Читать книгу GRAUENVOLLER TAUNUS - 13 HORROR GESCHICHTEN - Martin Wischmann - Страница 9

02 Das Begräbnis

Оглавление

„Die Mittagssonne brennt mir unbarmherzig auf das schwarze, kurzärmlige, nicht atmungsaktive Hemd, dass ich ausschließlich zu Beerdigungen trage, weil es so unangenehm wie eine hautenge, den Schweiß aus allen Poren ziehende Plastiktüte am Körper anklebt. Das Hemd ist mir so unsympathisch wie das kleine Dorf, an dessen Rand sich der von mir besuchte Friedhof befindet. Warum bin ich eigentlich hier auf dem Friedhof, der etwa einhundert Meter außerhalb des kleinen Kaffes liegt, dass den seltsamen Namen Hunoldstal trägt und zur Gemeinde Schmitten zählt? Ich bin da, um dem Verstorbenen die letzte Ehre zu erweisen, obwohl ich ihn seit mehreren Jahrzehnten nicht mehr gesehen habe. Eigentlich hätte ich daheim bleiben und mit meinen Dartpfeilen auf das Pornomagazinfoto werfen sollen, welches auf der Zielscheibe befestigt ist. Meist wechsle ich das Foto erst aus, wenn es von den Pfeilspitzen durchsiebt ist. Ich bräuchte auch wieder eine neue Hitler Kopie für die Scheibe. Die anderen sind alle schon durchlöchert. Dieser Verbrecher der Menschheit ist mein Lieblingsziel. Warum stehe ich aber hier, als einer der ersten Besucher auf dem Friedhof? Ich selbst kenne den Grund nicht, zermartere ich mir auch den Schädel. Ich wünsche mich fort von diesem Ort. Und doch bin ich da und verfolge aus nächster Nähe, dass sich aufbauende Szenario, während ein paar Dutzend Meter von mir entfernt der kleine Fluss Weil, der dem Tal um ihn herum seinen Namen gab, munter und unüberhörbar vor sich hinplätschert. In der kleinen, nach vorne hin geöffneten Leichenhalle ruht der hellhölzerne Sarg des Verblichenen. Der Optik nach der billigste für Geld erwerbbare. Ob er aus Sperrholz oder Pressspan zusammen geflickschustert ist? Egal! Was solls? Der Körper darin verwest ohnehin binnen kurzer Zeit. Bei der heutigen Hitze ist er vielleicht schon… …Verfluchte Hitze. Die Sonnenstrahlen bringen mich noch um. Die Blumen, Kerzen und Kränze sind raffiniert in großem Abstand um den Sarg herum platziert, wohl um die optische Proportion zu vergrößern, -um das Wenige etwas Mehr wirken zu lassen. Der Verstorbene hatte wahrscheins wenig Freunde. Ich zählte nicht zu Ihnen. Verdammt noch mal, warum bin ich nur hergekommen? Der Tote war, wie der Zeitungstrauerannonce zu entnehmen war, seit vielen Jahren in einer Wohngemeinschaft innsässig , in der ausnahmslos Hörgeschädigte lebten. Auch er, -den ich bereits aus Kindertagen kannte, war taub, völlig taub, wie ein Fossil. Die brütende Hitze ist mein Verderb. Scheiß Klimawandel. Scheiß Menschheit, die ihn durch ihre Existenz zu verantworten hat. Nach und nach kommen ein paar Trauernde hinzu, bis es schließlich neun an der Zahl sind. Armenbegräbnis! Den gleichen Reaktionen der Anwesenden untereinander entnehme ich, dass offenbar alle Trauergäste taub sind, denn sie kommunizieren ausschließlich mit der Gebärdensprache. Keine Stimme, kein Laut. Schade, dass ich dieser Sprache nicht mächtig bin. Alle Anwesenden, außer meiner Person, sind offensichtlich taub. Im Grunde gut so, dann kann mich auch keiner zutexten, denn ich bin vergrämt und menschenscheu. Und doch verweile ich hier im Weiltal an dem Fluss, der vom Großen Feldberg bis nach Weilburg fließt. Himmel-Arsch, Kreuz-Jesus, noch immer brennt mir die heiße Sonne auf die Schultern, die von dem verfluchten, straßenteerheißen Hemd bedeckt sind. Wäre die Sonne in Reichweite meiner Fäuste, würde ich mich mit ihr anlegen, mit ihr messen wollen. Ich