Читать книгу Weihnachts-Klassiker für alle Generationen: 280 Romane, Sagen, Märchen & Gedichte - Martin Luther - Страница 32

Achtundzwanzigstes Kapitel.
Schweigen

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Inhaltsverzeichnis

Am nächsten Morgen erscheint Rosmarie schön und strahlend wie ein Maimorgen, und Tante Ulrike so finster wie eine Gewitterwolke. Auf Harros freundliche Frage, wie sie geschlafen, kann sie nur mit einem plötzlichen Griff nach seinen Haaren antworten. Und Marga erzählt:

»Du glaubst nicht, Harro, wie Ulrike klettern kann. Wie eine Gazelle. Oder klettern die nicht? Aber Ruhe gab sie nicht, bis sie mit ihrem Handtuch dein Kunstwerk zugedeckt!«

»Rosmarie, ich hoffe von dir, daß du nicht gewußt hast, was für eine Nachtruhe mir mein lieber zärtlicher Neffe zugedacht hat.« Rosmarie blickt unruhig auf: »Ich weiß nicht...?«

Und Tante Marga erzählt mit viel Behagen:

»Uli knipst ihr Kunstlicht an und steigt in ihr Bett, und da hör ich sie sagen: ›Das geht zu weit!‹ Eben, wie ich auch in der getäfelten Nische mein eigenes Konterfei erblickte. Geschmeichelt hast du mir übrigens, Harro, was Ulrike von sich durchaus nicht findet.«

»Ihr seid doch die guten Genien des Hauses Thorstein, und es ist nicht mehr als billig, daß euer Konterfei die Tantenstube weiht. Bei unserem bitteren Mangel an Ahnfrauen solltet ihr es doch begreifen und meine zarte Aufmerksamkeit würdigen!«

»Zarte Aufmerksamkeit! Wenn einem zugemutet wird, vis-à-vis von sich selber zu schlafen.«

»Die Betten sind nur verwechselt worden,« flötet Harro. »Du solltest unter der Ahnfrau Marga schlafen und Marga unter dir. Ihr seid ja sonst so unzertrennlich. Schmerzlich ist's, wenn man in seinen reinsten Absichten verkannt wird.«

»In gelbem Holz noch dazu, wie ein Götzenbild,« grollt Ulrike.

Marga klopft ihm auf die Hand. »Das Zimmer hast du schön gemacht, wir konnten uns nichts Besseres wünschen. Und die ganze Südsonne. Ich würde Reseden und Kapuziner da oben ziehen.«

»Der Blumenzauber kommt im nächsten Jahr, das soll sich Rosmarie ausdenken. Und nachher lade ich alle in mein Atelier ein, dann könnt ihr sehen, wie das alles entstanden ist.«

»Wenn keine unchristlichen nackten Frauen aufgestellt sind, – ich glaube, ihr nennt es Akte –, wollen wir kommen.«

»Du wirst geschont werden, Tante Ulrike.«

»Nach dem, was ich heute nacht erlebt, ist dir alles zuzutrauen.«

»O bitte! Habe ich dich etwa als Akt dargestellt?«

Tante Ulrike hob in schweigendem Entsetzen die Hände gen Himmel, daß Rosmarie wieder ganz ängstlich wurde.

Ein so schöner Spätherbst wurde es noch, und die guten Tanten sonnten sich wie Katzen in ihrer Giebelstube. Tante Ulrikes strenge Miene war vor Rosmaries Lieblichkeit längst wie Wachs zergangen. Harro behauptete, es glätteten sich jeden Tag einige Falten bei ihr, und er müsse ihre Büste, die noch immer unter ihrer Handtuchhülle steckte, daraufhin nachsehen.

Ob wohl Rosmarie sich die erste Zeit ihrer Ehe so gedacht hatte? Aber sie war von der steten drückenden Gegenwart ihrer Mutter befreit und bei dem Geliebten doch so froh und glücklich. Nicht daß die Tanten sie beengt hätten; ihre Furcht vor ihnen war schon zu Anfang einer herzlichen Liebe gewichen. Stachelig und hart waren sie wohl, aber Seelen von alten Damen, und konnten sich wie Kinder freuen.

Aber Harro war nicht mehr so durchsichtig wie früher. Er hatte wieder, wie in Bordighera, seine geheimnisvollen Zeiten. Er arbeitete mit Riesenfleiß an einem großen Herbstbilde und war täglich viele Stunden fort. Und dann schien er zuweilen ein Alleinsein mit ihr zu vermeiden.

Und wenn sich Rosmarie darüber im stillen Herzenswinkel vielleicht zu grämen begann, dann war er in erhaschten Augenblicken wieder so von überströmender Liebe und wilder Zärtlichkeit, die sie mit leiser Furcht oder Schauer wie vor etwas Unbekanntem bewegten. Aber das waren zuerst ja nur vorübergehende Wolken an ihrem blauen Himmel.

Die Fürstin hatte sich kein einziges Mal blicken lassen, der Fürst ritt nach den ersten acht Tagen jeden Tag hinüber und saß bei dem schönen weichen Herbstwetter auf der breiten Terrasse vor dem Eßzimmer, die über dem Garten lag. Dort waren freilich bis jetzt nur grüne frische Rasenflächen und gelbe Wege. Aber darunter, den Berghang begleitend, standen die goldroten Wipfel des Waldes, und andere goldrote Waldberge leuchteten auf bis zum fernsten duftblauen Höhenzuge des Odenwaldes.

Dort saß der Fürst mit seiner Tochter, die eine ihrer kunstvollen Seidenstickereien in den Händen hatte, und sonnte sich an Leib und Seele. Die Tanten erschienen und verschwanden wieder. Harro zeigte sich auf kurze Augenblicke.

Das Haar des Fürsten war fast plötzlich eisengrau geworden und immer mehr feine und charakteristische Fältchen zeigten sich in seinem Gesicht und machten es den Bildern in seinem Ahnensaal immer ähnlicher.

Mit dem ersten Schnee mußten die guten Tanten wieder in ihr Stift zurückkehren, das Tante Ulrike mit Weisheit und merkwürdiger Unparteilichkeit leitete.

Um diese Zeit erzählten Waldarbeiter in Brauneck die unglaubliche Tatsache, man habe den Grafen Thorstein wieder im Walde, mit seiner Staffelei auf dem Rücken, der Lodenjoppe und dem dreimal verfärbten Filzhütchen gesehen. Der Ruinengraf, wie er leibte und lebte, und nicht, wie wenn er inzwischen sich ein Goldhaus und eine Prinzessin erobert hätte, denn Haus Thorstein wurde nach den Goldmosaiken, dergleichen man nie in der Gegend gesehen, das Goldhaus genannt.

