalters rezipiert, sondern auch von den Reformatoren, und gaben sogar noch später neuzeitlichen Theologen wichtige Anstöße. Das berühmteste und ein auch heute noch viel gelesenes Werk Augustins sind seine ›Bekenntnisse‹ (lat.: ›Confessiones‹), eine von theologischen Motiven und Bewertungen durchzogene und überformte Autobiografie, formuliert als gebetsförmige Zwiesprache mit Gott. Hier berichtet Augustin u. a. von seiner Bekehrung zum Christentum, die im Jahre 386 in Mailand erfolgte.
Völkerwanderung als Zäsur
Die Völkerwanderung und der durch sie bewirkte Untergang des weströmischen Reiches im Jahre 476 führten zu einem Ende der ersten Blütephase der Theologie und zu einer bildungsgeschichtlichen Zäsur. Nur ein Bruchteil des in der Antike erworbenen Wissens und der damals geschriebenen Bücher wurden in die neue Zeit hinübergerettet. Das Christentum lebte weiter, aber weitgehend ohne Theologie, auf der Basis elementarer Frömmigkeit. Theologisch gearbeitet wurde noch in Konstantinopel, dem heutigen Istanbul und damaligen Zentrum der östlichen Christenheit, außerdem in England und in einzelnen Klöstern im Osten und im Westen.
das Frankenreich als Zentrum theologischer Arbeit
Nach der Gründung des Frankenreichs, eines neuen Großreichs, das unter Kaiser Karl dem Großen das Erbe des antiken Römerreichs antrat, kam es im 9. Jahrhundert zu einem Bildungsaufschwung auf dem Gebiet des heutigen Frankreichs und Deutschlands. An großen Bischofskirchen, z. B. in Reims, und am Hof des Kaisers in Aachen gab es nun Theologen. Sie beschäftigten sich mit der Kommentierung biblischer Bücher, mit der Sammlung der Positionen, die altkirchliche Theologen zu einzelnen Fragen der Theologie eingenommen hatten, mit der Erklärung der liturgischen Feiern und der Messe sowie mit der Kirchengeschichte. Der bedeutendste Theologe dieser Zeit war Johannes Scotus Eriugena, ein in Irland geborener Schotte, der um die Mitte des 9. Jahrhunderts an der Hof- und Kathedralschule von Laon wirkte. Als einer von wenigen damaligen Theologen beherrschte er die griechische Sprache und als einer von wenigen beschäftigte er sich eigenständig mit systematisch-theologischen Fragestellungen. Sein Hauptthema war die theologische Interpretation der Schöpfung.
Theologie im Kontext von Universitäten
Zu einem weiteren Aufschwung kam es nach der Jahrtausendwende. Privatgelehrte, insbesondere in Paris, betrieben kleine theologische Schulen. Um das Jahr 1200 schlossen sich Pariser Gelehrte zusammen und gründeten eine Universität. 1215 bekam sie ihre ersten Statuten (Grundordnung). Nach den Universitätsgründungen von Bologna (Rechtswissenschaft) und Salerno (Medizin) wurde die Universität von Paris die erste Universität, in der alle drei damals relevanten Fächer unterrichtet wurden: Rechtswissenschaft, Medizin und Theologie. Die Universität war eine Bildungsinstitution neuen Typs. Sie war eine Gemeinschaft (lat.: universitas) von Lehrenden und Lernenden zur Pflege der Wissenschaften. Eine Besonderheit der mittelalterlichen Universität bestand darin, dass der Lernende – anders als heute – zugleich schon Lehrender war. Fortgeschrittene Studenten unterrichteten Anfänger. Das Studium dauerte sehr lange, das Theologiestudium einschließlich des allgemeinbildenden Grundstudiums, das man zunächst zu absolvieren hatte, insgesamt vierzehn Jahre. Für die Geschichte der Theologie, ja für die Geschichte der Wissenschaft insgesamt war die Universität eine gewaltige Errungenschaft. Rasch wurden in vielen Städten weitere Universitäten geschaffen, z. B. in Prag (1348), Wien (1365), Erfurt (1379), Heidelberg (1385) und Köln (1388). Um das Jahr 1400 gab es bereits 64 Universitäten. Im 15. Jahrhundert folgten Gründungen u. a. in Freiburg i. Br. (1455/56) und in Tübingen (1477), und 1502 wurde die Universität Wittenberg gegründet, von der wenig später die Reformation ihren Ausgang nehmen sollte.
