Читать книгу Der Anhalter - Mary Kelly - Страница 8

2.

Оглавление

Wir besorgten also noch einiges an Proviant und Zigaretten. Die Mädchen machten sich in der Toilette des Diners frisch, und dann fuhren wir los.

Der Weg führte quer durch die Wüste. Ohne Karte war der Ort sehr schwer zu finden, doch Illinois hatte eine genaue Wegbeschreibung. Der Weg erschien mir sehr lang, aber das lag daran, dass der Wagen im Sand nur schleppend vorankam. Seine beste Zeit hatte er hinter sich, was sollte man da erwarten.

Nach etwa vierzig Minuten erreichten wir unser Ziel. Die Ruinen bestanden aus einer kleinen Kapelle und heruntergekommenen Baracken. Mauerreste erstreckten sich um das Gelände. Sie hatten früher als Schutz vor der Wüste und diversen Banditos gedient. Südlich des Geländes stand ein altes Plumpsklo, und wenn man ganz hart im Nehmen war, konnte man dort sein Geschäft erledigen. In der Mitte des Geländes stand ein ausgetrockneter Brunnen.

Ich bückte mich über den Brunnenrand und prüfte, ob sich dort keine toten Viecher befanden. Es war aber zu dunkel, um etwas erkennen zu können. Sicherlich hatte Illinois eine Taschenlampe im Rucksack. Ich nahm mir vor, ihn später danach zu fragen.

Die vielen Reste von Lagerfeuern sprachen für sich. So wie es hier aussah, waren wir nicht die Ersten hier. Müllreste, Staub und Asche zeugten von ausgelassenen Partys. Ich konnte mir gut vorstellen, dass hier schon einige gefeiert worden waren (so manch ein junges Mädchen hatte hier sicherlich ihre Jungfräulichkeit verloren). Nördlich, knapp eine Meile entfernt, gab es einen kleinen See. Er lag in einem kleinen Canyon und war umrahmt von Kies und rostfarbenen Felsen. Es war bei Gott kein Lake Powell, aber für eine Abkühlung gut genug. Ich gehe jede Wette ein, dass der kleine See früher als Taufbecken diente. Man schmiss dort sicherlich den ganzen Haufen Mexikaner und Indianer rein und erklärte sie für Christen. Was für ein Haufen gequirlter Scheiße.

Doch ich schweife wieder zu sehr ab.

Diese Collegefreaks hatten eine Menge Bier mitgebracht. Sogar eine kleine Musikanlage hatten sie dabei. Unsere Sachen verstauten wir in der Kapelle. Die Schlafsäcke gruppierten wir so im Kreis, dass wir in der Mitte ein Lagerfeuer machen konnten. Der Altar war mit Kerzenstummeln übersät. Es erweckte den Eindruck, als hätte jemand hier ein heimliches Ritual vollzogen.

Gleich nachdem wir unsere Sachen abgelegt hatten, liefen wir zu dem kleinen See. Bei der Hitze war es eine herrliche Abkühlung. Das Wasser war klar und sauber. Nur mit meinen Boxershorts bekleidet, sprang ich als Erster rein. Letztendlich hatte ich lang genug in der Wüste gehockt.

Die Mädchen zogen sich währenddessen hinter einem Felsen um. Kendras Bikini bestand lediglich aus schmalen, dünnen Stoffstreifen. Ich schwöre, die Topflappen meiner Großmutter waren größer. Das Bikinioberteil war nichts anderes als zwei hellblaue Stoffdreiecke, die an einer schmalen Kordel befestigt waren – ich glaube, diese Dinger nennt man Tanga-Triangle-Bikini (da möchte man an Samba, Strand und Brasilien denken). Der schmale Stoff verdeckte auch wirklich nur das Nötigste, und das waren ihre Brustwarzen. Beim Höschen sah es nicht viel anders aus. Der vordere und hintere Teil ihres Tangas war nur mit einer schmalen Kordel befestigt, und die sah nicht besonders stabil aus. Ich konnte mir gut vorstellen (nein, ich hoffte es), dass ihr das Höschen beim Schwimmen runterrutschen würde.

Kendra hatte den typischen Körper eines kalifornischen Girls. Sie verstehen schon: athletisch und schön gebräunt. Sie besaß noch eine Besonderheit, die sie als ein kalifornisches Mädchen deklarierte. Ihre Brüste waren nicht echt. An der Seite ihrer Brüste war mir eine Unebenheit aufgefallen, die eindeutig von Silikonimplantaten stammte. Ich hatte solche Unebenheiten schon einige Male in Pornofilmen bei den Schauspielerinnen gesehen. Jeder Pornofilmfan unter Ihnen wird eine ähnliche Erfahrung gemacht haben.