Es gab für Rosmarie einen schweren Abschied von den Tanten, sie hatte sich besonders an die stachelige Tante Ulrike angeschlossen, sie fühlte eine zarte Güte aus ihr heraus, die sich unter der streitbaren Außenseite verbarg.

Und nun war Rosmarie allein in ihrem so heiß ersehnten Goldhaus. Die weißblaue Fahne auf Schloß Brauneck war eingezogen und die Lichter in dem großen Bau verschwanden bis auf des Herrn Domänenrats Arbeitslampe.

Draußen rieselte ein mit Regen gemischter Schnee herab auf Rosmaries zukünftigen Garten, auf die grünen Beete und die gelben Wege und die entlaubten Kronen der Eichen und Buchen des Schloßberges.

Rosmarie sah in ihrem Schmollzimmer an ihrem Sticktisch, der mit bunten Seidensträngen bedeckt war. Alle Morgenpflichten sind bereits erledigt. Sie war bei der Köchin gewesen, die halb empört vor dem kleinen Braten und der Puddingform gestanden hatte, empört darüber, daß ihre Künste zu nichts weiterem begehrt würden.

»Dafür könnte sich die Prinzessin ein Mädchen für alles anlernen,« brummt sie hinter der jungen Hausfrau her. Für Lisa eine Arbeit zu finden, war eine Kunst gewesen. Die großen Schränke waren so voll von neuen Dingen.

Nun näht sie blau und rosa Jahreskleidchen, denn Rosmarie war eingefallen, daß sie eigentlich jedem im Dorf Thorstein geborenen Kinde ein Kleidchen schenken könnte. Alle gleich, damit die Frauen nicht aufeinander neidisch würden. Harro hat sich in sein Atelier mit dem Bild, das heute fertig werden soll, eingeschlossen.

Nun fliegen Rosinaries feine Hände auf und ab, die Nadel blitzt, draußen fällt der Schnee wieder dichter, der grüne Rasen bekommt schon eine weiße Decke.

Wenn es nur nicht gar so still wäre! Der Schnee so still und in dem Hause eine Stille! Nicht wie in Brauneck, wo man von den vielen Steingalerien her immer Schritte hört, wo die Lisa in der Nähe hantiert, irgendwo ein Jagdhund blaffte, oder ein Wagen über das uralte Pflaster des Hofes rollte.

Auf Rosmaries farbenbunten Strängen glitzern zwei Perlen. Erschrocken sieht sie aus. Wenn das jemand sähe! Tränen hier. Im schönsten Haus, nur wenige Schritte von Harros Atelier!

»Aber Rosmarie! Und mache dir nicht vor, daß du um Vater weinst, der jetzt nach Berlin fährt. Oder nach dem Holzwagen, der jetzt in Brauneck über das Pflaster holpert.«

Und es sinkt die Arbeit herunter, und Rosmaries Kopf mit den goldenen Flechten, die sie ja hier ruhig hängen lassen kann, sinkt auf ihre Hände.

Draußen fällt der Schnee und ein Rabe schreit von der hohen Tanne. Einen Augenblick, dann hebt er seine Flügel und streicht davon. Rosmarie erhebt wieder ihr schönes Gesicht.

»Es ist eine Schande, und ich möchte wissen, was du eigentlich zu klagen hast!« Aber ihre Seele klagt: »Es ist ein Schleier zwischen mir und Harro und er wird jeden Tag dichter. Wenn ich nach ihm taste, so greife ich in das Gespinst. Und seine Augen brennen immer ferner und ferner. Es ist etwas an mir, das er liebt, und etwas, das er fürchtet. O Gott, ich bin zum Fürchten. Ich habe etwas an mir, was zum Fürchten ist.«

Sie steht auf und geht hin und her in ihrem mit so viel Liebe geschmückten Heiligtum, die Augen, die sanften, auf den Boden gerichtet, ihre schmalen Hände an die Schläfen gedrückt, als könne sie die Gedanken bannen, die da anstürmen.

»Er liebt mich, ich fühl's, wenn er meine Hand berührt, seine Blicke brennen auf mir, wenn ich mich auf meine Arbeit beuge. Und er will mich nicht in seiner Nähe dulden.

Nein, er hat die Türe vor mir geschlossen und er weiß doch, daß ich ihn in seiner Arbeit nicht störe. Was habe ich an mir, das zum Fürchten ist? Als ich klein war, sagten sie, ich sei ein unheimliches Kind. Ich sähe die Toten. Aber ich sehe doch jetzt nichts mehr. Nicht den Schönsten, nicht die Gisela. Und es ist etwas an meinen Händen und meinen Haaren, das er fürchtet.« »Oh, das ist zu wenig,« klagt die Seele, »es ist etwas, das ihm Qual macht.«

»Das sind nicht nur Schleier, das ist eine eiserne Wand, die dahinter verborgen ist. Meine Seele sucht die seine und findet sie nicht mehr. Bitter und süß zugleich ist meine Liebe geworden. Warum lief ich so lange blind herum und versteckte mich vor meiner eigenen Seele und erstickte ihre Klagen.«

»Du schaltst sie töricht, deine Seele, die ist's nicht – du bist's, Rosmarie, die du dich vor dir versteckst und von seinen hie und da zugeworfenen Gnaden gelebt hast.«

»Nein, sag das nicht ›zugeworfenen Gnaden‹ – ein so bitteres Wort sagst du von deiner Liebe, Seele?«

»Spinn deine rosenfarbenen Nebel, Rosmarie, und verstecke dir ein Weilchen noch die eiserne Tür – du weißt ja doch, daß sie vorhanden ist. Bist du denn eine Frau hier in seinem Hause? Bist du nicht ein Gast, wie die Tanten, den er lächelnd Hausfrau spielen läßt, wie du es ehemals mit deinem Teegeschirr tatest. Mit deinen Dienstboten und deinen Zimmern spielst du Frau, wie du es mit deiner Silbertanne getan. – Hast du denn ein Recht, in sein Atelier zu kommen, seine Räume, – du fühlst schon lange, daß er es nicht liebt, und heute hat er die Tür vor dir geschlossen.«

Sie steht vor ihrem Spiegel, der schmal und lang in die Wand eingelassen den Garten, der draußen liegt, widerspiegeln und seine Freundlichkeit hereintragen soll. Sie sieht ihre großen, schmerzerregten Augen, aus denen ihre Seele fragt und weint, und ihr schönes stolzes Gesicht, zu dessen beiden Seiten die langen goldenen Flechten hängen. Ihre weiche, feine Gestalt, an der nichts verdorben und verkleinlicht ist, in ihrem grauen Tuchkleide, das um den Hals eine breite Venetianerspitze abschließt. Und ängstlich wandern ihre Augen an ihrem Bilde hin, als müsse ihr plötzlich das Seltsame, Unheimliche entgegenspringen, vor dem Harro sich fürchtet.

