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1 Public Affairs oder Lobbying? Worum es in diesem Buch geht
ОглавлениеIm deutschen Sprachraum ist der Begriff »Public Affairs« anders als im angelsächsischen Raum nicht sonderlich gebräuchlich. Wenn es um Interessenvertretung geht, fällt stattdessen oftmals der Begriff des »Lobbyismus« – in der Regel dann aber nicht aus Anerkennung angesichts eines raffinierten methodischen Vorgehens, sondern mit dem fahlen Beigeschmack halbseidener Praktiken (zum Imageproblematik des Lobbyismus nimmt Hielscher ausführlich Stellung, Hielscher 2017, S. 40 ff.). Der klassische Lobbyismus hat offenbar einen denkbar schlechten Ruf, auch wenn faktisch viele Referentenentwürfe im Gesetzgebungsverfahren kaum ohne den praktischen Input seitens bezahlter Interessenvertreter entstehen dürften. Ob und wie es mit dem faktischen Branchen-Know-how in Ministerien bestellt ist, wäre ein gesondertes Thema. Die Mehrheit der deutschen Bevölkerung sieht Lobbyismus in Europa und der Bundesrepublik kritisch, zu groß sind die Vorbehalte gegenüber diesem Bypass in der Legislative. Zu diesem Ergebnis kommt zumindest eine Umfrage des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW). Über 78 % der Befragten sind der Meinung, dass die Politik der EU stark durch Lobbyismus beeinflusst wird, und immerhin rund 70 % sehen das negativ (Brandt 2019). Aber: Was mein »beeinflusst« hier genau? Das bleibt unklar, denn das Wissen um die Techniken und Methoden des Lobbyismus ist offenbar nur schwach ausgeprägt. Zu der allgemeinen Skepsis aber passt, dass auch die Bundesregierung im Frühjahr 2021 nach Eskapaden einzelner Abgeordneter reagiert hat: Im März des Jahres hatten sich Union und SPD nach monatelangen Verhandlungen auf ein öffentliches Lobbyregister verständigt. Es soll Informationen über Interessenvertreter enthalten, die auf Abgeordnete oder die Bundesregierung zugehen und Einfluss nehmen wollen. Die Registrierungspflicht werde auch für Kontakte unterhalb der Minister gelten, also für Abteilungsleiter und Unterabteilungsleiter. Lobbyisten, die auf dieser Ebene Kontakte knüpfen, müssen sich in ein zentrales, öffentlich zugängliches Register beim Bundestag eintragen. Umgekehrt gibt es allerdings keine Verpflichtungen auf Seiten der Abgeordneten oder Ministeriumsmitarbeiter zu dokumentieren, wann sie sich zu welchem Thema mit einem Lobbyisten getroffen haben. Die große Koalition hatte sich zum Ziel gesetzt, mit dem Register größere Transparenz über Wege der Einflussnahme auf politische Vorhaben zu schaffen. Die Forderung nach einem öffentlichen Register währt schon mehr als eine Dekade, aber die Politik konnte ihre unterschiedlichen Vorstellungen bisher nicht in Einklang bringen.
Das verabschiedete Register wirft die interessante Frage auf, wer tatsächlich Adressat dieses Registers ist: Nur professionelle Lobbyisten (dann definiert durch eine Zugangsberechtigung für Parlament und Ministerien) oder jeder, der sich an einen Mitarbeiter eines Bundes- oder Landesministeriums richtet. Was überscheidet überhaupt professionelles Lobbying von einer Politikkontaktarbeit oder Public Affairs?