Ich wollte es mir liebend gern genauer anschauen, aber da sprang Kendra auch schon ins Wasser. Mit einer schnellen, gleichmäßigen Bewegung tauchte sie unter, und ich sah nur noch ihren Schatten, als sie an mir vorbeischwamm. Ihre blonden Haare flossen ihr dabei über den braunen, wohlgeformten Rücken. Kurze Zeit später tauchte sie in der Mitte des Sees wieder auf, drehte sich auf ihren Rücken und ließ sich vom Wasser treiben.

Lucys Bikini war nicht ganz so aufregend wie der von Kendra, aber zum Gaffen gab es dennoch genug. Ihr Bikinioberteil bestand aus einem wattierten Bügel-BH und brachte ihre kleinen Brüste so richtig zur Geltung. Sie hatte beinahe ein Dekolleté à la Pamela Anderson, allerdings einige Nummern kleiner, wenn Sie verstehen, was ich meine. Das dazugehörige Bikinihöschen schlabberte ein wenig an ihren schmalen Hüften und wirkte, als wäre es etwas zu groß. Lucy war eben sehr schmächtig und zierlich. Ich glaube, an ihr sah alles ein bisschen zu groß aus. Doch dafür bewies Lucy einen echten Sportsgeist. Mit einem gekonnten Kopfsprung tauchte sie fast lautlos ins Wasser, sodass ich es gar nicht mitbekam. Mit einer unglaublichen Schnelligkeit erreichte sie die Mitte des Sees und gesellte sich zu Kendra, die ganz entspannt auf der Wasseroberfläche trieb.

Terenzi und Illinois vollführten perfekte Arschbomben und zogen sich anschließend gegenseitig unter die Wasseroberfläche. Dabei grölten sie so laut, dass ich Madison gar nicht kommen hörte. Urplötzlich tauchte sie vor mir aus dem hüfthohen Wasser auf. Sie sah einfach umwerfend aus. Sie trug einen schwarzen Neckholder-Bikini, und ihre Brüste wirkten darin noch imposanter. Ihre Brustansätze glänzten feucht in der Sonne, und die Wassertropfen rannen an ihrem Dekolleté entlang. Am liebsten hätte ich die Tropfen mit meiner Zunge sofort abgeleckt oder sie zumindest mit dem Finger fortgestrichen. Wie gerne hätte ich in diesem Augenblick ihre Haut berührt, die golden in der Sonne schimmerte. Noch lieber hätte ich ihre Brüste berührt, die im Rhythmus ihres Atems hin und her wogten. Sie hatte einfach einen schönen Busen, dazu einen flachen Bauch und einen knackigen Hintern. Rundum perfekt, verstehen Sie? Wie eine griechische Statue. Ebenmäßig in Marmor gemeißelt.

Leicht amüsiert folgte sie meinem Blick.

„Ich finde dich süß, Jessy“, sagte sie plötzlich.

Das brachte mich ein wenig aus der Fassung, doch ich ließ es mir nicht anmerken. Ich versuchte, cool zu wirken, warf meinen Kopf in den Nacken und betrachtete sie schief von der Seite. Fieberhaft überlegte ich, was ich darauf erwidern sollte, doch ich zögerte wohl zu lange, und Madison ergriff erneut das Wort: „Was ist das eigentlich für eine Narbe? Sie sieht wie ein Brandmal aus.“ Vorsichtig berührte sie meine Schläfe.

Jetzt erst fiel mir auf, dass meine Haare pitschenass am Kopf klebten und somit meine Narbe enthüllten. Schuldbewusst strich ich mir ein paar Strähnen so ins Gesicht, dass die Narbe verdeckt wurde. „Bin wohl vom Wickeltisch gefallen“, erwiderte ich leise, versuchte aber, dabei gelassen zu wirken. Ihre Berührung war so elektrisierend gewesen, dass ich beinahe einen Ständer kriegte.

„Du redest wohl nicht gerne über dich, oder?“, fragte sie lächelnd.

Ich zuckte die Achseln. „Ich weiß nicht, was du meinst. Die häufigste Unfallursache bei Kindern sind nun mal Stürze. Bei Babys ist es eben der berühmte Sturz vom Wickeltisch. Hast du gewusst, dass im Durchschnitt jedes zweite Baby vom Wickeltisch fällt? Bei uns passiert das vermutlich alle fünf Minuten. Alle fünf Minuten ein Sturz. Da waren Daddy oder Mami nur kurz unaufmerksam und schon, bum, liegt der kleine Liebling unten. Schätze mal, so war es auch bei mir.“ Ich bemühte mich um eine vollkommen ernste Miene.