»Sind meine Haare nicht wie gesponnenes Gold und weich und duftend? Könnte ich nicht sein geliebtes Haupt in die goldene Flut betten, und sind nicht meine Arme, die ich um seinen Hals schlingen könnte, weißer als alles, was es Weißes gibt?

Oder sieht er einen schwarzen Flecken in meiner Seele, vor dem ihm graut? Aber wenn Gottes Augen selbst herein sähen, so fänden sie viel, was klein ist und am Boden klebt. Unkraut und Brennesseln. Aber die schöne Liebe geht doch durch den armen Garten. Festlich geschmückt ist meine Liebe und trägt ihren Rosenkranz, und Harro selbst sieht, daß ihr Atem durch alles weht.«

»Ach, Rosmarie, du bist ein törichtes Kind. Er will das alles gar nicht. Er ist ein stolzer Mann und er hat seine Kunst, der er dienen muß, sie ist seine strenge Herrin. Du mußt demütig sein. Nicht verlangen, daß er dir zu viel von seiner Seele gebe. Du mußt zufrieden sein mit den Brocken, die er dir zukommen läßt.«

»Nein, Rosmarie,« spricht die Seele: »Du mußt nicht zufrieden sein, das ist der Tod. Du gibst alles.«

»Alles?« Eine dunkle wunderliche Welle streicht über ihr Herz und färbt ihr die Wangen mit heißem Rot.

»Gibst du alles?«

Die Seele rüttelt an Türen mit eisernen Schlössern: »O Rosmarie, sallo dio, daß du dumm bist. – Tumb sagt Tante Helene ... Oh, die Gedanken, die seltsam quälenden Gedanken. Wie eine Glut über mich ...«

Sie ist längst vor ihrem Spiegel geflohen und hat sich in den dunkelsten Winkel gesetzt und ihren goldenen Kopf in ein Seidenkissen versteckt.

Ihr Herz klopft zum Zerspringen und unbarmherzig hämmern die Gedanken.

»Du glaubtest, du stehest als Königin mitten in Harros Königreich – aber nein, du stehst draußen in der Kälte und im Schneewind, und die Raben schreien um dich.

Die eiserne Türe ist zu, und durchs Schlüsselloch magst du sehen, wie es da innen schön und lieblich ist und wie es wohl blühen mag von Sonnenblumen und blauen Glockenkerzen und Rosenbüschen und Lauben, in denen die Goldflecken auf dem Boden liegen. Betrüg dich nicht mehr, Rosmarie, wie du es all die Zeit getan. Sieh ihm fest in die Augen. Laß die törichten Tränen, die machen dich nur schwach und jämmerlich. Zwinge ihn, daß er dir Rede steht. Wenn er dich nicht liebt, wie die glücklichen Frauen geliebt werden, so ist er doch immer dein Freund gewesen. Und du trägst seinen Namen, darum soll er keine Türen vor dir schließen. Und irgendwo in deiner armen Seele wird doch noch ein Fetzen Stolz sein.«

Da springt ein helles Hämmern in ihr auf, wie wenn man auf einen Schild schlägt.

»Ich bin da, Brauneckerin. Und dumme Tränen verbiete ich dir. Und nicht weich werden, wenn du seine lieben – o seine lieben Augen siehst. Wenn du ja nur seinen Schritt hörst, so wirst du weich, du bist dankbar, wenn er sagt: Rosmarie, fleißig gewesen? Laß dir keine Brocken mehr zuwerfen,« hämmert das Klingen und Klopfen auf dem alten Schild.

Sie erhebt sich. Sie streicht ihre Locken zurück, die ihr ins Gesicht gefallen sind, sie braucht keinen Blick nach dem Spiegel zu werfen. Ihre Seele ist so klar und rein von den vergossenen Tränen, daß sie nicht daran denkt, bei dem Hilfe zu suchen, was sie vor tausend anderen voraus hat.

Sie geht durch den kleinen Wintergarten, in dem die Chrysanthemen blühen, und klopft.

Ein Rücken, ein Schurren, und: »Bist du's, Rosmarie?«

»Ich bin's, öffne!«

Die Tür geht auf. Harro steht da, ganz bestaubt und ärgerlich. Auf dem Boden ein unordentlicher Haufen von Mappen und Skizzenblättern, manche durchgerissen.

»Entschuldige. Es ist ein Greuel. Ich suche. Damit kann Feuer gemacht werden.«

»Mit all dem?«

»Ha, alte Schalen. Und was ich brauchte, doch nicht darunter. In Ewigkeit nicht ... Die Köchin kann damit Kaffee kochen.«

Rosmarie kniet auf den Boden nieder und greift nach einer Ölskizze. Ein nacktes, über einen Schemel gebeugtes, sehr junges Mädchen mit unedlen Formen und einem halb stumpfsinnigen, halb jämmerlichen Gesichtsausdruck.

»Ein Modell,« erklärt Harro. »Abscheulich. In Berlin vom Modellmarkt. Ich habe noch schrecklichere. Nein, ich glaube, es eignet sich doch nicht für die Sophie und die Babett, zum Verbrennen und zur Aufklärung.«

»Wie unglückselig das Mädchen aussieht. Sie tat es wohl um Geld, Harro.« »Sie sehen nicht alle so aus. Vielleicht habe ich den Ausdruck noch übertrieben ...«

»O nein. Du malst die Seele, Harro, auch wenn du's nicht weißt. Ist das furchtbar, so etwas tun müssen! Und du warst nicht allein. Es waren noch andere da ... die Arme.«

»Ja, du lieber Himmel, Rosmarie, wie sollen wir es denn machen. Die hat uns auch weh getan. Das soll dann eine freudige Kunst geben! – Pah – Was wolltest du übrigens?«

»Ich kann dir räumen helfen.«

»Das macht Märt. Laß deine weißen Hände davon. Sieh mich an, wie staubig ich bin.«

»Da ist soviel darin von deiner Arbeit. Vielleicht finde ich doch etwas Schönes.«

»Vergeblich. Alter Kram, abgenagte Knochen.«

»Aber Harro, du hast ja ein neues Bild aufgespannt und sagst mir's nicht, Oh, der singende Brunnen, die Mauer mit dem Rosenstrauch! Und die zwei Gestalten?«

»Es wird nichts werden. Ich hatte einen Traum gestern. Und ich sei doch mit dir in Schweigen gewesen und du hättest mir die Sage von dem Braunecker und der Fee erzählt. Und du warst wieder das Seelchen und sehr eifrig dabei und wußtest alles ganz genau.«

»Nie bist du mit mir dort gewesen und hast es mir doch versprochen.«

»Sie wollten es ja alle nicht.«

»Und weißt du nun die Sage?«

»Natürlich nicht genau. Nur soviel, daß die zwei an einem Brunnen standen, der Ritter und die Fee. Und es war mir noch so warm im Herzen, daß ich die Skizze hingeworfen habe, aber weiter wird es wohl nicht gedeihen.«

