Читать книгу Ginga+ Momo - Martina Kald - Страница 5
Kapitel 2- Geflüsterte Geheimnisse
ОглавлениеObjekt A-239 war eine der vielen, kleinen Hafenbars von Sektor A, die von mittags bis spätnachts geöffnet hatte und in erster Linie von Meteoritenfarmern besucht wurde, da diese länger als die Bewohner von Ega am Hafengelände bleiben durften und der Weg zurück von hier zur Station eine Stunde dauerte. Der Besitzer hatte sich mit dem Namen nicht viel Mühe gegeben, daher war es nicht überraschend, dass die Speisekarte genauso dürftig war. Das schien niemanden zu stören, denn die Hauptkundschaft bestand aus Meteoritenfarmern, die sich nur für die neusten Schnäpse interessierten.
Im Vergleich zu vielen anderen Bars dieser Preisklasse war diese dank des Barmannes, der die aus Plastik bestehenden Bänke und Tische immer zu Dienstschluss mit einem Hochdruckreiniger von Alkoholresten und anderen Hinterlassenschaften befreite, relativ sauber. Den Geruch von abgestandenem Alkohol und Männerschweiß konnte er jedoch nie komplett wegspülen.
Auch wenn dies kein Ort für junge Frauen war, fühlte ich mich hier wohl, denn hier war jeder für sich und mischte sich nicht in die Angelegenheiten anderer Gäste ein. In anderen Bars war dies nicht immer der Fall.
Selbst wenn meine Freunde nicht da waren, gab es hier oft Gelegenheit, Menschen wie mich zu treffen, die im Flüsterton über mystische und absonderliche Dinge sprachen. Dinge, die sonst zu viel Aufsehen auf sich gezogen hätten.
Die Gesprächsthemen, die ich suchte, waren nicht verboten, jedoch waren sie auch nicht erwünscht. Geschichten von dunklen Kulten, Ritualen und Menschenopfern kursierten seit Jahrzehnten, jedoch hatte der Vereinte Rat der Stationen vor ein paar Jahren aufgerufen, aktiv dagegen vorzugehen, und hielt auch die Bürger aller Stationen an, entsprechende Vorfälle zu melden.
Ich betrat vorsichtig die Bar und hielt Ausschau nach bekannten Gesichtern.
Zu meiner Freude waren Becher und drei seiner Brüder schon anwesend. Ich erkannte sie sofort. Sie hatten alle blonde Haare und trugen auch die gleiche, abgenutzte Schutzkleidung. Sie waren in eine Diskussion verstrickt, in der Ido, der Älteste von ihnen, behauptete, dass er mithilfe seiner Zahnbürste Goldadern in einem Meteoriten aufspüren konnte. Ich verstand nicht besonders viel von Meteoriten, konnte mir aber nicht vorstellen, wie er das anstellen wollte. Sie waren so in ihr Gespräch vertieft, dass sie mich erst bemerkten, als ich mich zu ihnen setzte. Sie schenkten mir einen musternden Blick und ein kurzes Nicken, führten ihre hitzige Diskussion jedoch unbeirrt weiter.
Becher, der neben mir saß, winkte und rief dem Kellner seine Bestellung zu. „Für mich noch einen Zaubertrank und für Momo einen Momo!“ Er lallte leicht und hatte anscheinend schon ein paar Becher zu viel intus. Genau richtig, um mit ihm über den Zettel zu sprechen, erkannte ich freudig.
Becher bekam seinen Namensvetter, gefüllt mit einer wilden Mischung aus verschiedenen Bränden, die bestialisch stanken, aber bei den Meteoritenfarmern äußerst beliebt war. Ich bekam eine Plastikflasche, gefüllt mit meinem Namensvetter. „Das süße Zeug hat doch nie einen Pfirsich gesehen. Ich verstehe nicht, wie du es trinken kannst“, sagte Becher, als ich einen großen Schluck nahm und mein Getränk auf die weiße Tischplatte stellte. „Du hast noch nie einen Pfirsich gesehen, abgesehen davon kostet ein Pfirsich auch zehnmal so viel wie eine Flasche Momo“, antwortete ich schnippisch, musste aber grinsen.
„Dann bring doch das nächste Mal einen Pfirsich mit“, schlug er vor.
„Geht nicht. Nur zertifizierte Händler dürfen Lebensmittel in den Hafen mitnehmen. Ich will keinen Ärger mit dem Zoll“, zitierte ich die offiziellen Aushänge, die ich jedes Mal zu sehen bekam, wenn ich durch die Kontrollen wollte, um an den Hafen zu gelangen. „Aber ich habe etwas viel Besseres mit als Obst.“ Ich zog den Zettel aus der Tasche.
Dieser schien ihn jedoch nicht zu überzeugen.