„Der Wickeltisch muss aber sehr hoch gewesen sein“, erwiderte sie trocken, während sie skeptisch zu meiner Narbe rüberschielte. Ich nickte eifrig. „Jaja, meine Eltern hatten eine Vorliebe für überdimensionale Möbel, weißt du? So etwas kann zum echten Fetisch werden.“

„Ja, verstehe, du musst wirklich eine schlimme Kindheit gehabt haben“, sagte sie.

Schwermütig atmete ich aus. „Ja, ich habe auch schon an eine Therapie gedacht, aber es ist so schwer, einen Psychiater zu finden, der sich mit dieser Art von Fetisch auskennt.“

Madison nickte so einsichtsvoll, als wüsste sie genau, wovon ich spreche. Im selben Augenblick mussten wir beide lauthals lachen.

Das war die eine Sache, die ich an Madison sofort mochte, ihren Sinn für Humor und ihre Unverblümtheit. Sie war so anders als andere Mädchen, die ich kannte. Madison fühlte sich nicht sofort auf den Schlips getreten und nahm viele Dinge mit einer selbstverständlichen Gelassenheit hin. So etwas findet man nicht oft.

„Hey, ihr Turteltäubchen, kennt ihr den schon?“, schrie Terenzi plötzlich zu uns rüber, als sein Kopf wieder aus dem Wasser auftauchte. Seine Haare klebten ihm pitschnass am Kopf und etwas Rotze lief ihm aus der Nase.

„Nein“, meinte Madison unbeeindruckt, „aber ich denke, den kennen wir bald.“

„Ich vermute, wir haben keine andere Wahl“, fügte ich genauso unbeeindruckt hinzu.

Terenzi wischte sich das Wasser aus den Augen und schnäuzte seine Nase. „Also, auf einer Poolparty treffen sich ein schwarzer und ein weißer Mann …“

„Das wird doch kein rassistischer Witz, oder, Terenzi?“, hakte Madison nach und funkelte ihn böse an.

Terenzi schüttelte energisch den Kopf. „Nein, ich weiß ja, wie du solche Witze hasst. Also hör einfach zu: Auf einer Poolparty treffen sich ein schwarzer und ein weißer Mann. Nach mehreren Drinks steht der Weiße auf, zieht seine Hose aus, hält seinen Penis ins Wasser und sagt cool: ‚Exakt 22,04 °C Wassertemperatur.‘ Der Schwarze macht es ihm nach, taucht seinen Penis ins Wasser und sagt: ‚Und genau 1,92 Meter tief!‘“

Illinois klopfte ihm kameradschaftlich auf die Schulter. „Na siehst du, und du kannst nicht einmal sagen, wie tief dein Teelöffel ist.“ Er schmiss sich weg vor Lachen.

Madison deutete mit Daumen und Zeigefinger die Größe an. Es waren gerade mal zwei Zentimeter. Natürlich überzogen und unrealistisch, doch wir mussten dennoch mit Illinois mitlachen.

Terenzi packte sich an die Eier und funkelte uns giftig an. „Also, bis jetzt gab es keine Beschwerden, denn …“

„… es kommt auf die Technik und nicht auf die Größe an“, sagten wir wie aus einem Munde. Und diesmal musste auch Terenzi lachen.

Um ehrlich zu sein, habe ich gar nicht erfahren, wie groß Terenzis Schwanz wirklich war. Ich kam nicht zu der Ehre, ihn zu sehen. Im Prinzip interessierte es mich auch nicht besonders; ich war nicht scharf auf seinen Schniedel. Ob seine Technik gut war, weiß ich auch nicht. Auf jeden Fall schien sie nicht allzu schlecht zu sein, denn als Terenzi und Lucy eine halbe Stunde später hinter einem Felsen verschwanden, hörte ich sie lustvoll keuchen und stöhnen. Und das Stöhnen war nicht gespielt. Es war echt und ungezügelt. Falls es doch gespielt war, so hatte Lucy ihre wahre Berufung verpasst, verstehen Sie. Sie hätte eine gute Synchronsprecherin für Erotikfilme abgegeben. Mann, wie schön sie die Worte „Fick mich!“ aussprach. Es war wie ein Gedicht. Ihre Stimme hallt noch bis heute in meinem Ohr. Manchmal, wenn ich einsam bin, spule ich dieses Bild vom See zurück und rufe mir ihre Stimme in Erinnerung. Ich höre sie wieder hinter den Felsen stöhnen und ächzen. Und es ist so, als würde sie nur für mich stöhnen.

