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3. Kapitel Pflicht zur Einführung eines HinweisgebersystemsI. Rechtspflicht zur Implementierung eines Hinweisgebersystems? › 1. Allgemeine Erforderlichkeit von Hinweisgebersystemen

1. Allgemeine Erforderlichkeit von Hinweisgebersystemen

a) Schutzbedürftigkeit der Hinweisgeber

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In der Vergangenheit wurden zahlreiche Rechtsverstöße und Rechtsmissbräuche durch Hinweisgeber aufgedeckt. Internationale Beispiele reichen von der Offenlegung von Staatsdoping über Steuerhinterziehung bis hin zu Fehlverhalten von Regierungen.

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In einigen dieser Fälle bezahlten die Hinweisgeber teuer für die Offenlegung der Verfehlungen ihrer Institutionen. Das bekannteste Beispiel ist wohl Edward Snowden, der US-amerikanische Whistleblower und ehemalige CIA-Mitarbeiter, der die Welt über das Ausmaß der globalen Überwachungs- und Spionagepraktiken von Geheimdiensten (hauptsächlich jenen der Vereinigten Staaten und Großbritanniens) informierte.[1] Edward Snowden lebt seit Juni 2013 zunächst in Hong Kong und seit August 2013 im Exil in Russland. Allgemein bekannt ist auch das Beispiel von Chelsea Manning, die 2010 als Mitglied der amerikanischen Streitkräfte vertrauliche Dokumente und Filmaufnahmen an die Plattform Wikileaks weiterleitete.[2] Die Unterlagen enthielten Informationen über den tödlichen Beschuss von Zivilisten und Journalisten durch US-Streitkräfte im Irak und Afghanistan. Manning wurde 2013 zu 35 Jahren Haft verurteilt. Der Großteil der Haftstrafe wurde durch den damaligen US-Präsidenten Barack Obama erlassen.[3] Ein weiteres Beispiel ist Antoine Deltour, ein ehemaliger Angestellter der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC in Luxemburg, der 2014 mit Hilfe eines französischen Journalisten die Öffentlichkeit darüber informierte, dass eine Reihe von großen internationalen Konzerne (z.B. Apple, Amazon, eBay, Ikea und rund 295 weitere Unternehmen) ihre europäischen Gewinne in Luxemburg versteuern. Die sehr geringen Steuersätze wurden dort mit den Steuerbehörden ausgehandelt.[4] Antoine Deltour wurde zunächst von luxemburgischen Gerichten zu hohen Geldstrafen verurteilt, in letzter Instanz jedoch nur zu einer symbolischen Geldstrafe von einem Euro wegen „Diebstahls“ von Firmenunterlagen. Das neu in Kraft getretene Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen soll Verurteilungen wegen Verletzungen von Geschäftsgeheimnissen verhindern.[5]

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Auch das russische Ehepaar Julia und Vitaly Stepanov, die beiden Hinweisgeber, die das russische Staatsdoping enttarnten, zahlten einen hohen Preis für ihr Handeln. Beide mussten Russland verlassen, lebten zunächst in Berlin und zogen schließlich in die USA.[6]

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In Deutschland wurde der Fall des LKW-Fahrers Miroslav Strecker bekannt, der 2007 den sog. Gammelfleisch-Skandal ans Licht brachte. Obwohl Herr Strecker vom damaligen Agrarminister Horst Seehofer mit der „Goldenen Plakette“ für sein Handeln ausgezeichnet wurde, wurde er Opfer diverser Schikanen am Arbeitsplatz, die schließlich zu seiner Kündigung führten.[7]

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Ohne garantierten Schutz der Hinweisgeber ist es zweifelhaft, ob das Gewicht der moralischen Pflicht, Rechtsverletzungen zu melden, die Angst vor drohenden (un-)mittelbaren Repressalien überwiegt und Mitarbeiter in der Praxis wirklich dazu bereit sind, aus dem Schutz der grauen Masse hervorzutreten und sich für die Gerechtigkeit und den Schutz der Allgemeinheit einzusetzen.

b) Schutzbedürftigkeit der Interessen der Allgemeinheit

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Immer wieder gibt es Fälle, in denen Hinweisen nicht nachgegangen wird. Dies hat zum Teil verheerende Folgen. Beispielhaft sei genannt die Tötung von 85 Patientinnen und Patienten zwischen 2000 und 2005 durch den ehemaligen Krankenpfleger Nils Högel. Bereits im Oktober 2001 wurde die Geschäftsleitung des Klinikums Oldenburg durch Pflegekräfte auf die überdurchschnittlich hohe Zahl an Reanimationen und Todesfällen während Nils Högels Dienstzeiten aufmerksam gemacht.[8] Aus Angst um den Ruf des Klinikums entschied sich die Geschäftsleitung jedoch gegen eine Einschaltung der Strafverfolgungsbehörden und versetzte Nils Högel zunächst nur in eine andere Abteilung, um ihn anschließend mit einem sehr guten Arbeitszeugnis freizustellen.[9] Sogar bei seinem neuen Arbeitgeber, dem Klinikum Delmenhorst, konnte Nils Högel weitere Patienten töten, weil auch dort Hinweisen auf seine Taten nicht nachgegangen wurde.[10]

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Ebenfalls am Beispiel des US-Flugzeugbauers Boeing, zeigt sich, dass der ineffiziente Umgang mit Hinweisen zahlreiche Menschenleben kosten kann. Ed Pierson, ein Ex-Manager von Boeing, gab bei einer Anhörung vor US-Abgeordneten an, dass er sowohl vor dem ersten Unglück (am 29.10.2018 in Indonesien mit 189 Toten), als auch vor dem zweiten Unglück (am 10.3.2019 in Addis Abeba, Äthiopien mit 157 Toten) Probleme gemeldet habe, doch keinem seiner Hinweise nachgegangen worden sei.[11]

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Unrühmliche Bekanntheit erlangte kürzlich auch die Danske Bank durch die Aufdeckung eines Geldwäscheskandals durch einen Mitarbeiter. Der Mitarbeiter hatte sich aufgrund verdächtiger Vorgänge mehrfach an seine Vorgesetzten gewandt. Da seine internen Meldungen jedoch erfolglos blieben, wandte er sich schließlich an die Öffentlichkeit.[12]

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Die Beispiele zeigen, dass Hinweise von Personen oder Abteilungen innerhalb des Unternehmens unverzüglich nach deren Eingang bearbeitet und die erforderlichen Maßnahmen angestoßen werden müssen. Dazu gehört auch, dass der Hinweisgeber zeitnah über den Verfahrensstand informiert wird, damit dieser entscheiden kann, ob es nötig ist, sich an externe Stellen zu wenden. Ein effektives Hinweisgebersystem setzt dort an, wo interner Informationsfluss nicht gewährleistet oder ausreichend ist.[13]

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