Der Begriff Lobby kommt aus dem Lateinischen (lobium) und bedeutet übersetzt »Eingangshalle« bzw. »Vorhalle«. In Washington war die Lobby des »Willard Hotel« im 19. Jahrhundert ein beliebter Treffpunkt für Abgeordnete und Unternehmer, da das Hotel sich in unmittelbarer Nähe zum Parlamentsgebäude befand (Leif 2006, S.12). Es gab damals viele Bürger und Interessenvertreter, die daran interessiert waren, mit Abgeordneten und Wirtschaftsvertretern mehr oder weniger informell in Kontakt zu kommen. Solche Personen wurden von der damaligen US-Administration gern als Lobbyisten bezeichnet. Dass Interessengruppen ihre Anliegen zu Gehör bringen und ihre Wünsche und Bedenken in die politische Entscheidungsfindung einbringen, ist seither ein gleichermaßen legitimer wie legaler Bestandteil von Demokratie. Sie wirken, oftmals unbeobachtet von der Öffentlichkeit, mittelbar und unmittelbar an der Willensbildung und Gesetzgebung mit und formulieren bisweilen sogar Gesetzesentwürfe, die später in Ausschüssen verhandelt werden. Die Anzahl der Lobbyisten in Berlin ist unbekannt, vorsichtige Schätzungen gehen von etwa 5.000 aus. Allein auf der Verbändeliste des Deutschen Bundestages sind aktuell 2.300 Verbände registriert, die regelmäßig zu Anhörungen eingeladen werden (Lobbycontrol 2017). Sie beinhaltet die verschiedenen Branchenverbände wie den Verband der Chemischen Industrie (VCI) oder den Verband der Automobilindustrie (VDA), die Spitzenverbände der Wirtschaft wie den Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) oder den Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH), Gewerkschaften wie die IG Metall oder Nichtregierungsorganisationen wie z. B. auch Lobbycontrol selbst. Damit erfasst die Verbändeliste aber nur einen Teil der Lobbyisten. Immer mehr Großunternehmen und Organisationen eröffnen mittlerweile eigene Lobbybüros, um eigenständig Einfluss auf die Politik zu nehmen. Es gibt bereits rund 100 solcher Unternehmensrepräsentanzen in Berlin. Ein weiterer Wachstumsbereich des Lobbyismus, der in der Liste des Bundestags ebenfalls nicht auftaucht, sind die zahlreichen Lobby-Agenturen, Beraterfirmen und in jüngerer Zeit offenbar zunehmend Anwaltskanzleien, die unter anderem auch Lobbydienstleistungen anbieten. Diese übernehmen teilweise die politische Interessenvertretung für Unternehmen oder Verbände, die keine eigenen Dependancen in Berlin haben. Sie werden aber auch von großen Verbänden und Unternehmen zusätzlich mit einzelnen Lobbyaufgaben oder Öffentlichkeitskampagnen beauftragt. Bei Ihnen sind verschiedenste Services im Angebot: die Organisation von Lobbytreffen mit Politikerinnen; öffentliche Meinungsmache – auch zur Imageverbesserung bei Krisen, die laufende Beobachtung der politischen Prozesse und der Medien, um frühzeitig reagieren zu können, oder auch die Formulierung ganzer Gesetzesentwürfe, die dann über das richtige Ministerialreferat in die Politik eingespeist werden. Wir haben es mittlerweile mit einem professionellen Wirtschaftszweig zu tun.
