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»Die USA sind
verrückt geworden«

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»Amerika hat eine seiner Perioden historischer Verrücktheit erreicht, doch diese ist die schlimmste, an die ich mich erinnern kann: schlimmer als die McCarthy-Ära, schlimmer als die Schweinebucht und auf lange Sicht desaströser als der Vietnamkrieg. Die Reaktion auf den 11.9. geht weit über alles hinaus, was Osama Bin Laden in seinen schmutzigsten Träumen hoffen konnte. Wie zu McCarthys Zeiten werden die Freiheiten, um die Amerika von der Welt beneidet wurde, systematisch ausgelöscht. Die Kombination von willfährigen Medien und gezielten Geschäftsinteressen sorgt einmal mehr dafür, dass die Debatte, die sich an jeder Straßenecke entzünden sollte, auf die abgehobenen Kolumnen der Ostküsten-Presse begrenzt bleibt. Der drohende Krieg war Jahre, bevor Bin Laden zuschlug, geplant, doch erst er machte ihn möglich. Ohne Bin Laden wäre die Bush-Junta immer noch dabei, verzwickte Dinge zu erklären: etwa, wie sie überhaupt gewählt wurde; Enron; ihre schamlose Begünstigung der ohnehin Superreichen; ihre unbekümmerte Missachtung der Armen dieser Welt, der Ökologie und einseitig gekündigte internationale Verträge. Sie müsste außerdem erklären, warum sie Israel bei seiner fortgesetzten Missachtung von UN-Resolutionen unterstützt. Doch dank Bin Laden konnte dies alles unter den Teppich gekehrt werden. Die Bushies sitzen auf dem hohen Ross. 88 Prozent der Amerikaner, so wird uns erzählt, sind jetzt für den Krieg. (…) Wie es Bush und seine Junta schafften, Amerikas Ängste von Bin Laden auf Saddam Hussein zu lenken, ist einer der großen Publicrelations-Beschwörungstricks der Geschichte. Aber sie haben es geschafft – nach einer aktuellen Umfrage glaubt jetzt jeder zweite Amerikaner, dass Saddam für den WTC-Anschlag verantwortlich war. Doch die amerikanische Öffentlichkeit wird nicht einfach nur getäuscht. Sie wird eingeschüchtert und in ­einem Zustand des Unwissens und der Angst gehalten. Diese sorgfältig orchestrierte Neurose dürfte Bush und seine Mitverschwörer wunderbar bis zur nächsten Wahl tragen.«

John Le Carré , LondonTimes, 15. Januar 2003

* * *

Auch wenn sich mit »Verrücktheit« nicht alles erklären lässt, gibt dieser Lagebericht sehr gut die damalige Stimmung wieder – und dass die Times tags darauf von wütenden Leserbriefen heimgesucht wurde, die den Altmeister Le Carré in die Schublade »zorniger alter Mann« stecken und kaltstellen wollten, wundert nicht. Wie sollte ein Medienpublikum, dem von netten jungen Moderatoren seit dem 11. September 2001 über alle Kanäle die Bin-Laden-Al-Qaida-Weltverschwörung mit »Schläfern« in jeder Fußgängerzone ins Hirn getrichtert wurde, es auch anders wissen?

Wie die Weltöffentlichkeit über die Vorgänge des 11.9. von der amtierenden »Bush-Junta« getäuscht wurde, machten die Belege in meinem Buch recht deutlich. Anders als der Spiegel behauptete ich auch nicht, zu wissen, »was wirklich geschah«. Aber dass das, was die offizielle Legende erzählt, so nicht geschehen sein konnte, dafür gab es Dutzende materielle Beweise, die sich nicht mehr einfach als »spekulativ« vom Tisch wischen ließen – außer mit der Stigmatisierung und Tabuisierung als frevelhafte »Verschwörungstheorie«