Theologie im Mittelalter
An den mittelalterlichen Universitäten konnte sich die Theologie in aller Breite entfalten. Im Zentrum der Bemühungen standen die Auslegung der Bibel und die – häufig gleich damit verbundene – systematisch-theologische Reflexion.
monastische Theologie
Die Universität war eine Schule, die Männer für hochrangige Tätigkeiten in Kirche und Gesellschaft ausbildete. Man bezeichnet deswegen diese mittelalterliche Theologie als „scholastische“ (lat.: schola = Schule) Theologie. Die meisten Studenten wurden später selbst Lehrer der Theologie. Neben der scholastischen Theologie gab es im Mittelalter auch eine monastische Theologie. Sie wurde im Kloster (lat.: monasterium = Kloster) gelehrt und gelernt und diente den Mönchen zur Reflexion über ihr zurückgezogenes, spirituelles Leben und die dabei gemachten religiösen Erfahrungen. Unter den scholastischen Theologen ragt der Pariser Gelehrte Thomas von Aquin (13. Jh.) hervor, der mit seiner unvollendeten ›Summa theologica‹ eine Gesamtdarstellung der Theologie schuf, die auch in der Gegenwart noch Beachtung findet. Unter den monastischen Theologen ist der Zisterzienser-Abt Bernhard von Clairvaux (12. Jh.) zu nennen, dessen Predigten und Traktate ebenfalls noch heute gelesen und meditiert werden. Es gab kaum ein Problem und eine Frage der Theologie, die von den mittelalterlichen Theologen nicht bedacht, kontrovers erörtert und differenziert gelöst wurde. Später warf man der mittelalterlichen, insbesondere der scholastischen Theologie deswegen Spitzfindigkeiten und Wortklaubereien vor. Für theologische Bemühungen des späten Mittelalters, die sich betont der Pflege der Frömmigkeit widmeten, hat sich vereinzelt der allerdings irreführende Begriff „Frömmigkeitstheologie“ eingebürgert. Problematisch an dieser Begriffsbildung ist, dass sie suggeriert, es gäbe Theologie, die nicht in der Frömmigkeit wurzle und nicht der Frömmigkeit dienen wolle. In Wirklichkeit verfolgten aber alle mittelalterlichen Theologen, auch die scholastischen, letztlich immer den Zweck, mit ihrer Theologie dem einzelnen Christen und der Kirche zu dienen, also dem Glauben und dem frommen Leben.
Theologie der Mystik
Eine Sonderströmung mittelalterlicher Theologie neben der scholastischen und der monastischen war die Theologie der Mystik. Damit wird eine theologische Reflexion über mystische Erfahrungen bezeichnet. Mystik ist ein in vielen Religionen beheimatetes Phänomen. Im Zentrum steht die unmittelbare Begegnung mit Gott bis zum real erlebten Einswerden mit dem Göttlichen. Damit verbunden ist häufig die Abkehr von der Welt und der Rückzug in die Innerlichkeit (griech.: myo = schließen). Mystische Erfahrungen machten im Mittelalter meist Frauen, überwiegend Nonnen, die darauf aufbauende theologische Reflexion wurde überwiegend durch Männer – z. B. Meister Eckhart und Johannes Tauler – vollzogen. Es gab aber auch Frauen, die zur Theologie der Mystik beitrugen, allen voran Mechthild von Magdeburg und Gertrud die Große, die beide im 13. Jahrhundert Nonnen im Zisterzienserinnenkloster Helfta bei Eisleben waren. Statt „Theologie der Mystik“ ist auch der Begriff „mystische Theologie“ gebräuchlich. Er ist allerdings missverständlich, denn diese Theologie ist natürlich nicht mystisch, sondern wie jede Theologie rational, mystisch sind lediglich die von ihr reflektierten Erfahrungen.