„Dann werde doch zertifizierte Händlerin. Dann kannst du jeden Morgen vorbeikommen und uns frische Pfirsiche an den Stand bringen“, empfahl er mir.
Trotz seiner Skepsis nahm er den Zettel und faltete ihn vorsichtig auseinander. Es vergingen einige Minuten, in denen er die Zeichnung studierte und mit seinen rauen Fingern darüber strich. Nervös nippte ich an meiner Flasche.
„Was steht darauf geschrieben?“, fragte er schließlich und ich merkte, dass auch seine Brüder interessiert auf den Zettel starrten und ihre hitzige Diskussion unterbrochen hatten.
Ich räusperte mich und erklärte ihm den Inhalt. „Es ist ein Ritual, nehme ich an. Es sind Anweisungen, wie man Gegenstände, wahrscheinlich Ritualsteine, platzieren muss, und es erwähnt Lobgesänge. Ich glaube, dass es der mittlere Teil eines Textes ist. Die Einleitung und der Schluss fehlen. Leider ist der Text auch hastig und nicht besonders leserlich geschrieben. Bei ein paar Worten bin ich mir auch noch nicht sicher, was diese bedeuten. Soll ich vorlesen, was darauf steht? Vielleicht wirst du ja daraus schlau.“
Die Augen des jungen Mannes weiteten sich. „Nein, besser nicht. Manche Dinge sollte man nicht laut aussprechen. So etwas bringt Unglück.“
Ich verstand seine Angst nicht. „Es ist nur eine Anleitung. Ziemlich harmlos. Ich glaube nicht einmal, dass es gefährlich wäre, wenn ich dieses Ritual durchführen würde.“
Ido nahm seinem Bruder den Zettel aus der Hand und betrachtete ihn, wobei er so tat, als würde er den Text lesen. Ich wusste jedoch, dass keiner der vier Brüder lesen konnte. Die meisten Meteoritenfarmer konnten es nicht, oder nur sehr schlecht. Sie hatten in ihren Familien zwei oder drei Mitglieder, die schreiben und rechnen konnten und sich um die Finanzen und Buchhaltung kümmerten. Das waren meist die Frauen, die sich nebenbei um den Haushalt und die Kindererziehung kümmerten.
„Das ist sicher ein Reinigungsritual, um Kraft und Gesundheit zu bekommen und die Strahlung des Weltraums von deinen Zellen fernzuhalten.“
Die Antwort überraschte uns alle.
„Woran erkennst du das?“, fragte ich etwas skeptisch. Ich wusste nicht, dass er so ein Experte in Bezug auf Rituale war.
Er deutete auf die gezeichneten Kreise. „Es sieht nicht wie etwas aus, das zum Heilen gut ist“, fuhr er mit vollkommen überzeugter Tonlage fort.
Maln mischte sich ein und sagte: „Du hast doch keine Ahnung von Reinigung! Du schaffst es nicht einmal deine Unterwäsche zu säubern.“ Dann wandte er sich mir zu. „Warum fragst du nicht denjenigen, von dem du den Zettel erhalten hast?“
Ich seufzte resignierend, als ich den Zettel zurückgereicht bekam. „Das geht nicht. Ich habe ihn gefunden, vor Miraklos Stand. Ich weiß nicht, ob er ihm oder einem der Männer von der Stationssicherheit gehört. Sie haben gerade die Vasen aufgeladen, die Becher letzte Woche erwähnt hatte. Wie es aussieht, muss ich das Ritual selbst ausprobieren, wenn ich wissen will, um was es sich handelt.“
Becher knallte vor Aufregung seinen Zaubertrank so fest auf den Tisch, dass die Flüssigkeit aus dem Gefäß schwappte und der Barmann uns einen finsteren Blick zuwarf.
„Du kannst nicht einfach so ein Ritual ausprobieren“, schalt er mich.
„Das ist gefährlich.“ Rico, der bis jetzt geschwiegen hatte, mischte sich ebenfalls ein. Den pockennarbigen Jugendlichen hatte ich zuvor nur zwei- oder dreimal sprechen gehört. Ich kannte ihn nicht besonders gut, hatte aber von seinen älteren Brüdern gehört, dass er in der Gegenwart von Frauen immer nervös wurde. „Sich Geschichten über unaussprechliche Dinge zu erzählen, ist eine Sache, aber sie selbst auszuprobieren eine komplett andere, Momo. Belasse es lieber dabei. Wer weiß, was bei diesem Ritual alles passieren kann. Und du bekommst Ärger, wenn sie erfahren, dass du den Zettel besitzt. Wer weiß, wer der eigentliche Besitzer ist und was er mit dir anstellt, wenn du sein Geheimnis kennst?“
In dieser Hinsicht waren sich die Brüder also sicher.
