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Die Gefallenenrede des Perikles gehört zu den berühmtesten Reden der europäischen politischen Tradition. Mit Recht. Das Ideal eines freien, lebensbejahenden und dennoch nüchternen Gemeinwesens, das Perikles (ca. 500–429 v. Chr.) entwirft, erscheint auch aus dem Abstand von fast zweieinhalbtausend Jahren noch vorbildhaft. Es ist ein entspanntes Ideal, das dennoch den Härten der menschlichen Existenz und den Notwendigkeiten des menschlichen Zusammenlebens Rechnung trägt. Zwar verklärt Perikles das Gemeinwesen der Athener, aber da er gleichzeitig einen realistischen Blick auf seine toten Landsleute wirft, deren Schwächen im Leben er anspricht, bewahrt er ein ausgewogenes Maß. Dieses Maßhalten ist eines der zentralen Ideale der Athener, die er lobt. Das richtige Maß in den Bedingungen des menschlichen Zusammenlebens, dies erscheint als das besondere Anliegen der Rede des Perikles. Daher ist sie für eine Tradition, die das Menschenbild des Perikles teilt, so vielfältig interpretierbar. Ein Zitat aus dieser Rede ist dem Entwurf für die europäische Verfassung vorangestellt. Dabei bringt der Text durchaus Probleme mit sich. Das Lob des Todes im Krieg fällt uns heute aus guten Gründen schwer, und ein solches Lob bietet die Gelegenheit zu manchem Missbrauch (1944 wurde die Gefallenenrede in großer Auflage in Deutschland gedruckt – als die Gelegenheiten, toter Soldaten zu gedenken, immer furchtbarere Ausmaße annahmen). Das Lob auf Athen, das Perikles so überzeugend formulierte, schloss zudem die Herrschaft Athens über manchen Nachbarn ein, den die Athenische Dominanz nicht freute, sondern drückte. Die Althistoriker zitieren häufig die berühmte Feststellung in der Rede des Perikles, dass Athen „die Schule von Hellas sei“. Es war eine Schule, die nicht jeder freiwillig besuchte, und man wird nüchtern feststellen, dass eine solche Vorstellung in der Sache der berüchtigten Losung, dass am deutschen Wesen die Welt genesen solle, nicht ganz fern ist. Perikles formulierte freilich sehr viel eleganter als Wilhelm II. Und in einer Rede ist die Qualität einer Formulierung letztlich entscheidend.

Als Perikles die Rede auf die Gefallenen hielt, befand sich Athen im Krieg mit Sparta. Der sogenannte „Peloponnesische Krieg“ dauerte fast dreißig Jahre (431–404 v. Chr.) und er endete schließlich mit dem Sieg Spartas. Perikles hielt seine Rede auf die Gefallenen am Ende des ersten Kriegsjahres, als die Athener noch voller Siegeszuversicht waren. Wir kennen den Text seiner Rede und die Ereignisse des Peloponnesischen Krieges aus dem Geschichtswerk des Thukydides (454–396 v. Chr.), der eine Zeitlang selber eine wichtige Rolle in der athenischen Politik dieser Jahre spielte, bevor er wegen eines militärischen Misserfolges in das Exil gehen musste. Thukydides gilt als einer der wichtigsten Väter der Geschichtswissenschaft. Er erklärt zu Beginn des Werkes, wie er an seine Informationen gelangte: „Was aber tatsächlich geschah in dem Kriege, erlaubte ich mir nicht nach Auskünften des ersten besten aufzuschreiben, auch nicht ‚nach meinem Dafürhalten’, sondern bin Selbsterlebtem und Nachrichten von andern mit aller erreichbaren Genauigkeit bis ins einzelne nachgegangen. Mühsam war diese Forschung …“. Wir können also davon ausgehen, dass die Perikles-Rede, die Thukydides in seinem Werk wiedergibt, sorgfältig recherchiert worden ist. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass Thukydides selber zugegen war, als Perikles die Gefallenen ehrte. Schließlich schilderte er selber das Begräbnis der Gefallenen als einen alten Brauch der Athener.

Das Werk des Thukydides über den Peloponnesischen Krieg bemüht sich nicht nur um eine wahrheitsgetreue Wiedergabe der Ereignisse, sondern auch um eine Erklärung der Kräfte, die die Ereignisse bewirkten. Berühmt ist seine Unterscheidung zwischen dem Anlass des Krieges und seiner wahren Ursache: „Den wahrsten Grund freilich, zugleich den meistbeschwiegenen, sehe ich im Wachstum Athens, das die erschreckten Spartaner zum Krieg zwang.“

Tatsächlich war Athen im 5. Jahrhundert vor Christus zu einer bedeutenden Macht aufgestiegen, und die Rivalität mit Sparta hatte sich verschärft. In den ersten Jahrzehnten des 5. Jahrhunderts hatten die Spartaner und die Athener gemeinsam und schließlich erfolgreich gegen die persischen Invasoren gekämpft. Von diesen Kriegen berichtet Herodot. In den Kriegen mit den Persern hatten sich die Kräfteverhältnisse zwischen Sparta und Athen allmählich verschoben. Das bis dahin dominante Sparta konnte seine Vormacht vor allem auf sein starkes Heer stützen. In den Kämpfen mit den Persern kam aber der neu gebauten Flotte der Athener eine immer größere Bedeutung zu, bis sie schließlich bei Salamis (480 v. Chr.) einen entscheidenden Sieg über die persische Flotte erringen konnte. Nur zwei Jahre später gründeten die Athener ein Städtebündnis auf der Grundlage ihrer Seemacht, aus dem die Mitglieder nicht mehr austreten konnten. Dieser Athenische Seebund stand Perikles vor Augen, als er das Lob der Athener sang. Perikles gilt als einer der großen politischen Figuren der griechischen Geschichte. „Solange er die Stadt in Frieden leitete, führte er sie mit Mäßigung und erhielt ihr ihre Sicherheit, und unter ihm wurde sie groß.“ (Thukydides). Perikles starb nur ein Jahr nachdem er die Rede gehalten hatte, an einer Epidemie, die sich in Athen im Gefolge des Krieges ausbreitete. Die Führung Athens wurde dadurch zum Problem, es kam zu Rivalitäten und Machtkämpfen. Die Stadt wechselte von einer defensiven Strategie zu einer offensiveren Kriegsführung. Diese Strategie führte letztlich zur Niederlage Athens. In ihrer klassischen Phase hatte die attische Polis eine Verfassung entwickelt, die für die Geschichte der politischen Ideen eine enorme Bedeutung erlangte und die bis in die demokratische Gegenwart eine Faszination behalten hat. In der Gefallenenrede des Perikles erhält diese urbane, das menschliche Maß bewahrende Form des Gemeinwesens eine eindrucksvolle ideale Darstellung.

Die großen Reden der Weltgeschichte

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