Читать книгу Solange sie schlief - Matthias Rathmer - Страница 5

2 Wie oft denn noch?

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Einer der größten Irrtümer der Menschen lag darin, miteinander intim zu sein, bevor man auch nur irgendetwas über den anderen wusste. Dennoch taten sie es. Stets schamloser. Man sah sich und ein paar Oberflächlichkeiten reichten aus, um sich gegenseitig spüren zu wollen, was im Fachjargon ficken hieß, das zu sagen aber durch und durch unweiblich war, obwohl eine gewisse Härte gerade den Frauen besonders gefiel. Sex war Magie. Was mehr bezauberte Männer an Frauen, wenn sie sie nicht sexuell begehrten? Was mehr als Sex zog Frauen zu Männern hin? Ich war, ging es um Paarungsrituale ohne echte Absichten, kein Held der Verführung. Das dauerte mir zu lange. Der wilde Trieb passte eher zu mir. Ihn zu verschleiern war die Kunst, durchzuhalten eine andere.

Ich war ein Mann. Ich war ein Jäger. Meine Lust passte so gar nicht zum Aussuchen von Regalwänden und Teppichböden, die sie bereits nach dem dritten Akt heimlich im Kopf hatte. Was die einen Artenschutz nannten, war für mich Narrenfreiheit. Vor allem aber hatte ich gelernt Liebeskummer zu ertragen. Nie wieder würde mir eine Frau das Herz herausreißen können und mich in diesen komatösen Zustand schicken, in dem ich über Wochen als Säufer in der Gosse lag, seichte Musik hörte und weinte. Zeit heilte Wunden, hieß es. Schneller ging es mit Menschen, wenn man mit ihnen spielen konnte. Und ich wusste um die Orte, an denen in Gleichgültigkeit abzutauchen besser war als zuzulassen sich im Leid zu gefallen, weil in diesem Schmerz alle Sinne geschärfter waren. Ich wusste, wo sie sich herumtrieben.

Axel löste an diesem Tag Andromeda ab. Die Bezeichnungen von Meteorologen entzogen sich mir jeglicher Logik. Männer brachten bei ihnen Stimmung. Vielleicht benannten sie die Tiefdruckgebiete deswegen mit Frauennamen, weil sie Metaphern für grundsätzliche Ungemütlichkeiten zu mögen schienen. Ich stellte sie mir vor, wie sie über ihren kurvenreichen Karten hingen, mürrisch nur wenig miteinander sprachen und als erste wussten, welch übles Wechselspiel der Naturgewalten uns allen häufig genug drohte. Immerhin. Ihre Vorhersage einer sonnenreichen Zeit traf zu, frohlockte ich und machte mich auf, um die Freude der Natur zu genießen, die in meiner Stadt einen Ausnahmezustand verursachte, mit dem nur die wenigsten kamen.

Wenn ich früher dachte, wer über das Wetter redete, war entweder alt oder hatte sonst nichts anderes zu erzählen, so musste ich dieses Urteil mit meinem Umzug nach Hamburg gehörig revidieren. Vor mehr als fünfzehn Jahren war ich ans Tor zur Welt gesiedelt. Seitdem kannte ich ihn, diesen grauen Dauerherbst, der nur für eine kurze Zeit von den Sommermonaten unterbrochen wurde, auf die alle Bewohner sehnsüchtig und gespannt warteten wie auf die Rückkehr eines geliebten Menschen. Da war mit Enttäuschungen immer zu rechnen. In dieser Stadt war das Klima stets ein Thema, denn packte ein kräftiges Hoch wie Axel die Leute beim Gemüt, waren mit dem Anflug eines Hauchs mediterraner Lebensgefühle ein paar Wochen lang Missmut und nordische Steifheit wie bestellt verflogen.

Man durfte dennoch nicht glauben, was die Augen sahen. Die Spaßgesellschaft tauchte nur für eine kurze Zeit in eine Art Karnevalstrunkenheit ein. Hinter ihren Maskeraden der guten Sommerlaune lebten die Menschen allenfalls wissentlicher den Unterschied zwischen Schein und Sein, wenn sie ihre Marotten überhaupt reflektierten. Das Schöne besaß für sie immer den konkreten Zweck, sich präsentieren zu wollen statt genießen zu können. Ich blickte durch die Runde. Mich amüsierte, allerlei Haut im Visier, ein anderer von mir sehr geschätzter Vorzug dieser Jahreszeit. Als Mann sah man sofort, woran man bei Frau war. Die sonst so üblichen Mogelpackungen blieben in den Schränken. Ich dachte an Eve, die sich aus anderen Gründen als solche entpuppt hatte und deswegen der Grund dafür war, warum bei mir die allgemeine Betäubung nicht wirkte. Noch nicht. Vor zehn Tagen hatte sie mich verlassen, wie ich mir täglich mehr eingeredet hatte.

