Читать книгу Tödliche Habsucht - Martin J. Fredrikson - Страница 9
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Der Schreiber
Ehe Asleif die Doppeltür öffnete, welche die Vor- von der Jarlshalle schied, hielt er einen Moment inne, um seinen Blick schweifen zu lassen. Das mächtige, ihn um Längen überragende Portal war vollständig mit filigranen Schnitzereien verziert, die zumeist ornamentale, in sich selbst verschlungene Tiere abbildeten. Das Holz der beiden Flügel hatte dereinst in Form zweier knorriger Eichenbäume über Jahrhunderte hinweg Wind und Wetter trotzend den Birkberg beschattet – bis Thor sie eines Tages durch einen einzigen Schlag seines Blitze speienden Hammers gefällt hatte.
Als kleinem Kind war Asleif immer ein wenig mulmig gewesen, wenn er mit seinen kurzen Fingern versucht hatte, die geschwungenen Linien der Figuren nachzufahren, die aus dem dunklen Holz zu wachsen schienen. Die Ehrfurcht war längst gewichen, gleichwohl wurde ein Jeder, der dies Portal durchschritt, unweigerlich daran erinnert, wie winzig und unwürdig der Mensch doch im Vergleich zu den Göttern war – Götter, welche seit Anbeginn der Zeit die Allmacht besaßen, die Geschicke aller Individuen in Midgard zu lenken.
Entschlossen zog Asleif nun die Tür auf, nickte kurz der Wache zu, die zu des Jarls persönlicher Verfügung hier postiert war und ging gemessenen Schrittes zum anderen Ende der Halle: Beherrscht wurde der in etwa fünfzehn mal dreißig Schritt große Raum von der langgestreckten Feuergrube, welche den Saal in zwei Hälften teilte. Rechts und links wurde sie von zwei Reihen langer Holztische nebst schlichten Bänken flankiert, während quer dazu, am hinteren Ende der Grube, ein kleinerer, indes weitaus prunkvollerer Tisch stand: die Jarlstafel! Die Mitte ihrer vom Feuer abgewandten Längsseite wurde vom überaus prachtvollen Thron des Herrschers dominiert. Beiderseits daran anschließend, sowie an den Stirnseiten der Tafel, standen etliche herrlich geschnitzte Stühle aus Eichenholz. Sie waren für die Familie des Jarls sowie hoch geschätzte Gäste reserviert. Abgesehen von einigen fein gewebten Teppichen, welche hie und da das nackte Mauerwerk verbargen, war die Halle durchweg schmucklos. Die dicken Außenmauern sowie zwei Reihen starker Holzsäulen trugen das mächtige Gebälk mitsamt dem gewaltigen Satteldach. Entlang der beiden Traufseiten zogen sich die mit Holzplanken abgedeckten Erdbänke hin, die während der Nacht einem großen Teil der Mannen vom Jarl als Schlafplätze dienten. Fensteröffnungen besaß die Halle keine; belichtet wurde sie lediglich durch blakende Tranlampen, die an langen Ketten von den Dachbalken herabhingen sowie vom flackernden Schein des Feuers, welches auch im Sommer unablässig geschürt wurde. Der dabei entstehende Rauch zog, in Ermangelung einer Esse, schlicht und einfach durch die Ritzen des Reetdaches ab. Zutritt in die Halle erlangte man einzig und allein durch die zuvor erwähnte Doppeltür. Die kleineren Türen, die sich in der gegenüberliegenden Wand befanden, boten lediglich Zugang zu den Räumen, die Jarl Harald, dessen Familie sowie über Nacht bleibenden Gästen als Privatgemächer dienten.
Obgleich der Morgen noch jung war und Asleif lediglich eine dünne, beigefarbene Wolltunika trug, stand ihm bereits der Schweiß auf der Stirn. Zugegeben, es war Erntemond, der ohnehin heißeste Mond des Jahres und die Sonne sengte bereits mehr als eine Woche lang erbarmungslos vom strahlend blauen Himmel, doch dass man selbst hier in der Jarlshalle schwitzte, dessen wuchtige Steinwände seit alters her nicht nur für Stabilität und Sicherheit, sondern auch für ein ausgeglichenes Klima sorgten, war schon über die Maßen erstaunlich.
Nachdem Asleif das Ende der Halle erreicht hatte, streifte er sich seine Tasche aus Ziegenleder von der Schulter und legte sie behutsam auf einer Ecke der Jarlstafel ab. Ein paar Schritte weiter saß Jarl Harald Blaufuchs auf seinem von zwei Narwalzähnen flankierten Thron und betrachtete leutselig das Treiben seines Schreibers.
Obschon sie bereits beim Frühstück miteinander gesprochen hatten, begrüßte Asleif ihn: »Hei, Ohm, wie ist es denn? Können wir anfangen?«
»Hei, Asleif«, gab der Jarl zurück, »gewiss können wir beginnen, doch mit Bedacht, wenn ich bitten darf, denn es gilt einen langen Brief zu erstellen. Solltest du mir vor lauter Eifer und wegen des schwülen Wetters beim Schreiben aus den Latschen kippen, nützt mir deine Anwesenheit nämlich herzlich wenig. Ich schlage daher vor, du füllst zunächst ein bisschen Flüssigkeit nach. Nimmst du Bier, gewürzten Wein oder lieber ein Horn mit Met?«
Verblüfft schaute Asleif auf und warf die Stirn in Falten. Wenn er mit einer persönlichen Frage konfrontiert wurde, tat er dies fast immer – selbst wenn es sich um so etwas Profanes handelte wie die Auswahl eines Getränkes. Allein für diesmal runzelte er die Stirn weniger ob des Inhalts der Frage, als vielmehr darüber, dass sie überhaupt gestellt wurde – der Ohm wusste doch ganz genau, was er für gewöhnlich trank. Wollte er ihn etwa foppen? Gleichviel, er entschied sich die Frage sinngemäß zu beantworten: »Nun ja, ich denke ein Becher kühles Bier könnte wohl nicht schaden, nicht schaden.«
Jarl Harald schaute über seine rechte Schulter und rief: »Gunni, du hast es gehört. Bring unserem Schreiber hier zügig einen Becher mit frischem Bier. Und wenn du damit fertig bist, darfst du dich gerne wieder um meinem Pokal kümmern; fülle ihn alsbald mit Met, sonst trocknet er mir noch aus.«
»Ja, Herr, es soll sogleich geschehen«, erwiderte Gunni.
Jarl Harald, mit seinen gut 30 Lenzen im besten Mannesalter, besaß eine wahrhaft beeindruckende Gestalt: annähernd sieben Fuß groß, stark und kräftig gebaut, verfügte er über breite Schultern und ein mächtiges Haupt. Derweil die graublauen Augen, die in einem ovalen Gesicht mit markanten Zügen saßen, bisweilen scharfe Blicke abschießen konnten, wurde sein voller Mund von einem stattlichen Vollbart umrahmt. Gewandet war Harald Blaufuchs in leichte Beinlinge aus Leinen sowie eine blaue Tunika aus feiner Seide, welche vorzüglich mit dem Rotblond seiner Haare harmonierte. Dazu trug er einen breiten Rindsledergürtel mit einer silbernen Drachenkopfschnalle und weiche, hellbraune Lederstiefel.