Von der christlichen Theologie des Mittelalters sollte nicht gesprochen werden, ohne darauf hinzuweisen, dass es gleichzeitig auch eine Blüte der Theologie im Judentum und im Islam gab und es sogar zu lebhaften, allerdings erst wenig erforschten Austauschbeziehungen zwischen den Theologien der drei monotheistischen Religionen kam. Große jüdische Theologen des Mittelalters waren Saadja ben Josef, Jehuda ha-Levi, Maimonides, Levi ben Gerson, Chasdai ben Abraham und Jakob Albo. Der Islam zählte in jener Epoche al-Kindi, al-Farabi, al-Gazali, ar-Razi, Avicenna und Averroes zu seinen bedeutenden theologischen Denkern.
Humanismus
Das 16. Jahrhundert brachte große und einschneidende Veränderungen für die Theologie mit sich, nicht nur und nicht einmal in erster Linie wegen der Reformation, sondern zunächst infolge des Humanismus. Der Humanismus war eine Gelehrtenbewegung in der Zeit der Renaissance, die sich die Wiederbelebung antiker Wissenschaftstraditionen zum Ziel setzte. Propagiert wurde das Studium der alten Sprachen, die Hinwendung zu den Originalquellen und die Ausrichtung der Wissenschaften am praktischen Nutzen für Kirche und Gesellschaft. Der bedeutendste Gelehrte des Humanismus war Erasmus von Rotterdam. Er hat sich auch durch theologische Arbeiten hervorgetan, z. B. durch eine auf alten Handschriften basierende kritische Ausgabe des Neuen Testaments in griechischer Sprache und durch Erbauungsschriften, die zum rechten christlichen Leben anleiten wollten. In der Theologie führte das humanistische Denken zu Bemühungen um Studienreformen, zur Hinwendung zur Bibel in ihren Originalsprachen und zur Neuentdeckung der Theologie der christlichen Frühzeit. Ein Teil der humanistischen Gelehrten schloss sich der Reformation an, der andere Teil blieb der alten Kirche treu. So fand humanistisches Gedankengut gleichermaßen Eingang in die evangelische und katholische Theologie.
Reformation
Die Reformation, die von Wittenberg und Zürich ausgehend in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts die abendländische Christenheit erschütterte, wurzelte in einer theologischen Erkenntnis. Bei Luther und bei Zwingli, wie auch bei dem später auftretenden Genfer Reformator Calvin, steht die theologische Einsicht im Vordergrund, dass der Mensch die Liebe und Annahme durch Gott geschenkt bekommt und sie sich nicht verdienen muss. Die Reformatoren kleideten dies in die Formel: gerecht aus Glauben, nicht durch Werke (lat.: iustus ex fide, sine operibus). Die schenkende Haltung Gottes wird in der religiösen Sprache als „Gnade“ bezeichnet. Ein weiterer theologischer Grundgedanke der Reformation war das Schriftprinzip: Die Theologie soll „allein die Bibel“ (lat.: sola scriptura) zur Grundlage haben, und auch die kirchliche Praxis soll an der Bibel allein gemessen werden. Als Sakramente, d. h. religiöse Zeichenhandlungen, galten in den evangelischen Kirchen nur noch die Taufe und das Abendmahl.
