Читать книгу Die dunklen Bücher - Der Fluch des alten Bergwerks - Matthias Bauer - Страница 10
ОглавлениеAutofahrt mit Hindernissen
„Zumindest Nerv-Max hätten wir zuhause lassen können.“ Augusta blickte aus dem Rückfenster des Autos. Nicht weit hinter ihnen fuhr Tante Lisa mit ihrem fünfjährigen Sohn Max, dem seine Cousinen nicht zu Unrecht den Spitznamen verpasst hatten.
„Eure Tante braucht eine Auszeit. Seit Onkel Ben weg ist, hatte sie es alles andere als leicht.“ Der Ton von Augustas Mutter verriet, dass sie zu Tante Lisa, wie auch zu dem ganzen Urlaub, keine Diskussion mehr duldete.
Augusta wischte sich die widerspenstige blonde Strähne, die immer einen Weg aus dem Pferdeschwanz zu finden schien, aus der Stirn. Ihr war langweilig.
Julia las, der Vater konzentrierte sich auf die Fahrbahn, die Mutter auf die Landschaft, die an ihnen vorbeizog. Die Eltern sprachen nur wenig miteinander, denn Augustas Vater hatte seit der Abfahrt mehrmals betont, dass er wegen eines neuen Auftrags eigentlich gar keine Zeit hatte, Urlaub zu machen. Und dass er vielleicht auf der Hütte arbeiten müsse. Daraufhin hatte sich der Mund von Augustas Mutter zu einem schmalen Strich zusammengezogen und seitdem herrschte Funkstille.
Augusta checkte ihr Handy. Keine Nachrichten. Ihre grünen Augen zogen sich zu Schlitzen zusammen, wie immer, wenn sie etwas ärgerte. Vicki und Karla waren entweder beim Bouldern oder im Schwimmbad. Oder sie sahen sich bei Vicki, deren Eltern den größten Fernseher besaßen, eine neue Serie an und tranken dazu eisgekühlten Orangensaft. Und das alles ohne sie, Augusta Schaller, dem ärmsten Mädchen auf diesem Planeten.
Augusta entfuhr ein laut vernehmlicher Seufzer.
Julia blickte von ihrem Buch auf. „Keine Nachrichten aus dem Paradies?“
Augusta boxte ihrer Schwester spielerisch auf die Schulter. „Ruhig, Bücherwurm. Nur weil ich Freundinnen habe, brauchst du nicht stänkern.“
„Aua. Mama, Augusta hat mich geschlagen!“
„Hört auf zu streiten.“ Michael Schaller verdrehte die Augen. „Außerdem habt ihr doch keine Ahnung, was schlagen bedeutet.“
„Aber du schon, Papa?“ Augusta grinste. Sie konnte sich ihren Vater so gar nicht bei Handgreiflichkeiten vorstellen.
„Darauf kannst du wetten.“ Er blickte über den Rückspiegel nach hinten. „Mit eurem Onkel Andreas habe ich als Kind dauernd gerauft. Kein Tag, an dem einer von uns nicht mindestens einen neuen blauen Fleck hatte.“
„Michael Schaller, der große Rowdy.“ Augustas Mutter lächelte. Offenbar hatte sie genug von der gespannten Stimmung und versuchte diese jetzt aufzulockern.
Der Vater nickte. „Und was für einer. Nimm dich nur in Acht!“
„Ich erzittere vor Angst.“
Augusta und Julia blickten sich an und verdrehten die Augen. Es war schon schlimm genug, wenn sich die Eltern hie und da stritten. Aber noch schlimmer war, wenn sie rumalberten. Oder, am schlimmsten, sich küssten. Zwar sprachen Augusta und ihre Freundinnen viel über Jungs und Serien und die Teenager-Romanzen, die darin vorkamen, aber Eltern hatten sich in Bezug auf Küsse und alles Weitere rauszuhalten. Punkt, aus!
Michael Schaller bog von der Autobahn ab. „So, jetzt wird’s kurvig. Julia, leg das Buch weg, beide Mädchen auf die Straße sehen, sonst wird euch wieder übel.“
„Ja genau“, dachte Augusta, nahm ihr Handy und begann zu scrollen.
Zehn Minuten später war ihr so schlecht, dass sie ihren Vater bitten musste anzuhalten. Er schüttelte den Kopf, murmelte etwas wie „Nie tun sie wie man ihnen sagt“ und hielt dann an einer Ausbuchtung an. Augusta stieg aus und ging in der frischen Luft hin und her.
Auch Tante Lisa und Nerv-Max waren stehen geblieben. „Muss die große Augusta in die Büsche“, fragte Max spöttisch. Der Junge war zwar klein, aber für sein Alter sehr kräftig und auch sein Mundwerk ließ nichts zu wünschen übrig.
„Max, lass das“, sagte Tante Lisa, wenn auch nicht sehr energisch. Sie war eine schmale, blasse Frau, ganz anders als Augustas Mutter. Seit der Scheidung ließ sie Max noch mehr als davor durchgehen.
„Nein, ich muss nicht in die Büsche.“ Augusta ballte die Faust, sagte aber nichts weiter und stieg wieder ins Auto. Sie nahm sich vor, es dem kleinen Ekel auf der Hütte ordentlich zu zeigen.
Der ganze Urlaub würde so und so eine Katastrophe werden, da fiel ein plärrender Max auch nicht mehr ins Gewicht.
Die Fahrt ging weiter. Gegen ihren Willen war Augusta von der Schönheit der Landschaft beeindruckt: kleine Dörfer mit spitzen Kirchtürmen schmiegten sich an die bewaldeten Hänge, immer wieder waren alte Bauernhäuser und Weiden mit Kühen zu sehen, die sich ihre saftigen Gräser schmecken ließen. Über allem standen hohe Berge, die sich eindrucksvoll gegen den wolkenlosen blauen Himmel abhoben.
Familie Schaller fuhr über einen Hügel.
„Da sind wir auch schon“, sagte Augustas Vater.
Inmitten von Wiesen und Kirschbäumen lag ein Bauernhof. Er bestand aus zwei Gebäuden: dem Wohnhaus mit seinen dicken weißen Steinmauern und roten Blumen auf den Fensterbänken und dem Nebengebäude, einem langgestreckten Bau, das untere Geschoß gemauert, das obere aus Holz.
„Ist das der Stall?“, fragte Augusta und zeigte auf das Nebengebäude.
„Genau“, nickte ihr Vater. „Unten sind die Kühe untergebracht, oben lagert Onkel Andreas das Heu und alles andere, was er für den Hof braucht.“
Sie hielten den Wagen vor dem Wohnhaus an. Neben ihnen brachte auch Tante Lisa ihren Wagen zum Stehen.
Ein großer, sonnengebräunter Mann und ein Junge, der ihm ähnlich sah, kamen aus dem Wohnhaus. „Das müssen Onkel Andreas und sein Sohn Tom sein“, dachte Augusta.
„Willkommen in den Ferien“, grinste Tom, als Familie Schaller aus dem Auto stieg. Seine blauen Augen strahlten und seine schwarzen Locken spielten im Wind.