Читать книгу Kleine Literaturgeschichte der großen Liebe - Matthias Luserke-Jaqui - Страница 9
„Erklär mir, Liebe!“ Lesarten
ОглавлениеEin anagrammatisches Wortspiel von Bernd Brucker und Alexandra Steiner soll in das Thema ‚Große Liebe‘ einführen, deren Protagonisten zwischen Erklären und Glauben seit jeher schwanken:
„Glaubst du an die große Liebe?“ Nicht selten beginnt das ganze Elend mit dieser Frage, in der die Antwort bereits enthalten ist: „Bald Stauung! Sei begierdelos!“ Sie weigern sich, das zu glauben? Ist natürlich tischgerührt (Ihr gutes Recht) und allzu menschlich, denn schließlich lässt sich niemand so leicht sein Werte-Zerrbild tummeln (sein Weltbild zertrümmern), vor allem dann, wenn er an das Gute, Edle, Schöne im Menschen glaubt. Vielleicht lassen Sie sich ja überzeugen [. . .].1
‚Große Liebe‘ lässt sich in zweierlei Hinsicht nur versuchsweise, eben essayistisch, erschließen. Einmal methodisch: Dass es unmöglich und auch unsinnig ist, methodisch in das Thema große Liebe einzuführen. Zum anderen: Dass es keine systematische und chronologische Ordnung geben kann, denn Kennzeichen der großen Liebe – dies mag als ein Ergebnis vorweggenommen werden – ist ihre Ordnungslosigkeit, Liebe lässt sich nicht einfädeln in das Nadelöhr von Zeit und System. Der Arzt und Dichter Friedrich Schiller formulierte dies in einem Brief an seine große Liebe Charlotte von Lengefeld so: „Ein Mensch, der liebt, [. . .] steht bloß unter den Gesetzen der Liebe.“2
Aber: „Es ist ein groß Unterschied, etwas mit lebendiger Stimme oder mit toter Schrift an Tag zu bringen“,3 stellt schon Martin Luther 1519 in seinem Sermon von dem ehlichen Stand klar. Und dann will ich über die Liebe schreiben? Über ein Thema, „für das jeder sich einzig kompetent hält und das – wahrscheinlich deshalb – von leeren Allgemeinheiten und Klischees geradezu starrt.“4 Und Gleiches gilt übrigens auch für die Literatur! Ich bringe also in meinem diskursiven Feld zwei Themenbereiche zusammen, deren Wurzeln fest in individuellen Erfahrungswelten verankert sind. Das hat ein großer Gelehrter, Erasmus von Rotterdam, ähnlich schon in diese Worte gefasst, was auch für die Liebe gilt: „Wozu [. . .] braucht man [. . .] Autoritäten, / wenn, ach, die Lebenserfahrung nur allzu guter Beweis ist.“5 Und zu guter Letzt hält mir eine Focus-Umfrage vom Mai 2008 vor Augen, dass immerhin zwei Drittel der Deutschen (nämlich 69 Prozent) an die einzig große Liebe glauben.6 29 Prozent der Befragten sagen, die Liebe des Lebens existiere nicht, 72 Prozent der 18- bis 34-Jährigen und 63 Prozent der 45- bis 54-Jährigen glauben an die große Liebe. Was also tun?