theologische Kontroversen
Die Reformation führte zur konfessionellen Spaltung nicht nur der Kirche, sondern auch der Theologie. Fortan gab es evangelisch und katholisch ausgerichtete Universitäten nebeneinander, und die Theologen bekämpften sich gegenseitig. Auch innerhalb des evangelischen Lagers kam es zu einer Kluft, nämlich zwischen lutherischen Theologen und solchen, die sich an Zwingli und an Calvin orientierten. In der Folge nahm die so genannte Kontroverstheologie, die streitbare Auseinandersetzung mit den theologischen Positionen der anderen Konfessionen, einen hohen Stellenwert in der theologischen Arbeit ein. Gestritten wurde z. B. zwischen evangelischen und katholischen Theologen über die Frage, ob in der Kirche und in der Theologie außer der Heiligen Schrift auch die Tradition, also Entscheidungen von Konzilien, überlieferte Gedanken und Bräuche, die sich im Laufe der Jahrhunderte herausgebildet hatten, normative Bedeutung haben dürfe. Damit war die fundamentale Frage nach den Quellen der Theologie berührt. Bei den Evangelischen sollten nur die Aussagen der Bibel, bei den Katholiken auch die historisch gewachsenen kirchlichen Normen und theologischen Prinzipien Autorität genießen. Die Reformatoren lehnten die eingebürgerte lateinische Übersetzung der Heiligen Schrift, die ›Vulgata‹ (lat.: vulgus = allgemein), ab und nahmen den hebräischen und griechischen Urtext zur Grundlage ihrer muttersprachlichen Bibelübersetzungen und theologischen Lehrbildungen. Innerhalb des Protestantismus stritten Lutheraner mit Calvinisten und Zwinglianern über das Verständnis des Abendmahls, genauer über das Problem, wie man sich die Gegenwart (Realpräsenz) Jesu Christi bei dieser Feier konkret vorstellen und erklären solle, sowie über die Frage, ob Gott einzelne Menschen zum Heil, andere aber zur ewigen Verdammnis vorherbestimmt habe (Prädestination).
wichtige Universitäten
Ein wichtiges Zentrum evangelischer Theologie war über Jahrhunderte hinweg die Universität Wittenberg, an der Luther gewirkt hatte. Für die katholische Kirche gehörte die belgische Universität Löwen zu den wichtigen Brennpunkten theologischer Arbeit. Die katholische Kirche baute auch eigene Hochschulen auf, die mit ihren Orden, vor allem den neu entstandenen Jesuiten (Societas Jesu), verbunden waren und in denen Ordensangehörige Theologie studierten. Diese Ordenshochschulen haben sich als Zentren theologischer Arbeit in der katholischen Kirche bis heute erhalten. Zu den bedeutendsten gehörte und gehört das 1551 gegründete „Collegium Romanum“, die römische Jesuitenuniversität.
Laientheologie
Im Protestantismus entwickelte sich schon in der Reformationszeit neben der akademischen Theologie das Phänomen einer Laientheologie. Luther hatte das so genannte allgemeine Priestertum propagiert. Dazu gehörte die Idee, dass infolge ihrer Geistbegabung alle Menschen prinzipiell in der Lage seien, die Bibel zu lesen und zu verstehen. In der Folge betätigten sich immer wieder einzelne Handwerker und auch Frauen, also Menschen, die nie Theologie studiert hatten, als Theologen. In der Reformationszeit trat beispielsweise Katharina Zell, Reformatorenfrau aus Straßburg, in diesem Sinne hervor. Der bedeutendste protestantische Laientheologe war der Schuhmacher Jakob Böhme aus Görlitz, der Anfang des 17. Jahrhunderts ein beachtliches schriftstellerisches Werk schuf, das in seiner ersten, 1682 erschienenen Gesamtausgabe immerhin fünfzehn Bände zählte. Im 18. Jahrhundert lebte das Phänomen der Laientheologie im Pietismus und seinem Umfeld erneut auf. Hier wäre vor allem Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf zu erwähnen, der Gründer der noch heute durch die ›Losungen‹ bekannten „Herrnhuter Brüdergemeine“. Vergleichbar waren in der katholischen Kirche neu entstehende mystische Strömungen, die ebenfalls von Laien, häufig von Frauen (Teresa von Avila, Baronin von Chantal, Madame Guyon), getragen wurden und auch die theologische Reflexionsebene erreichten. Zentren der neuen Mystik waren im 16. Jahrhundert Spanien und im 17. Jahrhundert Frankreich.