»Warum? Ist das schöne Feuer schon wieder erloschen?«

Harro bohrte die Hände in die Taschen und zuckte die Achseln. Rosmaries Augen sahen auf den Boden. Die Skizzen alle – es zuckt etwas durch ihr Herz, eine dunkle Röte steigt in ihre Wangen, und etwas spricht in ihr: »Heute morgen wolltest du ihm alles geben. Alles, alles. Und jetzt marktest du!«

Harro ist ins Nebenzimmer verschwunden, und sie hört ein Wassergeplätscher. Da fällt ihr ein, daß sie noch nicht einmal ihres Mannes Schlafzimmer kennt. Als sie das Atelier anzusehen gekommen war, hatte er es verschlossen gehabt. Und seither war sie nie allein hier gewesen. Aber nun will sie hinein. Und Harro kommt wieder heraus und sagt: »Ich gehe Märt holen. Er soll den Greuel fortschaffen.«

Und kaum ist er draußen, so schlüpft sie hinein. Ein hoher schmaler Raum mit Fenstern nach dem Garten hinaus. Die Wände weiß gestrichen, ein langes uraltes Bett aus schwarzem Eichenholz mit plumpen Beinen. Darin ein weißes Laken über etwas Hartem, Knisterigem, ein kleines Kopfpolster, und eine wollene Decke zwischen einem andern Laken. Eine große runde Holzbütte, über der ein Wasserhahn aus der Wand ragt, ein eiserner Waschtisch mit einem grün glasierten Krug und eine Schale. Ein tannener Kasten, in dem wohl Wäsche ist. Keine Vorhänge an den Fenstern, kein Teppich auf dem Boden. Rosmarie hat einmal eine Mönchszelle gesehen, die war wohnlicher.

Und drüben ihr Himmelbett mit seinem Spitzengehänge und den seidenen Decken, ihre Kristallspiegel, ihr Waschtisch mit blauen Kacheln, ihre geschnitzten Schränke. Hier baumelt ein einsames Badetuch an der Wand an einem Nagel, und ein Spiegel ist da, grün gerahmt und handgroß.

Rosmarie setzt sich auf das harte knisterige kleine Kopfpolster. Und plötzlich steht er in der Türe.

»Rosmarie, was tust du da?«

»Ich schäme mich.«

»Ja warum denn?«

»Es ist so ... so arm hier. Und was hast du für ein goldenes Haus um mich gebaut.«

Harro lacht. »Schlägt dein Hausfrauengewissen? Du kannst ruhig sein, Rose. Ein Daunenbett wie bei dir, das hielte ich nicht aus.«

»Aber sag mir doch, worauf du liegst. Es knistert so seltsam?«

»Stroh, Teuerste. Frisches, schönes Stroh. Ein ganz neues Bett jedes halbe Jahr. Das bekommst nicht einmal du. Man schläft großartig darauf, und es hat den Vorzug, es wirft einen am Morgen von selbst heraus. Man kann beim Aufwachen nicht zum Augenblicke sagen: Verweile doch, du bist so schön!«

»Ich will auch ein Strohbett, Harro!«

»O du törichte Rose. Komm gleich, es hat zum Essen geläutet, und ich habe Hunger, übrigens saß die Fee so auf dem Brunnenrand, wie du eben auf dem Knechtsschragen.«

»Sie war wohl tausendmal schöner als ich.«

»Oh, du möchtest eine Schmeichelei hören, Rose.«

Sie gehen hinüber zum Essen. Es wird schon so schnell dunkel. Und Harro eilt heute nicht wie sonst zu irgendeiner Arbeit davon. Seine Hände, die nicht müßig sein können, kneten Wachs und Plastilin, und wenn etwas Gestalt gewinnen will, zerdrückt er es wieder.

Rosmarie ist heute so schweigsam! Und sie läßt ihn so schön in Ruhe. Sie streicht kein einziges Mal mit ihren feinen Händen an seinen Schläfen herunter, und sie kommt ihm nicht mit dem Duft ihrer Haare zu nahe, daß sein Herz so wild hämmern muß. Ein klein wenig sehen ihre Augen aus, wie wenn sie geweint hätte. Aber ihre Stimme ist ganz klar. Und sie sitzt so schön weit weg von ihm und beugt ihren goldenen Kopf so tugendreich über ihre Stickerei.

Eine zweite Schwanenjungfrau wie seine Rose gibt es nicht noch einmal.

»Und der Ritter,« fragt sie plötzlich.

»Der Braunecker? meinst du. Ja, woher den nehmen?«

»Sei du der Braunecker, Harro.«

»Ich werde wohl müssen. Ich wollte deinen Vater nehmen. Gibt es vielleicht ein Jugendbild von ihm? Oder war der Ritter gar nicht mehr so jung.«

Rosmarie schaut auf. »Ich glaube, ich weiß die Geschichte, Harro.«

»Ei, wie merkwürdig. Durch Inspiration. Jetzt eben?«

»Ich habe die Geschichte doch heute nacht in deinem Traume gewußt, Harro.«

Sie lächelt fein und eigen. Harro wirft sich in seinen Stuhl zurück und lacht behaglich.

»Nun erzähle. Wenn aber keine Schwanenjungfrau darin vorkommt, so bin ich enttäuscht.«

»Schwanenjungfrau?«

»Das ist eine nordische Sage. Königstöchter, die Schwanengewänder haben, in denen sie fliegen können. Kennst du nicht das Bild von Burne Jones, wo sich die Schwanenjungfrauen an dem See niederlassen und ihre Gewänder abwerfen? Wenn nun einer die Gewänder findet und sie ihnen wegnimmt, so sind sie gefangen und können nicht mehr zurückfliegen. Aber der das Schwanengewand hat, muß es verbrennen, denn sonst findet es die Königstochter eines Tages, und wenn sie dem Manne auch Kinder geschenkt hat, so muß sie doch davon. Und wenn sie ihr Gewand wieder übergeworfen hat, ist sie wieder Jungfrau geworden. Und der Mann hat keinen Teil mehr an ihr und kann ihr in die blaue Luft nachsehen.«

»Nun weiß ich nicht, ob du zufrieden sein wirst, Harro.«

Und Rosmarie erzählt.