Zuhauf waren sie gekommen. Wo es Licht gab, wo es warm war und wo es rummelte, versammelten sich die Großstädter nur allzu gern. Wo es nach Libido roch, erst recht. Sie streckten ihre müden Glieder auf Liegen aus, saßen in billigen Tuchstühlen oder hatten in den wuchtigen Holzsesseln Platz gefunden. Ein leichter Wind wehte die Geräusche der Hafenarbeiter herüber, Flussschiffe fuhren vorbei und Touristen bewunderten den Hafen. Bliesen Lüfte in Böen kräftiger, ließen Brisen den Schweiß auf entblößten Körpern wohltuend erkalten. Ein Gemisch aus Limonen und allerlei Körpercremes duftete wunderbar nach Beschwingtheit. Eine ganze Weile beobachtete ich Möwen, die einem Containerschiff am Heck stromaufwärts folgten. Dann und wann kam es vor, dass sie über das Areal flogen und auf die Gäste kackten. Während ich über dieses unflätige Benehmen grübelte, weil mir diese Viecher wie mit boshafter Absicht trainiert vorkamen, aber dennoch niemals die richtigen trafen, stockte ich. Ich hatte Mühe, meinen sonnenverklärten Blick schärfer zu ziehen.

Ich reckte den Hals soweit ich konnte. Mein Interesse war wie geblendet geweckt, als ich den wahren Sonnenschein in diesem Lokal ausgemacht hatte. Da war sie, wegen dieser Frau war ich an diesen Ort gekommen. Sie war die Eine von Zehn der Hundert, auf den ersten Blick und möglicherweise, wie ich sofort wieder einschränkte, denn Frauen musste Mann immer kommen lassen. Abgesehen davon, dass jede Frau ganz grundsätzlich ein solches war, das Problem bei den meisten jedoch darin bestand, stets und ständig als solches auch genau so behandelt werden zu wollen, konnte sie es wirklich sein, ein Geschenk des Himmels nämlich.

Groß, mit perfektem Fettgehalt, schlanken Oberarmen und dunklen, langen Haaren schwebte sie mir, einem Engel gleich, elfenhaft entgegen. Nur jetzt bitte keinen dicken Hintern, flehte ich den Herrn der Schöpfung innerlich an. Ich sah sie geradewegs auf mich zukommen, sie, ein Glücksfall der Meiose, mit den Beinen einer Gazelle zusammen mit ihren beiden herrlichen Brüsten, die ihrem Leben immer ein Stück voraus waren. Prall gefüllt war ihr Bikini, mit Begehrlichkeiten, deren Reize dauerhaftes Unheil stiften konnten. Wie schwer selbst weibliche Merkmale kleinster Ausprägung wiegen konnten, wusste ich nur allzu genau einzuschätzen, zu oft schon drohte ich an ihrem wesentlichen Gehalt zu ersticken, obgleich ich nur mit ihnen spielen wollte.

Ein einfacher Knoten hielt ihr Fleisch zusammen. Ihre Verlockungen wogen leicht zum Takt ihres Ganges auf und ab, getragen von Stolz und vorgeführt von einer verführerischen Grazie. Wenn Frauen derart Rückgrat zeigten, wie sie es tat, dann trieben sie in der Regel reichlich Sport oder waren mit zahlreichen Auftritten geübt darin, sich in Szene zu setzen. Meine Entdeckung aber sah nicht so aus, als verschafften ihr ausgedehnte Leibesübungen Zufriedenheit. Sie war zu dieser Stunde und an diesem Ort die Anmut in Vollendung und konnte es sich leisten, mit ihren Betrachtern zu spielen. In Millisekunden sorgten Neurotransmitter und Hormonhaushalt dafür, dass meine Pupillen an ihr klebten.