Seine langen Zöpfe flogen wirbelnd durch die Luft, als sich der Blaufuchs wieder seinem Schreiber zuwandte: »Asleif, trotz der Hitze, die selbst Ochsen in die Knie zu zwingen vermag, habe ich heute überaus gute Laune. Und soll ich dir sagen weshalb? Weil ich mit diesem Sassirab, der vorletzte Nacht an unserem Bankett teilnahm, einen Vertrag abgeschlossen habe, der nicht nur in Birkuna, sondern in ganz Svera, ja, ich bin sogar geneigt zu sagen, in ganz Skandland zu einem großartigen wirtschaftlichen Aufschwung führen wird. Das ist auch der Grund, weshalb ich dir nun einen Brief an meinen Vetter, Olaf Halbohr, Jarl von Rybe, angeben werde … Beim Schädel! Was ist denn?«
Ärgerlich ob der Störung, stierte der Blaufuchs Gunni an, der, nachdem er Asleif mit Bier versorgt hatte, nun unschlüssig neben dem Thron stand.
»Ich bitte um Vergebung, Herr, der Pokal.«
»Was ist denn mit dem Pokal?«, raunzte ihn der Jarl an.
»Ihr wolltet noch Met, Herr«, brachte Gunni zaghaft hervor.
»Oh, bei allen Asen! Sag das doch gleich.« Leise vor sich hin grummelnd drückte Jarl Harald das leere Gefäß seinem Mundschenk in die zögerlich fordernde Hand. Dann stieg er entschlossen von seinen Thron herab, um sich erwartungsfroh an die Seite seines Schreibers zu stellen. Dieser hatte unterdessen nebst all seinen Schreibgerätschaften auch einige leere Pergamentbögen mit ausgepackt.
»Komm Asleif, nimm erst mal einen tüchtigen Schluck von dem Bier. Hernach wird deine Feder gewiss weitaus flüssiger schreiben, als du es dir jetzt vorstellen kannst.«
Der Angesprochene ergriff gehorsam den so gepriesenen Becher und sprach: »Ja danke, Ohm. Ich befürchte jedoch, dass sich die Skandländer, sofern diese unbotmäßige Hitze noch länger anhält, von unseren Göttern wohl bald geschlossen abwenden werden, ganz besonders aber von unserem Donnergott, der uns offensichtlich völlig vergessen hat. Gleichwohl, auf Thor!«
Derweil Asleif einen tiefen Zug machte, schlug der genannte Gott in genau diesem Moment seinen Hammer mit einem gewaltigen Blitz präzis neben das Langhaus in den Burghof hinein. Prompt verschluckte sich der Schreiber an dem Gebräu, das soeben seinen Hals hinabrann. Durch kräftiges Husten versuchte Asleif daraufhin seine Kehle wieder frei zu bekommen. Jarl Harald indessen fing grölend an zu lachen und schlug ihm einige Male helfend auf den Rücken. Nachdem sein Schreiber endlich wieder durchatmen konnte, meinte der Blaufuchs schmunzelnd: »Beim Schädel noch mal, Asleif Gellisson! Mir war ja gar nicht bewusst, dass du derart eng mit den Göttern zusammenarbeitest.«
Dem Angesprochenen war diese seltsame Verknüpfung der Umstände ungemein peinlich und er konnte spüren, dass seine Wangen heftig glühten. Da er nichts zu erwidern wusste, trank er aus lauter Verlegenheit noch einen weiteren Schluck Bier.
Asleif, seines Zeichens Schreiber in Diensten von Jarl Harald, war alles andere als ein Krieger. Und das, obschon er bereits seit zweiundzwanzig Sommern, gleich nachdem er das Licht von Midgard erblickt hatte, hier auf der Burg lebte. Er besaß eine schlanke Statur, hatte dunkelblonde Haare und seine Körperhöhe von knapp 5½ Fuß entsprach in etwa der durchschnittlichen Größe seiner Landsleute. In seinem länglichen Gesicht mit dem zumeist stoischen Ausdruck fanden sich blaugrüne Augen, eine leicht gebogene Nase und ein gerader Mund. Sein energisches Kinn hielt er – für einen Skandländer durchaus unüblich – frei von jedem Barthaar. In seiner ihm ganz eigenen Art versuchte er von vornherein jedem Streit aus dem Wege zu gehen. Im Falle dass er aber doch mal in einen hineingeriet, bemühte er sich stets den Hader so schnell als möglich mit besonnenen Worten zu beenden.
»Nichts für ungut«, beschwichtigte ihn der Blaufuchs soeben, »mir ist natürlich ebenso klar wie dir, dass sich Thor nicht ins Handwerk pfuschen lässt; weder von seinen Götterkollegen – vom durchtriebenen Loki mal abgesehen – noch von uns mickerigen Menschlein hier unten auf Midgard. Wenn dir der Schreck wieder aus den Gliedern gefahren ist, sag mir einfach Bescheid und wir beginnen dann in aller Ruhe mit dem Brief.«
Mittlerweile hatte der Regen begonnen ein munteres Liedchen aufs Dach der Halle zu trommeln und sowohl Jarl Harald als auch sein Schreiber empfanden allein das gleichmäßige Rauschen schon als überaus willkommene Erfrischung.
Während Gunni nunmehr den frisch gefüllten Silberpokal kredenzte, setzte Asleif sich zurecht, brachte eine Tranlampe zum Brennen, spitzte die Schreibfeder mit seinem Dolch und gab Jarl Harald schließlich das Zeichen, dass er bereit sei.
Der Blaufuchs erklomm wieder seinen Thron, nahm einen großen Schluck Met und begann dann folgendermaßen: »Also schreib: Birkuna, im Erntemond des Jahres 73 seit Knuts Einigung; Sei gegrüßt, Vetter Olaf! Zunächst meinen Dank für dein Schreiben vom Heumond. Es freut mich zu hören, dass bei Euch alle wohlauf sind. Wie es um meine Familie steht, kann ich dir leider nicht mitteilen, da – abgesehen von meiner Wenigkeit – derzeit alles auf Reisen ist. Mir jedenfalls geht es prächtig!
Zu der von dir erwähnten politischen Lage vermag ich durchaus mehr auszusagen: So stimme ich mit dir darin überein, dass man auf die Ausbreitung der Chrissen-Religion bald mehr Acht geben muss, als am Ruder eines Drachens bei stürmischer See. Dass die Chrissen bereits erste Erfolge in Keltenstädten nahe der aquitanischen Grenze zu verzeichnen haben, war mir bislang noch nicht bekannt, allein ich vermag dergleichen zu berichten: Wir haben nämlich zurzeit einen besonderen Gast in der Stadt – einen Sassirab. Er heißt Dschafar ibn Fadin und ist Gesandter des mächtigen Emirats, welches die Region östlich und südlich des Schwarzmeers beherrscht. Um uns zu verständigen, bedienen wir uns der Hilfe eines ionischen Übersetzers, den der Sassirab vorausschauend mitgebracht hat. Nebenbei bemerkt, gaben wir vorgestern zu Ehren unseres Gastes in der Halle ein Festmahl – dergleichen ist dem armen Kerl wohl noch nie widerfahren. Den ganzen Abend kam er aus dem Staunen nicht heraus; besonders beeindruckt war er von den Gesängen der Krieger sowie, mehr noch, vom Vortrag des Skalden. Nachdem dieser zehn Strophen dargebracht hatte, fragte der Sassirab verwundert, wann die Saga denn zu Ende sei; nach fünfzig Strophen teilte er mir mit, diese Ode sei so immens lang, dass er glaubte, zu träumen; nach hundert Strophen schlief er tatsächlich; nach zweihundert wurde er geweckt und in eine Gästekammer gebracht, damit er in Ruhe weiterschlummern konnte, derweil meine Mannen genüsslich der zweiten Hälfte der Saga lauschten. Erst spät am gestrigen Vormittag war er in der Lage in sein Haus zurückzukehren. Offensichtlich hat der Met eine höchst nachhaltige Wirkung auf den Gesandten …«
An dieser Stelle unterbrach sich Jarl Harald, stand auf und trat neben Asleif, um einen Blick auf das bislang Geschriebene zu werfen.