Später am Abend, nachdem wir vom See zurückgekehrt waren, saßen wir dann am Lagerfeuer. Eine Kiste Bier und ein Joint machten die Runde. Ich entschied mich für das Bier. Ich habe ja schon meine Antipathie gegen Drogen geäußert. Gegen Bier habe ich nichts einzuwenden. Die Trinkerei muss aber im Rahmen bleiben. Ich behalte gerne die Kontrolle.

Meine neuen Amigos erzählten Anekdoten aus dem College, und ich erfuhr im Zuge dessen, dass meine neuen Freunde aus San Diego kamen. Da ich nicht so viel über mich erzählen wollte, erwähnte ich nur, dass ich auf dem Weg nach Los Angeles sei und aus Utah käme. Das Wort L.A. ließ natürlich alle aufhorchen.

„Was gibt es denn in L.A.?“, fragte Terenzi und nahm einen kräftigen Schluck aus seiner Flasche.

„Einen Haufen Leute, Autos und Smog“, antwortete ich und genehmigte mir gleichfalls einen Schluck.

„Und Erdbeben. Vergiss das Erdbeben nicht“, meinte Kendra zwischen zwei Zügen. Der Joint machte erneut die Runde. Danach lehnte sie ihren Kopf an Terenzis Schulter an und schloss die Augen.

„Nein, ich meine, was willst du in L.A.?“, hakte Terenzi nach. „Besuchst du irgendeine Braut? Sag bloß, du hast eine Braut in L.A.?“

Ich strich mir ein paar Strähnen aus dem Gesicht. Zu jener Zeit trug ich meine gewellten, dunklen Haare etwas länger. Nur an der Stelle, an der ich meine Narbe hatte, waren sie kürzer. Das fiel jedoch nicht auf, da die längeren Strähnen darüberfielen. Ich wurde schon mal mit Jim Morrison verglichen. Jedoch hatte ich außer der Frisur nichts mit Jim Morrison gemein. Ich war nicht der Meinung, dass ich ihm ähnlich sah.

„Im Prinzip kenne ich keinen in L.A. Gegen eine heiße Braut hätte ich jedoch nichts einzuwenden. Aber was nicht ist, kann noch werden. Nein, ich will mich in L.A. als Schauspieler versuchen.“ Röte schoss mir ins Gesicht. Es klang irgendwie abgedroschen. Wenn nicht sogar naiv und leichtgläubig. Nun erwartete ich einen blöden Spruch, eine unfeine Bemerkung oder nur einfach ungläubiges Kopfschütteln. Doch nichts dergleichen geschah.

„Wieso nicht. Versuchen kannst du es ja“, sagte Illinois sehr ernst.

Die anderen nickten zustimmend.

„Die Visage hast du dafür. Bist ein richtiger Sonnyboy“, meinte er dann bewundernd und blickte mir tief in die Augen.

„Hey, Illinois, hast du gerade das Ufer gewechselt? Sollen wir euch vielleicht allein lassen?“, meinte Terenzi mit einem breiten Grinsen.

„Nein, aber ich wusste gar nicht, dass du solche Fantasien hast“, erwiderte Illinois und grinste dreckig.

„Ich würde gerne in einem Pornofilm mitspielen“, meinte Kendra plötzlich todernst und öffnete die Augen. Als sie die anderen verwirrt anblickten, platzte sie vor Lachen.

Illinois kniff ihr unsanft in die Seite. „Wir können mit dem Drehen auch gleich anfangen, Süße. Die Kamera bleibt aber aus.“

Sie schmiegte sich an ihn und sie küssten sich wild. Ich beobachtete sie eine Weile. Kendra ging richtig ran. Sie presste sich an Illinois, ließ seine Hände unter ihr Top gleiten, streckte ihm ihre Brüste entgegen. Stöhnte dabei, als würde sie jeden Augenblick einen Orgasmus kriegen.

Ich überlegte, ob sie eine richtige Wildkatze im Bett war oder ob es nur Show war. Bei solchen Mädchen konnte man das ja nicht wissen. Nach außen hin wirkten sie wie die Femme fatale, aber wenn es dann zur Sache ging, kniffen sie buchstäblich den Arsch zusammen.

„Hallo, ihr Turteltäubchen“, meinte Madison und warf einen kleinen Stein nach den beiden. „Sollen wir uns vielleicht einen anderen Platz suchen, oder könnt ihr euch noch beherrschen?“

Kendra löste sich kurz von Illinois und funkelte sie giftig an. „Nur weil dich dein Kerl sitzen gelassen hat, musst du uns nicht den Spaß verderben“, schnaubte sie.