Das bundesdeutsche Gesundheitssystem, insbesondere dessen größter Bestandteil, das Krankenversorgungssystem, ist ein hochkomplexes Gebilde von hunderten institutionellen Organisationen und tausenden individuellen Teilnehmern. Diese Akteure vertreten teilweise ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen, teilweise auch fachliche Berufsinteressen oder auch gesamtgesellschaftliche Ordnungsinteressen. Das bleibt nicht ohne Folgen für den Professionalisierungsgrad in der öffentlichen Darstellung und die Kommunikation der jeweiligen Ziele. Wie auch in jedem anderen Politikfeld versuchen Akteure, die von den politischen Entscheidungen berührt sind, durch direktes Lobbying und strategische Kommunikation Einfluss zu nehmen. Vor allem durch den Kontakt zu und Informationsaustausch mit politischen Entscheidungsträgern, Abgeordneten, aber auch mit der Zivilgesellschaft und durch Öffentlichkeitsarbeit. Die Initiativen bestimmen nicht zuletzt maßgeblich, welche Themen in der Öffentlichkeit überhaupt ausführlich diskutiert werden, und welche nicht. Durch Lobbying erfahren Politiker, auf welchen Widerstand und welche Schwierigkeiten ihre Gesetzesinitiativen im Rahmen der Abstimmungsprozesse vermeintlich treffen werden. Sie können gegebenenfalls ihre Initiativen bereits vor der Abstimmung im Parlament entscheidend anpassen. Dabei gilt natürlich: Da Lobbyisten die Interessen ihrer Auftraggeber vertreten, sind die bereitgestellten Informationen natürlich keine neutralen wissenschaftlichen Recherchen, sondern mutmaßlich zu Gunsten ihres Anliegens frisiert. Wenn man nicht gleich jede Form der Interessenvertretung unter Lobbyismus subsumieren möchte, braucht es also zunächst eine trennscharfe Definition. Thomson und John definieren in ihrem Standard-Handbuch (Thomson und John 2007, S. 3 ff.) Lobbying begrifflich wesentlich weiter gefasst als »any action designed to influence the institutions of government. That means it covers all parts of central and local government and other public bodies, both in the UK and internationally. Its scope includes legislation, regulatory and policy decisions, and negotiations on public sector contracts or grants.« Diese Explikation klingt eingängig, greift aber zu kurz, wenn man zwischen Lobbyismus und Public Affairs begrifflich unterscheiden möchte. Nicht alle möchten das, für Köppl etwa sind Lobbying und Interessenvertretung schlicht austauschbare Synonyme (Köppl 2017, S. 13). Public Affairs hingegen deutet er weiter als »aktive Steuerung des Unternehmensumfeldes mit dem Ziel, dieses Umfeld im Interesse der Unternehmensziele mitzugestalten und zu beeinflussen« (Köppl 2017: 24). Dann bleibt indes fraglich, ob es sich bei Lobbying und Public Affairs nicht um ein und dieselbe Tätigkeit handelt, es fehlen die Differenzierungen im Blick auf Methode und Gegenstand der kommunikativen Intervention. Seine Definition ist somit leider unbrauchbar, da nicht operationalisierbar. Wenn im weiteren Verlauf des Buches von Lobbyismus die Rede ist, verstehen wir hingegen darunter konkret:
Lobbyismus ist der Versuch einer direkten Einflussnahme auf politische Entscheidungen durch Vertreter von Interessenverbänden. Das geschieht durch direkte Kontaktaufnahme, oftmals persönlich und häufig auch vor Ort in Ministerien oder im Parlament selbst. Ein Lobbyist ist jemand, der das Lobbying im Auftrag eines Dritten durchführt. Politische Entscheidungen können Verfügungen, Planungen oder Gesetzgebungsvorhaben sein. Interessenverbände sind zum Beispiel Wirtschafts- und Sozialverbände, Umweltschutzorganisationen, Gewerkschaften oder Arbeitnehmerverbände. Der Lobbyist artikuliert ein direktes Interesse, er zielt nicht nur auf die Meinungsbildung ab, sondern sucht, bisweilen in diskretem Rahmen, unmittelbar Einfluss auf die politische Willensbildung zu nehmen.