»…Wirkung auf den Gesandten«, echote Asleif. »Hab ich, hab ich. Wie geht’s weiter?«
»Warte mal … ja, schreib: Bevor ibn Fadin den geistigen Getränken Tribut zollen musste, fand er noch Gelegenheit mir zu berichten, dass die Chrissen auf etlichen kleineren ionischen Inseln Kirchen errichtet hätten und große Teile der dortigen Bevölkerung bereits dem neuen Glauben huldigten!
Da können unsere Götter wahrlich von Glück sagen, dass der Große Knut, nachdem es ihm vor nunmehr 73 Sommern gelungen war die Nordländer zu vereinen, seinen Untertanen befohlen hat, sämtliche Sklaven freizulassen und überhaupt jeglichen Sklavenhandel sowie das Darbringen von Menschenopfern unverzüglich aufzugeben. Ich denke diese Maßnahme hat den Vormarsch der Chrissen nach Skandland zum Erliegen gebracht, denn wie mir scheint, sind es vorwiegend derartige Gräueltaten, die ihnen den Weg ebnen. Die Chrissen prangern diese Unsitten an und erringen damit die Sympathien des gemeinen Volkes. Wenn sie dieses erst einmal hinter sich geschart und gar erste Kirchen errichtet haben, ist es nur noch eine Frage der Zeit bis die alteingesessenen Götter vertrieben sind. Nimm nur das Beispiel Keltien: Nach wie vor opfern die Druiden Jungfrauen in den heiligen Hainen, oder Ionien: Wie mir Paxiklos, der Übersetzer des Sassirab gestern noch bestätigte, sind die adeligen Ionier unter gar keinen Umständen bereit, auf ihre Sklaven zu verzichten. Wohin das führt, hat man ja gesehen. Mit ibn Fadin habe ich übrigens einen vortrefflichen Vertrag ausge… Beim Schädel! Was ist denn nun schon wieder?«
Ein Wächter war durchs Portal geschlüpft und näherte sich eiligen Schrittes der Jarlstafel. Der Blaufuchs, empört ob der neuerlichen Störung, holte aus, um seinen kostbaren Silberpokal vor lauter Wut an die Wand zu pfeffern. Allein zu Asleifs Überraschung ließ Jarl Harald am Ende der Wurfbewegung den Kelch nicht los, sondern schloss im letzten Augenblick seine Finger ganz fest um dessen Stiel. Als der Blaufuchs den verblüfften Blick seines Schreibers gewahrte, beugte er sich verschwörerisch hinunter und flüsterte ihm ins Ohr: »Ganz im Vertrauen, Asleif. Hätte ich losgelassen, würde jetzt gewiss eine prächtige Beule meinen Pokal zieren und Leif Thordarson, mein Silberschmied – bei weitem der Beste in ganz Svera – hätte hernach die Delle wieder hinaustreiben müssen. Odin sei Dank, fiel mir im letzten Moment wieder ein, dass mir der Schmied jedes Mal furchtbar die Leviten liest, wenn ich es wage, ihn mit derartigen Kleinigkeiten zu belästigen. Du brauchst gar nicht so blöde zu grinsen, ich will und kann es mir mit ihm nicht verscherzen. Tatsache hingegen ist, dass Leif nach jeder – aus seiner Sicht – unnötigen Reparatur stets dermaßen geladen ist, dass selbst Thor leibhaftig Skrupel hätte, der Schmiede Schwelle zu überschreiten, um den ausgebesserten Pokal wieder abzuholen! Von meinen Knechten wagt es deshalb niemand, beim Schädel! Diese Aufgabe bleibt stets mir selbst vorbehalten, obwohl es mir auch so schon an Zeit mangelt.«
Der Wächter hatte zwischenzeitlich die Jarlstafel erreicht und trat ungeduldig wartend von einem Bein aufs andere bis Jarl Harald wieder auf seinen Thron saß und ihm endlich Gehör schenkte.
»Ohm, Ohm, da draußen wartet …«
Weiter kam er nicht, denn er musste sich rasch ducken – der Blaufuchs hatte mit dem Kelch nach ihm gezielt, sich jedoch im letzten Augenblick abermals besonnen. Er tauschte mit Asleif einen wissenden Blick und donnerte alsdann: »Beim Schädel! Wie wagst du Wurm es mich anzusprechen? Haben neuerdings die Flöhe bei dir das Denken übernommen? Noch einmal so eine Frechheit und du wirst bei der nächsten Mahlzeit gebratene Zunge essen – deine eigene! Ich warne dich. Mir ist mitnichten entgangen, dass ihr mich alle hinter meinem Rücken Ohm nennt, allerdings darf einzig und allein mein Schreiber Asleif es auch wagen, mich so anzureden. Und damit ihr Taubnüsse das ein für alle Mal kapiert, erklär ich dir jetzt nochmal, warum. Sein Vater Gelli gab im Kampf aufopferungsvoll sein Leben, um meines zu retten. Dadurch wurde Asleif zum Waisenkind. Und da er als kleiner Junge schon mehr Hirn besaß, als in eure Hohlschädel jemals reinpassen wird, nahm ich ihn kurzerhand unter meine Fittiche. Er ist mir ans Herz gewachsen, erst recht, nachdem ich ihn in meine Dienste genommen habe, und er mir seine außerordentlichen Fähigkeiten bewiesen hat. Und nur deshalb darf er sich mir gegenüber Dinge erlauben, von denen ein so holzköpfiger Moortrottel wie du nicht mal zu träumen wagen darf. Hast du mich verstanden? Was willst du hier überhaupt?«
Der Wächter, welcher inzwischen, um sich möglichst unsichtbar zu machen, vor Jarl Harald auf den Knien lag, hob probeweise den Kopf.