»Es war ein Braunecker, ein Ritter in Eisenharnisch und Sturmhaube. Er ritt durch einen grün-grünen Wald. Auf feinem Schilde brannte ein rotes Kreuz, denn er war auf dem Wege zum Heiligen Grabe, zu dessen Befreiung er sich verlobt hatte. Seine Mannen ritten hinter ihm drein, und das Schnauben ihrer Pferde, das Klirren ihrer Rüstungen scholl durch den Wald, daß die Vögel von den Zweigen aufflogen und ihr Singen verstummte. Da sah der Braunecker, daß ein grüner Pfad vom Wege abbog, und gleich am Eingang stand eine hohe brennend rote Lilie, wie er noch nie eine gesehen hatte. Da ritt er in den Weg hinein, weil es ihn lockte, und er dachte, er werde schon wieder auf die breite Straße zurückkommen. Die Hufe seines Pferdes versanken fast lautlos in dem hohen weichen Gras. Schmetterlinge flogen vor ihm her, und die Zweige der Buchen neigten sich wie ein grünes Tor. Da hörte er von ferne ein wunderbares Klingen und Tönen, als sänge das Vöglein Wunderhold, und wieder war's, als lachte es, und auch das Lachen wurde zu einem feinen, perlenden Strahl. Da ritt er den Tönen nach immer weiter und tiefer in den grün-grünen Wald. Da öffnete sich das grüne Tor, und er kam auf eine kleine Wiese, hinter der eine hohe Felsmauer aufstieg. Die Wiese stand voll weißer Sternblumen und blauer Vergißmeinnicht, und an der Felswand rauschte ein Brunnen. Der hatte drei übereinandergestellte Schalen, aus denen die Wasser fielen, aus der bronzenen zu der steinernen Schale. Und auf dem Rand der untersten Schale saß die Fee ...«

»In einem grauen Tuchkleide und mit hängenden Zöpfen?«

»Ach nein, Harro, gewiß nicht. Wie die weiße Mohnblüte, wenn sie die grau-grünen Knospenwände gesprengt hat. Und von ihren goldenen Haaren war ihr Mantel gewoben und glänzte in der Sonne.«

»O Himmel!« rief Harro, »das war frühes Mittelalter, und die Fee war eine Heidin, und so schön war die Geschichte gar nicht. Wie eine zarte Mohnblume, die blaue Adern hat. Himmel!«

»Da stieg der Ritter von seinem Pferde, und die Fee raffte ihre goldenen Haare über der Brust zusammen, und über ihnen sang eine Drossel, und im Brunnen klang es wider und auch das eiserne Klirren seines Panzers, und daraus wob der Brunnen sein Lied vom Vöglein Wunderhold. Da legte er sein Gewaffen auf den grünen Samt der Wiese nieder.«

»Und warf sich auf die Knie vor der Fee.«

»Da neigte sich die Fee zum Brunnen.«

»Da tauchten die Enden ihres goldenen Mantels ins Wasser, und es perlte von ihren Händen.«

»Und sie zog aus dem Brunnen eine köstliche Perlmuttermuschel mit grauem Silber beschlagen und gab ihm zu trinken. Und er trank und bot es ihr wieder und sie trank auch. – Da wurden die zwei eins, und er vergaß die ganze Welt und das rote Kreuz auf seinem Schild. – Er holte aus seinem Mantelsack einen purpurseidenen Mantel und schlug den um sie und ritt mit ihr nach seiner Burg zurück. Und der alte Burgpriester gab sie zusammen, nachdem er zuvor ihre Stirn mit dem heiligen Wasser benetzt hatte. Und da konnte sie reden mit einem Male, denn zuvor hatte sie kein Wort gesprochen. – Und weil sie zuerst geschwiegen hatte, und weil er die Welt von seinem heimlichen Glücke fernhalten wollte, nannte er sie und seine Burg »Schweigen«. Und sie werden zuerst vielleicht glücklich gewesen sein. Ich weiß es ja nicht. Und dann stieg leise etwas auf zwischen ihm und Schweigen. Es war zuerst nur wie ein Nebel, der zarteste Nebel aus einer Wiese am Sommerabend. Und dann wurde der Nebel dichter und immer dichter, daß ihre Augen nur noch von ferne einander begegneten. Und Schweigen ging mit leisen Füßen seinen Schritten nach und stand vor verschlossenen Türen, und zuweilen war morgens ihr Kissen naß. Sie mußte wohl im Schlafe geweint haben, denn bei Tage hatten ihre Feenaugen keine Tränen. Die kennen sie nicht, die Tränen, in dem Lande, wo sie herkam. Und reden konnte sie nicht und den Nebel mit festen Worten anfassen und zerstreuen, denn sie war nicht von vielen Worten und trug ihren Namen immer noch mit Recht, Und sie dachte: Ich bin nicht von der Art, wie die Frauen und Mägdlein der Menschen sind, darum hat sich seine Seele von mir gewendet. Und vielleicht, wenn ich am Tage weinen könnte wie die anderen, so vergäße er, daß ich von fremder Art bin. Aber der Braunecker saß in seiner Kemenate, die weit über das blaue Land schaute, wo die Menschen gingen und ritten, einzeln und in Zügen, und wo mancher Wimpel flatterte, und woher die Sommerluft ferne Rufe trug. Und neben ihm stand sein Schild, auf dem das rote Kreuz brannte. Tag und Nacht stand das rote Kreuz vor seiner Seele, das er verraten hatte, um des Weibes willen. Und doch konnte er sich nicht von ihr trennen, denn er liebte sie. Und die Fee allein lassen in der Welt, von der sie nichts wußte und verstand, das konnte er nicht. Und einmal geschah es, daß ein Sonnenstrahl durch das Schlüsselloch glitt in seine Kemenate und auf das rote Kreuz fiel, so daß sie, die davor stand, es sehen konnte. Da dachte sie, das ist der Zauber, der uns trennt, der schlimme Zauber. Wenn ich den zerstören könnte, so wäre er wieder mein. Und sie schlich sich eine Nacht mit bloßen Füßen, als er schlief, in die Kemenate und hatte einen kleinen Hammer in der Hand und wollte den Zierat von dem Schilde lösen und ihn zerstören. Es schien der Mond mit blauem Licht. Ein Kauz saß im Fenster und sah herein mit runden gelben Augen und schlug mit den Flügeln. Aber als der erste Schlag erklang, so hell und metallen, da fuhr der Braunecker, der nebenan schlief, auf, sie hörte ihn seufzen und im Traume reden, und sie beugte sich über ihn und horchte auf seine träumenden Worte und er sagte: In mein Herz hat es sich gebrannt, das rote Kreuz, in mein Herz. Da sah sie, daß es unnütz war, den Zierat vom Schilde zu lösen, wenn das Zeichen doch in seinem Herzen saß. – Da beugte sie sich über ihn und küßte ihn, und da kamen ihr die ersten wachenden Tränen. Und sie löste ihren Gürtel und ließ das schwere Samtgewand zu Boden fallen, das sie als des Ritters Weib trug, und glitt heraus aus ihrem Linnen und löste ihre goldenen Haare. Dann ging sie ans offene Fenster, da flog der Kauz mit einem Schrei davon und bald rauschte es von Flügeln in der Luft, Eulen und Käuze in schwarzen Zügen kamen geflogen. Runde gelbe Augen leuchteten wie kleine Goldkugeln, und mondgraue Schwingen schlugen gegen das Gemäuer. Und als sie sah, daß es ihrer genug waren, da warf sie eine seidene Decke über das Gevögel und stieg hinaus. Die trugen sie auf ihren Flügeln davon in der Mondnacht, ihre langen Haare wehten hinter ihr drein, und die kleinen Nachttiere, die Fledermäuse und die großen Nachtfalter umgaben sie mit ihrem Fluge. Dreimal umflog sie das Schloß der Braunecker, und sie sprach: du sollst stehen bleiben, wenn einst rings herum alles in Trümmern liegen wird. Und ich danke dir, Braunecker, du hast mir Tränen gegeben. Und komme ich damit zum Himmelstor und zeige mein Perlengeschmeide, so wird mir der Pförtner die ewigen Türen öffnen. Dafür danke ich dir. Und sieh zu, daß du selbst des Weges nicht verfehlst. Und als sie dem Nachtwind, der um die Türme geht, die Worte aufgetragen hatte, verschwand das Gevögel mit ihr in der unendlichen Sternennacht. – Als der Braunecker am andern Morgen erwachte, da war er allein und lag nur das Gewand da und ein silbernes Hämmerlein neben seinem Schild. Da merkte er, daß Schweigen verschwunden war. Da nahm er seinen Schild auf und ritt zum heiligen Grabe. Und er fiel bei Accon, und so wird er wohl des Weges nicht verfehlt haben.«