Lobbyismus kann also sinnvolle politische Interessenvertretung sein, wenn die demokratischen Grundprinzipien und die Transparenz gewahrt bleiben. Die Informationen über immer komplexer werdende Zusammenhänge können wichtige politische Entscheidungen erleichtern und beschleunigen. Darin liegt sowohl der Nutzen als auch die Gefahr der Lobbyarbeit, sie bietet wertvollen praktischen Input über Hintergründe, Standpunkte und mögliche Konsequenzen einer Gesetzgebung für die Legislative, sie flankiert aber auch tendenziell die politische Willensbildung, die im Prozess der politischen Debatte zwischen den Fraktionen, dem Bürger und den Medien verhandelt wird. Das erklärt auch das zweischneidige Verhältnis zur Öffentlichkeit: Die versuchte Einflussnahme ist diskret, nicht öffentlich, sie sollte selbige nicht fürchten, aber auch nicht suchen, wenn sie wirksam vonstattengehen soll. Transparenz und Lobbying stehen daher nicht automatisch in einem Widerspruch, aber zumindest doch erkennbar in einem Spannungsverhältnis. Auf dem Fuß folgen daher auch die Ressentiments und kritischen Anwürfe, die bei einem solchen Vorgehen üblicherweise angebracht werden: Lobbyismus in Deutschland und der EU findet, so ein gängiger Kritikpunkt, vor dem Hintergrund wachsender gesellschaftlicher Ungleichheiten und verfestigter Machtstrukturen statt (Lobbycontrol 2017). Ein Lobbying benachteilige also strukturell diejenigen, die über weniger Ressourcen oder Zugänge verfügen, ist somit nicht legitim, weil es dem Mehrheitswillen zuwiderläuft. Zunehmende finanzielle und personelle Verflechtungen gefährden demnach die Unabhängigkeit demokratischer Institutionen und die Ausgewogenheit politischer Entscheidungen, die Intransparenz erschwere zudem jedwede demokratische Kontrollmöglichkeit (ebd.). Umgekehrt mag man entgegenhalten: Die definitorische Bestimmung des Lobbyismus aber zeigt auch, dass Lobbyismus unabdingbar für unser politisches System der Interessenverhandlung und der diskursiven Meinungsfindung ist. Er bedeutet das Prinzip der zielgerichteten Interessenvertretung einzelner Personen oder Gruppen gegenüber der Politik, dabei ist grundsätzlich keiner ausgeschlossen. Diese Interessen können von NGOs, einflussreichen Meinungsführern, aber auch Unternehmen ausgehen. Sie beraten die Abgeordneten mit ihrer fachlichen Expertise und beeinflussen somit den Gesetzgebungsprozess maßgeblich, eben das steht in einem System gewählter Volksvertreter aber auch jedem zu. Ohne diese fachliche Beratung der Mandatsträger und Administration würden politische Entscheidungen schlicht uninformierter und praxisferner getroffen werden. Lobbyisten sichern, so die eben referierte Gegenposition zur Fundamentalkritik von Lobbycontrol, den fachlichen Input von außen und härten Gesetzesentwürfe im Stadium der Entstehung durch die Positionen derer, die sie faktisch betreffen. Die Gesetzgebung werde, so die Argumentation, schlicht praxisnäher. Lobbyismus wird in Deutschland keineswegs nur kritisch gesehen, sondern auch als eine Art »Tauschprozess«, der für Politik und Ministerialverwaltung Vorteile bietet. Aus Sicht der Mandatsträger können Kontakte zu Lobbyisten und die von ihnen gelieferten Informationen die Abhängigkeit des Parlamentsbetriebs von den Fachinformationen der Ministerialbürokratie mindern. Aber auch für die Administration hat der »Tauschhandel« Vorteile: »Aus Sicht der Ministerialbeamten kann eine sachkompetente Unterstützung durch Verbandsexperten dazu beitragen, Fehler zu vermeiden und handwerklich bessere Gesetzentwürfe zu schreiben« (Simon 2015).
Das Für und Wider ließe sich beliebig verlängern. Beide Argumentationslinien haben eine gewisse Plausibilität, in praktischer Hinsicht (und dieses Buch ist eben ein Ratgeber) geht es also im Kern darum, Lobbying innerhalb eines bestimmten Rahmens stattfinden zulassen, um ein Mindestmaß an Transparenz, aber auch praktischem Input für das Gesetzgebungsverfahren zu sichern.