»Herr, edler Herr, hoher Jarl Harald Blaufuchs, Gebieter über ganz Birkuna, habt Erbarmen mit mir. Ich bin nur ein ganz unwürdiger Knecht und ihr habt Recht, mein Schädel ist hohl und ich bitte Euch um …«
»Ja, ja, ist ja schon gut«, fuhr der Jarl dazwischen, »sag mir endlich, was du zu melden hast, beim Schädel!«
»In der Vorhalle steht dieser Ionier«, begann der Wächter zaghaft seine Neuigkeit zu verkünden. »Ihr wisst schon wen ich meine, Herr, diesen Begleiter vom Sassirab. Der Ionier ist völlig außer sich und will dauernd den Goden sprechen.«
»Wieso kommst du dann zu mir?«, raunzte ihn der Jarl genervt an. »Wie du siehst, ist Teit nicht anwesend.«
»Ja, Herr, das hat mir die Türwache auch schon gesagt. Doch keiner weiß, wo der Gode steckt, er ist verschwunden.«
Allmählich verlor Harald Blaufuchs wieder die Geduld. »Beim Schädel! Verschwunden? Das vermag ich nicht zu glauben! Auf den Goden ist Verlass, der verschwindet nicht so einfach. Noch heute früh sprach ich mit ihm, als er in seiner Kammer den Vertrag siegelte. Soviel ich weiß, hatte er die Absicht hernach den Segen der Götter zu erbitten und das Dokument anschließend dem Gesandten zu überbringen, damit dieser ebenfalls Siegel und Unterschrift setzt. Falls Teit nicht mehr im Tempel ist, so wird er wohl im Hause des Sassirab sein.«
»Herr, er war nicht beim Sassirab, er hat einen Boten geschickt.«
Jarl Harald verdrehte die Augen. »Nun verstehe ich gar nichts mehr; weswegen sollte der Gode denn einen Boten schicken?«
Bevor der Mann eine Antwort fand, unterbreitete Asleif einen Vorschlag: »Entschuldigt, Ohm, warum fragt Ihr nicht Paxiklos? Er kann Euch gewiss besser aufklären, gewiss besser.«
Der Blaufuchs gab seine Zustimmung und entließ mit einer wedelnden Handbewegung den Wächter, welcher sichtlich erleichtert war, weiterem Ungemach zu entgehen. Raschen Schrittes entfernte er sich, um den Ionier hereinzuholen.
Wenige Augenblicke später durchmaß der Übersetzer des Sassirabs in hektischer Manier die Halle. Als er näherkam, konnte sich Asleif ein Grinsen nicht verkneifen und auch Jarl Harald hatte Mühe, das verräterische Zittern seines Bartes zu unterdrücken.
Der Ionier, von Haus aus schon ein schmächtiges Bürschchen – er war spindeldürr und erreichte kaum die Höhe von fünf Fuß, war ganz offensichtlich in den Gewitterguss hineingeraten. Dies hatte dazu geführt, dass sein üblicherweise krauses, pechschwarzes Haar, das seinen Kopf für gewöhnlich wie eine Mähne umkränzte, sich nunmehr platt der Kontur seines Schädels angepasst hatte. Auch seine Tunika hing ihm klatschnass am Körper herab und Tropfen auf Tropfen löste sich, von ihm völlig unbeachtet, aus des Kittels Saum sowie den Enden seiner Ärmel, sodass zahllose kleine Pfützen den von ihm zurückgelegten Weg markierten. Ob des erwähnten Anblicks ähnelte der Ionier eher einem nassen Straßenköter denn einem sprachkundigen Gelehrten.
Jarl Harald, dessen Laune auf Grund dieses Auftritts wieder umgeschlagen war, begrüßte ihn freundlich: »Hei, Paxiklos. Wie ich höre, sucht Ihr den Goden. Darf ich fragen was das zu bedeuten hat?«
Der Ionier, der die sverische Sprache etwas eigentümlich verwendete, antwortete: »Ich Euch grüße in Ehren, hoher Jarl. Doch mein Herr, Dschafar ibn Fadin, sein sehr in Wut, wegen das Vertrag, was er nicht bekommen!«
Harald Blaufuchs war die Verblüffung deutlich ins Gesicht geschrieben. »Aber der Wächter hat mir doch gerade eben berichtet, dass ein Bote bei Euch war – hat er denn das Dokument nicht übergeben?«
»Herr, der Bote hat bringen Schatulle mit Pergamente darin, aber …«
»Aber was?« Jarl Harald wartete gespannt auf das Ende des Satzes. Mit seiner linken Hand umklammerte er die Armlehne des Throns, mit der rechten den Silberpokal.
»… aber Pergamente in Schachtel waren blank, ist nichts drauf geschrieben! Wo ist bleiben Vertrag?«
»Beim Schädel!«, brüllte der Blaufuchs auf, derweil sein Kelch, endlich befreit von der herrschaftlichen Hand, durch die rauchige Luft der Jarlshalle segelte und nach Beendigung eines formvollendeten Bogens unsanft an die Wand klatschte. Verziert mit einer großen Delle rollte er auf dem Lehmboden aus. »Das kann doch gar nicht sein! Ich habe den Vertrag eigenhändig unterschrieben und abgesehen von Siegel und Unterschrift Eures Herrn war er vollständig!«
»Und ich haben gesehen, was war in Kästchen!«, wiederholte Paxiklos mit unterdrückter Stimme. Er bemühte sich unverkennbar, seine Erregung zu dämpfen. »Beide Bögen waren leer! War darauf nicht Buchstabe, nicht Rune, nicht Hieroglyphe, nicht ein Strich, nur – Nichts!«
Da Paxiklos seine Behauptung so vehement verteidigte, sprach er wohl die Wahrheit, sagte sich Jarl Harald. Er schluckte infolgedessen seinen Ärger notgedrungen hinunter und sann eine Weile über die schier unglaubliche Kunde nach, die ihm der Ionier so aufgebracht und für ihn völlig überraschend kredenzt hatte: Tatsächlich war es ein wenig sonderbar, dass Teit einen Boten zu ibn Fadin geschickt hatte, anstatt wie vereinbart persönlich hinzugehen. Diesen Punkt wird er wohl plausibel erklären können, indes aus welchem Grund hat er dem Sassirab leere Blätter überlassen? Hat Teit die Pergamente schlichtweg verwechselt oder hat er den Abschluss des Vertrages ganz bewusst verhindert? Letztere Möglichkeit war indes ebenso unglaubwürdig wie die Annahme, dass der Sassirab versucht haben sollte, ihn, den Jarl, in irgendeiner Weise zu hintergehen. Ibn Fadin hat die lange und beschwerliche Reise schließlich nicht gemacht, um sich in Svera zu verlustieren, sondern weil er handfeste wirtschaftliche und politische Ziele verfolgte.
Jarl Harald wandte sich an seinen Schreiber: »Asleif, diese Sache muss dringend geklärt werden. Ich vermute, dass es sich um eine schlichte Verwechslung handelt, denn ich sehe keinerlei Grund, weswegen Teit oder auch der Sassirab die Vereinbarung so kurz vor Schluss noch boykottieren sollten. Aber wie auch immer, der Vertrag ist über die Maßen bedeutsam und darf unter gar keinen Umständen in die falschen Hände geraten. Die Folgen wären unabsehbar! Außer dem Oberhaupt der Sassirab, seinem Gesandten ibn Fadin, Teit sowie mir selbst, kennt niemand auch nur ansatzweise dessen Inhalt. Er muss unter allen Umständen geheim bleiben, zumindest bis ibn Fadin das Dokument gesiegelt hat, verstehst du?