Ich konnte mir nicht helfen, aber in Kendras Stimme schwang etwas Feindseliges mit. Mein Blick wanderte von Madison zu Kendra. Kendra wirkte auf mich, als sei sie nicht zu Scherzen aufgelegt.

„Den hast du zu hart rangenommen, was?“, sagte Terenzi und die anderen kicherten dreckig.

Madison grinste abfällig. „Und das weißt du, weil du uns heimlich beobachtet hast, nicht wahr? Du wolltest wohl mal sehen, wie man richtigen Sex macht.“

Jetzt lachten sich die anderen schlapp und ich stimmte mit ein. Vielmehr lachte ich, weil ich mir nur allzu gut vorstellen konnte, wie Terenzi, die halbe Portion, durch ein Schlüsselloch spannte. Vielleicht holte er sich dabei einen runter.

Zum Glück kam keiner auf die Idee, mich näher zu verhören. Ich erzähle einfach nicht gerne über mich. Ich wollte auch nicht erwähnen, dass ich auf dem College gewesen war. Das hätte unweigerlich dazu geführt, dass ich von meiner Amnesie erzählen musste. Und das wollte ich nicht. Meine Amnesie und das zweite Jahr auf dem College hingen nun mal zusammen. Was sollte ich denn schon groß sagen?

Hallo, ich war auch auf dem College, doch dann wollte mich jemand umbringen. Ich habe jedoch überlebt und nun habe ich Amnesie. Und was treibt ihr so auf dem College?

Und ich wusste sogar, wer mich umbringen wollte. Darüber zu sprechen, wäre für mich zu diesem Zeitpunkt unmöglich gewesen.

Ich musste plötzlich an das Krankenhaus denken. Meine Gedanken schweiften zu meiner Mutter. Ich sah sie wieder vor mir, wie sie neben meinem Bett saß und mich mit Suppe fütterte. Ich war noch zu schwach, um selber zu essen. Meine Mutter machte es sich also zur Aufgabe, mich täglich zu füttern. Sie kümmerte sich um mich, während ich in einer Zwischenwelt schwebte. Nicht ganz lebendig, aber auch nicht tot. Mich quälten wilde Träume und Erinnerungsstücke. Aber nichts davon passte richtig zusammen.

Ich glaube, es war der fünfte Tag nach meinem Erwachen, als ich wieder zu sprechen anfing. Zuvor kamen keine Worte über meine Lippen. Ich wollte zwar sprechen, doch mein Gehirn weigerte sich, den Befehl weiterzugeben. Mein Mund wollte einfach keine Worte bilden. Während dieser Zeit jagte ein quälender Gedanke immer wieder durch meinen Kopf.

Was ist passiert? Was ist passiert? Was ist mit mir geschehen?, dröhnte es die ganze Zeit in meinem Gehirn, doch aus meinem Mund drangen nur undeutliche Grunzlaute.

Wenn meine Mutter bei mir war, strich sie mir über die Wange und sagte: „Ganz ruhig, Jessy. Du musst dich beruhigen. Der Doktor sagt, dass du dich nicht aufregen sollst. Es ist nicht gut für dich.“

Ich sollte mich nicht aufregen?! Wie soll man sich nicht aufregen, wenn das Gehirn einem einen Streich spielt?

Am fünften Tag quälte mich dieser Gedanke ganz besonders stark. Während meine Mutter an meinem Bett saß und meine Hand hielt, überschlug sich dieser Gedanke immer wieder und tobte wild in meinen Gehirnwindungen. Was ist passiert? Was ist passiert? Er drängte mit aller Macht nach draußen. „Was ist passiert?“, hörte ich plötzlich meine Stimme. Es war zwar nur ein schwaches Echo meiner Stimme, doch es spielte sich nicht mehr in meinen Gedanken ab. Es drang tatsächlich nach draußen.

Meine Mutter lächelte befangen. In ihren Augen spiegelte sich eine angespannte Freude wider. „Es ist jetzt nicht der richtige Augenblick, Jessy“, sagte sie heiser.

„Was ist passiert? Ich … kann mich an nichts … erinnern …“ Das schwache Echo meiner Stimme hallte erneut durch den Raum. Ich wollte mich aufsetzen, doch der Schmerz ließ mich innehalten. Die Fäden waren zwar schon gezogen, doch ich litt immer noch unter sehr starken Schmerzen. Meine Mutter strich mir erneut über die Wange. „Nicht jetzt, Jessy, lass es bitte gut sein. Es ist noch zu früh …“

„Was ist passiert?!“ Nun war meine Stimme kein Echo mehr. Sie klang kräftig. Selbst ich war über die Kraft in meiner Stimme erstaunt.