theologische Entwicklungen in der katholischen Kirche
Die katholische Kirche reagierte im 16. Jahrhundert auf die Herausforderungen der Reformation, indem sie einen umfassenden Erneuerungsprozess einleitete. Ein Markstein war das Trienter Konzil (lat.: Tridentinum), das in vier Phasen zwischen 1545 und 1563 tagte und wichtige Beschlüsse zu Fragen der Theologie fasste. Unter anderem erörterte es die Sakramentenlehre und bekräftigte die schon im Mittelalter eingenommene Position, dass es in der katholischen Kirche sieben und nicht nur zwei Sakramente gibt; außer der Taufe und der Eucharistie (Abendmahl) blieben also auch die Firmung (Konfirmation), die Ehe, die Weihe, die Buße (Beichte) und die Letzte Ölung (Krankensalbung) als heilige, göttliche Gnade vermittelnde Handlungen anerkannt. Die schon erwähnten Jesuiten waren der wichtigste Träger der „Katholischen Reform“, wie man den damals eingeschlagenen Erneuerungsprozess bezeichnet; aus evangelischer Perspektive sprach man auch von der „Gegenreformation“.
das Verhältnis von Vernunft und Glaube
Die katholische Theologie des späten 16. und des 17. Jahrhunderts, des Zeitalters des Barock, knüpfte an die mittelalterliche an und wird deswegen als Barockscholastik bezeichnet. Thomas von Aquin stand in hohem Ansehen, und eines der Hauptthemen war das Verhältnis von Vernunft und Glaube. Die übernatürlichen Glaubensinhalte, so wurde gelehrt, widersprechen nicht der Vernunft, sondern können von ihr anerkannt werden, auch wenn sie die natürliche Erkenntniskraft des Menschen übersteigen, d. h. der Glaube verlangt nichts, was dem Verstand widerspricht. Ein Grundanliegen der katholischen Theologie war die Unterscheidung von Natur und Gnade, die besagt, dass die Schöpfung – insbesondere der Mensch – mit Eigenständigkeit ausgestattet ist, aber durch göttliches Handeln geführt und zu höherer Vollendung gebracht werden soll, ohne dabei die geschöpfliche Freiheit zu verlieren. Die Theologen verfolgten das Ziel, die Übereinstimmung der durch die Offenbarung gewonnenen Erkenntnisse mit der natürlichen Vernunfterkenntnis aufzuweisen und damit die Einheit der Welt unter der alles umfassenden Herrschaft Gottes. Innerhalb der katholischen Theologie brach nach Trient aber ein Streit über das schon in der Reformationszeit virulente Thema von Freiheit und Gnade aus. In Löwen näherte sich der Theologe Cornelius Jansen infolge von Augustinstudien der reformatorischen Position scheinbar an, indem er die Fähigkeiten des Menschen, Gutes zu tun, geringer einschätzte, als es die zeitgenössische katholische Theologie tat, was einen heftigen Streit zur Folge hatte. In Frankreich formierten sich Jansens Anhänger, die „Jansenisten“, als innerkirchliche Reformbewegung und gewannen Einfluss auch auf andere katholisch geprägte Länder, z. B. auf Österreich, wo sie später ein Bündnis mit der katholischen Aufklärung eingingen. Als so genannter Gnadenstreit ging der Streit zwischen der jesuitischen und der dominikanischen Schule in die Geschichte ein. Er zielte auf die unlösbare Frage, ob in den guten Werken der Gerechtfertigten mehr die göttliche Gnade oder mehr die menschliche Freiheit wirksam sei. Die Zentren der theologischen Arbeit lagen für den Katholizismus damals in Ländern West-und Südeuropas, nicht in Deutschland.