„Die Zeiten ändern sich, Momo“, sagte Becher. „Hier ist es noch nicht so sehr spürbar, weil Ega abgelegen liegt und die im Zentrum sich eh nur an uns erinnern, wenn sie an unser Geld wollen.“ Mit denen im Zentrum meinte er den Vereinten Rat der Stationen. Ich hasste es, mit ihm über solche Dinge zu sprechen, denn ich war ein Bürger einer dieser Stationen und hatte dadurch nicht nur mehr Rechte, sondern auch eine höhere Lebenserwartung als er. „Außerdem habe ich gehört, dass sie uns die Nol an den Hals hetzen wollen“, fuhr er fort.
„Ich habe von Nol gehört. Kämpfen die nicht eigentlich gegen Piraten und Schmuggler?“, fragte ich ihn.
„Ja, das auch. Offiziell wurden sie auch dafür gegründet. Aber in letzter Zeit kümmern sie sich mehr um andere Dinge. Ich habe gehört, dass es Ermittlungen auf Daganu-B gibt. Wie auf jedem Planeten mit viel Wasser hast du dort Leute, die irgendwelche Fischmonster anbeten. Und in letzter Zeit wird das wohl strenger als früher verfolgt.“
Ich wollte nachfragen, von wem er diese Information hatte, aber der schrille Warnton ertönte, der das Ende der Öffnungszeiten des Hafens ankündigte. Ich trank die halb volle Flasche mit einem Zug aus und stand auf. Meine Recherche musste auf den nächsten Tag verschoben werden.
„Tut mir leid, ich muss jetzt los. Wenn ich nicht rechtzeitig in der Station bin, bekomme ich von der Stationssicherheit eine Verwarnung und für drei Wochen das Verbot, den Hafen zu betreten. Wir sehen uns morgen wieder!“, entschuldigte ich mich für meinen schnellen Aufbruch.
„Wir ziehen weiter“, kam die überraschende Antwort von Ido. „Virina hat uns einen schönen, großen Meteoriten gekauft. Wir werden frühestens in einem Jahr wiederkommen.“
Ich nickte, versuchte meine Enttäuschung zu verbergen und biss mir auf die Lippen. Er und seine Brüder waren mir im Laufe der letzten Monate ans Herz gewachsen. Im Gegensatz zu mir konnten sie noch bleiben, weil ihr Schiff im Hafen lagerte und sie nicht wie ich durch die Schleuse zurück in die Wohnbereiche für Stationsbürger gehen mussten.
„Darauf trinken wir einen. Dann können wir endlich wieder Ega verlassen und zurück in den Weltraum zurückkehren und frei sein“, sagte Ido freudig. „Viermal vergorene Walmilch für mich und meine Brüder!“
Ich schauderte bei dem Gedanken an das Getränk, dessen säuerlicher Geruch für mich schon zu viel des Guten war.
„Warum heißt das Zeug überhaupt Walmilch?“ fragte Becher. „Milch besteht doch normalerweise aus Soja. Oder aus Nüssen. Aber Walmilch macht man ja nicht aus gekochten Walen. Es ist doch verwirrend, wenn beides Milch heißt.“
Bevor ich ihn aufklären konnte, mischte sich der Barmann ein, der die Getränke an den Tisch brachte. „So selten, wie du hier Walmilch zu trinken bekommst, solltest du dir nicht den Kopf zerbrechen. Außerdem wäre ein Getränk aus ausgekochten Walen nicht besonders genießbar.“
Becher rechtfertigte sich. „Dann hast du aber noch nie Walsuppe gegessen.“
Ich überlegte, ob ich ihn noch über die Herkunft des Wortes Milch aufklären wollte, ließ es jedoch sein. Wenn er mich in seine Diskussion zog, würde ich morgen früh noch hier festsitzen. „Dann wünsche ich euch viel Erfolg! Kommt mir ja nicht zurück, ohne reich geworden zu sein“, scherzte ich und spürte, wie sich etwas in meiner Brust zusammenzog. Der Abschied war gekommen und ich wollte ihn nicht noch weiter aufschieben. Ich spürte einen Kloß im Hals.
„Mach keinen Blödsinn, Momo“, verabschiedete sich Becher.
Am liebsten hätte ich ihn umarmt, aber der Geruch nach Schweiß und Alkohol, der von ihm ausging, war fast unerträglich.
„Mach selbst keinen“, antwortete ich und wischte dann doch eine Träne weg, die sich nicht unterdrücken ließ.
Mir wurde bewusst, in was für unterschiedlichen Welten meine Freunde und ich lebten. Ich hatte es hier auf der Station gemütlich und sicher, während sie nun wieder den Tiefen des Weltraums ausgesetzt sein würden. Ich wusste nicht mal, ob sie überhaupt wiederkommen würden. Jedoch war das ihr Schicksal, dass sie freiwillig in Kauf nahmen und von dem ich sie niemals abhalten konnte.