Meine unbekannte Schönheit schritt den Holzsteg entlang, den alle nehmen mussten, wenn man das Lokal betreten hatte. Der Weg teilte den Beachclub an der Elbe in zwei Hälften. Links und rechts von ihm saßen oder lagen die Gäste in aufgestellter Ordnung im Sand. Erst wenn man diese Gerade der Eitelkeiten geschafft hatte, konnte man daran denken, im restlichen Strandambiente zu entspannen. Bis dahin aber sah man sich unzähligen Blicken ausgesetzt. Nur wenige Meter konnten zur Ewigkeit gereichen, und die meisten mühten sich nach Kräften, eine halbwegs gute Figur zu machen. Die Parade aller Masken war im Grunde lächerlich. Wollte man jedoch im Großstadtleben dabei sein, forderten Orte wie dieser ihren Tribut, von Frauen und Männern gleichermaßen. Es war Sonntag und wenigstens die Sonne schien allen einsamen Kämpfern auf ihrem langen Weg des Erfolgs entgegen. Das war selten genug gewesen in diesem verrückten deutschen Sommer.

Sie kam in Begleitung einer anderen Frau, wobei ich nicht gleich ermitteln konnte, in welchem Verhältnis sie zueinander standen. Während ihre Kameradin mit gesenktem Haupt damit beschäftigt war, ihre Unsicherheit zu verstecken, schaute sich die Schöne zu allen Seiten um. Ihre souveräne Kopf- und Körperhaltung verriet mir sofort, dass es ihr ein Leichtes war, die Pflicht dieser öffentlichen Artbegaffung zu bewältigen. Sie sprachen kein Wort. Das war für Frauen höchst ungewöhnlich, denn waren sie Stresssituationen wie diesen ausgesetzt, plapperte Frau vergnügt gemeinhin über dieses und jenes, und zwar so lange, bis die größten Ängste ausgestanden waren, selbst wenn sie wusste, dass es dummes Zeug gewesen war, über das sie gerade palavert hatte.

Gerne hätte ich ihre Augen gesehen. Im Unterschied zu ihr war ihre Begleiterin deutlich fülliger und wirkte ordinärer. Sie stampfte wie ein Plumperquatsch über die kleinen Holzlatten, die sich unter ihrem Gewicht in den Sand drückten. Meine Auserwählte hingegen stolzierte weiter auf voller Länge in eleganter Haltung an den Voyeuren vorbei, die den Mund nicht schließen konnten. Sie wusste um ihre Außenwirkung. Sie wusste, dass ihr Männer wie Frauen, waren sie auf sie aufmerksam geworden, aus ganz unterschiedlichen Motiven nachschauten. Die Männer lechzten, die Frauen neideten.

Ein anderer Umstand wurde mir bewusst, während ich das so ungleiche Paar weiter beobachtete. Der Klassiker war unterwegs. Häufig hing an einer attraktiven Frau eine obligatorisch überfüllige Geschlechtsgenossin mit minder ausgeprägten Reizen und von verhaltener Ausstattung, vermutlich, weil die eine in dieser Zweckgemeinschaft noch besser glänzen konnte und die andere sich erhoffte Bekanntschaften zu machen, die sie allein zu schließen aufgrund ihrer Defizite nicht in der Lage war.

An ihrem Ziel angekommen, ließen sie sich bereitwillig ein gelbes Armbändchen verpassen, das sie an diesem Tag als besonders wichtige Gäste auswies, nahmen Gutscheine in Empfang und suchten das abgesperrte Terrain nach einem geeigneten Plätzchen ab. Jetzt konnte ich beide von hinten betrachten. Diesen Anblick wollte ich mir noch gönnen, bevor ich zu vergessen bereit war, was und wen ich verfolgt hatte. Zu oft schon hatte ich drohende Enttäuschungen dieser Art in Form unförmiger Füllen erlitten und meine Entdeckung in die Rubrik der neunzig Anteile einordnen müssen. Zu meiner Verzückung aber zauberte sie mit ihrem Hintern liegende Achten in die Luft. Sollte jemals ein Mann sagen, fiel mir ein, weil mein Verstand sich regte und mitteilte, wie stumpf und oberflächlich meine Gedanken waren, dass er einer Frau, die er zum ersten Mal gesehen hatte, nicht auf ihre Brüste und ihren Hintern geschaut hatte, in welcher Reihenfolge auch immer, so log er. Je wohlgeformter desto höher das Gefallen in ihm, desto leichtsinniger wurde er, desto teurer wurde sie. Auf welche Äußerlichkeiten die Frauen bei den Männern achteten, wenn sie paarungswillig waren, war gewiss breitspanniger, auch deswegen, weil ein wesentlicher körperlicher Unterschied bis zu seiner Offenbarung allein der Vision mit einer großen Portion Hoffnung überlassen blieb.