möchte sie schinden! Meine Haut am Oberkörper fühlt sich an, als ob sie Wellen wirft. Sicher sieht sie schon aus, wie die ekelhafte Orangenhaut hängearschiger Weiber. Wobei mein faltiger Bauch auch nicht besser aussieht. Ich brauche Schatten. Er wird Balsam für meinen Leib und meine Psyche sein. Ich gehe ein wenig nach vorne, bis das überstehende Dach der Leichenhalle, die wohl Böses mit mir beabsichtigenden Sonnenstrahlen abblockt. Ohne Glockengeläut, ohne Musik tritt ein älterer Herr nach vorne, stellt sich vor dem Sarg in Position und beginnt mit Händen, Armen und Gesicht etwas in der mir leider fremden Gebärdensprache darzubieten. Wohl der Beginn der Predigt. Und da offenkundig alle taub sind, -außer mir, hätten Musik und Glocke sowieso keinen Sinn gehabt. Ich mache mir ohnehin nichts daraus. Ich möchte gar nicht hier sein. Der Trauerredner, -wenn man ihn so nennen will, scheint Romane über das Leben des Hauptakteurs mitzuteilen, wovon ich freilich gar nichts verstehe. Doch plötzlich nehme ich ein seltsames Geräusch wahr, welches aus der Richtung des Sarges, der kaum zwei Meter entfernt von mir ruht, kommt. Ein kurzes Geräusch, dass einer verstellten menschlichen Stimme ähnelt, dann wieder Ruhe. Nach wenigen Sekunden erneut, und wieder Ruhe. Einige Sekunden später abermals. Dieser Vorgang wiederholt sich noch einige Male, bis ich mir plötzlich sicher bin und mir ein Schauer über den schweißnassen Rücken läuft, der den Rest von Sonnenhitze gegen südpolare Eiseskälte austauscht. Ja, ich bin mir völlig gewiss, -der Leichnam lebt. Der Mann im engen, dunklen Sarginneren lebt, ist noch nicht gestorben. Aber scheinbar bemerkt dies niemand, außer mir, da alle anderen Personen gehörlos sind. Da, wieder ein langer Klagelaut, wie seinerzeit der untote Waldemar in dem Edgar Allen Poe Roman. Und erneut Ruhe. Oh Gott, es schauert mich. Nur ich höre das Wehklagen des Mannes, der nicht sprechen kann und den die taubstumme Trauergemeinde wohl beerdigen wird, wenn ich sie nicht auf die Lebenszeichen aufmerksam mache. Will ich die Trauernden überhaupt informieren? Mein Herz schlägt vor Erregung bis in meinen Schädel, da ich die Bedeutung meiner Person bei diesem Schauspiel erkenne. Ich bin, ohne es zu wollen, zum alleinigen Herrscher über Leben und Tod geworden. I c h b i n G o t !! Jawohl, ich bin der Allmächtige, gegen den alle anderen nur Gewürm sind! Ich bin der Heiland! Ich alleine kann das Begräbnis verhindern. Verhindern, dass der Mann bei lebendigem Leibe in das Grabeskühl hinab gelassen wird und dort unten Höllenqualen und arge Panikattacken durchlebt, bevor er langsam, ganz langsam stirbt, wenn der Sauerstoff im Sarg zur Neige geht. Im Grunde genommen ein schlimmes Ende. Wie soll ich den Taubstummen das gehörte Klagen mitteilen? Sie werden mich nicht verstehen. Aber sie können lesen, doch ich habe weder Stift noch Papier zur Hand. Da, wieder ein Klagelaut, wie unter Schmerzen. Grässlich! Ob der Unglückselige weiß, dass er sich in einem Sarg befindet? Sicher, denn die innere Form ist auch im Dunkeln gefühlt unverkennbar. Wie mache ich die Anwesenden, von denen sich nun vier an der Zahl anschicken, den Sarg anzuheben, wohl um ihn zu Grabe zu tragen, auf mein Gehörtes aufmerksam? Ja, sie buckeln ihn Richtung ausgehobenes Grab. Herrgott, die Situation erregt mich kolossal. Meine Gedanken reisen zurück, Jahrzehnte zurück in meine Jugendzeit, in welcher ich mit dem Scheintoten in derselben Straße wohnte, kaum fünf Kilometer von dem Friedhof entfernt in einem zweihundert Seelen Dorf. Er war von Geburt an taub, weshalb