Begleite jetzt den Ionier zu seinem Herrn und versuch die Pergamente wieder aufzutreiben. In derlei Dingen besitzt du ein ausgezeichnetes Gespür. Überdies vertraue ich dir, wie du weißt, vorbehaltlos. Sprich mit ibn Fadin und suche alsdann nach Teit oder befrage den Boten. Mach was du für nötig hältst, aber bringe mir, um Odins Willen, das Dokument zurück!«
Asleif nickte zustimmend. In der Tat hatte er bereits des Öfteren großes Geschick bewiesen, wenn es galt, versteckten oder verlegten Gegenständen auf die Spur zu kommen. Im Gegensatz zu den Anderen, die beim Suchen stets planlos hin und her rannten, ließ er zunächst seine Gedanken kreisen, stellte ein oder zwei Fragen und hatte die Angelegenheit alsdann meist schon geklärt. Es war bisher zwar nichts davon auch nur annähernd so bedeutsam gewesen wie dieser Vertrag mit den Sassirab, doch nichtsdestotrotz war er guten Mutes, das Dokument aufspüren zu können. »Alles klar, Ohm. Ich werde die Sache mit Feuereifer angehen, mit Feuereifer!«
Als er seine Schreibsachen zusammenpacken wollte, fiel sein Blick auf den begonnenen Brief. Fragend sah er zum Jarl hinüber.
»Lass nur, Asleif.« Der Blaufuchs hatte dessen Gedanken erraten »Das Schreiben kann warten. Geh nur.«
Als Asleif und der wieder halbwegs trockene Paxiklos das Langhaus verließen, hatte Thor sein nasses Wolkenheer bereits weiter geschickt. Der Regen hatte ein Ende genommen. Dessen ungeachtet war die Luft mit Feuchtigkeit regelrecht geschwängert. Unter der Last unzähliger Tropfen bogen sich die Spitzen der Grashalme bis auf den Boden herab, die großen Eichen- und Eschenbäume trieften mit den kleineren Sträuchern und Büschen um die Wette und von den Dächern der Burg schossen wahre Sturzbäche auf den Hof hinab, wo sie sich vereinten und in kleine, spiegelnde Seen verwandelten. Asleif atmete tief durch. Balder sei Dank! Das Gewitter hatte für Abkühlung gesorgt.
Ein wohlgepflasterter Weg verband das Langhaus mit dem stadtseitigen Tor. Gleichwohl schritten die Beiden mit Bedacht aus, um auf den nassen, schlüpfrigen Steinen nicht auszugleiten. Am Tor wurden sie von den Wachen ohne Weiteres durchgelassen.
Bedingt durch die erhöhte Lage der Burg bot sich an dieser Stelle eine beeindruckende Aussicht über ganz Birkuna! Die Stadt lag halbkreisförmig am Ostufer des Birksees, der mittels des Sverflusses Verbindung mit dem Ostermeer hatte. Der Hafen im Westen der Siedlung – Birkunas wichtigstes Bindeglied für einen lebhaften Warenaustausch mit halb Europa – bot Anlegemöglichkeiten für zahllose Schniggen, Knorren oder Drachenboote und wurde vor dem gelegentlich recht rauen Seegang und den häufig auftretenden Westwinden durch zwei weit in den See ragende, aufeinander zulaufende Molen geschützt. Nördlich und östlich begrenzte in einem großen Bogen die Stadtmauer – bestehend aus Erdwall und Palisaden – den Ort, derweil im Süden die Burg Jarl Haralds die Stadt beschützte. Auf der dem Hafen zugewandten Seite befanden sich das Kaufmannsviertel, die Werft sowie die Ansiedlung der Fischer; im Schutze der Stadtmauer hingegen betrieben zahllose Handwerker ihre unterschiedlichen Gewerke; das Zentrum schließlich wurde beherrscht vom alles überragenden Tempel sowie dem Knut-Markt, auf welchem von den Bauern der Umgegend mehrmals in der Woche Waren für den alltäglichen Gebrauch feilgeboten wurden.
Nahezu sämtliche Gebäude der Stadt bestanden aus Holz und waren mit Stroh- oder Reetdächern gedeckt, besaßen aber nur wenige, noch dazu winzige Fenster, welche kaum Licht spendeten und eher der Belüftung dienten. Straßen und größere Gassen hatte man, den Asen sei Dank, mit Holzbohlen gepflastert, während Silber-, Luchs- und Burgbach an vielen Stellen von kleinen hölzernen Brücken überspannt wurden.
Asleif und Paxiklos tasteten sich behutsam den Wall hinunter, querten sodann den Burgbach und betraten, indem sie ihre Schritte auf die Burgstraße lenkten, schließlich die Stadt. Obschon die Bohlen auf Grund der Nässe recht rutschig waren, war der Weg zum Sassirab allemal eine saubere Sache. Nicht auszudenken, wenn sie hätten durch Matsch waten müssen, wie es in vielen anderen – selbst größeren – Städten noch beständig die Regel war.
Ibn Fadin hatte gleich nach seiner Ankunft in Birkuna ein leerstehendes Haus direkt an der Hauptstraße angemietet. Jarl Harald hatte zwar angeboten, er könne bei ihm im Langhaus wohnen, doch der Sassirab hatte dankend abgelehnt. In dem etwas heruntergekommenen Haus, das zuvor einem inzwischen verstorbenen Kaufmann zu eigen war, konnte er sich in aller Ruhe zurückziehen und entspannt dem Abschluss des Vertrages entgegensehen. Überdies fand er sich in der angenehmen Lage, ungestört und wann immer er wollte seine Gebete auszuüben – ein Anliegen, das ihm über die Maßen bedeutsam war.
Als die beiden ihm schließlich gegenüberstanden war ibn Fadin allerdings außerstande zu beten. Stattdessen drohte er vor lauter Erregung schier platzen zu wollen. Er überschüttete die Ankömmlinge mit einem Wortschwall, der kein Ende zu nehmen schien und von dem Asleif beim besten Willen auch nicht eine einzige müde Silbe verstand.
Der Sassirab, ein mageres Kerlchen mit Hakennase und schwarzem Spitzbart, lief dabei unentwegt auf und ab, sodass sein riesenhafter Turban in gefährlichster Manier auf dem dünnen Köpfchen herumwackelte. Sein seidenes, reich besticktes Gewand rauschte dazu wie eine laue Brise in der Abendluft. Da er sich kaum beruhigen ließ, dauerte es eine gewisse Zeit, bevor Asleif ihn, mit Unterstützung des Ioniers, dazu bringen konnte, sein Begehr verständlich kundzutun.
Schließlich erfuhr Asleif Folgendes: Der Gode sollte die vom Jarl bereits unterzeichneten Pergamentbögen siegeln, sie dann in eine Schatulle legen und umgehend dem Sassirab überbringen. Bei der Schatulle handelte es sich um genau dasjenige Behältnis, in welchem ibn Fadin den schon vorbereiteten Vertrag aus seinem Heimatland mitgebracht hatte. Das Kästchen, ein Meisterwerk der sassirabischen Schmiedekunst, bestand aus purem Silber, war mit zahllosen Gemmen und Edelsteinen besetzt und verfügte über ein äußerst stabiles Schloss. Zu diesem Schloss existierten lediglich zwei Schlüssel – während ibn Fadin den einen verwahrte, sollte Teit den zweiten zusammen mit den Pergamenten in die Schatulle legen. Das Schloss war dergestalt konstruiert worden, dass es auch ohne den Gebrauch eines Schlüssels zuschnappen konnte. Diese Vorkehrungen dienten sowohl der Sicherheit als auch der Geheimhaltung des Vertrages. Die Pergamente waren vor Wind und Wetter geschützt und zugleich neugierigen Blicken entzogen. Infolgedessen war einzig und allein ibn Fadin in der Lage, die Schatulle gewaltlos zu öffnen.
