Читать книгу Mein berlinerndes Herz - Mathilde Schrumpf - Страница 3

Beruhigt

Оглавление

Sie kocht morgens um sieben Hafersuppe mit Soja-Milch. Dazu Tee für mich und Kaffee für sich selbst. Sie hat zwei dunkelblaue Fahrradtaschen, die Verlässlichkeit und langen Funktionszeitraum signalisieren. Nicht einmal, wenn sie das Fahrrad mitnimmt, fährt sie schwarz. Sie hat einen Fahrradhelm, ich weiß das, auch wenn ich ihn in den letzten Tagen selten in Gebrauch gesehen habe. Sie lädt zum Advents-Plätzchen-Backen ein und hat dafür zwei Rezeptheftchen, deren Rezepte alle von ihr erprobt und für gut befunden oder ausgemustert wurden. Sie macht mir ein Käsebrot, mit links macht sie das, und ich bin jedes Mal auf Neue kurz verunsichert.

Sie setzt sich gekämmt an den Frühstückstisch, verlangt aber nicht, dass ich mich auch kämmen soll. Sie stellt den Wecker eine halbe Stunde früher als unbedingt nötig. Sie sagt: „Ich komme nicht pünktlich, aber ich komme.“ Sie hat Eier im Kühlschrank, wie ich mit einem unabsichtlichen Blick im Vorübergehen sehe. Sie hat ein Küchenbuffet mit geputzten Scheiben, und die linke obere Tür quietscht leise, wenn man sie öffnet. Sie sagt, bevor sie die Sterne aufhängt, will sie noch die Fenster putzen. Weder das eine, noch das andere wird geschehen, fürchte ich. Als ich am Abend wiederkomme, ist beides vollbracht.

Sie schaut in mein staunendes Gesicht und freut sich leise. Ich rechne nach, dass sie heute in Spandau, Bernau und Wilhelmsruh war, und kann nicht begreifen. Sie schimpft mit sich, als wäre sie faul und kriegte nichts auf die Reihe. Ich brauche ein paar Tage, um zu kapieren: Hier ist die Selbstwahrnehmung offenbar verschoben. Sie ruft mich an wie versprochen, aber nicht mehr nach zehn. Ich rufe sie an, sie ist da und geht ran. Ja, ich idealisiere. Dafür kann ich nichts, denn ich kam völlig derangiert und demoralisiert aus einer Beziehungswüste. Aus mehr oder weniger gut verdeckten Mängeln. Deine fußkalte Küche, deine Katzen, dein Rauchen, deine Vergesslichkeit – das ist vorbei.

Sie tut ihre vermeintliche Unperfektheit kund, und ich war allzu schnell bereit, ihren Bekundungen zu glauben, wofür kein Grund bestand. Jetzt, da ich sehe, es geht anders, weiß ich erst, wie unrecht ich mir getan habe, als ich glaubte, dich lieben zu müssen. Ja, ich vergleiche. Dich mit ihr. Wer nicht gut dabei abschneidet, ist klar. Ich frage sie, ob sie das Buch „Der Fänger im Roggen“ gelesen hat. Sie hat. Holden Caulfield hegt den Berufswunsch „Fänger im Roggen“, weil er Kinder vor einem Abgrund retten will. Wenn in einem ihrer Musikkurse einem Kind schlecht wird, sieht sie es schon am Beginn der Stunde. Und als Anna blass und blässer wird, führt sie sie an der Hand hinter sich her, geht mit ihr ins Bad und spricht dem Mädchen beruhigend zu, als es weint und schließlich sein Frühstück verabschiedet. Allein die Information, sie sei Kinderdiakonin, lässt mein inneres Kind das Beste hoffen. Für mich.

Die Ängste, die du in mir reaktiviert hast, all diese Ängste kann ich bei ihr getrost sein lassen. Wo du mir das Familienrezept für Vanillekipferl abpresstest (wie ich´s nicht hergeben wollte, sagtest, so eine Beziehung wollest du nicht führen), steckt sie mir Selbstgebackenes in den Mund. Das ist der Unterschied. Ich sag es nur, weil du gefragt hast. Aber nein, nicht mal gefragt hast du nach ihr. Mich nach dir zu fragen, das hat sie getan. Ohne dass ich es wusste, gehört auch das dazu: zu den Dingen, die ich als beruhigend empfinde.

Mein berlinerndes Herz

Подняться наверх