Meine Mutter sah die Verzweiflung und die Wut in meinen Augen. Sie stellte vorsichtig die Suppenschüssel ab. Plötzlich schien sie um Jahre gealtert. Ihr Gesicht wirkte müde und abgekämpft. Um die Augen hatte sie dunkle Ringe. Das kannte ich von meiner Mutter bislang nicht. Sie war stets gepflegt gewesen und hatte das perfekte Make-up getragen. Davon war nichts mehr zu sehen. „Jessy, ich weiß wirklich nicht, ob das eine gute Idee ist. Ich denke, wir sollten lieber warten, bis du dich selber daran erinnern kannst.“

„Ich will aber nicht warten. Ich will es jetzt wissen“, beharrte ich. Natürlich wussten wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass meine Erinnerung an ein ganzes Jahr verloren war. Nicht einmal ich selber ahnte das.

Meine Mutter ergriff meine Hand und drückte sie sanft. Über ihr Gesicht huschte ein dunkler Schatten, und ihre Augen suchten nervös meinen Blick.

„Es war Devin, mein Schatz“, sagte sie gedehnt. „Devin wollte dir etwas antun.“

Ich starrte sie gebannt an. „Wieso sollte Devin mir etwas antun wollen?“, fragte ich irritiert.

„Ich weiß es nicht. Sag du es mir.“ Und dann weinte meine Mutter. Sie legte ihren Kopf auf meinen Schoß und weinte hemmungslos.

Devin war mein bester Freund. Devin war mein bester Freund gewesen, musste man jetzt dazu sagen.

Genau aus diesem Grund wollte ich an diesem Abend nicht über mich sprechen. Ich wollte nicht offenbaren, dass mein bester Freund mich hatte umbringen wollen, und ich wollte erst recht nicht erzählen, dass meine Mutter deswegen geweint hatte. Ich wollte auch nicht erzählen, dass sie eine lange Zeit abgekämpft und müde gewesen war. Dass sich ihr perfektes Gesicht zu einer steinernen Maske verwandelt hatte.

Ich widmete mich also lieber meinem Bier und genoss das wilde Treiben um mich herum. Als wir da so saßen, musste ich andauernd auf Kendras Brüste starrten. Im Prinzip wollte ich nur schauen, ob ich noch mehr verräterische Unebenheiten an ihnen entdecken konnte. Bis dato hatte ich noch keine künstlichen Brüste zu Gesicht bekommen (außer natürlich in den besagten Filmen, aber das war nicht das Gleiche, glauben Sie mir). Ich erwähne das nur, weil diese Situation die nachfolgende auslöste. Ich weiß nicht, ob es zu der zweiten Situation überhaupt gekommen wäre, wäre da nicht die erste gewesen. Wie auch immer.

Natürlich konnte ich nicht anders, als auf ihre Brüste zu starren. Ich hatte mich eigentlich schon die ganze Zeit gewundert, wieso ihre Brüste so stramm und fest wirkten. Madison hatte ja auch eine beachtliche Oberweite, aber ihre Brüste wirkten irgendwie anders. Natürlicher.

„Gefallen sie dir? Ich habe sie zu meinem sechzehnten Geburtstag bekommen“, sagte Kendra plötzlich, und ich wurde blitzartig aus meinen Gedanken gerissen. Zu meiner Überraschung spürte ich, wie mir Röte ins Gesicht schoss. Eigentlich kann mich nichts so schnell in Verlegenheit bringen, aber das war mir doch etwas unangenehm. Das Starren an sich war mir natürlich nicht unangenehm. Vielmehr die Tatsache, dass Kendra es bemerkt hatte.

„Willst du sie mal anfassen? Ich wette, du hast noch nie unechte Brüste angefasst.“ Kendra rückte näher zu mir.

Komischerweise lachte sich Illinois kaputt. Ich weiß ja nicht, was so witzig dran war. Wenn meine Freundin jemandem ihre Brüste zum Betasten anbieten würde, würde ich sicherlich nicht lachen.

Na ja, war ja letztendlich nicht mein Bier.

Da Illinois anscheinend nichts dagegen hatte, zuckte ich mit den Schultern und sagte: „Ja klar.“ Ehe jemand protestieren oder sich besinnen konnte, hatte ich auch schon meine Hände um Kendras Brüste gelegt. Ich drückte ein-, zweimal, als würde ich etwas von Silikonbrüsten verstehen, und sagte: „Die fühlen sich sehr gut an. Vielleicht sollte Illinois dasselbe mit seinen Eiern machen.“

Alle bis auf Illinois lachten, Lucy und Terenzi schmissen sich vor Lachen sogar auf den Boden.