Ich finde Rat bei einem anderen Gelehrten der Frühen Neuzeit, Hans Sachs, der schreibt in seiner Summa (1567): „Da inventirt ich meine bücher, / Ward gar ein fleissiger durchsücher“.7 Und tatsächlich finde ich eine erste Spur bei Ovid: „Kennt einer in diesem Volk die Liebeskunst nicht, so lese er dieses Gedicht und sei danach ein Meister in der Liebe!“8 Nun, die Ansprüche hier sind nicht ganz so hoch, kaum einer wird am Ende dieses Büchleins ein Liebesspezialist sein. Aber immerhin stellt Ovids Eröffnungssatz seiner Ars amatoria unmissverständlich einen ernstzunehmenden Zusammenhang her zwischen Liebe und Literatur. Damit formuliere ich die erste Annahme: Einen Text über Liebe zu lesen, generiert Wissen über Liebe (vielleicht sogar Liebe selbst?). Stendhals Einwand wäre damit zumindest massiv infrage gestellt, er hat im Kapitel Über die deutsche Liebe seines Buchs Über die Liebe (1822) geschrieben, „so leben die guten, einfältigen Nachfahren der Germanen von der Einbildungskraft. Kaum haben sie die unvermeidlichen Lebensnotwendigkeiten erledigt, so sieht man mit Erstaunen, wie sie sich auf das werfen, was sie ihre Philosophie nennen; das ist eine Art sanfte, liebenswürdige und vor allem harmlose Narrheit.“9
Wie geht man also um mit jenem „mächtige[n] Gefühl, wofür die Sprache keine andere Namen als Liebe und Wollust hat“,10 wie Novalis meinte? Entgegen der herkömmlichen Lesart, dass Liebe blind und stumm mache und sich die Liebenden der Unsagbarkeit ihrer Liebe versicherten, versuchen diese literaturgeschichtlichen Studien Argumente für das Gegenteil zu stärken. Nichts ist so beredt wie die Liebe, nichts ist so geschwätzig wie Lust und Leidenschaft. Körperlichkeit, Geschlechtlichkeit, Sexualität, kurz Sex werden damit als eine nichtsprachliche Kommunikationsform ausgewiesen, die sich gelegentlich auch der Worte bedient, deren Darstellung aber ohne Worte nicht auszukommen vermag. In der Literatur wird der Leibkörper zum Wortkörper, selbst wenn geschwiegen wird, so wird dies beredt getan. Das ciceronische ‚cum tacent clamant‘ (‚indem sie schweigen, reden sie‘) findet auch hier seine Bestätigung, ich folge also – um mit Mörikes Maler Nolten (1832) zu sprechen – der „Sprache der beredtesten Liebe“.11
Die Literatur erzählt gerne von der verschmähten Liebe, von der beleidigten und verhinderten Liebe, vom ständebedingten Liebeskonflikt, von Verführung und Gewalt, von der enttäuschten Liebe. Weit verbreitet ist die Ansicht, wenn es ein eindrucksvolles Beispiel und deren Scheitern für eine große Liebe in der Literatur gibt, dann sei dies Shakespeares Drama Romeo und Julia (1597). Immer wieder wird dieser Text als Referenzbasis für die Entwicklung mehr oder weniger origineller Thesen herangezogen. Bei Julia Kristeva heißt es beispielsweise über das Liebespaar: „Kein anderer Text zeigt so leidenschaftlich, daß den Liebenden in ihrem Streben nach der geschlechtlichen Vereinigung und nach der Legalisierung ihrer Leidenschaft nur ein flüchtiges Glück beschieden ist“.12 Für Romeo steht gleich am Anfang des Stücks fest, Liebe ist „eine vernünftige Tollheit, eine erstikende Galle, eine erquikende Herzstärkung“.13 Juliette kann Romeo lieben, soll ihn aber hassen, sagt sie am Ende des ersten Aufzugs (I/6), um sich innerhalb weniger Sätze darüber klar zu werden, dass sie ihn tatsächlich liebt, den verhasstesten Feind. Romeos Freund Mercutio bemüht das europäische Modell einer großen Liebe der Entsagung, Petrarka und Laura, um an ihnen deutlich zu machen, dass die Liebe seines Freundes zu Juliette ungleich größer sei, „Laura war gegen sein Fräulein nur ein Küchenmensch“.14
Was aber, so wäre in diesem Buch zu fragen, ist mit der erfüllten Liebe, mit der Erfüllung jener großen Liebe, von der wir Menschen – folgt man den Darstellungen unserer Literatur und den Umfragen – alle träumen? Müsste man nicht sogar im psychoanalytischen Sinn von einer regelrechten Wunschlust sprechen, obwohl die große Liebe stets auf gegenseitigem Einverständnis, also mehr als nur auf gegenseitigem Wunsch, beruht?
