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Vorwort
ОглавлениеHi.
Ich bin Jessy Johnson und das ist meine Geschichte. Ja, ich bin mir durchaus im Klaren, dass der Anfang nicht besonders einfallsreich ist. Doch das hier ist das erste Buch, das ich schreibe. Und es fällt mir nicht gerade leicht. Die Leute haben immer was zu furzen, und man muss aufpassen, was man schreibt.
Trotzdem will ich meine Geschichte aufschreiben. Denn es ist eine außergewöhnliche Geschichte.
Am besten fange ich einfach mal an.
Folgendes geschah im Sommer 1995: Ein kaltblütiger Mörder hatte es auf eine Gruppe Collegestudenten abgesehen. Klingt wie die Story aus einem Horrorfilm, sagen Sie. Nein, es war noch viel schlimmer als in einem Horrorstreifen. Aber es klingt tatsächlich wie eine Story aus einem Film. Und zwar wie aus einem dieser Splatterfilme: Böser Bube jagt gute Buben mit einem Messer, einer Kettensäge oder sonstigen scharfen Gegenständen.
Eine Gruppe befreundeter Studenten aus San Diego wollte in diesem besagten Sommer nichts anderes als ein bisschen Spaß haben. Sie verstehen schon; sich sinnlos besaufen, Marihuana konsumieren und den fleischlichen Gelüsten frönen. Die Gruppe machte einen Wochenendausflug in die Wüste in eine abgelegene Ruine einer alten, christlichen Mission. Sicherlich kennen Sie diese spanischen Missionen aus alten Westernfilmen. Die sollten einen Zufluchtsort für die vertriebenen und vom Aussterben bedrohten indianischen Stämme bieten, doch im Grunde dienten sie nur dazu, die Indianer zu bekehren. Nachdem man sie christianisiert hatte, brachte man ihnen ein paar handwerkliche Fertigkeiten bei und gab ihnen schließlich ein kleines Stück Land. Sie sollten christliche Bauern oder Landarbeiter werden, doch eigentlich wurden sie nur zu billigen Arbeitskräften. Diese Institutionen beherbergten Priester, Nonnen und einen Haufen Mexikaner. Kleine, schmutzige, dunkelhäutige Kinder liefen mit einer Bibel durch die Gegend. Mexikanische Nutten, die zu Nonnen bekehrt wurden.
Ich nehme an, dass diese eine Ruine ein Zeugnis davon war. Sie lag abgelegen, vereinsamt und war ein echter Insidertipp.
Doch dieser Insidertipp sollte für die Studenten zu einer tödlichen Falle werden. Sie liefen einem Killer direkt in die Arme. Einem Killer, der Spaß daran hatte, mit ihnen zu spielen. Der erst dann aus seinem Versteck herauskroch, als keiner mit ihm rechnete. Glauben Sie mir, es ist nicht einfach, sich vor einem unsichtbaren Killer zu schützen. Vor allem, wenn er alle Ihre Schritte erahnen kann. Wenn er Ihnen stets zuvorkommt, wenn er da ist, bevor Sie da sind.
Kennen Sie das Gefühl? Sie sind allein im Raum, glauben aber, es wäre noch jemand da. Sei es ein kalter Lufthauch oder ein Luftzug, der Ihnen diesen Eindruck vermittelt. Ein mulmiges Gefühl überkommt Sie. Sie verspüren ein Kribbeln im Nacken. Sie drehen sich ganz langsam um. Es könnte ja sein, dass Ihnen jemand in diesem Augenblick eine Kanone an den Kopf hält oder ein Messer an die Kehle. Doch da ist niemand. Sie lächeln daraufhin in sich hinein. Atmen erleichtert aus, vielleicht lachen Sie sogar laut auf. Nein, natürlich ist da niemand. Wieso auch. Die Türen und Fenster sind verschlossen. Sie sind sicher in Ihren eigenen vier Wänden.
Jetzt stellen Sie sich diese Situation noch einmal vor. Sie allein im Raum. Ein Lufthauch. Ein kalter Atem. Eine Intuition. Ein Kribbeln im Nacken. Sie drehen sich ganz langsam um und blicken geradewegs in eine Fratze. In zwei kalte Augen. Sie sehen ein kaltblütiges Lächeln. Eine erbarmungslose Entschlossenheit. Und nein, da ist keine Kanone an Ihrem Kopf. Es ist ein Messer, das Ihnen an die Kehle gehalten wird. Bevor Sie den Mund aufmachen können, um eine Frage zu stellen, ist das Messer mit einem kurzen Ruck von Ihrer Kehle verschwunden. Es ist blutig. Das Letzte, was Sie dann sehen, ist Ihr eigenes Blut.
So ähnlich war es in der alten Ruine. Es war ein Spiel. Ein Spiel auf Leben und Tod. Und es war ein sehr schnelles, kurzes Spiel. So schnell wie das blutige Messer. Ich weiß, wovon ich spreche. Ich war dabei. Das kaltblütige Lächeln war auf mich gerichtet. Manchmal sehe ich es immer noch, und ich denke, dass dieses Bild nie verblassen wird.
Ihr Jessy Johnson