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Omnichannel, der neue Standard im Handel

Um die erste Sammlung von Local-Heroes-Fallbeispielen in den richtigen Kontext zu rücken, diente vor zwei Jahren ein Blick auf den allgemeinen Strukturwandel im Handel: auf die nur noch marginal steigenden Einzelhandelsumsätze, auf die fortlaufende Erweiterung ohnehin schon wenig rentabler Verkaufsflächen und auf das anhaltende Wachstum der Discounter zulasten des Fachhandels. Ergänzend zu dieser Entwicklung wanderten immer größere Umsatzanteile von stationären Händlern zum Online-Handel ab. Einigen wenigen Segmenten wie dem Lebensmittelhandel, wo fast das gesamte Geschäft noch im stationären Handel abläuft, steht eine große Anzahl an Bereichen gegenüber, in denen der E-Commerce eine immer entscheidendere Rolle einnimmt – darunter Branchen wie der Mode-, Elektronik- oder Buchhandel, wo bereits 20 Prozent und mehr der Verkäufe online stattfinden.

Es ergab sich somit das Bild eines Handels, der auf zweifache Weise unter Druck geraten ist: erst durch die Discounter auf der „grünen Wiese“ und dann durch die Konkurrenz aus dem Online-Handel.

Heute, zwei Jahre später, hat sich dieses Bild noch einmal gefestigt. Auch in den Jahren 2013 und 2014 konnte der deutsche Einzelhandel nur geringe Umsatzsteigerungen erzielen: 2013 in Höhe von 1,2 Prozent und 2014 in Höhe von 1,9 Prozent.


Wesentlich dynamischer als der gesamte Einzelhandel entwickelte sich einmal mehr der Online-Handel. 2013 stiegen hier die Umsätze um 12 Prozent auf 33,3 Milliarden Euro und 2014 um 17 Prozent auf 39 Milliarden Euro.


Der Online-Handel ist damit der wesentliche Wachstumstreiber im deutschen Einzelhandel. Rechnet man die Online-Umsätze aus dem gesamten Einzelhandelsvolumen heraus, ergeben sich für 2013 und 2014 nur marginale Wachstumszahlen von 0,5 Prozent beziehungsweise 0,6 Prozent. Bedenkt man zudem, dass die Einzelhandelsflächen weiter wachsen, kann man auf vergleichbarer Fläche sogar von einem realen Umsatzrückgang ausgehen.

Neben dieser fortgesetzten Problematik für den Einzelhandel ist in den vergangenen zwei Jahren aber auch eine Entwicklung zum Tragen gekommen, die sich so zuvor noch nicht beobachten ließ: Waren es zunächst fast ausnahmslos Pure-Online-Anbieter, die das E-Commerce-Umsatzvolumen erwirtschafteten, so entfällt inzwischen der größere Teil der Online-Wertschöpfung auf Multichannel-Händler, die das stationäre Geschäft mit dem Angebot im Internet verknüpfen. Und nicht nur das – die Multichannel-Händler wachsen auch schneller als die reinen Online-Versender:


Der grundliegende Trend steht damit außer Frage: Der deutsche Handel – und darunter solche Schwergewichte wie Media-Saturn, die Rewe-Group oder Conrad Electronic – ist aufgewacht und nutzt das Internet aktiv als zusätzlichen Vertriebskanal. Das E-Commerce-Umsatzvolumen wird nicht mehr nur von den Pure-Online-Playern erwirtschaftet, sondern spiegelt zunehmend das verstärkte Internet-Angebot des klassischen Einzelhandels wider.

Der Handel hat dabei nicht nur seine Bemühungen verstärkt, durch eigene Online-Shops, Übernahmen oder die Partnerschaft mit Online-Marktplätzen eine Rolle im E-Commerce zu spielen. Auch der Fokus hat sich verändert. Während Online unter dem Paradigma einer Multichannel-Strategie zunächst als getrennter, zusätzlicher Verkaufskanal betrachtet wurde, hat sich nun eine Omnichannel-Betrachtungsweise durchgesetzt: Es gibt nicht mehr „stationäre Kunden“ oder „Online-Kunden“ – im Fokus steht vielmehr der eine Kunde, den es ganzheitlich über sämtliche zur Verfügung stehenden Kanäle anzusprechen gilt. Eine Omnichannel-Strategie umfasst dabei im Wesentlichen drei Dimensionen – Online, Mobile und Local –, die im Folgenden genauer dargestellt werden sollen.