Sie trug eine kurze, weiße Hose, ein hellblaues Shirt mit einer nichts sagenden Aufschrift, ein schwarzes Bikinioberteil darunter, modische Flipflops mit Strasssteinen besetzt, eine Sonnenbrille mit Gläsern, die ihr fast das ganze Gesicht nahmen und, natürlich, eine Handtasche. Beide hatten mit ihrer Namensnennung nach offensichtlich vorheriger Anmeldung ganz behördlich korrekt den für diesen Tag freigehaltenen Bereich des Lokals passiert, der für die Grillparty eines Klamottenlabels abgesperrt worden war. Sie ließ ihre Begleiterin vorgehen und damit die letzte Hürde zuerst nehmen. Schlaue Frauen drängten sich nicht gleich auf, urteilte ich erfreut über die Fähigkeit ihres Benimms. Waren sie zu zweit oder zu mehreren unterwegs, ließen die der klugen Art immer die vorangehen, die über den größeren Anteil des Mannes in sich und ihrem Benehmen verfügte. Besaß man genügend Zeit und noch mehr Lust Frauen in verschiedenen Lagen zu studieren, war es ein Leichtes, ihnen auf ihre Schlichen zu kommen. Es war erstaunlich, wie viel Zeit und vor allem Geld Männer sparen konnten, wenn sie sich die Frauen genauer ansahen.

Die beiden bezogen eine Bettliege, die das Strandlokal anbot, um sich so schamlos wie möglich den warmen Strahlen zu ergeben. Die Matratze war mit einem leuchtend weißen Laken bespannt, auf dem nicht ein Krümel Sand lag und dessen Enden längs wie quer so penibel unter- und eingeschlagen worden waren, dass jeder Rekrutenausbilder der Bundeswehr seine Freude daran gehabt hätte. Sie zogen dennoch kleine Deckchen aus einem bereitgestellten Korb und legten sich dann erst ab.

Was genau ihr Unbehagen erzeugt hatte, konnte ich nach ihrem kurzen Dialog abermals nicht sofort deuten, jedenfalls wechselten sie schon nach ein paar Sätzen wieder den Platz. Die Liege stand in der Mitte des abgesperrten Areals. Möglicherweise befürchteten sie, wahllos zum Objekt von Tratsch oder Begierde zu geraten, oder sie bemängelten die Aussicht, um selbst ungestört glotzen und quaken zu können. Es war der Sonnenstand, der ihnen missfallen hatte, wie der Umzug auf eine andere Liege gleicher Art ein paar Meter weiter zeigte. Sie waren früh genug gekommen, um an Sitz- und Liegemöglichkeiten wählen zu können. Entweder kannten sie die Beliebtheit der Strandbar und hatten schon Tage zuvor in bester weiblicher Vorausplanung berechnend die Rahmenbedingungen für ihr Sonnenbad festgelegt, oder sie hatten einfach Glück, weil eine Vielzahl der erwarteten Gäste an diesem Sonntagmittag noch beharrlich mit der Spaltung diverser Alkoholketten nach durchzechter Nacht beschäftigt waren.