»Du hast einen Fehler gemacht, Rosmarie. Sie muß ihm doch etwas anderes zurückgelassen haben als nur die leeren Gewänder. Wenn ich von etwas tödlich überzeugt bin, so ist's, daß du in direkter Linie von der Fee Schweigen abstammst. Sie ist mir zu sehr Schwanenjungfrau, deine Fee Schweigen!«

»Aber du wolltest doch von Schwanenjungfrauen hören!«

»Deine Fee ist schlimmer als meine Schwanenjungfrau.«

»Ich weiß nicht, was fehlen soll.«

»Nun, es muß an irgend einer Stelle heißen: Und sie schenkte ihm einen Sohn. – Das tun die Schwanenjungfrauen immer, ehe sie sich davon machen. Laß wenigstens in einer Nacht dein mondgraues Gevögel wiederkommen und in den Teppich, den sie doch mitgenommen, ein Kind gewickelt liegen. Der alte Burgpfaffe kann es aufziehen. Dann hast du das Recht zur Fee Schweigen als Urahne.«

»Du weißt offenbar die Geschichte besser als ich, Harro. Und nun gute Nacht. Du bist sehr bald aufgewesen, ich habe in grauer Frühe dein Licht aufblitzen sehen. Und morgen wirst du fleißig sein wollen.«

»Es eilt nicht zu morgen. Du hast die Fee Schweigen gesehen, nicht ich.«

Rosmarie nickte nur gute Nacht und ergriff ihre bunten Seiden und ging zur Tür. Er hatte gerade noch Zeit, diese aufzureißen, da enteilte sie schon.

»Mit leisen Schritten, wie Königinnen schreiten,« murmelte Harro.

Eine Weile ging er auf und ab, dann riß er das Fenster auf. Eine wilde Schneewehe schlug herein. Er sog den harten Atem der Nacht ein... noch mehr, noch mehr... den ganzen Körper müssen sie durchrasen, die wilden Ströme. Er warf das Fenster zu und ging mit langen Schritten in sein Atelier.

Rosmarie, die drüben an ihrem Fenster stand, sah das Licht aufblitzen und wieder verschwinden, hörte im Brunnen seine Schritte hallen und durch das Getöse der Sturmnacht und das schwere Zufallen der Schloßpforte.

Ich habe ihn fortgetrieben, denkt Rosmarie. Dann läutet sie ihrer Lisa. Die kämmt und bürstet ihr Haar und flicht es dann wieder für die Nacht und erzählt ihr dabei, wie Weihnachten immer so schön war in Brauneck. Und ob die Köchin wohl auch die echten richtigen Honiglebkuchen backen könne, nach denen allemal das Braunecker Schloß rieche?

»Das Rezept müssen wir uns verschaffen, und wenn die Köchin nicht will, so werden wir beide uns daran machen.«

»Sie wird nicht wollen, Durchlaucht, sie ist eine herrische.«

Dann schicken wir sie auf einen Nachmittag fort und tun, was wir wollen. Und vielleicht schneidet uns der Herr die Lebkuchen aus, dann sollst du einen schönen Mann bekommen.«

»Lieber einen solchen, dem man den Kopf abbeißen kann, wenn er einem nicht paßt, als einen rechten,« meint die Lisa. »Was unsereins einmal kriegt... du lieber Gott!«

Und nun hat Lisa ihre Herrin zu Bett gebracht und ist gegangen.

Auf Rosmaries Tischchen am Bett ist eine schöne Lampe, ein Vogel Rock, der in seinen Klauen den leuchtenden Stein fortträgt. Die darf sie ja nur ausknipsen. Das ganze festlich schöne Gemach liegt im Dämmern. Rosmarie hört noch Lisa in ihr eigenes Zimmer am Ende des Ganges gehen und die Tür schließen. Und nun ist's totenstill. Außen heult der Winterwind um den Bergfried, aber er kann es lange nicht so vielfältig wie in den Braunecker Galerien. Eine ganze Skala von Tönen fehlt ihm.

Und im Haus ist's auch so still. Keine Treppen knarren geheimnisvoll von verstohlenen Tritten, es schweift nichts die Wände entlang, als glitten Hände über alte heißgeliebte Stätten.

Die junge Seele des Hauses Thorstein ist wohl noch halb im Schlaf. Rosmarie wirft ihre Decken hinweg und steht mit nackten Füßen mitten in ihrem Zimmer.

»Ich will nichts für mich behalten. Nein, ich markte nicht.«

Und sie löst mit bebenden Fingern ihre Flechten und schüttelt die Wogen zurecht und knöpft am Halse das weiße Nachthemd auf und läßt es von den Schultern gleiten.

Da steht auf dem Teppich im Dämmer wohl die schönste Lilie aus Gottes Wundergarten. Dann geht sie vor den Spiegel und hält die Hände vor die Augen, und durch die feinen Finger perlen Tränen, und ein Schauer geht über die weiße Gestalt.

»Du mußt dich gewöhnen,« flüstert sie. »du mußt. Willst du morgen zittern und erbleichen und seine Künstlerfreude stören? Wenn er sieht, daß du leidest, so ist dein Opfer umsonst. Nein, was du gibst, mußt du mit Lächeln geben können.«

Und dabei sinkt sie zusammen und gräbt ihr Gesicht in ihre Arme. Die weiße Lilie zittert wie im Gewittersturm. Die goldenen Lichter huschen über die wogenden Haarwellen.