Vom klassischen Lobbying muss man die Disziplin der Public Affairs unterscheiden, hier geht es nicht um eine direkte, teilweise persönliche vermittelte Beeinflussung politischer Entscheidungsträger abseits der Öffentlichkeit, wie im klassischen Lobbying-Ansatz (Government Relations), sondern um das gezielte Herstellen von Öffentlichkeit für strategisch relevante Themen bei den Ziel- und Anspruchsgruppen der politischen Elite. Dieses Betätigungsfeld steht der klassischen Kommunikationsarbeit naturgemäß wesentlich näher. Da Public Affairs seinem Wesen nach für »Öffentliche Angelegenheiten« steht, braucht es hierfür auch kein Transparenzregister, die Methoden sind ohnehin so ausgerichtet, dass sie den Bezug zur gesellschaftlichen Öffentlichkeit stets herzustellen suchen. Der Ausdruck stammt ursprünglich aus den Vereinigten Staaten, wo sich 1954 in Washington, auf Veranlassung des damaligen amerikanischen Präsidenten Eisenhower, der »Public Affairs Council« (PAC) als eine Gegenorganisation zu den amerikanischen Gewerkschaften gründete (Public Affairs Council 2021). Dessen Hauptaufgabe bestand darin, Wirtschaftsmanager im Hinblick auf ein effizientes, politisches Engagement zu schulen. Public Affairs organisiert demnach die externen Beziehungen einer Organisation, vor allem zu Regierungen, Parlamenten, Behörden, Gemeinden sowie Verbänden und Institutionen – und zur Gesellschaft selbst. Der Minimalkonsens in Praxis und Wissenschaft besteht darin, dass Public Relations die Beziehungen mit Öffentlichkeiten pflegt und entwickelt, die für die jeweilige Organisation von Bedeutung sind. Public Affairs ist dann jene Praxis der Public Relations, die sich gezielt an die Politik und die Öffentlichkeiten richtet, die politisches Handeln beeinflussen (Althaus 2005, S. 262). Im Folgenden werden wir diese Definition dahingehend konkretisieren, dass wir Public Affairs im Gegensatz zum Lobbying wie folgt begrifflich fassen:
Public Affairs bedeutet Meinungsbildnerschaft im politischen Kontext durch zielgruppenspezifische Öffentlichkeitsarbeit. Sie beobachtet erfolgskritische Themen, ist Politikinformations- und Politikerkontaktarbeit und bedient sich dabei sowohl der Methoden klassischer Public Relations (Presse- und Medienarbeit, Corporate Publishing, Issues Management, Eventmanagement etc.) als auch spezifischer Instrumente (etwa die Kommunikation mit und Beratung von relevanten Entscheidungsträgern). Sie ist ihrem Wesen nach transparent und zielt nur mittelbar, über die Öffentlichkeit vermittelt, auf einen Einfluss auf die politische Willensbildung ab.
Das geschieht sowohl über organisierte Interessen im politischen Prozess als auch als singuläres Unternehmen mit partikularen Interessen. Vereine und Verbände sowie einzelne Unternehmen schaffen dabei gezielt Aufmerksamkeit für Ihre Anliegen, sie erzeugen über diesen Weg (etwa bei Streiks, offenen Protest- oder Positionsschreiben) auch gezielt öffentlichen Druck auf politische Entscheidungsträger und bedienen sich dabei nicht selten der Instrumente klassischer Kampagnenführung. Warum ist es für Unternehmen sinnvoll sich in Interessengruppen zu organisieren? Beides hat Vor- und Nachteile: Für Unternehmen hat eine Verbandsmitgliedschaft einerseits die Vorteile einer erhöhten politischen Wehrhaftigkeit, der Anonymität