Sie brauchten nur eine kurze Zeit der Eingewöhnung. Geübt darin, zügig Besitz zu ergreifen, hatte sie die neue Umgebung beobachtet, allzu aufdringliche, potenzielle Gefahrenherde in Form von geifernden Männeraugen weitestgehend ausgeschlossen und ein erstes Mal an dem Strohhalm ihrer Drinks genippt. Dann fielen die Hüllen. Die bevorstehende Offenlegung ihrer Brüste lud mich unverzüglich zu einer Reihe nicht zu verhindernder Vorstellungen ein, zuallererst jedoch mich an ihnen auszuruhen. Ihre Haut war Sonne gewohnt. Nahtlos glänzte mir ihre Bräune auf jenem Deckchen entgegen, das sie so sorgfältig ausgebreitet hatte, wie das Laken gewaschen und die Liege bezogen worden war. Das Selbstbewusstsein einer Frau, so überlegte ich, war vortrefflich daran zu erkennen, ob und mit welchem Bikini sie sich bei Gelegenheiten wie dieser der Allgemeinheit stellte. Die, die es sich ohne jeden Makel leisten konnten, verschwendeten nicht einen Zweifel daran, sich in ein paar Stofffetzen zu hüllen, die jedem Typen Wellen von Begierden im Kopf und eine Dauererektion in der Hose verursachten. Die Frauen, die schlichtweg zu dick oder zu dünn waren oder andere Übel an sich peinlich fanden, kamen entweder erst gar nicht, trugen Badeanzüge, Strandkleider oder die Shirts ihrer Männer, die an beiden Zuständen litten. Entsprechend unterkühlt waren ihre Blicke. Die der Frauen natürlich. Meine Auserwählte trug einen geradezu unanständigen Stringtanga, der an ihren Hüften mit je einem Bändchen zusammengeknotet war. Wann und von wem wohl diese Schlingen das letzte Mal gelöst worden waren, fragte ich mich und schwelgte sogleich in neuen Fantasien, deren Entstehung nicht zu steuern war.

Ich schätzte sie so um die dreißig. Immerzu gierte ich nach ihren so reizenden Rundungen. Ihre Brüste lagen auf ihrem Oberkörper wie zwei erschlaffte Kriegerinnen, die sich von der täglichen Doppelbelastung zu erholen schienen. Ich fragte mich, welche Nippel sie wohl besaß und ob sie ihren Unterleib genauso akkurat rasierte wie ihre Achsel- und Beinhaare, denn nichts war schlimmer, als Turnübungen auf einer Bastmatte vollziehen zu müssen oder einen Dschungel zu durchforschen, der kein Ende nehmen wollte. Die Enge und Knappheit ihrer reizenden Genitalbedeckung ließen Erfreuliches vermuten. Da nämlich konnte reden, wer wollte. Eine Vagina zu küssen oder einen Kitzler zu bezüngeln geriet nur dann zum wahren Genuss, wenn diese weibliche Natürlichkeit auch beschnitten war. Schamhaare zwischen den Lippen oder auf der Zunge waren einfach unangenehm, vor allem aber ein Indiz weiblicher Verschlafenheit. Verängstigte Männer, die meinten ein Kind oder eine Minderjährige vor sich zu sehen, wenn Frauen schamhaarbefreit vor ihnen lagen, waren Wirrköpfe. Sie taten genauso simpel wie gut daran sich zu erinnern, wem sie Momente zuvor das Höschen ausgezogen hatten.

Dass sie vor kurzem noch in südlicheren Gefilden unterwegs gewesen sein musste, verriet dazu ihr souveräner Umgang mit Sonnencreme. Flink wie Mütter Kinderhäute mit jenem Schutz versahen, waren die weißen Schlangen einmassiert. Sie musste mit einer Arbeitskollegin gekommen sein, schätzte ich, denn eine Freundin wäre ihr beim Eincremen des Rückens gewiss ohne Zögern hilfreich zur Seite gestanden. Gerne hätte ich ihr den ganzen Körper mit Babyöl eingerieben, um anschließend mit ihr zusammen ins Reich der Sinne davonzufließen. An ihren Oberschenkeln schimmerte Orangenhaut, gerade so viel, dass es zu ertragen war. Ich erinnerte mich plötzlich an eine Diskussion mit Eve, die mich energisch unterbrochen hatte, als ich eher zum Spaß lapidar dahergequatscht hatte, dass Zellulitis unwiderruflich und eindeutig ein Scheidungsgrund war. Eve empörte sich über Minuten, wie ich so etwas auch nur denken konnte. Sie hatte mich einfach nicht ausreden lassen, denn Bierbäuche waren es auch.