er mir leid tat, doch er war sehr gutaussehend und wurde immer eitler und eitler, obwohl er mit siebzehn Jahren schon wie dreißig aussah, mit Grübchen am Kinn und James Dean Gesichtsausdruck. Er mimte stets den Bemitleidenswerten. So bekam er stets die hübschesten Mädchen und sogar reife Frauen vom Schlag der vernachlässigten Hausfrau ab. Außerdem war seine angebliche Potenz und Manneskraft weit über die Dorfgrenze bekannt. Ebenso bekannt war seine Eigenart, dass er kurz vor dem Orgasmus vier Mal mit der Faust auf die meist hölzernen Bettrahmen klopfte. So wussten die Damen, dass er gleich kam. Allen Mädchen und Frauen war dies bekannt und folglich probierte fast jede den nimmersatten Schürzenjäger aus. Jede erwartete sehnsüchtig die vier Klopfzeichen und den folgenden Höhepunkt. Und andere Jungs und Männer, -ich eingeschlossen, bekamen keine ab, höchstens eines dieser unattraktiven Mannsweiber mit knallroten Gesichtern und mittelblonden Schwitzlocken. Also jene, die ohnehin keiner wollte, -Frauen zum auf und davonlaufen. Ich bin wieder in der Realität. Mittlerweile lassen die Sargträger den Sarg mittels Seilen in das erdkühle Grabesdunkel hinabgleiten. Als er hörbar für mich unten aufsetzt und die Männer die Seile aus der Grabesgrube herausziehen, werden die grauenvollen Klagelaute länger und lauter. So als ob der Eingeschlossene ahnen würde, dass er im offenen Grab angelangt sei. Meine inneren Fragen, wie ich die Taubstummen auf die Jammerlaute des Verzweifelten aufmerksam mache, sind verschwunden. Hat er mir nicht auch seinerzeit die ein oder andere Freundin vor der Nase weggeschnappt? Er hat! I c h b i n G o t !! Jetzt ist der Zeitpunkt der Abrechnung gekommen. Während die Klagelaute nach jeder Schaufel Erde, die jeder Anwesende in das Grab gibt, lauter und tierähnlicher werden, begrabe ich gedanklich meine anfängliche Absicht, den Eingesperrten zu retten. Er bekommt nun das, dass er meiner Meinung nach verdient hat. Ich richte ihn! Ich verurteile ihn! Ganz nach meinem Willen! Der Mann vor mir lässt eine Schaufel Erde plump in das Grab klatschen, wie ein dummer Grobmotoriker, dem jedwedes Feingefühl fremd ist. Schließlich bin ich an der Reihe. Wie ein Endzeitrichter schreite ich an die offene Grabesstelle. Ich nehme nicht die kleine Handschaufel, welche für den letzten Gruß einer Hand voll Muttererde parat liegt, sondern greife nach der großen Schaufel, die im Hügel der ausgehobenen Grabeserde ruht. Die feine Sanderde im extra dafür vorgesehenen Metalleimer ignoriere ich ebenfalls. Ich nehme eine volle Schaufel Muttererde vom Erdhügel und lasse sie bewusst gefühllos und rohherzig auf den Sargdeckel fallen, wo sie laut aufschlägt. Der Eingeschlossene scheint den Aufprall gespürt zu haben, denn seine Laute werden zu wahnsinnigen Schreien, in die Länge gezogen wie bei einem wilden Tier. Mit völlig neutralem Gesichtsausdruck, gleich einem Terminator, drehe ich die langstielige Schaufel herum, beuge mich knieend ein wenig nach vorne über das Grab und klopfe lautstark mit dem Stiel vier Mal auf den Sargdeckel, so wie es der einstige Weiberheld früher an den Bettrahmen vor dem sexuellen Höhepunkt tat. Ein kurzer Moment des Schweigens aus Richtung Sarg folgt, so als ob der Todgeweihte überrascht über die Klopfzeichen nachdenkt, bevor die Laute grauenvolle Dimensionen annehmen. Genieße deinen letzten Höhepunkt, mein Freund, -sind die Worte, welche ich in das offene Grab spreche, bevor ich mit versteinerter Miene den Ort des Grauens verlasse.“

GRAUENVOLLER TAUNUS - 13 HORROR GESCHICHTEN

Подняться наверх