und des Imageschutzes im Falle einer öffentlichen Diskussion als auch der Kompensation mangelnder Geldressourcen für gezielte, politische Kommunikation (Sebaldt 1997, S. 241 ff.). Gemeinsam lässt sich für die eigenen strategischen Belange faktisch leichter streiten, es können mehr rhetorischer Nachdruck entfaltet, mehr wirtschaftliche oder finanzielle Ressourcen aufgewendet werden. Nachteilig für das Unternehmen können sich jedoch »Demokratiedefizite« in den Verbandsstrukturen und damit einhergehende unbefriedigende Kompromisse auf Verbandsebene auswirken. Das was der Verband erstreitet, mag die eigene Interessenlage eben nur näherungsweise abdecken. Unternehmen haben daher erkannt, dass das Einbringen ihrer partikularen Interessen zusätzliches eigenes Engagement und eine eigene politische Kommunikation, somit zusätzliche Kommunikationskanäle erforderlich macht. Die kommunikativen Ansatzpunkte und vorteilhaften Leistungen der Verbände für die Politik sollen dabei aufgriffen werden, gleichzeitig aber sollen die Mängel der Verbandskommunikation konstruktiv behoben werden (Strauch 1993). Hinzukommt zudem, dass sich die Gesetzmäßigkeiten von Wirtschaft und Politik ständig verändern (besonders im Rahmen der fortschreitenden Globalisierung), es ist also notwendig, dass Organisationen fähig sind, äußerst flexibel auf neue Themen und Probleme zu reagieren. Dabei ist es Aufgabe der Public Affairs wie auch aller übrigen Lobbyingaktivitäten, Beziehungen zu den relevanten Anspruchsgruppen einer Organisation zu schaffen, dort Interesse für die eigenen erfolgskritischen Themen zu wecken, die Bindungen aufrecht zu halten und gleichzeitig bei diesen Gruppen die Interessen des Unternehmens argumentativ und im Blick auf die praktischen Konsequenzen zu vertreten.
Ist Public Affairs also letztlich Public Relations für eine politische Zielgruppe? In der Literatur gibt es viele Versuche, die beiden Begriffe Public Affairs und Public Relations inhaltlich voneinander scharf abzugrenzen. Dabei kommen Praxis und Wissenschaft überein, dass PR im Kern die Beziehung mit Öffentlichkeiten pflegt und entwickelt, die für die entsprechende Organisation von Bedeutung sind. Public Affairs ist dann eben jener Teilbereich der Kommunikation, der sich vornehmlich an Politik und Öffentlichkeit richtet, um die Politik im Sinne eigener Interessen zu informieren und somit mittelbar zu beeinflussen. Beides wird aber in der Regel deutlich vom Lobbying separiert: Wenn man unter Public Affairs die Außenpolitik eines Unternehmens versteht, wäre Lobbying als Versuch gezielter Einflussnahme eher mit der direkten Diplomatie zu vergleichen. Diese Ansätze können sich aber methodisch ergänzen und gehen in der Praxis bisweilen Hand in Hand: Am besten funktioniert Lobbying dann, wenn es auf der Basis von langfristigen Public Affairs aufbaut. Die Methoden und Funktionsweise beider Disziplinen sind in folgender Tabelle gegenübergestellt ( Tab. 1.1).
Tab. 1.1: Methoden und Funktionsweise von Lobbying und Public Affairs in Gegenüberstellung
MerkmalePublic AffairsLobbying
Auch wenn sich die Disziplinen begrifflich gut trennen lassen, ist der Übergang im praktischen Alltagshandeln oftmals fließend. Das hängt auch entscheidend davon ab, welche Funktion im jeweiligen Unternehmen mit diesen Aufgaben betraut ist.