Ohne Online geht es nicht.

Die Dimension Online ist im Rahmen einer Omnichannel-Strategie so naheliegend, dass es schon fast trivial wirkt. Wer heute ein Ladengeschäft besitzt und mit diesem nicht im Internet präsent ist, ist für viele Kunden schlicht und einfach nicht existent. Die Online-Präsenz eines stationären Geschäfts beginnt mit simplen Einträgen bei Internet-Branchenbüchern, Google und lokalen Verzeichnissen, landet aber schnell bei der Kernfrage: Online-Shop, ja oder nein? Wie die unten stehende, Anfang 2015 veröffentlichte Studie zeigt, zählt der Betrieb eines eigenen Webshops allerdings nicht einmal bei den 100 wichtigsten Retail-Marken in Deutschland zum Standard:


Mögen manche Händler weiterhin meinen, ohne einen Online-Shop auszukommen – der Kunde sieht das anders: So ergab eine GfK-Konsumentenbefragung im vergangenen Jahr, dass bei Kunden, die nach Informationen zu einem gewünschten Produkt suchen, Online-Shops an zweiter Stelle der im Internet besuchten Informationsquellen lagen. Nur Google wird öfter genutzt, um einen Kauf vorzubereiten. Wer auf einen Online-Shop verzichtet, versperrt deshalb auch Kunden den Weg ins eigene Geschäft.


Im Rahmen einer Omnichannel-Strategie ist Online-Sichtbarkeit deshalb die absolute Grundvoraussetzung. Nicht nur Informationen zum Geschäft, vor allem auch das angebotene Warensortiment sowie das gesamte Spektrum dazugehöriger Services müssen im Netz präsent sein. Dazu zählen der eigene Online-Shop, aber auch Online-Marktplätze, Preisvergleicher, lokale Shopping-Plattformen und Prospekt-Portale. Nur wer über das eigene Ladengeschäft hinaus zeigt, was er hat, kann beim kanalübergreifenden Handel mitspielen.

Mobile schafft neue Brücken zwischen Händler und Kunde

Der rasante und in seiner Breite beispiellose Siegeszug der Smartphone-Technologie sorgt glücklicherweise dafür, dass Händler die zweite Omnichannel-Dimension schwerlich ignorieren können: Mobile ist viel mehr als nur ein „zweiter Screen“ für das Internet. Indem Kunden heute jederzeit und überall online sind, werden neue Verbindungen zwischen den Kanälen Online und Stationär möglich, entstehen neue Konsummuster und erhalten Händler neue Gelegenheiten, mit ihrer Kundenklientel in Kontakt zu treten. Zumindest bei den Händlern, die bereits im Online-Handel aktiv sind, hat sich folglich auch schon ein beachtlicher Anteil mit den neuen mobilen Chancen auseinandergesetzt:

Das Marktforschungsinstitut Innofact hat im März 2015 im Auftrag des Online-Marktplatzes eBay eine Befragung unter kleinen und mittelständischen Online-Händlern, die zum Teil auch ein stationäres Geschäft betreiben, durchgeführt. Diese zeigt, dass zwar erst 5,6 Prozent der Online-Händler ihren Kunden das optimale mobile Einkaufserlebnis anbieten, nämlich eine eigene Shopping App. Jeder Vierte bis Fünfte hat aber bereits den eigenen Shop beziehungsweise die eigene Webseite Mobile-optimiert und knapp ein Drittel der Online-Händler nutzt die Kompetenz großer Online-Marktplätze im Mobile Commerce. Insgesamt sind heute 60 Prozent der Online-Händler auf mindestens eine Art und Weise mobil – ein angemessen hoher Wert, wenn man betrachtet, wie intuitiv die Konsumenten die Möglichkeiten der Mobile-Technologie für das Einkaufen adaptieren:


