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Unterwegs nach Rom Auf der Via Francigena

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Wer heute nach Rom kommt, reist meist mit dem Flugzeug; dann kommt er an einem der Flughäfen, Fiumicino oder Ciampino, an und nähert sich der Stadt – grob gesprochen – auf der alten Via Portuensis oder der Via Appia, der Straße, die schon Augustinus vom Hafen oder Paulus von Terracina kommend genommen haben. Auch dies sind historische Annäherungen an Rom, doch geht es so schnell, und die moderne Straßen- und Bahnführung ist so verfremdend, dass der Reisende kaum die Gelegenheit hat, sich über die historischen Zusammenhänge klar zu werden. Wer hingegen mit dem Zug oder Auto anreist, kommt meist das Tibertal hinunter, jedenfalls auf den letzten Kilometern. Die A1, Autostrada del Sole, folgt dort – wiederum grob gesprochen – dem Lauf der Via Salaria, einem der ältesten Straßenzüge überhaupt: Die „Salzstraße“ führte schon das Tibertal hinab (oder besser: hinauf, denn das Salz kam vom Meer), als es Rom noch gar nicht gab. Doch auch hier: Auf der Autobahn oder im Hochgeschwindigkeitszug („Eurostar“) geht alles zu schnell, ist die Bodenhaftung zu gering, um aus der physischen Annäherung auch eine geistige werden zu lassen. Der Reisende ist eben plötzlich da, am Hauptbahnhof Termini, oder er findet sich ebenso abrupt im Stau der Großstadt wieder – an einer Stelle, die er zum Stehenbleiben und Innehalten nie ausgesucht haben würde.

Noch heute bestimmen die alten römischen Konsularstraßen das Verkehrssystem der italienischen Hauptstadt, noch heute sind die großen Ausfallstraßen mit den Namen bezeichnet, die sie seit zwei Jahrtausenden tragen: Via Appia, Flaminia, Aurelia und so fort. Unter diesen altehrwürdigen Straßen eignet sich für eine wirkliche „Annäherung“ an Rom am ehesten die Via Cassia – heute die langsamste Strecke für den Reisenden, der von Norden kommt. Weder Autobahn noch überregionale Eisenbahn säumen ihren Lauf. Weder große Hotels noch laute Reisegruppen sind in ihrer Nähe zu finden. Der internationale Tourismus hat sie noch nicht entdeckt –, wie es ja überhaupt auf ganz Latium zutrifft, dass die Aufmerksamkeit aller weniger vom Umland als von der urbs magisch angezogen wird – wie ein schwarzes Loch, das alle Lichtstrahlen in sich aufnimmt –, und dass die herrlichsten Orte vor den Toren Roms bis heute fast unentdeckt sind.


Via Cassia/Francigena, Itinear von Acquapendente nach Rom

Auf der Via Cassia nach Rom reisen, das muss man wollen oder es muss einem geschenkt sein. „Sowieso“ und von allein wird es nicht geschehen. Wer sich aber auf dem Wege absichtlich gesuchter oder gnadenhaft geschenkter Entschleunigung auf diese Reise macht, wer die Zeit dafür hat oder, besser, wer sie sich nimmt, der wird dafür mit außergewöhnlicher landschaftlicher Schönheit belohnt, auch mit gutem Gespräch und mancher Gaumenfreude. Und vor allem mit einem Reichtum an historischer Begegnung, wie er ihn kaum irgendwo sonst auf so wenigen Kilometern finden wird. Es gibt viel zu entdecken nicht zuletzt für den Reisenden, der sich für den christlichen Glauben und seine Geschichte interessiert. Die geistige Annäherung kann auch zur geistlichen werden, freilich kaum als unkomplizierter Pilgerweg. Es gibt ja nicht nur Erbauliches, sondern auch Problematisches, nicht nur Glauben, sondern auch Anfechtung.

Das ist so, nicht nur weil Martin Luther als junger Augustinermönch im Herbst 1511 auf diesem Weg nach Rom kam: Die Straße selbst dürfte ihn nur wenig beeindruckt haben in jenen nasskalten Novembertagen. Er reiste nicht als postmoderner Wohlstandspilger, sondern in Geschäften, wenn es auch geistliche Geschäfte seines Ordens waren. Wir wissen nicht viel über seinen genauen Reiseverlauf, doch ist Siena als Etappe bezeugt.6 Daraus können wir schließen, dass Luther sich Rom auf der Via Cassia annäherte.

Nicht nur deshalb also, nicht nur wegen des frommen „hier kam er“, „hier stand er“, „hier sah er“ fasziniert die Route heute, auch wenn wir uns unterwegs gelegentlich fragen werden, wie Luther dies oder wie er jenes wohl wahrgenommen hat oder hätte. Dies gilt ebenso für Ignatius von Loyola, der kaum eine Generation später hier vorbeikam und für den der Weg nach Rom etwas ganz anderes bedeutete und letzten Endes ganz andere Konsequenzen hatte. Vor allem aber lässt uns der Weg erleben, verstehen, was Rom in der Welt von Reformation und Reformen eigentlich bedeutete – nicht nur die abstrakten Erwartungen und Ideen: Rom als Metapher nördlich der Alpen oder in den fernen Pyrenäen, sondern die konkrete Annäherung an eine konkrete Stadt, die keineswegs nur heilige Stadt oder nur die „Hure Babylon“ ist. Die Pilgerstraße der Via Cassia ist der Weg, auf dem die „Romidee“ sukzessive geerdet wird, auf dem Chiffren, Träume, Symbole auf den Boden der Tatsachen zurückfinden. Seit der Antike kamen hier viele des Weges, Pilger und Mönche, Kaiser und Päpste.

Wann sollte man die Reise unternehmen? Zwei Deutsche aus dem hohen Norden, Dieter und Fritz, haben sich Mitte des 13. Jahrhunderts über diese Route unterhalten. Die beiden erscheinen mit ihren Namen, wie sie sich wohl die italienische Zunge zurechtgelegt hat: Tirri und Firri. Circa medium Augustum solle man reisen, sagt Firri, „etwa Mitte August, denn dann ist die Luft mild, die Straßen sind trocken, das Wasser steigt nicht zu hoch, die Tage sind lang genug zum Gehen (ad ambulandum), doch auch die Nächte, um den Körper ausruhen zu lassen (ad corpus recreandum), und du wirst die Scheunen voll mit frischen Früchten finden“7. Dem ist wohl auch heute, im 21. Jahrhundert, nichts mehr hinzuzufügen – außer vielleicht der Hinweis, dass die Gegend reich an Steinpilzen ist. Von Stade an der Nordseeküste wird sich die Reise von Tirri und Firri wohl in den September und auch Oktober hineingezogen haben – und das ist dann tatsächlich die beste Zeit, um die Schönheit und den Reichtum dieser Landschaft voll auszukosten.

Luthers Rom

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