Nach der Regel, wie derlei Disqualifikation in Deutschland abläuft – und die mein einstiger taz-Kollege Wiglaf Droste einmal auf den Punkt brachte: »Wer zuerst Auschwitz sagt, hat gewonnen!« –, hatte mir der damalige Spiegel-Autor Henryk M. Broder ja schon gleich am 14. September 2001 im Radio und auf seiner Webseite ein »krankes Hirn« bescheinigt, das in ­einer Reihe mit Auschwitz-Leugnern und den »Protokollen der Weisen von Zion« stünde – und wünschte mir zum Abschluss seiner Suada den Tod als »Fettfleck an einer Hochhauswand«. Weil ich den selbsternannten Antisemitismusbeauftragten Broder noch nie wirklich ernst nehmen konnte9, antwortete ich nur mit einer Mail, dass ich, mit 65 Kilo und 177 Zentimetern, anders als kleine Fettsäcke keine Flecken hinterlasse. Aber er hatte damit schon mal den Kammerton vorgegeben, mit dem sich einige Monate später der Spiegel (Nr. 42/02) der Sache annahm. Unter dem Titel »Die Septemberlüge« schaffte es das ehemalige Nachrichtenmagazin, auf drei Seiten über den »Bestseller des Unbehagens« zu berichten, ohne den Titel und Verlag des Werks zu nennen und auf seine Inhalte in irgend­einer Weise einzugehen – geschweige denn, eine der 100 offenen Fragen im Buchanhang anzusprechen. Dafür gelang es dem Autor Ulrich Fichtner aber mühelos, die Beweislast zu Lasten der Angeklagten umzudrehen:

»Die ›alternativen Aufklärer‹ in Deutschland Bröckers, Bülow und Co., in Frankreich Meyssan und die Seinen, in Amerika die Rupperts und Chossudovskys, im Fieber des Bestätigungswahns alter Weltbilder behindern sie die Wahrheitsfindung mehr, als dass sie sie beförderten. Sie vergeuden ihre Energie in den Maschen des World Wide Web, statt im konkreten hier und jetzt fehlende Fakten auszuforschen.«

Merke: Die Wahrheitsfindung bei der Aufklärung der Verbrechen des 11.9. wurde nicht von Bush und Co. und ihren medialen Betriebsnudeln behindert, die die Weltverschwörungstheorie »Bin Laden« als Wahrheit verkauften – nein: Die eigentlichen Verhinderer der Aufklärung sind eine Hand voll wahnhafter Autoren, die sich in den Maschen des WWW verstrickt haben und »alte Weltbilder« pflegen. Da beim Spiegel und anderswo eigene Recherchen zu den Hintergründen und Hintermännern der Anschläge »hier und jetzt« nicht stattfanden und mit der amtlichen Version ungeniert eine lupenreine Verschwörungstheorie verkauft wurde, mussten Kritiker dieses offensichtlichen journalistischen Versagens unmöglich gemacht werden. Und wo inhaltliche Argumente dafür fehlen, tut es, nicht erst seit dem 11. September, am besten die Pathologisierung: »Fieber«, »Bestätigungswahn«, »Amerika-Komplex«, eine Prise Größenwahn – und fertig ist das »kranke Hirn«:

»Bröckers, 48, er nennt sich einen ›Konspirologen‹, hat einen Bestseller des Unbehagens verfasst. Er trinkt Milchkaffee im West-Berliner Café ›Einstein‹, er ist aufgeräumter Stimmung, er raucht kurze Zigaretten ohne Filter. Er sagt, die Sonnenbrille auf die Stirn geschoben: ›Es geht doch hier nicht darum, Herrn Bush irgendwie dumm anzupissen‹ und das sagt er, als müsste ›Herr Bush‹ ihn, Bröckers, kennen. Oder fürchten.«

Dass dieser kurze Nebensatz als einziges Originalzitat aus einem knapp zweistündigen Gespräch in den Artikel Einlass fand, war kein Zufall. Als der Fotograf anrief und einen Termin für das Spiegel-Foto ausmachte, meinte er, die Redaktion hätte gern einen etwas »mystischen Hintergrund« – kein Bericht, der der Wahrheitsfindung dient, war in Vorbereitung, sondern eine Story über einen durchgeknallten Verschwörungsspinner mit irrem Blick. Da weder der Inhalt des Buchs noch meine »aufgeräumte Stimmung« dafür wirklich etwas hergaben und auch das Foto sturznormal geriet, wurde in der Druckausgabe daneben dann eine groteske »Teufelsfratze« im WTC-Rauch abgebildet, um dazu dann die definitive Keule auszupacken: »Was für manchen Rechten die ›Auschwitzlüge‹ ist, könnte für manchen Linken die ›Septemberlüge‹ werden. Eine verdrängte Wahrheit, um die Weltanschauung nicht verändern zu müssen.«