Orthodoxie und Pietismus
In den protestantischen Kirchen folgte auf die Reformation eine Periode, die man gemeinhin als die der Orthodoxie bezeichnet. Das Wort kommt aus dem Griechischen und meint so viel wie „richtige Meinung“ oder „rechte Lehre“ (griech.: orthos = richtig, griech.: doxa = Meinung). Den Theologen jener Zeit ging es darum, die Erkenntnisse der Reformation zu bewahren und zu verteidigen. An die Orthodoxie schloss sich im späten 17. Jahrhundert der Pietismus an, der demgegenüber die praktische Frömmigkeit (lat.: pietas = Frömmigkeit) betonte. Nicht die Lehre, sondern das Leben stand nun im Zentrum des Interesses.
Theologie und Aufklärung
Sowohl die evangelischen Kirchen als auch die katholische wurden im 18. Jahrhundert von der Aufklärung erfasst. Sie war eine gesamteuropäische Geistesbewegung, die in allen Bereichen des Lebens der Vernunft zum Durchbruch verhelfen wollte. Den Kirchen und der Theologie gegenüber nahm sie häufig eine distanzierte, ja ablehnende Haltung ein. Die Theologen reagierten in beiden Kirchen unterschiedlich auf diese Herausforderungen. Es gab Theologen, die Anliegen der Aufklärung aufzugreifen suchten und eine neue Form der Theologie, eine aufgeklärte Theologie, entwickelten. In der Folge wurde nicht nur die Tradition, sondern auch die Bibel „kritisch“ hinterfragt, d. h. genau prüfend und differenzierend (griech.: krinein = unterscheiden, trennen); das Adjektiv „kritisch“ hat in der Wissenschaftssprache anders als im alltäglichen Sprachgebrauch keine negative Konnotation, meint also kein „Kritisieren“ im Sinne von „Bemängeln“. Es entstand die moderne Bibelforschung, die so genannte historisch-kritische Exegese (griech.: exegeomai = erklären), und die moderne Geschichtsbetrachtung. Auf die theologische Arbeit wirkte die Aufklärung ungeheuer befruchtend. In beiden Kirchen gab es aber auch Theologen, die das aufgeklärte Denken – den Rationalismus und den Modernismus, wie man mit einem diffamierenden Unterton sagte – ablehnten und bekämpften. In der katholischen Kirche war der Widerstand gegen die Aufklärung, da sich ihm die Päpste des 19. und frühen 20. Jahrhunderts anschlossen, größer als in den evangelischen Kirchen. In der katholischen Theologie kam es im 19. Jahrhundert zu einer Wiederbelebung der alten Scholastik. Thomas von Aquin wurde hinsichtlich seiner Weisheit 1879 vom Papst als Vorbild der theologischen Arbeit heraus- und über alle anderen Theologen gestellt. Diesem Neothomismus entsprach im evangelischen Bereich ein Neuaufkommen des eigentlich längst überwundenen konfessionellen Denkens, ein Neokonfessionalismus. Führende Theologen versuchten sich erneut an den Gestalten und den Bekenntnissen der Reformationszeit zu orientieren und erklärten sie als für ihre Gegenwart maßgeblich. Auch im abendländischen Judentum kam es als Folge der Emanzipation zu einem großen theologischen Aufbruch. Es entstand eine wissenschaftlich hoch stehende Theologie, die vielfach von der modernen protestantischen Theologie inspiriert war.