„Haha“, erwiderte Illinois nur und zog mit glasigen Augen am Joint. Ich glaube, der Witz kam bei ihm nicht ganz an.

Und dann passierte es: Madison kroch plötzlich auf allen vieren wie eine Wildkatze auf mich zu. Ihre Hüften wiegten dabei hypnotisierend hin und her. In ihren engen Lederhosen, dem dunklen Top und mit den schwarzen Haaren wirkte sie wie ein Panther. Im Schein des Feuers leuchteten ihre Augen high und ekstatisch. Narkotisiert von dem Marihuana lächelte sie anzüglich.

Ich weiß genau, wie sie sich in dem Moment fühlte. Die Stimmen um sie herum verschwammen zu einem undeutlichen Gewäsch. Die Flammen des Feuers loderten in seltsamen Tönen. Die Farben der Nacht waren so klar wie nie zuvor. Vielleicht konnte sie mich sogar riechen. Mein Geruch stieg über den Rauch hinweg und drang in ihre Nase.

Sie witterte mich, folgte meinem Duft. Ehe ich mich versah, kniete sie schon vor mir, beugte sich rüber und flüsterte: „Jetzt fass meine Brüste an. Sie sind echt.“ Ihr Atem roch süßlich nach der Droge, die sie gerade inhaliert hatte. Ihre Haare streiften meinen Oberarm.

Ich glühte innerlich. Ich schluckte laut und wagte kaum zu atmen. Gegenüber Frauen bin ich eigentlich nicht schüchtern, aber das war doch etwas viel auf einmal. Ich meine, der Abend hatte noch nicht einmal angefangen, und bereits zwei Frauen hatten mir ihre Brüste angeboten. Nicht einmal in schlechten Filmen kommt so etwas vor. Ich blickte nervös um mich, doch die anderen waren viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Zugedröhnt krümmten sie sich immer noch vor Lachen.

Madison ergriff plötzlich meine Hände und legte sie auf ihre Brüste. „Trau dich, Süßer. Die von Kendra hast du doch auch angefasst“, flüsterte sie mir ins Ohr.

Na ja, ich wollte niemanden beleidigen. So eine Gastfreundschaft sollte man eigentlich nicht ablehnen. Ich umklammerte also ihre Brüste, die sich weich und voll anfühlten. Ihre Brustwarzen verhärteten sich unter meinen Handflächen. Meine Hose beulte sich augenblicklich aus. Instinktiv presste ich meinen Lippen an Madisons Mund und küsste sie. Der Kuss war schroff und auffordernd. Ich weiß noch, dass ich Madison am Arm packte und sie in eine dunkle Ecke zerrte. Unsere Lippen begegneten sich dabei immer wieder. Sie war genauso ausgehungert nach Liebe wie ich.

„Ich will dich ficken“, flüsterte ich heiser.

„Das lasse ich mir nicht zweimal sagen“, keuchte Madison unter meiner Berührung.

Ich habe ihr dann die Hosen runtergerissen, Madison gegen eine Mauer gedrückt und gebumst, bis ich nicht mehr atmen konnte.

So viel also zu dieser Geschichte.

Eigentlich hätte ich ein schlechtes Gewissen haben müssen, da sie unter Drogeneinfluss stand. Wäre ich anständig gewesen, hätte ich sagen müssen: Nein, Madison. Du bist betrunken und du hast zudem einen Joint geraucht. Du weißt nicht, was du tust, und bereust es vielleicht am nächsten Tag. Nimm jetzt meine Hände von deinen Brüsten und geh brav zu deinem Platz. Und krieche bitte dabei nicht auf allen vieren. Wackle nicht mit deinem Hintern und gucke mich in keiner Weise an.

Aber ehrlich gesagt konnte ich mich einfach nicht beherrschen. Wie gesagt, es war an diesem Abend etwas zu viel für mich gewesen. Ich hatte also kein schlechtes Gewissen. Madison auch nicht. Ich weiß, es war keine besonders moralische Vorgehensweise, aber letztendlich hat es keiner von uns bereut.

Später funktionierten Madison und ich unsere Schlafsäcke ein wenig um, sodass wir beieinander schlafen konnten. Madisons Schlafsack legten wir auseinander, um ihn als Unterlage zu benutzen, und mit meinem deckten wir uns zu.