Lügner und Nazi – mehr Höchststrafe geht für einen Autor eigentlich nicht. Doch was hier mit küchenpsychologischer Begründung als Totschlagargument gedacht war, liefert im Kern die Erklärung für die höchst eigene Verdrängungsleistung des Spiegel (und der Medien insgesamt) in Sachen 9/11. Historisch standen nämlich vor der »Auschwitzlüge«, der Leugnung der industriellen Massenmorde des Dritten Reichs, bei den durchschnittlichen Deutschen nach Kriegsende zuerst der Unglaube und die Fassungslosigkeit angesichts der Dimension des Schreckens, der sich da unter ihren Augen abgespielt haben sollte. Es dauerte Jahrzehnte, bis sich das öffentliche Bewusstsein – wachgerüttelt von der 68er-APO – diesem Horror überhaupt stellen konnte. Die als »Auschwitzlüge« bezeichneten Versuche der Reinwaschung setzten erst als Reaktion auf die allgemeine Einsicht und das Schuldanerkenntnis ein. Insofern scheint der Vorwurf »Septemberlüge« auch eher aus der Fassungslosigkeit zu resultieren, dass eine »Bush-Junta« das Weiße Haus geentert haben könnte und die Anschläge aus machtpolitischem Kalkül nicht nur geschehen ließ, sondern sogar den Chef-Terroristenjäger der USA – John O’Neill – und das FBI davon abhielt, dem Treiben rechtzeitig ein Ende zu setzen. Das musste auf Spiegel-Redakteure so unfassbar wirken, dass sie gar nicht anders konnten, als sich an das Verschwörungsmärchen von Osama und den 19 Räubern zu klammern und als »Wahrheit« zu verkaufen, um nicht gezwungen zu sein, dem möglichen Schrecken, der sich jenseits davon auftut, ins Auge zu sehen. Nicht ich musste zwanghaft lügen und Bin Laden und Co. reinwaschen, um im »Bestätigungswahn« meine »Weltanschauung« zu retten, sondern umgekehrt: der Spiegel und die Großmedien mussten dieses Märchen erzählen, damit ihr »altes Weltbild« von der freiheitlichen, demokratischen Führungsmacht USA nicht zusammenbricht.

Aus dieser Zwickmühle der kognitiven Dissonanz gab es kein Entkommen – was auch deutlich wurde, als Walter van Rossum den Spiegel-Autor und mich zu einem »Funkhausgespräch« zum WDR einlud.10 Fichtner hatte die »9/11 – Was wirklich geschah«-Serie des Spiegels, eine im Reportagestil von einem Dutzend Autoren montierte Geschichte der »wirklichen« Ereignisse, als Buch mit herausgebracht – und warf mir in der Diskussion immer wieder meine »unseriösen Quellen« aus dem Internet vor. Ich hielt dagegen, dass die Real-Life-Suggestionen der Spiegel-Reporter, die so tun, als würden sie den »Terroristen« bei der Vorbereitung des Anschlags über die Schulter schauen, die ganze szenische Dramaturgie mit atmosphärischen Einsprengseln und der »Wir waren dabei und kennen die Wahrheit«-Gestus, nichts mit Journalismus zu tun habe.

Wie man mit derlei Reportage-Schwurbel Karriere macht, zeigte dann freilich Fichtners Aufstieg zum Vizechefredakteur des Spiegel – und seine Degradierung 2018 als Ziehvater des Fake-Reporters Claas Relotius, nachdem dessen erfundenen Geschichten aufgeflogen waren. Was dem kreativen Jungautor Relotius vorgeworfen wurde, dass er zum Beispiel aus stinknormalen Trump-Wählern einer Kleinstadt in Minnesota ein finsteres Nest waffentragender Dumpfbacken gemacht hatte, ist aber letztlich genau das, was seine Vorgesetzten Ulrich Fichtner et al. nach dem 11. September 2001 getrieben haben. Mit dem einzigen Unterschied, dass sie sich Osama und die 19 »Hijacker« als Alleintäter nicht selbst ausgedacht, sondern vom Weißen Haus unhinterfragt übernommen und dann eine geile Story daraus gestrickt haben. Dass die wahren Fakten völlig unklar und entscheidende Fragen offen waren, war zweitrangig – das Narrativ stimmte und der Schwurbel kam auf die Titelseite. Es geht nicht darum »sagen, was ist«, wie es einst Rudolf Augstein zur journalistischen Übermittlung und Einordnung von Fakten vorgegeben hatte, es geht im ehemaligen Nachrichtenmagazin nur noch um pseudojournalistisches Agendasetting und »Ausmalen, wie sich’s anfühlt«.