Theologie im 20. Jahrhundert
Im 20. Jahrhundert lebten in beiden Kirchen die unterschiedlichen Denkansätze des 19. Jahrhunderts fort. Gleichzeitig entwickelten sich, häufig begleitet von interkonfessionellen Wechselwirkungen, zahlreiche neue Formen des theologischen Denkens (s. u. S. 79–109). Insgesamt ist die Theologie des 20. Jahrhunderts durch eine starke Pluralisierung und Liberalisierung gekennzeichnet, wozu auch die Befreiung von kirchlicher Bevormundung gehörte, und durch einen grandiosen Sieg des aufgeklärten Denkens. Die Aufklärung hat durchschlagend und nachhaltig sowohl die Methoden als auch viele Inhalte der Theologie verändert und nicht zuletzt das Verhältnis der Theologie zu anderen Wissenschaften.
Wir haben bei unserem kurzen Durchgang durch die Geschichte des Faches vor allem auf das Abendland, auf das westliche und mittlere Europa geblickt. Dies ist gerechtfertigt, weil die christliche Theologie vom hohen Mittelalter bis in die allerjüngste Geschichte hinein hier ihre Zentren hatte. Nicht jede Spielart des Christentums in Vergangenheit und Gegenwart betonte bzw. betont Theologie so stark wie das abendländische. Nicht alle Konkretionsformen des Christentums haben in gleicher Intensität Theologie hervorgebracht. In den östlichen Kirchen hat sie einen geringeren Stellenwert als in den abendländischen. Innerhalb der westlich geprägten Christenheit legen die in der Gegenwart erstarkenden charismatischen und pfingstlerischen Bewegungen keinen großen Wert auf sie.
christliche Theologie und andere Theologien
Trotz ihres unterschiedlichen Stellenwerts in verschiedenen Epochen und in verschiedenen Kirchen gehört die Theologie zum Wesen des Christentums. Die christliche Religion hat als erste den Berufsstand des Theologen hervorgebracht: nämlich Männer und – allerdings erst in der jüngsten Zeit – Frauen, die sich hauptberuflich „über Gott Gedanken machen“. In anderen Religionen gab und gibt es Kultbeamte und Ritualmeister, aber ursprünglich nirgendwo und auch in der Gegenwart nur selten Theologen, Gottesgelehrte. Das antike Judentum sowie Judentum und Islam des Mittelalters kannten Rechtsgelehrte und Religionsphilosophen, aber beide mit dem Christentum eng verwandte Religionen besaßen und brauchten nicht den Berufsstand des Theologen. Das Christentum hat ferner als erste Religion eine wissenschaftliche Theologie im modernen Sinn hervorgebracht, die sich historisch und kritisch mit der eigenen Tradition und der eigenen Gegenwart befasst. Partiell inspiriert und beeinflusst von der christlichen Theologie hat sich auch auf dem Boden des neuzeitlichen Judentums und des neuzeitlichen Islam Theologie in diesem modernen, wissenschaftlichen Sinn entfaltet. In unserer Gegenwart gibt es wissenschaftliche Theologie, gelehrt an Universitäten, auch im Judentum und im Islam, aber sie hat in beiden Religionen bei weitem nicht den gleichen Stellenwert wie im Christentum. Theologie ist für beide Schwesterreligionen des Christentums nicht wesentlich, und die rationale Diskussion von Einzelproblemen der jeweiligen Religion wurde und wird nicht zu einer Verbindlichkeit beanspruchenden, umfassenden und systematischen Lehre ausgestaltet, wie das im Christentum der Fall war und ist.
der Weg der christlichen Theologie: von außen nach innen
Die christliche Theologie hat einen langen Weg hinter sich und hat sich dabei von außen nach innen gewendet. Ursprünglich diente sie, wie wir gesehen haben, der Überzeugung und Gewinnung von Nichtchristen, der Abwehr von Angriffen und der Bekämpfung von so genannten Ketzern, d. h. anderen Richtungen des Christentums. Heute dient sie der Ausbildung von Theologinnen und Theologen für den Dienst in Kirche und Schule, sie hat die Funktion der Klärung des eigenen Selbstverständnisses und der Identitätssicherung. Gleich geblieben sind die Grundlagen und die Themen der Theologie sowie die institutionellen Orte, an denen sie verankert ist.