Vor allem die Instore-Anwendungsmöglichkeiten von Smartphones zeigen, warum Mobile so einen großen Stellenwert für den Omnichannel-Handel einnimmt: Während zwischen dem klassischen Internet und stationären Geschäften immer ein physischer Graben liegt, kommt es beim Mobile Web zum Verschmelzen von Netz und Stores. Dieser Vorgang beginnt bereits ungesteuert damit, dass Kunden in einem Ladengeschäft ihr Mobiltelefon nutzen. Für eine steigende Anzahl an Händlern, die es verstehen, dieses Kundenverhalten bewusst in ihre Verkaufsstrategie zu integrieren, bietet der Mobile-Kanal aber enorme Chancen: Vom Gelegenheitskauf auf dem Weg zur Arbeit über ortsbasierte Angebote im Umfeld eines Geschäfts bis hin zu Instore-Incentivierungen und -Informationen können Händler so selbstständig agierende Kunden in ihrer Kaufentscheidung beeinflussen und unterstützen.


Local: Das Ladengeschäft in neuem Licht

Steht ein stationäres Ladengeschäft erst einmal in einem Kontext mit den digitalen Möglichkeiten, die sich dem Handel online und mobil bieten, kann der Point of Sale neu gespielt und mit zusätzlicher Attraktivität aufgeladen werden. Das zeigt sich bereits an der Vielzahl kanalübergreifender Services, die heute bei vielen Händlern zum Standard gehören, vor wenigen Jahren aber noch gar nicht vorstellbar waren:

Das bieten deutsche Multichannel-Händler heute

Mehr als die Hälfte deutscher Multichannel-Händler bietet ihren Kunden heute die stationäre Abholung online gekaufter und bezahlter Waren (Click & Collect) sowie die Rückgabe von Online-Bestellungen in der Filiale. Ebenfalls bereits recht oft umgesetzt wird ein Showroom-artiger Ausbau des Ladengeschäfts, bei dem die stationäre Fläche dazu dient, Produkte, die es in größerer Zahl beziehungsweise unterschiedlicher Ausführung online gibt, physisch erfahrbar zu machen. Die Möglichkeit, Online-Bestellungen aus stationären Geschäften heraus zu initiieren, wird ebenfalls bereits ziemlich häufig angeboten.


Auch bei der Dimension Local sind es wieder die Kunden, die die neuen Möglichkeiten intuitiv annehmen und zeigen, mit welchen Entwicklungen wir künftig häufiger rechnen dürfen:

Welche Instore-Technologien finden Kunden attraktiv?

So sind die Konsumenten bereits überraschend aufgeschlossen gegenüber neuen Technologien am Point of Sale wie zum Beispiel Tablets und Touchscreens oder interaktiven Shoppingwalls und Schaufenstern. Auch Zukunftslösungen wie das Mobile Payment mittels Smartphone oder die Indoornavigation in Ladengeschäften mithilfe von Beacon-Sendern werden von vielen Kunden schon heute positiv bewertet.

Wichtig ist, dass es dabei nicht bloß um technische Gimmicks geht, sondern dass neue Technologien am Point of Sale dazu dienen, das Einkaufserlebnis der Kunden zu verbessern und On-/Offline-Verknüpfungen zu schaffen, die sich intuitiv in das Nutzerverhalten der Konsumenten eingliedern. Gelingt dies, ist Omnichannel nicht nur ein abstrakter Trendbegriff, sondern der Einzelhandel hat damit die Gelegenheit, seine Chancen innerhalb der fortlaufenden digitalen Transformation zu stärken.

Der neue Handelsstandard Omnichannel eignet sich mit seinen Dimensionen Online, Mobile und Local deshalb gut als Matrix, vor der sich die in diesem Buch versammelten Local Heroes bewähren können. Doch bevor wir zu den 25 Fallbeispielen besonders innovativer Handelsunternehmen kommen, sollen im Folgenden noch zwei Experten den Entwicklungsstand und die Potenziale des deutschen Handels aus ihrer Sicht beschreiben.


Local Heros 2.0

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