Zum zweiten Jahrestag der Anschläge holte der Spiegel in einer 16-seitigen Titelstory »Panoptikum des Absurden – Wie Konspirations-Fanatiker die Wirklichkeit auf den Kopf stellen« (7.9.2003) noch einmal mächtig aus. Ich hatte im Juli ein weiteres Buch veröffentlicht11 und war mit dem Kollegen Daniel Hopsicker in den Niederlanden unterwegs, wo wir noch ein wenig Licht in die dunkle Vergangenheit des »(f)lying dutchman« Rudi Dekkers bringen wollten. In dessen Flugschule war ja nicht nur die halbe »Bin Laden Airforce« ausgebildet worden, im Juni 2000, als Mohamed Atta sich gerade angemeldet hatte, waren in einem Lear Jet des Finanziers und eigent­lichen Besitzers von »Huffman Aviation«, Wally Hiliard, auch 43 Pfund Heroin beschlagnahmt worden, was Daniel, der gerade eine Biografie des CIA-Chefpiloten und »Iran-Contra«-Drogenschmugglers Barry Seal herausgebracht hatte, sofort hellhörig gemacht hatte. Was den dubiosen Dekkers und seine möglichen Verbindungen zu Geheimdiensten sowie organisierter Kriminalität betraf, hatten wir in Holland zwar weitere Indizien, aber keine smoking gun entdecken können. Zwei Tage zuvor hatte ich bei »Spiegel-TV« in Hamburg noch mit zwei Redakteuren über ihre vermeintliche »Enthüllung« diskutiert, dass es bei zwei der sechs »Hijacker«, die sich nach den Anschlägen lebend gemeldet hatten, nur zu Verwechslungen von Fotos beziehungsweise Namensschreibweisen gekommen war. Mit dem Nachweis, dass ich die Identität nicht selbst vor Ort nachgeprüft, sondern mich auf Quellen wie BBC und LA Times verlassen hatte, versuchte der Spiegel, das gesamte Buch zu diskreditieren und seine Autoren als »Phantasten« und »Verschwörungsfanatiker« darzustellen. Ich war entsetzt und konnte Daniels Begeisterung über die 16-seitige Schmähung in einer Titelgeschichte (»Ist dein Name richtig geschrieben?« – »Ja« – »Congratulations!«) zuerst ebenso wenig teilen wie seinen Rat, mich damit nicht weiter zu beschäftigen: »Es war doch zu erwarten, dass sie sich ein, zwei Kleinigkeiten heraussuchen und sie dick auftragen. Die Identität der meisten der 19 ›Hijacker‹ ist auch nach dieser ›Super-Spiegel-Investigation‹ völlig unklar – und nichts anderes hast du behauptet. Wir sollten nicht in die Falle gehen, uns daran jetzt abzuarbeiten. Selbst BBC ist als Quelle nicht mehr zuverlässig – na prima! Umso besser für die aussterbende Art unabhängiger Investigativ-Reporter, die noch unangemeldet an Türen klopfen, um der Wahrheit auf die Spur zu kommen.« Da mochte er vielleicht recht haben. Aber weil es nicht bei diesem einen »Shitstorm« blieb und andere sogenannte Qualitätsmedien nachlegten, konnte ich das nicht einfach unwiderrufen stehen lassen und schrieb im November 2003 eine Kritik der Kritiker und Widerlegung der Widerlegungen. Den folgenden Auszug daraus zu lesen ist auch nach längerer Zeit noch recht erhellend, weil sich an den Methoden, unerwünschte Informationen und Meinungen zu diskreditieren, wenig geändert hat:

Mythos 9/11

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