Читать книгу Bjarne und der Minister für Sicherheit - Mathias Thimm - Страница 7
Оглавление1. Kapitel Mutter Erde hat eine Idee
Es gab einmal eine Zeit, da war der Mensch noch ganz neu auf der Erde. Er kannte sich noch gar nicht aus mit all dem, was es um ihn herum gab. Der Mensch stand also erst einmal nur da in der aufgehenden Morgensonne und blickte auf alles, was da war: die Tiere und die Pflanzen, den Himmel und die Erde.
In einiger Entfernung sah er einen anderen Menschen stehen. „Was soll ich tun?“, fragte sich der Mensch. Und da er das nicht wusste, blieb er einfach nur stehen. Und nichts passierte. Denn auch der andere Menschen blieb einfach dort stehen, wo er stand. „So wird das nichts“, erkannte Mutter Erde, die den Menschen aufmerksam betrachtete. „Der Mensch braucht die Neugier, damit er losgeht, die Welt erkundet und mit den anderen Menschen Freundschaft schließt. Er braucht aber auch die Vorsicht, damit er nicht zu Schaden kommt.“ Und so schenkte Mutter Erde dem Menschen Neugier und Vorsicht.
Der Mensch freute sich und lief auch gleich voller Neugier auf den anderen Menschen zu. Doch nach wenigen Augenblicken rührte sich die Vorsicht in ihm. Und der Mensch blieb stehen.
„Woher weiß ich denn“, fragte der Mensch, „wann es gut ist, neugierig zu sein, und wann ich besser vorsichtig bin?“
Mutter Erde dachte nach. Und der Mensch wartete.
„Wenn die Situation sicher ist“, erklärte sie nach einer Weile, „kannst du neugierig sein. Und wenn es gefährlich ist, musst du vorsichtig sein.“
„Gut“, sagte der Mensch, „das verstehe ich.“ Und er lief erneut voll Neugier auf den anderen Menschen zu. Doch sofort tauchte wieder die Vorsicht in ihm auf. Und der Mensch blieb stehen.
„Wie kann ich erkennen“, wandte er sich an Mutter Erde, „ob eine Situation gefährlich ist oder sicher? Für mich ist alles neu, und mir fehlt die Erfahrung.“
„Da hast du recht“, stimmte Mutter Erde zu. „Dir fehlt die Erfahrung. Erfahrung ist eine wichtige Sache. Und es wird ein bisschen dauern, bis du genug Erfahrungen gesammelt hast, um Gefahr und Sicherheit unterscheiden zu können.“
Mutter Erde erkannte aber sofort, dass der Mensch so lange nicht warten konnte. „Schließlich lauern überall Gefahren“, dachte sie. „Und wenn der Mensch diese nicht erkennt, wird er es schwer haben zu überleben.“ Und Mutter Erde blickte mit ein wenig Sorge auf den Menschen, wie er da so unerfahren und ohne jeden Schutz stand.
„Was kann ihm wohl helfen?“, fragte sie sich.
Sie dachte an all die verschiedenen Tiere, die es seit vielen Tausenden von Jahren gab. Sie alle hatten schon viele Erfahrungen mit Gefahr und Sicherheit gemacht. „Die Tiere erkennen Gefahren und können sie von Sicherheit unterscheiden“, grübelte Mutter Erde. „Bei Gefahr sind sie vorsichtig und ein jedes Tier weiß, was es dann tun muss. Sie wissen auch, dass sie neugierig sein können, wenn die Situation sicher ist. Und wie sie sich dann um Nahrung, Erholung und Gemeinschaft mit anderen Menschen kümmern können.“
Mutter Erde dachte eine Weile darüber nach, wie die Erfahrungen der Tiere dem Menschen helfen könnten, der immer noch nur dastand und nicht wusste, was er tun sollte. Und dann hatte sie eine Idee.
„Solange dir noch die Erfahrungen fehlen, um Gefahr und Sicherheit unterscheiden zu können, und du noch nicht selbst weißt, was du in dem einen oder dem anderen Fall am besten tust“, erklärte sie dem Menschen, „solange brauchst du einen erfahrenen Minister für deine Sicherheit an deiner Seite, der für dich die Entscheidungen trifft und dir beim Handeln hilft.“ Und vor Freude über diese, wie sie fand, wirklich gute Idee machte sie einen kleinen Luftsprung.
„Was ist das, ein Minister?“, wollte der Mensch wissen. Denn er war neugierig und vorsichtig zugleich.
„Ein Minister ist jemand, der dir dient, der für dich arbeitet und dich unterstützt, wenn du alleine nicht klarkommst“, erklärte Mutter Erde.