Die zentrale Frage, um welche alle Texte über die große Liebe kreisen (und gelegentlich auch kreißen) und um deren Beantwortung sie sich beredt bemühen, heißt: Wie das Vergängliche bewahren, wo das Bleibende so flüchtig ist? Zur Liebe gehört demnach die Wiederholung ebenso wie zu ihrer Lust – und darin offenbart sich auch ihre Aporie. Wie kann das wiederholt, wie kann dieses scheinbar so Flüchtige dauerhaft gesichert werden? Davon handelt Literatur über Liebe und davon handelt dieses Buch einer kleinen Literaturgeschichte der großen Liebe. Nebenbei bemerkt gelangt die Redensart von der ‚großen Liebe‘ erst mit Friedrich Schlegel und seinem Lucinde-Roman (1799) in den deutschen Wortschatz; noch das Deutsche Wörterbuch der Brüder Grimm kennt in seinem Artikel zum Lemma ‚Liebe‘ von 1885 den Ausdruck ‚große Liebe‘ nicht, wohl aber ‚erste Liebe‘ und ‚neue Liebe‘.
Vorab sind einige Voraussetzungen zu nennen, mit denen dieses Buch arbeitet, ohne sie eigens zu explizieren. Erstens ist die große Liebe mehr als ‚nur‘ Liebe; dieses ‚Mehr‘ macht die Liebe zur ‚großen Liebe‘. Die große Liebe ist nochmals eine Steigerung dessen, was Liebe ohnehin auszeichnet: Die Inszenierung des Maximums als Forderung und als Hingabe, als Versprechen und als Einlösung jenseits aller nur denkbaren Superlativsemantik. Zweitens wird nicht die Rede von einseitiger Liebe sein; die große Liebe muss von beiden Liebenden als solche erfahren und dokumentiert werden. Drittens wird auch nicht von den Derivat- und Schwundformen einer großen Liebe gesprochen, dies wäre ein eigenes Thema. Viertens verzichtet dieses Buch auf die Darstellung lebensgeschichtlicher, biographischer Modelle. Fünftens ist das Buch insofern herkömmlich, als es von heterosexuellen Liebesbeziehungen ausgeht. Das Geschlecht der Liebenden entscheidet nicht über Erkennen, Akzeptanz und Verlauf einer großen Liebe. Mehr denn je gilt hier, dass ‚Geschlecht‘ eben auch eine soziale Konstruktion ist. Das lenkt den Blick notwendigerweise auf die Bedeutung der Geschlechterdifferenz bei der Konstruktion von sozialer und historischer Wirklichkeit, auch wenn sie sich im fiktionalen Medium der Literatur vollzieht.
Noch 1938 bemühte José Ortegay Gasset in seinen Essays Über die Liebe ein kulturell zementiertes, um nichts weniger patriarchales Bild: „Denn der Mann empfindet die Liebe unverzüglich als eine heftige Begierde, geliebt zu werden, während die Frau zuerst ihre eigene Liebe fühlt, den warmen Strom, der aus ihrem Wesen dem Geliebten entgegenbricht und sie zu ihm treibt. Das Bedürfnis, geliebt zu werden, empfindet sie nur als eine Folge und in zweiter Linie. Die normale Frau, das vergesse man nicht, ist das Gegenteil des Raubtiers, das sich auf die Beute wirft; sie ist die Beute, die sich dem Raubtier hinwirft.“15 Dies sagt mehr aus über die individuellen und gesellschaftlichen Frauenbilder der Männer, die dies in Worte fassen, als über ‚das Wesen‘ der Frau, gar über die große Liebe. Und dies übergeht auch die Tatsache, dass es andere männliche Stimmen gegeben hat, welche die Parität der Lust in der Liebe vertraten, so zum Beispiel Ovid, der empfiehlt: „Was uns erfreut, das sollen Mann und Frau zu gleichen Teilen genießen. Ich verabscheue ein Beilager, das nicht beide hinschmelzen läßt“. Und: „Eilt gemeinsam zum Höhepunkt; dann ist die Lust vollkommen“.16 Ein Philosoph der Wollust, Julien Offray de la Mettrie, bekannte im 18. Jahrhundert, „der schönste Anblick, den es auf der Welt gibt, ist eine schöne Frau“.17 Während Michel de Montaigne eher wieder ovidisch dachte: „Beim Liebesspiel geht mir der Genuß, den ich dem Weib verschaffe, lieblicher ein als der, den ich selbst empfinde“.18 Für Novalis jedenfalls ist klar, „mit den Frauen ist die Liebe und mit der Liebe die Frauen entstanden, und darum versteht man keins ohne das andre.“19