Statt des Goden war heute Morgen indes ein Bote mit dem Kästchen erschienen. Ob seiner Wichtigkeit hatte der Sassirab es ihm eigenhändig abgenommen und, nachdem der Bote wieder gegangen war, umgehend geöffnet. Er fand, wie vereinbart, den zweiten Schlüssel, doch zu seiner maßlosen Verblüffung erwiesen sich alle darin befindlichen Pergamente als unbeschrieben!
Um seine Aussage zu belegen, zeigte ibn Fadin dem Schreiber unaufgefordert die zuvor beschriebenen Objekte.
Nach kurzer Überprüfung kam Asleif zu dem Ergebnis, dass die Ausführungen des Sassirab korrekt waren. Überdies stellte er fest, dass die Schatulle keinerlei Beschädigungen aufwies, womit zumindest bewiesen war, dass der Bote sich nichts hatte zu Schulden kommen lassen. Da dieser die Schatulle in einwandfreiem Zustand abgeliefert hatte und obendrein auch keinen Schlüssel besaß, war er außerstande gewesen, den Inhalt zu manipulieren. Er hatte lediglich seine Pflicht erfüllt.
Auch ibn Fadin scheint bar jeder Schuld zu sein, dachte Asleif. Selbstverständlich hätte er Gelegenheit gehabt, die Pergamente auszutauschen, doch so wie der Sassirab sich hier echauffierte, war das wohl eher unwahrscheinlich. Da Asleif auch nicht gewillt war, Teit, dem Goden, in Ermangelung von Beweisen irgendwelche Absichten zu unterstellen, schien Jarl Haralds Vermutung wohl zuzutreffen: Letzten Endes würde sich gewiss herausstellen, dass die leeren Blätter lediglich aufgrund einer profanen Verwechslung in die Schatulle geraten waren.
In diesem Sinne versuchte er den Sassirab zu beschwichtigten und versprach ihm, alles Menschenmögliche zu tun, um den Vertrag so rasch als möglich wieder aufzuspüren. Er verabschiedete sich daraufhin höflich von den beiden Südländern und machte sich umgehend zurück auf den Weg zur Burg. Es war an der Zeit, mal ein Wörtchen mit dem Boten zu reden.
Auf dem Rückweg zur Burg sann er darüber nach, ob man den Goden wirklich von jeglichem Verdacht freisprechen konnte – immerhin galt er als vermisst! Unter diesen Umständen bestand sogar die – theoretische – Möglichkeit, dass Teit die Stadt mitsamt dem Dokument bereits verlassen hatte.
Doch andererseits, … nein, bei Balder! Das kann unmöglich sein, das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, dachte Asleif entschieden. Teit ist in Amt und Würden, solange ich denken kann. Er ist zwar nicht ausnahmslos bei allen Birkunern beliebt – in seiner Eigenschaft als Stadtrichter bleibt es nicht aus, dass der eine oder andere Verurteilte bisweilen mit dessen Spruch nicht einverstanden war, grundsätzlich jedoch wird er von allen Schichten respektiert: von besitzlosen Knechten ebenso wie von ehrbaren Handwerkern, von der mächtigen Kaufmannschaft im gleichen Maße wie von den gestrengen Zunftmeistern und zu guter Letzt auch von Jarl Harald, der ihm seit jeher vertraut hat. Asleif kam zum Schluss, dass der Gode nie und nimmer wissentlich die Pergamente vertauscht haben konnte.
Er hoffte indes darauf, dass der Bote einige seiner Fragen würde erhellen können. Zumindest sollte er in der Lage sein, zu klären, weshalb er, und nicht Teit, das Kästchen zum Sassirab gebracht hatte. Im besten Falle wusste er sogar, wo Teit sich augenblicklich aufhielt.
Auf der Burg angelangt befragte Asleif die Wachen, wo er Ari finden könne. Sie gaben zur Auskunft, dass er wohl mit den anderen beim Üben sei.
Auf dem Kampfplatz, einer weiten, freien Fläche des Burggeländes, herrschte reges Treiben. Zehn Kämpen des Jarls unter Kommando von Hauptmann Thorsteinson schossen mit Pfeil und Bogen auf Ziele nahe der Palisade; zehn andere übten dergleichen mit Speeren und den dazugehörigen Speerschleudern.
Diese Zwanzig machten in etwa die Hälfte der Schar aus, die Harald Blaufuchs unterstanden. Obschon unter den verschiedenen Sippen der Nordmänner seit Jahrzehnten kein Streit oder Kampf mehr entbrannt war, nannte jeder Jarl doch nach wie vor einen Haufen starker Mannen sein Eigen. Zum einen wurden sie benötigt, um für den Burgherrn und seine Leute auf die Jagd zu gehen – im Winter erlegten sie hauptsächlich Pelzgetier, in der übrigen Zeit des Jahres überwiegend Hirsche, Elche und Wildschweine – zum anderen achteten sie an den Stadttoren, im Hafen und während der Markttage auf Einhaltung von Recht und Gesetz. Eine Stadt wie Birkuna mit gut 1.200 Bewohnern konnte auf eine schlagkräftige Truppe nicht verzichten.
Nachdem Asleif Ari entdeckt hatte, rief er ihn gleich zu sich. Bekanntermaßen galt dieser als einer der besten Jäger auf der Burg. Mit seiner Größe von knapp sechs Fuß gehörte Ari zwar gewiss nicht zu den eindrucksvollsten Mannen des Jarls, doch da er nicht nur über große Schnelligkeit sondern auch über unendlich viel Ausdauer verfügte, vermochte er selbst über weite Strecken mit den größten Keilern mitzuhalten, um ihnen schließlich am Ende der Hatz mit Wonne seine Lanze durch das zottelige Fell zu stoßen. Auf Grund seiner Wendigkeit und weil er zudem überaus listig und verschwiegen war, wurde er sowohl von Jarl Harald als auch vom Goden gerne zu Botendiensten eingesetzt. Vermutlich hatte Teit ihn auch diesmal erwählt.
Voller Energie und mit kurzen, flinken Schritten kam Ari herangetrabt, wobei sein schulterlanges, hellbraunes Haar wie ein kleiner Umhang flatterte.
Asleif amüsierte sich über den schelmischen Ausdruck, der wie üblich auf Aris rundem Gesicht lag und begrüßte ihn: »Hei, Ari, wie ist es denn? Ich muss dich was fragen.«
»Mor’n, Asleif. Ganz gut so weit«, gab er schmunzelnd zur Antwort, derweil seine klaren, braunen Augen leuchteten. Seine Sprechweise und die Worte, die seinem runden Mund entsprossen, waren für jedermann, der Ari nicht kannte, gewöhnungsbedürftig. »Wat willst’e denn für mich?«
»Ari, warst du heute Morgen im Auftrag des Goden unterwegs, des Goden?«
»Dat will ick wohl meinen, ja. Ick musste für ihm so’n Silberkasten zu so’n fremdländischen Gesandten bring’n; du weiß’ schon, diesen Kerl, der wo vorgestern Abend auch bei’n Bankett von den Jarl war un’ der immer guckte, als wenn er ’n Elch verschluckt hätte, wie wir uns’re Lieder brüllten.«
»Genau darum geht es, Ari. Ich hoffe, du hast niemandem davon erzählt, von der Schatulle und deinem Auftrag, meine ich?«
»Nee, noch keinem nich, warum?«
»Ari, das ist eine sehr, sehr wichtige Sache! Wir müssen uns darüber mal in Ruhe unterhalten. Lass uns am Besten in meine Schreibstube gehen, meine Schreibstube; da kann uns niemand belauschen.«
Ari riss verwundert die Augen auf, erwiderte indes nichts, sondern ging bereitwillig mit.