„Das klingt gut“, sagte der Mensch, „denn mir fehlen ja die Erfahrungen.“
„Genau!“, stimmt Mutter Erde zu. „Dein Minister für Sicherheit wird die Erfahrungen der Tiere haben. Er wird für dich erkennen können, ob Situationen sicher oder gefährlich sind. Er wird dir helfen, in gefährlichen Situation das zu tun, was dich wieder in Sicherheit bringt. Und er wird dich natürlich auch in sicheren Situation unterstützen, damit du deine Bedürfnisse erfüllen und dich von den gefährlichen Situationen erholen kannst.“
„Wow!“ Der Mensch war wirklich beeindruckt. „Dann kann ich ja einfach mit meinem Minister an der Seite durch die Welt laufen, brauche mir um nichts Sorgen zu machen und mich um nichts mehr zu kümmern, oder?“
Mutter Erde schüttelte energisch den Kopf und wurde sehr ernst. „Nein, so einfach wird es nicht sein. Du wirst mit der Zeit deine eigenen Erfahrungen machen und darüber nachdenken, denn du bist Mensch und nicht nur Tier. Irgendwann wirst du dann anfangen, mit deinem Minister zu streiten, was in einer Situation wirklich das Beste für dich ist. Denn als Mensch bist du immer auch frei zu tun, was du willst!“
So weit konnte der Mensch jedoch noch gar nicht denken. Und was ‚streiten’ ist, wusste er auch noch nicht so richtig. Genauso wenig verstand er, was „frei sein“ bedeutet und warum Mutter Erde so viel Wert darauf legte. Erst einmal war er einfach nur einverstanden damit, von Mutter Erde seinen Minister für Sicherheit zu bekommen. Denn auf diese Weise schien das Leben für ihn erheblich einfacher zu werden.
Mutter Erde machte sich sogleich an die Arbeit, dem Minister für Sicherheit seinen Arbeitsplatz im Nervensystem des Menschen einzurichten. Dabei war ihr klar, dass der Minister für seine Arbeit nicht nur das Archiv mit den Erfahrungen der Tiere brauchen würde. Er musste auch gut vernetzt sein mit den Sinnen des Menschen. Er sollte hören, sehen und fühlen, was der Mensch hörte, sah und fühlte. Denn er sollte ja genau das mitbekommen, was der Mensch erlebte.
Und auch mit dem Gedächtnis des Menschen sollte der Minister gut vernetzt sein. Er sollte Zugang haben zu den Erfahrungen und Erinnerungen, die der Mensch im Laufe der Zeit in seinem Gedächtnis sammeln würde. Denn auch diese sollte er bei seiner Arbeit berücksichtigen.
Mutter Erde arbeitete daher mit großer Sorgfalt.
Es dauerte eine ganze Weile, bis Mutter Erde mit ihrer Arbeit endlich fertig war.
„Geschafft!“, verkündete sie mit ein wenig Stolz in der Stimme.
„Großartig!“, freute sich der Mensch. Und er war gespannt, was nun geschehen würde.
Bevor Mutter Erde sich jedoch wieder ihren vielen anderen Aufgaben zuwandte, nahm sie sich noch die Zeit, dem Minister für Sicherheit genau zu erklären, was seine Aufgabe war.
„Du bist der Minister für Sicherheit“, begann sie mit bedeutungsvoller Stimme.
„Das klingt nach einer sehr verantwortungsvollen Aufgabe“, erwiderte der Minister. Und man konnte in seiner Stimme hören, dass er Respekt hatte vor dieser Aufgabe.
„Ja, das ist es auch“, fuhr Mutter Erde fort. „Als Minister ist es deine Aufgabe, Gefahren für deinen Mensch zu erkennen und ihn dabei zu unterstützen, die Gefahren abzuwehren, damit er wieder in Sicherheit sein kann. Denn nur wenn der Mensch in Sicherheit ist, kann er überleben, glücklich sein und in jeder Hinsicht gesund bleiben.“
Der Minister richtete sich auf. „Wie kann ich diese große Aufgabe meistern?“, fragte er.
„Ich habe deinen Arbeitsplatz so eingerichtet und vernetzt“, erklärte Mutter Erde, „dass du alles, was dein Mensch um sich herum, aber auch in sich selbst wahrnimmt und erlebt, ebenfalls wahrnehmen wirst.