»Du bist eine Närrin, Rosmarie. Wer verlangt es denn von dir? In großen Worten und in Anklagen kannst du dich ergehen, aber wenn du einmal, einmal etwas um ihn leiden sollst, so windest du dich.

Und du hast ihn in die Nacht getrieben und in den Sturm. Um dich liegt er in der Zelle da drüben auf dem Stroh.«

»Wer sagt dir denn das?« trotzt die Prinzessin. »Ich, deine Seele, sage es dir.«

Und Rosmarie erhebt sich, wischt die Tränen aus den Augen und geht nach der Wand, wo der kleine Knopf ist und dreht, daß das Zimmer in strahlende Helle getaucht ist. Von der Decke herab leuchten die gläsernen Rosengewinde auf in warmem gelbem und rötlichem Licht.

Und Rosmarie blickt auf ihr weißes Bild im Spiegel mit herrischen grauen Augen und teilt ihr Haar über der Stirne und drückt die goldene Spange hinein und flüstert:

»Es müssen weiße Rosen sein, der Gärtner muß sie morgen früh von Brauneck bringen.«

Sie nimmt von dem Bord an der Wand eine perlmutterne, von grauem Silber umwundene Schale und rückt Stühle vor den Spiegel und bedeckt sie mit einem grünen Tuche, und nun versucht sie das Bild zu stellen und dann macht es ihr Vergnügen. Ist es schön genug? Das Beste muß er ja selbst dazu tun. Und dann greift sie nach dem Knopfe und dreht alle Lichter aus, auch das im Vogel Rock.

Haus Thorstein liegt in finsterer Nacht. Und nur der Wind hat das Wort und die treibenden Schneewolken.

Rosmarie frühstückt immer allein, denn sie steht ja so viel später auf. Sie hat heute morgen telephoniert und ein Reitknecht hat aus Brauneck schon die Rosen gebracht. Sehr spät ist Harro heute nacht heimgekommen. Nun tritt er herein ganz frisch und durchblasen vom Wind, denn er kommt von einem Gange zurück. Er hat einen großen Tannenzweig voll schwerer rötlicher Zapfen an der Hand.

»Guten Morgen, Frau Königin. Da rieche einmal. Herrlich, nicht wahr? Vom verlorenen Grund. Es war heute morgen noch nicht viel los... aber sieh, wahrhaftig, es hellt sich auf!«

Einen Sonnenblitz zwischen jagenden Wolken, daß das Silbergeschirr aufglänzt und alles einen Augenblick im Goldglanz schwimmt.

»Noch mehr von dem, Frau Sonne, das tut wohl! Man meint, sie sei gestorben, die gute, und nun kommt sie und sagt: Ich bin da.«

»Dann kannst du heute malen, Harro...«

»Ei, hat die Fee endlich ihre Sprache gefunden? Was gibt's, Rose? Hat die Köchin gekündigt, oder hat meine liebenswürdige Schwiegermama einen Brief geschrieben? Du bist so feierlich wie das Seelchen, wenn es etwas ganz Besonderes ausgeheckt hatte. Gestern abend hast du mir eine schöne Geschichte erzählt...«

»Du hast sie ja getadelt.«

»Habe ich? Welch ein schnöder Mensch! Ach die schönen Rosen, woher?«

»Von Brauneck, heute morgen.«

»War der Gärtner so zuvorkommend? Hast du etwas anderes als das süße Zeug da, so kannst du deinem armen Mann wohl anbieten.«

»Hier in der Schüssel ist Schinken, heiß, dort Filet, aber kalt.«

»Herrlich, üppig!«

Und seine Augen schweifen verstohlen. Sie ist so sonderbar gestern und heute. Sollte sie es mit Launen bekommen, die Rose? Aber vorderhand läßt er es sich sehr gut schmecken, und Rosmarie bedient ihn mit gewohnter Aufmerksamkeit. Und der Himmel hellt sich zusehends auf, die Wolken rollen wie graue Vorhänge auseinander und schlagen sich ins Tal. Das ist nun unter einer weißen Daunendecke zugeschüttet und verborgen.

»Sieh, Rosmarie, wie das wogt. Als Kind litt ich an Sehnsucht, mich einmal ungestraft in das weiche Gewoge stürzen zu dürfen, das wäre ein Bett gewesen!«

»Und nun hast du ein Strohlager, Harro!«

»Das scheint dich anzugreifen, Prinzessin. Sieh, wie das glänzt. Nun sind wir die Herren der Welt auf unserem Berg. Und der Gabelweih dort. Wir sehen seinen braunen Rücken, wir sehen auf ihn herunter. Du nimmst dir ja die Fee Schweigen heute gänzlich zum Vorbild, Rosmarie!«

»Oh, es ist sehr schön. Und ich horche auf die Glocke, die da heraufklingt, aus der versunkenen Welt. Und arbeitest du jetzt, Harro?«

»Ich gehe wenigstens hinüber.«

»Ich möchte auch kommen, Harro. Ich werde aus den weißen Rosen einen Kranz winden um mein goldenes Band. Und ... ja ... wenn du meinst, ich sei heute ein wenig... ein wenig Urahne ...« sie errötet heftig, »kannst du nicht eine Skizze nach mir machen?«

Harro dreht sich hastig nach ihr um. Aber sie hält die Augen fest auf die Rosen geheftet, die sie eben auseinander nimmt.

»Das ist ja sehr gütig von dir,« murmelt er, »sehr gütig.«

Zum Zerspringen klopft ihr Herz... Er wird vielleicht sagen: »Nein, ich kann dich nicht brauchen,« oder: »Nun bin ich schon an etwas anderem,« und wird wieder neue Schlösser vor die eiserne Tür hängen.

Aber er redet nichts und sie fühlt seine Augen auf ihr brennen. Endlich sagt er mit veränderter Stimme, so gequält heiter, wie er vorher natürlich war:

»Du langweilst dich wohl, Rosmarie, so allein hier. Es ist einsam für dich. Ich habe mir schon gedacht, wie wäre es, wenn wir für eine Woche nach München gingen. Du könntest ins Theater gehen, gute Musik hören, dir die Theken besehen... Die Stille, seit das Baugeräusch aufgehört hat, – das ich so oft verwünscht habe, sie geht einem wirklich manchmal auf die Nerven.«

»Das Haus ist noch so leise, und der Thorsteiner Wind kann nicht, was der Braunecker kann. Hast du ihn einmal bei Nacht gehört? Der Thorsteiner ist ein Dilettant dagegen. Was da alles lebendig wird in Brauneck. Aber ich möchte jetzt nicht von Hause fort, und darf ich herüberkommen, bitte?«

Harro geht zur Türe. »Du bist so hartnäckig wie das Seelchen, wenn es etwas wollte ...«

Rosmarie atmet tief auf, nimmt ihre Rosen und geht ins Schlafzimmer.