Außer in die Jarlshalle gelangte man von der Vorhalle des Langhauses aus noch in einige andere Räume. Linker Hand beispielsweise lagen die Kammern von Teit und Asleif.
Zielstrebig, um sich zu vergewissern, dass der Gode sich zwischenzeitlich nicht wieder eingefunden hatte, steuerte der Schreiber zunächst auf Teits Kammer zu. Er öffnete die Tür und überblickte den Raum im Nu – niemand da! Mithin betrat er umgehend, Ari immer im Schlepptau, seine eigene Kammer, welche gleich rechts daneben lag. Hier schrieb Asleif für Gewöhnlich Briefe oder Verträge des Jarls ins Reine, führte für den Goden Register oder kopierte gelegentlich auch mal ein Buch. Der Raum war zwar nicht sonderlich groß, etwa drei mal vier Schritt, aber immerhin gehörte ein Bett zum Inventar, in dem der Schreiber alleine nächtigen konnte – ganz im Gegensatz zu des Jarls Recken und Bediensteten, die entweder auf den Erdbänken in der Jarlshalle oder in dem großen Schlafsaal gleich neben dem Langhaus schlafen mussten. Außer ihm – und selbstverständlich der Jarlsfamilie – genoss nur noch Teit das Privileg eines eigenen Bettes.
Asleif ließ sich auf der Bank hinter seinem Tisch nieder und wies Ari an, ihm gegenüber auf dem Hocker Platz zu nehmen. »Ari, alles was wir jetzt miteinander besprechen muss geheim bleiben, hörst du. Du darfst mit niemandem darüber reden, abgesehen von mir oder Jarl Harald, so er es wünscht!«
»Wat soll dat, Asleif? Ick hab doch nur so’n Kasten getragen. Ick weiß gar nich, wat die Aufregung soll? Aber wenn du wills’, dann bin ick natürlich stumm wie ’n Fisch.«
»Ari, sag mir zunächst, ob du Kenntnis über den Inhalt der Schatulle besitzt, über den Inhalt?«
»Ja, dat hab ick. Ick war nämlich dabei, wie die Gode dem Inhalt in den Kästchen tat. Sah aus wie so ’ne Rolle aus Pega..., Pegra..., na halt so ’ne Blätter, wie du auch immer has’, hier diese da, du weiß’ schon.«
»Pergament, heißt das, Ari, Pergament! Ich bin erstaunt, dass der Gode dich hat zuschauen lassen. Wie bereits gesagt, sind diese Schriftrollen höchst geheim. Hat er übrigens noch etwas anderes mit in die Schatulle gelegt?«
»Ja, so’n ganz komischen Schlüssel, so wat hab ick noch nie gesehen. Un’ dat ick dat mit ansehen durfte, dat war wohl auch nich so geplant von die Gode. Er hatte mich nämlich ’n klein’n Jung’n mit die Botschaft geschickt, ick sollt’ zu ihn in die Tempel komm’n. Da ick just Zeit hatte, lief ick gleich los, un’ wer war natürlich nich da – der Gode! Ick wart’ ein Augenblick, un’ denk bei mich, vielleich’ is’ er ja inner Amtsstube. Un’ da ick ja, wie du weiß’, verdammt schnell sein kann, war ick in Handumdrehen bei die Stube un’ wie ick so durch die Tür komm, seh’ ick, wie er just an Einpacken is’.«
»Also hast du es eher zufällig beobachtet«, bemerkte Asleif. »Hat er dir die Schatulle alsdann übergeben?«
»Nee, da noch nich. Aber du has’ recht, er war völlig entgeistert, wie er mir plötzlich sah. Er war so verdattert, dat er die and’re Schriftrolle fallen ließ, die wo er danach vom Tisch geklaubt hatte.«
»Eine andere Rolle, sagst du?« Asleif war mit einem Male hellwach. Sollte Teit womöglich in diesem Moment die Pergamente vertauscht haben? Er sah Ari erwartungsvoll in die braunen Augen und fragte: »Bei Balder! Hatte diese zweite Rolle das gleiche Format wie …, nein, warte, ich will es anders ausdrücken: war die Rolle genauso lang wie diejenige, welche er in die Schatulle gelegt hatte?«
»Ick kenn da ja nix von, Asleif, aber jetzt wo du’s sagst, die sah’n sich schon recht ähnlich.«
»Hast du gesehen, was er damit gemacht hat? Ich meine die Rolle, die nicht in das Kästchen gewandert ist.«
»Nun, wenn ick mir recht entsinne, hat er ’se wieder aufgehob’n un’ dann in sein’n Umhang gesteckt, der wo neben die Tür hing. Danach hat er dat Kästchen geschloss’n un’ zu mich gesacht, er müsst’ noch schnell in die Tempel, um die Sach’n, wo in dat Kasten wär’n, zu segnen. Aber noch ein’s war mich aufgefall’n bevor wir ging’n: er hatte sein’n Umhang genomm’n un’ umgelegt, un’ wie wir rausgeh’n, bleibt er in der Tür steh’n, dreht sich noch mal um, starrt an die Wand und fummelt dann wie wild an sein’n Umhang rum. Wie’s schien, war aber dat, wat er suchte, da, denn plötzlich hört er auf mit Suchen, lächelt, nickt mit die Kopf, un’ endlich ging’s los.«
»Warst du im Tempel dabei, als er die Pergamente gesegnet hat?«
»Ja un’ nein. Ick war zwar mit in die Tempel, doch weiter weg, wo ick mir mit Toki, die Tempeldiener unterhalt’n hab. Aber ick konnt’ seh’n, dat die Gode die Blätter nich rausgenomm’n hat, sondern sein’n Spruch nur über’n Kasten gemacht hat. Zum Schluss hat er mich dat Kästchen in die Hand gedrückt un’ mich gesagt, wo ick et abliefern soll.«
»Ohne Schlüssel konnte er die Schatulle ja auch nicht mehr öffnen!«, sagte Asleif, mehr zu sich selbst, und dann wieder an Ari gewandt: »Hat er dir vielleicht erzählt, wo er hin wollte oder hast du zufällig gesehen, in welche Richtung er anschließend ging?«
»Als ick zur Stadt lostrabte, sah ick noch, wie der Gode in die Tempelumgang verschwand, mehr hab ick nich von ihn geseh’n. Wo er jetzt steckt, weiß ick nich. Ick bin dann zu diese Sassirab gegang’n, un’ hab ihn eigenhändig die Kasten gegeb’n, genau wie mich der Gode dat gesacht hat.«
»Der Gode hat dir also befohlen, das Kästchen nur dem Sassirab zu übergeben! Na immerhin. Hast du gesehen, wie ibn Fadin die Schatulle geöffnet hat?«
»Nee. Sein Übersetzer, der wo so komisch redet, gab mich ’ne Münze un’ bracht’ mir gleich wieder vor die Tür. Da bin ick natürlich zurück zur Burg.«
»Ari, tust du mir einen Gefallen, einen großen Gefallen?«
»Sicher, Asleif, für dir tu ick doch alles. Aber, sag doch nicht immer alles doppelt.«
Der Schreiber runzelte die Stirn und verzog erbost seinen Mund. »Bei Balder! Wer sagt was doppelt? Bist du noch ganz bei Trost? Oder willst du mich gar foppen? So etwas kann ich ganz und gar nicht ausstehen, Ari! Ich sage doch nichts doppelt!«
Ari hob beschwichtigend seine Hände. »Lass gut sein, war nich so gemeint, Asleif. Schon in Ordnung. Wat is’n dat nu für’n Gefallen?«
Die Schwere seiner Aufgabe vor Augen, beruhigte sich Asleif wieder und erklärte: »Wie ich es eben bereits angedeutet habe, ist diese Angelegenheit für Birkuna überaus wichtig und ich bitte dich nochmals um äußerste Geheimhaltung. Am besten du erwähnst niemandem gegenüber, dass du im Auftrage des Goden unterwegs warst. Auch über den Kasten sowie dessen Inhalt erzählst du nichts, hörst du, Ari? Und im Falle dass dich einer fragen sollte, was du in meiner Kammer gemacht hast, so sagst du, dass ich dir einen Botengang aufgetragen hätte, klar?«
»Alles klar, Asleif! Ick hab dir verstanden. Über meine Lippen soll kein Sterbenswörtchen nich komm’n nich! Du kanns’ dich voll auf mir verlassen. Ick troll mir dann jetzt mal lieber. Mach’s gut, Asleif.«
»Ja, mach’s gut Ari, mach’s gut.« Noch ehe der drahtige Bote die Kammer verlassen hatte, war Asleif bereits wieder in die Tiefe seiner Gedanken versunken. Zu seinem Leidwesen handelte es sich um ausnehmend düstere Gedanken, dessen Stränge sich zu verschachteln und zu verknoten drohten, führten sie doch beständig zu immer demselben erschütternden Ergebnis: der Gode musste ein falsches Spiel treiben.