Die große Liebe ist atopisch, sie ist nicht einzuordnen, ihre Beschreibung hingegen utopisch oder streng topologisch, was von den jeweils historisch kontingenten kulturellen Kodes abhängt. „Das geliebte Wesen wird vom liebenden Subjekt für ‚atopos‘ gehalten“, schreibt Roland Barthes und greift dabei auf Sokrates zurück. Ich als Liebender kann den Anderen als das geliebte Objekt „nicht einordnen, eben weil er der Einzigartige ist, das besondere Bild, das sich wundersamerweise herbeigelassen hat, auf die Besonderheit meines Verlangens zu reagieren“. „Als atopos läßt der Andere die Sprache erbeben: man kann nicht von ihm, über ihn sprechen“.20
Ich folge in diesem Buch einer bestimmten Lesart und rufe zuvörderst das klassische philologische Ethos in Erinnerung: ‚lege meo periculo‘ – ‚lies auf meine eigene Gefahr hin‘. Große Liebe, genauer das literarische Modell einer großen Liebe, imaginiert das Bild von der lustvollen Frau. Diese Frau wird von den Literaten weder als organisch minderwertig noch als seelisch andersartig empfunden, vielmehr als Ergänzung wahrgenommen. Große Lust ist kein Substitut der großen Liebe, sondern verhält sich komplementär zu ihr. Wo sich die große Liebe ereignet, vollzieht sich auch die große Lust. Der Umkehrschluss gilt freilich nicht. Im Zusammenhang dieses Buchs geht es um die kulturgeschichtliche Ausprägung des Bilds von der lustvollen Frau als Deutungsmuster der großen Liebe. Die Leidenschaft wird dabei beredt, Lust wird sprachlos. Leidenschaft führt das große Wort, Lust stammelt den kleinen Laut – und die Literatur führt beide zusammen in der Rede von der großen Liebe.
Große Liebe bedient sich großer Worte, sie drängt immanent stets auf eine Poetik der Liebe. Dass es dabei um literarische Bilder der großen Liebe geht, ist selbstredend dem Titel dieses Buchs zu entnehmen, und es muss nicht immer so kompliziert zugehen wie in Karl Valentins Komischem Liebesbrief: „Warum hast Du so lange nicht geschrieben? – wo Du doch neulich geschrieben hast, daß Du mir schreibst, wenn ich Dir nicht schreibe!!“21 Auch die kannibalische Seite der Liebe mit ihrem Verschmelzungsphantasma, welches die Psychoanalyse recht gut zu deuten weiß, erwähnen wir nur mit dem Autorenpaar Friedrich Schiller und Günter Eich. Während Schiller mutmaßt, Liebe sei, „in das Nebengeschöpf überzugehen, oder daßelbe in sich hineinzuschlingen, es anzureissen“,22 könnte man darauf mit Eich antworten: „Odysseus verzehrt sich vor Sehnsucht, guten Appetit.“23
Wo Liebe ist, da ist Literatur nicht weit. Entweder man lässt sie als Liebender oder Liebende für sich sprechen und gebraucht sie damit als Ausdrucksmedium, oder man nutzt sie als Beschreibungsmedium einer großen Liebe. „Denn alle Lust will Ewigkeit“ – das garantiert der Liebe die Literatur. Darin mag ein Grund zu sehen sein für die enge Allianz, die Literatur und Liebe seit je eingehen. Lange schon, wenn die Liebenden gestorben und ihr unmittelbar erinnerbares Andenken erloschen ist, spricht die Literatur noch von ihrer großen Liebe, als sei es eben erst geschehen.