Harro wandelt vor seiner Staffelei auf und ab und richtet seine Farben und rückt mit den großen Vorhängen hin und her. Dann fallen ihm die Hände herunter, und er steht brütend da.

»Ja, nun wird sie wohl kommen, die holde Quälerin. Ob sie glücklich waren, die Fee und der Braunecker, das weiß sie nicht. Das geht an deine Adresse, Harro, mein Freund! Sie dreht und wendet etwas in ihrem süßen, törichten Kopf herum. Ach, sie wird sich wieder beruhigen. Ich habe sie viel zu viel allein gelassen. Das Alleinsein über den Wolken, das soll der Teufel holen. Wir müssen fort, daß die Zeit vergeht. Nun werd ich ihr ein schönes Köpfchen auf die große Leinwand malen, und das wird sie unterhalten.«

Ein leises Rauschen hinter ihm. Rosmarie steht da in einem weiten blauen Morgenkleid. Sie sieht fast geisterhaft blaß aus, nur ihre Augen leuchten dunkel, fast schwarz. Das kennt Harro und er weiß, daß sie in ihrem Tiefsten erregt ist.

»Ist dir etwas, Rosmarie?«

»Nein, Harro.« Nun lächelt sie mit weißen Lippen. »Sieh, ich habe dir den alten grünen Samt mitgebracht – Märt hat ihn doch hereingetragen, – ja da liegt er. Ich dachte, er soll den Brunnenrand vorstellen, und hier der niedere breite Tisch.«

»Ich wunderte mich, daß er abgeräumt war. Du hast dir das ausgedacht – wie gütig!« sagt er mechanisch.

»Willst du das darüber legen, und laß es ein wenig auf dem Boden schleppen – so...«

»Sehr gut – aber das harte Hellblau, Rosmarie, erlaube. Warum bist du nicht lieber in deinem grauen Tuchkleid gekommen?«

»Im Tuchkleid... die Fee!«

»Und deine Haare...« »Es wird schon recht werden. Ich möchte wissen, ob das nun gut im Lichte steht. Und dann: Welchen Moment hast du dir ausgedacht? Wann sie ihm die Schale reicht?«

Harro betrachtet seine Zeichnung: »Das ist jetzt gleichgültig.«

»Nein, gar nicht. Das mußt du jetzt schon wissen. Es richtet sich doch meine Stellung danach.«

»Hartnäckig wie immer.«

»Es gibt drei Möglichkeiten. Den Moment, wo er sie erblickt und sie über ihn erschrickt... dann muß er weiter zurück... oder...«

»Ach, das läßt sich jetzt nicht entscheiden.«

»Dann laß mich's tun. Ich wähle die zweite. Sie fürchtet ihn nicht mehr.«

Wie die dunkeln Augen leuchten aus dem weißen Gesicht.

»Rosmarie?«

»Harro, einen Augenblick. Ich will das Bild allein stellen. Gehe dort nach dem Fenster und warte. Einen Augenblick. Bis ich dir rufe.«

In Harros Gesicht schießt eine tiefe Röte bis in seine braune Stirn herauf. Mit wild klopfendem Herzen tritt er an die Wand. Es flimmert ihm vor den Augen. Was für ein Narr er ist! Sie hat sich gewiß recht schön gemacht unter ihrem hellblauen Kleide mit einem ihrer Festgewänder, und will ihn damit überraschen. Ich darf ihr die Freude nicht verderben. »Hast du gerufen?«

Ein sehr leises Ja – und Harro dreht sich lächelnd um. Und dann steht er regungslos da – seine Seele in den Augen ... die tiefste Ruhe senkt sich auf sein quälendes Verlangen. Das ist nicht sein junges Weib ... das ist die Fee.

Blaß und ernst, mit dunkeln Augen, das Kleinod in der sanft erhobenen Hand, nur das an sich, was ihr Gottes Hand selbst um die Schultern gelegt, den goldenen Königsmantel ihrer Haare. Weißleuchtend wie die Mohnblüte, wenn sie die grauen Schalen gesprengt, hoheitsvoll und lieblich, wie aus dem Lande des Vollkommenen herabgestiegen.

Einen tiefen Atemzug, der ihm die breite Brust schwellt, tut der Mann, und dann leuchten die sonnenhaften Augen. Er greift nach seinem Pinsel, und der fliegt ... Und jetzt sind seine Augen stahlhart, wie sie auf und nieder gleiten.

Es ist totenstill da innen, nur seine Schritte tönen, wie er hin und wieder geht. Und die Sonne macht ihren kurzen Weg um den Berg.

Fast plötzlich fällt ein graues Dämmern. Die weiße Gestalt dort wankt. Die Schale noch fest in der Hand, sinkt sie zu Boden.

Harro stürzt herbei und hebt ihr schneeblasses Gesicht... »Liebste, vergib ... O Gott, was hab ich getan! Mache doch deine Augen auf ... Eiskalt bist du. Liebste!«

Harro fängt an, unsinnig zu schluchzen. Da schlägt sie die Augen auf.

»Ach – nicht weinen, Liebster. Gib mir mein Kleid, ja ich bin schwach geworden – aber ich habe doch ausgehalten ... Gib es mir schnell.«

Harro hüllt sie mit bebenden Händen ein, trägt sie hinüber auf ihr Bett und häuft Decken auf sie. Da liegt sie nun. Ihren weißen Rosenkranz hat sie noch auf dem Haupte.

»Wird es schön, das Bild? Ich sah's an deinen Augen. Ich hielt zu lange still, und nun hab ich dich erschreckt, du Armer!«

»Ein roher Geselle bin ich ... ich vergaß es alles – die Fee – die Fee ... der Wahnsinn ergriff mich. Nie habe ich noch so etwas gefühlt. Ich weiß gar nicht, was ich gemacht habe ... das göttliche Feuer brannte in mir!« »Ich sah es. Und ich habe dir gedient. Und nun laß mich ein wenig ruhen.«

Er beugte sich über sie: »Darf ich dich küssen. O du – du süße Heilige, du weißt ja gar nicht, was du mir gegeben hast – du kannst es ja nicht wissen, über mich hinausgehoben hast du mich – du. Du mein blauer Himmel. Ja ich gehe ... sag mir, daß ich dir nicht geschadet.«

»Ich bin sehr glücklich, Harro. Und was sollte es mir geschadet haben?«

Und er geht. Sie lächelt mit weißen Wangen. »Die Schleier sind dünn geworden ... es ist keine eiserne Tür dahinter ... ich muß Geduld haben ... und ich habe ihm dienen dürfen.«

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