Fest stand: Teit hat eine Pergamentrolle in die Schatulle gelegt und eine weitere in seinen Umhang gestopft, woraus sich schlussfolgern ließ, dass er, alldieweil das Kästchen des Sassirab ja lediglich leere Blätter aufwies, nach wie vor im Besitz des Vertrages sein musste!
Wie aber konnte es dazu kommen? Sollte der Gode heute früh etwa einen Fehlgriff getan haben? Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht, stellte Asleif fest, denn Teit war von Haus aus kein schusseliger Mensch und darüber hinaus bekannt dafür, dass er sich wichtigen Angelegenheiten mit einer nahezu übertriebenen Gewissenhaftigkeit widmete. Aber wenn es kein Versehen war, blieb nur noch Absicht! Doch was bezweckte er damit? Welchen Nutzen könnte er aus dem Besitz des Vertrages ziehen? Wo befand er sich jetzt überhaupt? Fragen über Fragen, die Asleif nicht zu beantworten wusste, zumal sein soeben gezogener Schluss mit der Tatsache, dass es zwischen dem Goden und Jarl Harald bis zum heutigen Tage nicht ein einziges Mal Unstimmigkeiten gegeben hatte, nicht im geringsten in Einklang zu bringen war. Nun, womöglich fand der Ohm eine Erklärung.
Asleif schlüpfte noch rasch in ein Paar Beinlinge aus Leinen – es war unterdessen doch merklich kühler geworden – und machte sich unverzüglich auf den Weg in die Jarlshalle.
Dort saß Harald Blaufuchs indessen mit verklärtem Blick auf seinem Thron und blies Trübsal. Womit habe ich das nur verdient, fragte er sich wieder und wieder. Womit habe ich das verdient? Vor über zwei Jahren, sinnierte er, habe ich Kontakt mit den Sassirab aufgenommen, um ihnen meinen richtungweisenden Vorschlag zu unterbreiten. Seither sind auf mondelangen Reisen mehr als ein halbes Dutzend Briefe hin und hergegangen, bis schließlich das gemeinsame Vorhaben zu einem für beide Seiten befriedigenden Abschluss gebracht worden ist! Heute endlich sollte der Vertrag in Kraft treten – es fehlten lediglich Siegel und Unterschrift von ibn Fadin. Allein was geschieht stattdessen? Der Vertrag verschwindet! Löst sich stillschweigend in Luft auf! Bei allen Asen, womit habe ich das verdient?
Als er sah, wie sein Schreiber die Halle betrat, sprang der Jarl auf und schritt ihm ungeduldig entgegen. »Hast du den Vertrag gefunden? Wo ist der Gode?«
Asleif schüttelte bedauernd den Kopf und berichtete, was er so alles in Erfahrung hatte bringen können und welch entsetzlichen Verdacht er inzwischen hegte.
Derweil Asleif seine Ansicht zu begründen versuchte, blitzten Jarl Haralds Augen mehrmals gefährlich auf. Nachdem sein Schreiber geendet hatte, sprach er sodann mit gepresster Stimme: »Beim Schädel! Da haben zweifellos die Chrissen ihre Finger im Spiel. Du musst nämlich wissen, dass sie infolge unseres Handels mit den Sassirab Schaden erleiden werden, und zwar gravierenden Schaden. Was ich indessen überhaupt nicht begreife ist, auf welche Weise es ihnen gelungen sein mag, von unserem Vertrag Kenntnis zu erlangen. Durch den Goden etwa? Das wäre Verrat, Hochverrat!
Nein, Asleif, nach all den treuen Diensten, die er mir stets geleistet hat, kann ich unmöglich glauben, dass Teit mich hintergangen hat. Trotz deines – zugegebenermaßen – plausiblen Verdachts, gehe ich weiterhin davon aus, dass er die Rollen irrtümlich vertauscht hat.
Und auch für sein angebliches Verschwinden wird es einen Grund geben: womöglich fühlte er Schmerzen und hat einen Heiler aufgesucht oder er hat sich in irgendeine dunkle Ecke verkrochen, um seinen Kater aus dem Hirn zu kriegen, was weiß denn ich? Du wirst sehen, es wird sich im Nachhinein alles aufklären. Beim Schädel, bestimmt sitzt er schon wieder behaglich in seiner Amtsstube oder sieht im Tempel nach dem Rechten. Asleif, tu mir den Gefallen, versuch noch einmal, ihn zu finden.«
»Ja, Ohm, wie Ihr meint«, willigte Asleif ein. Doch ungeachtet seiner Zustimmung war er fest davon überzeugt, den Goden nie wiederzusehen. Für ihn stand völlig Außerfrage, dass Teit, genau wie vorhin Thors Wolkenheer, längst auf und davon war.
Als Asleif das Langhaus verließ, warf er rasch einen Blick empor zum mittlerweile wieder strahlend blauen Himmel. Die Sonne näherte sich allmählich ihrem Zenit und es verblieben noch etwa zwei Stunden bis Mittag. Asleif entschloss sich, zunächst den Tempel aufzusuchen, wo Teit von Ari und Toki bekanntermaßen zum letzten Mal gesehen wurde. Er hoffte inständig, dass ihm der Tempeldiener aufschlussreiche Hinweise zu Teits Abgang würde geben können.