Eigentlich hätte ich an Madisons Seite gut schlafen müssen. Ich meine, wir schliefen aneinandergekuschelt in Löffelchenstellung, während meine rechte Hand auf ihren Brüsten ruhte. Da müsste man einfach gut schlafen können. Doch ich tat es nicht.

In dieser Nacht hatte ich einen Albtraum. Einen Albtraum, den ich in letzter Zeit schon häufiger gehabt hatte. Er verfolgte mich schon seit einigen Wochen.

Ich träumte vom College.

In diesem Traum saß ich in einem Hörsaal. Ein heller Lichtstrahl schien durch die Fenster. Meine Augen waren geblendet. Ich blickte blinzelnd und kurzsichtig durch den Raum.

Ich konnte nicht alle erkennen, aber neben mir, auf der rechten Seite, saß Laura Rusti. Ich weiß gar nicht, wieso ausgerechnet sie in meinem Traum vorkam. Die Frau war ein graues Mäuschen. Sie hatte aschblonde Spaghettihaare, die fettig und lustlos herunterhingen, trug meistens lange Röcke und weiße, zugeknöpfte Blusen. Nicht besonders sexy. Ich wechselte nie ein Wort mit ihr. Zum Glück war es in diesem Traum auch so. Das hätte noch gefehlt. Es reichte ja schon, dass ich ihre Visage in meinem Traum hatte.

Sie saß starr und bewegungslos neben mir. Die Lichtstrahlen bildeten eine Art Heiligenschein über ihrem Kopf.

Zu meiner linken Seite saß Enrico Diaz. Ein Rockabilly. Ich hasste diesen Kerl. Er hatte schmalzige Haare, trug zu jedem Anlass dieselbe Lederjacke und einen Gürtel mit einer Büffelschädelschnalle. Das erklärt wohl schon alles. Auf jeden Fall kam er auch in meinem Traum vor. Davon war ich ebenfalls nicht sonderlich begeistert.

In diesem Traum saß ich also zwischen den beiden. Auf einmal erkannte ich einen dunklen Schatten, der sich neben mir erhob. Er musste zwischen mir und Laura gesessen haben, aber ich hatte ihn nicht gesehen. Er erhob sich also, und ich blickte zu ihm hinauf. Sein Gesicht konnte ich jedoch nicht sehen, da ich plötzlich gegen das Licht schaute. Ich war geblendet. Meine Augen brannten.

„La sombra. Tu sombra“, flüsterte Enrico beschwörend und sah mich grinsend an. Was faselte er da von irgendwelchen Schatten? Sein Gesicht war urplötzlich ganz bleich, und er blutete aus dem Mund. Das Blut spritzte mir beim Sprechen entgegen.

Ich drehte mich angewidert um. Erneut blickte ich zu dem Schatten. Er war groß und mächtig. Und dann sah ich, dass er etwas in der Hand hielt. Die Form einer Pumpgun zeichnete sich ab.

Nun schritt der Schatten mit der Waffe langsam durch den Raum und blieb vorn am Lehrerpult stehen. Auf einmal herrschte Totenstille. Ich hörte, wie die Waffe geladen wurde.

Eins, zwei – Freddy kommt vorbei.

Drei, vier – schließ ab deine Tür.

Der Schatten summte es leise und traf die Melodie aus dem Film Freddy Krueger aufs Genauste. Es klang genauso gespenstisch.

Fünf, sechs – nimm dein Kruzifix …

Plötzlich erhob sich Enrico und entblößte eine klaffende Wunde in seinem Bauch. Seine Eingeweide hingen schlaff heraus.

In diesem Augenblick wollte ich aufstehen und weglaufen, doch mein Körper war starr und unbeweglich. Ich konnte mich nicht rühren. Es war so ähnlich wie in diesen Träumen, in denen man weglaufen möchte, aber die Beine versagen. Nur dass hier mein ganzer Körper versagte.

Nun schrie Laura unerwartet auf, doch ihr Schrei wurde von einem Knall erstickt. Ihr Kopf zerplatzte. Schädelsplitter trafen mich. Sie bohrten sich wie kleine Glassplitter in meine Haut.

Ich wollte schreien. Ich machte den Mund auf, doch alles, was rauskam, war:

„Eins, zwei – der Henker kommt vorbei.

Drei, vier – verschließt bloß eure Tür.

Fünf, sechs – nimm das Kruzifix.

Sieben, acht – nehmt euch bloß in Acht.

Neun, zehn – Ihr werdet den Tag nicht mehr sehen.

Eins, zwei – der Henker kommt vorbei …“

Plötzlich holte La sombra eine kleinkalibrige Pistole raus und richtete sie auf mich. Als es knallte, erwachte ich.

Der Anhalter

Подняться наверх