Vollständig ausgetrieben scheinen sowohl der Wunsch nach der großen Liebe wie auch deren Vorstellbarkeit bei den Brüdern Goncourt, die unter dem Datum vom 16. November 1864 in ihr Tagebuch eintragen: „Wir haben die Frau, mit anderen Worten, den Vorwand zur Liebe, und die Natur so gut wie ersetzt durch das Gemälde“.24 Dass die Geschichte der großen Liebe aber weitergeht, zumal ihre Literaturgeschichte, will ernsthaft niemand bezweifeln, auch wenn Martin Walser die ungleiche große Liebe zwischen dem alten Goethe und der jungen Ulrike von Levetzow durch den eben in heftiger Liebe wild entflammten Dichter die entscheidende Frage stellen lässt: „Zur Fortpflanzung war sie noch nie nötig. Wozu also Liebe? Dass wir merken, wir leben nicht mehr im Paradies. Dass kein menschliches Leben ohne Leiden bleibe“.25
Also, was ist Liebe? Ist sie eine Art „Kriegsdienst“,26 wie Ovid meint, oder doch nichts anderes, „als das Verlangen nach sinnlichem Genuß durch ein Wesen, das man ersehnt“ oder eine „wache, lebendige, freudige Erregung“?27 Dieses Buch wird auf diese Frage keine verallgemeinerbaren oder wie auch immer gearteten konsensfähigen Antworten geben, denn es ist der Beleg dafür, dass jeder Text individuell antwortet und der Leser allein bleibt, ja bleiben muss, mit dem Echo in seinem Herzen, das die Worte der Dichter hervorrufen. Und einem ehemaligen Tennisprofi können wir mit diesem Buch auch nicht wirklich helfen, der nach einer gescheiterten Beziehung über die Nachrichtenagentur ap am 28. November 2008 fragen ließ: „Ich wäre froh, wenn mir jemand mal die Liebe erklären könnte. Soll ich in Zukunft nach meinem Herzen oder meinem Kopf gehen?“ Nein, Liebe kann man nicht erklären, man kann sie aber beschreiben, und genau das tut die Literatur. Die imperative Aufforderung Ingeborg Bachmanns also Erklär mir, Liebe! wird unbefolgt bleiben. Gleich, was Liebe ist, wir sollten sie annehmen in Demut und mit Lust. Karoline von Günderrode mahnt uns in ihrem Gedicht Überall Liebe (1805) so: „Verlohren ist wen Liebe nicht beglücket“.28
„Bisher hat alles Das, was dem Dasein Farbe gegeben hat, noch keine Geschichte: oder wo gäbe es eine Geschichte der Liebe“,29 fragt Friedrich Nietzsche in seiner Fröhlichen Wissenschaft (1882). Daran hat sich bis heute viel, sehr viel geändert. Selbst wenn man die ganze Ratgeberliteratur beiseite lässt, bleiben immer noch genügend Hundertschaften kulturgeschichtlicher Darstellungen über alle Aspekte der Liebe übrig. Heinrich Böll hat in seiner Nobelpreisrede festgestellt: „Niemand wird je wissen, wie viele Romane, Gedichte, Analysen, Bekenntnisse, Schmerzen und Freuden auf diesen Kontinent Liebe gehäuft worden sind, ohne daß er sich als total erforscht erwiesen hätte.“30 Umso auffallender ist es dann, dass es zur großen Liebe in der Literatur keine Darstellung gibt. Gemeint sind nicht die Biographien großer Männer und Frauen, die liebten, und gemeint sind auch nicht die vielfältigen Digressionen der Liebe wie die unglückliche Liebe, die einseitige Liebe, die unerwiderte Liebe, die nicht vollzogene Liebe etc. Das Grimm’sche Wörterbuch listet unter dem Lemma Liebe eine Fülle der sprachlichen und lebensweltlichen Kombinationsmöglichkeiten auf: Die geistige, brüderliche, blinde, heimliche, brennende, keusche, unzüchtige, hürische, wahre, falsche, gezwungene, erste, neue, böse, schöne Liebe. Insofern versteht sich die hier vorgelegte kleine Literaturgeschichte der großen Liebe als ein Essay, als ein erster Versuch, einen Blick auf dieses unerschöpfliche Thema zu riskieren.