Und damit du dann entscheiden kannst, ob die Situation sicher oder gefährlich ist, habe ich dir ein Archiv mit den gesamten Erfahrungen und dem kompletten Wissen der Tiere zusammengestellt. In diesem Archiv kannst du nachschauen, was für die verschieden Tiere sicher oder gefährlich ist und wie sie sich bei Sicherheit, Gefahr und Bedrohung verhalten. Und dann musst du blitzschnell abwägen, welches Verhalten welchen Tieres die beste Reaktion für deinen Menschen in dieser Situation ist.“
„Okay“, sagte der Minister. „Das habe ich verstanden. Aber ist das schon alles?“
„Nein“, fuhr Mutter Erde fort. „Es gibt noch etwas sehr Wichtiges, was du wissen musst.“
Der Minister wurde sehr aufmerksam.
„Du hast die Macht, alles im Körper deines Menschen so einzustellen, dass der Mensch sich dann auch genau so verhält, wie das Tier, für das du dich entschieden hast.“
„Und wie mache ich das?“, fragte der Minister.
„Über die Nervenbahnen kannst du Muskeln und Organe antreiben oder bremsen. Und mit Hilfe von Wirkstoffen kannst du Nachrichten durch den Körper schicken.“
„Was sind das für Wirkstoffe?“, wollte der Minister wissen. „Und welche Nachrichten kann ich damit verschicken?“
„Wirkstoffe sind sozusagen kleine Päckchen, die in jede Zelle des Körpers gelangen können, wenn du sie losschickst. Und wenn sie dort ankommen, wirken sie sofort, aber auf unterschiedliche Weise. So kannst du zum Beispiel Glücklichmacher losschicken oder Beziehungsstabilisierer, Kraftgeber oder Fluchtbeschleuniger, Schlafbringer und auch Schmerzstiller.“
Der Minister war beeindruckt.
„Und der Mensch wird sich alles, was ich entscheide, gefallen lassen?“, wollte er wissen.
Mutter Erde zögerte. „Ja und nein.“
„Was heißt das: ja und nein?“
„Dein Vorteil ist es, dass du sehr schnell mit deinen Entscheidungen bist. Und das ist auch wichtig, weil Gefahren meistens keinen Aufschub dulden, sondern blitzschnell beantwortet werden müssen.“
„Und mein Nachteil?“
„Lass es mich andersherum erklären“, holte Mutter Erde aus. „Der Vorteil des Menschen ist es, dass er selbst nachdenken kann. Er kann auf deine Bremse treten und prüfen, ob dass, was du schnell entschieden hast, für ihn auch dann noch die beste Idee ist, wenn er sich die Sache in Ruhe und mit dem, was er alles weiß, noch einmal anschaut.“
„Dann werden wir in einen Wettstreit kommen, oder?“, fragte der Minister verunsichert.
„Der Mensch wird dich immer als seinen Minister für Sicherheit brauchen“, beruhigte ihn Mutter Erde. „Manchmal wird er dich jedoch auch bremsen. Er wird nachdenken und vielleicht eine eigene Idee ausprobieren wollen.“
„Und dann?“
„Als Minister musst du deinem Menschen den Vortritt für seine Ideen lassen.“
„Und wenn mein Mensch sich dabei weiter in Gefahr begibt?“
„Dann wirst du trotzdem abwarten müssen.“
„Worauf?“
„Darauf, dass der Mensch seinen Fuß wieder von der Bremse nimmt und sich dir wieder anvertraut.“
„Okay“, sagte der Minister. „Ich werde also darauf besonders Acht geben müssen.
„Und ganz wichtig“, ergänzte Mutter Erde, „ist noch Folgendes: Wenn der Mensch mit seiner Idee die Gefahr abwenden und sich in Sicherheit bringen konnte, dann musst du diese neue Erfahrung deines Menschen zukünftig bei deinen Entscheidungen berücksichtigen.“
„Du meinst, dass ich dann nicht nur im Archiv der Tiere nachschauen muss, sondern auch im Archiv des Menschen?“
„Richtig“, stimmte Mutter Erde zu. „Dieses Archiv, das Gedächtnis des Menschen, wird sich im Laufe der Zeit anfüllen mit vielen Erfahrungen, die du nicht im Archiv der Tiere finden kannst. Und indem du diese Erfahrungen des Menschen nutzt, werden sich auch deine Entscheidungen verändern.“
„Gut“, sagte der Minister, dem der Kopf angesichts der vielen Information ein wenig brummte. „Das werde ich bestimmt irgendwie hinbekommen. Am besten wird es aber nun sein, wenn ich mit meiner Arbeit sofort beginne.“
„Ja“, stimmte Mutter Erde zu. „Ich wünsche dir gutes Gelingen!“