Wie steht es um die organisatorische Aufhängung und Bedeutung der Public Affairs in Gesundheitsunternehmen? Die politische Kommunikation und »Außenpolitik« des Unternehmens nimmt heute einen besonderen Stellenwert ein. Vorstände, Geschäftsführer und PR-Fachleute müssen immer öfter mit immer mehr Gruppen immer intensiver kommunizieren. Strategische Kommunikation mit diesen Zielgruppen, verstanden als Politik-Management, will wissen, was um einen herum passiert, um Handlungsoptionen zu wahren für politische Einflussnahme (eben das markiert dann den Übergang zum Lobbying) oder um intern Veränderungsprozesse anzustoßen. Dafür gibt es im Organigramm der meisten Unternehmen der Gesundheitswirtschaft und der Krankenhäuser ganz offensichtlich noch keinen festen Ansprechpartner, es ist eine der vielen Aufgaben, die eine Geschäftsführung zusätzlich abarbeitet oder die im Bereich der Unternehmenskommunikation oder der Medizinstrategie verortet sind. Dabei sollte nicht übersehen werden: Public Affairs benötigt einen systematischen Ansatz, der in weiten Teilen – wie noch zu zeigen sind wird – Daten- und Informationssammlung bedeutet. Ein operatives Tagesgeschäft also, das man der Geschäftsführung nicht zusätzlich aufbürden sollte. Hier braucht es eine organisatorische Anbindung an einen Funktions- oder Stabsbereich. Die persönliche und direkte Auseinandersetzung mit Entscheidern aus Politik und Verbänden hingegen sollte stets Chefsache sein und bleiben.
Einige Hinweise zum rechtlichen Rahmen, in dem wir uns mit diesen Ansätzen bewegen. Während für Public Affairs im Allgemeinen dieselben rechtlichen Spielregeln wie im Falle konventioneller Public Relations gelten, ist Lobbyismus als Durchsetzung unternehmerischer Interessen im politischen Prozess auch rechtlich zunächst legitimationsbedürftig. Ein spezielles PR-Recht gibt es in Deutschland nicht. Es finden sich aber eine Vielzahl rechtlicher Normierungen, die auch für das PR-Management von zentraler Bedeutung sind: Das sind neben der Medienordnung mit dem Landespresserecht vor allem die Regelungen des Verbraucherschutzes, aber auch die Grundrechte wie das Recht am eigenen Bild oder der Datenschutz. Die Idee des Verbraucherschutzes als Anlegerschutz macht vor allem viele Vorgaben für Investor Relations. Darüber hinaus sind die sich permanent fortschreibenden rechtlichen Rahmenbedingungen rund um den Bereich digitaler Medien ein wichtiger Bereich, der bis hin zu so einfachen Anforderungen wie der Impressumspflicht reicht, die die rechtliche Sensibilität des PR-Managements erhöhen sollten. Das Lobbying ist dabei hingegen einerseits verfassungsrechtlich geschützt, andererseits durch einen Rechtsrahmen begrenzt, der sich aus dem Straf- und Organisationsrecht ergibt. Eine Reihe von Grundrechten legitimieren es, allen voran Artikel 5 Absatz 1 des Grundgesetzes: »Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.« Der Lobbyist kann sich hier in seiner Aufgabe als Meinungsübermittler als verfassungsrechtlich geschützt betrachten. Ferner kann er sich auf die Pressefreiheit oder, wenn er koalitionszweckbezogen lobbyiert, auch Artikel 9 des Grundgesetzes berufen. Faktisch sind der Informationsaustausch und die Zusammenarbeit auf Bundesebene weit fortgeschritten und die Bereiche der Interessenvertreter und der Administration mittlerweile sehr eng verzahnt. Neben Beamten und Angestellten arbeiten seit mehreren Jahren auch externe Mitarbeiter in deutschen Bundesministerien. Dabei handelt es sich nicht um klassische freie Mitarbeiter, die von den Behörden finanziert werden, sondern um Personal aus der Privatwirtschaft, aus Verbänden und Interessengruppen, die weiterhin Angestellte ihres eigentlichen Arbeitgebers bleiben und von diesem bezahlt, aber zeitweilig in Bundesministerien tätig sind. Teilweise geschieht dies im Rahmen eines seit 2004 etablierten Personalaustauschprogramms, teilweise in Formen, die in Veröffentlichungen der Bundesregierung mit »externe Mitarbeiter«, »Entsendung« und »Abordnung« bezeichnet werden. Rechtliche Grundlage des Einsatzes von Lobbyisten in Ministerien ist die »Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Einsatz von außerhalb des öffentlichen Dienstes Beschäftigten (externer Personen) in der Bundesverwaltung vom 17. Juli 2008«. Ein Sonderfall ist der Einsatz von Vertretern der gesetzlichen Krankenkassen im Bundesgesundheitsministerium, weil es dafür in §30 Sozialgesetzbuch IV eine eigene gesetzliche Grundlage gibt. Diese Verwaltungsvorschrift erlaubt den Einsatz externer Personen im Rahmen eines transparenten Personalaustausches zwischen der Bundesverwaltung und der Privatwirtschaft sowie Einrichtungen aus Wissenschaft, Kultur und Zivilgesellschaft oder wenn die Verwaltung nicht über Fachwissen verfügt, das für die Erfüllung spezifischer Aufgaben notwendig ist, oder schließlich, wenn im Haushaltsplan für diesen Zweck ausdrücklich Mittel bereitgestellt sind. Der Status als externe Person soll grundsätzlich bei allen dienstlichen Innen- und Außenkontakten deutlich gemacht werden. Den externen Personen ist es dabei dem Wortlaut der Vorschrift nach aber nicht gestattet, länger als sechs Monate eingesetzt sowie in folgenden Bereichen beschäftigt zu werden.
• Formulierung von Gesetzesentwürfen und anderen Rechtsetzungsakten,
• leitende Funktionen,
• Funktionen im Leitungsbereich und in zentralen Kontrollbereichen,
• Funktionen mit abschließender Entscheidungsbefugnis,
• Funktionen, deren Ausübung die konkreten Geschäftsinteressen der entsendenden Stelle unmittelbar berührt,
• Funktionen im Zusammenhang mit der Vergabe öffentlicher Aufträge.
Offenkundig bietet der Gesetzgeber Lobbyisten also weitreichende Befugnisse, um Branchenwissen und Interessen auf legitimiertem und legalem Wege in den politischen Prozess einzuspeisen. Selbstredend ist die Grenze zum Strafrecht eine Grenze, die peinlich genau zu beachten ist, es gibt keinen fließenden Übergang zwischen Lobbying und Korruption, sondern einen kategorialen Unterschied: Seit der Neuerung im September 2014 ist der Straftatbestand der Abgeordnetenbestechung wie folgt definiert: »Wer als Mitglied einer Volksvertretung des Bundes oder der Länder einen ungerechtfertigten Vorteil für sich oder einen Dritten als Gegenleistung dafür fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, dass er bei der Wahrnehmung seines Mandates eine Handlung im Auftrag oder auf Weisung vornehme oder unterlasse, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Ebenso wird bestraft, wer einem Mitglied einer Volksvertretung des Bundes oder der Länder einen ungerechtfertigten Vorteil für dieses Mitglied oder einen Dritten als Gegenleistung dafür anbietet, verspricht oder gewährt, dass es bei der Wahrnehmung seines Mandates eine Handlung im Auftrag oder auf Weisung vornehme oder unterlasse.« Der Straftatbestand der Abgeordnetenbestechung ist dem Wortlaut nach eng gefasst (Hoven 2013, S. 34, ferner Richter 1997). Ein strafbares Verhalten liegt vor, wenn der oder die Abgeordnete »im Auftrag oder auf Weisung« handelt. Das ist im Einzelfall schwer nachzuweisen. Deswegen steht das Gesetz weiterhin in der Kritik von NGOs wie Lobbycontrol, Transparency International und Abgeordnetenwatch. Ein weiterer wichtiger Kritikpunkt an § 108e StGB: Sogenannte Dankeschön-Spenden (direkte Spenden an Abgeordnete nach § 44a, Abs. 2 des Abgeordnetengesetzes) sind nur dann strafbar, wenn nachgewiesen werden kann, dass sie vor der gewünschten Handlung des Mandatsträgers als Gegenleistung vereinbart wurden. Der strafrechtliche Begriff der Korruption ist auf EU-Ebene im Übereinkommen über die Bekämpfung der Bestechlichkeit, an der Beamte der Europäischen Gemeinschaften oder Mitgliedstaaten der Europäischen Union beteiligt sind (ABL. C195/1997), definiert.