Die unbekannte Schönheit sonnte sich ausgiebig, schien jedoch nicht die Behaglichkeit zu finden, nach der ihr war. Genau wie ich auch. Sie drehte auffällig Haare, wie jede Frau Haare drehte, wenn sie mehr sagen wollte, als sie konnte oder durfte. Legte sie sich auf den Bauch oder auf die Seite, schloss ich die Augen. Ihre Nähe musste wunderbar sein. Ich sah mich bereits erschöpft und beseelt neben ihr liegen und visionierte, wie meine Säfte langsam ihre Schenkel hinunterflossen, nachdem ich sie zuvor von hinten genommen hatte, ihr jedoch versprechen musste, nicht in ihr zu kommen, weil sie nicht verhütete, und wir uns auf diese Art verständigt hatten, wo wir doch immerhin schon kein Kondom benutzten. Ich fragte mich, ob sie wohl die Penetration anderer Körperöffnungen mochte und zog eine Reihe weiterer, erotischer Wünsche in Betracht, während sie ein Buch las, sich die Lippen einschmierte, an ihrem Strohhalm nippte und vom Buffet aß.

Sie kam zweimal von den dargereichten Auslagen zurück und bevorzugte Salat und mageres Grillfleisch, dessen Zubereitung Rauchschwaden erzeugte, die sich kreiselnd in die Lüfte schwangen und deren Geruch an noch niedere Instinkte appellierte. Wie ein Adler visierte ich sie weiterhin mit hoher Konzentration an. Dann und wann schwatzte sie, doch wohl ohne Belang. Längere Konversationen schienen ihr fremd, zumindest an diesem Tag, wie ich hoffte. Sie trug keinen Ring und aß ein Schokoladeneis. Darauf trank sie eine Diätcola. Dann ging sie.

Ich war gekommen, um an diesem Ort ein Manuskript zu polieren. Abwechselnd waren meine Gedanken zuvor bei Eve, dem Drehbuch und einigen anderen Frauen in und außerhalb dieses Lokals gewesen. Nun ließ mich dieses Fabelwesen nicht mehr los. Ich hatte das drängende Bedürfnis, sie für mich begeistern zu wollen. Ich verspürte wie einst, als ich Eve zum ersten Mal gesehen hatte, das Begehren in jede ihrer Körperöffnungen eindringen zu wollen, ohne zu wissen, wer sie war, was sie dachte, wie sie lebte und ob sie das mochte. Sie verschwand im Gewühl der Gäste. Als ich ihr nachblicken wollte, den Gedanken im Kopf hinter ihr herzuhecheln, etwas reichlich Dummes zu fragen oder mich vor ihr Auto zu werfen, war sie bereits nicht mehr auszumachen. Kein Name, keine Telefonnummer, keine Zukunft. Ich hatte sie ziehen lassen, weil ich längst schon empfunden hatte, dass mit mir etwas nicht stimmte. Und zwar gehörig. Ich war zurück vom Gipfel der Liebe und dabei alte Täler zu durchschreiten. Rache zu nehmen war manchmal ein Bedürfnis, das in mir aufkam, ohne dass ich es bewusst entwickelte. Mein Leben war bis zu dieser Stunde kein mieser Serienroman, aber es drohte einem zu ähneln.

Tom war der einzige Mensch, dem ich blind vertrauen durfte. Wir kannten uns seit vielen Jahren. Am Abend aßen wir Pizza in der Bar, die wir einigermaßen regelmäßig aufsuchten. Der herrliche Sonnentag hielt noch immer die meisten Städter in seinem Bann, entsprechend leer war das Lokal. Am Tresen saßen zwei Männer und zwei Frauen. Die Tische entlang der großen Fensterfassade blieben unbesetzt. Ich blickte die Regale empor, auf denen unzählige Flaschen Alkoholika standen. Manchmal hatte ich den Gedanken, sie in einem Anfall von Entsagung mit einer Maschinenpistole allesamt abzuschießen. Schaffte ich es, so stellte ich mir vor, sprang als Belohnung ein Kasper hervor, der die Nationalhymne sang. Oft schon hatte ich hier gesessen und mich sinnlos betrunken. Am nächsten Tag reute mich mein Gleichmut. Gab es keine Flaschen, gab es keine Reue.

Wir erkundigten uns kurz über unser Befinden und redeten noch kürzer über Eve, als Tom einen Anruf erhielt. Ich setzte mich einen halben Meter weiter nach rechts, weil ich glaubte auf meiner guten Laune zu sitzen. Es half nicht. Meine Trägheit ärgerte mich und aus der Opferwelt war auch keine gekommen, die ich hätte erlegen können. In dieser Bar traf sich Mittelmäßigkeit. Freaks, Intellektuelle oder affektierte Szenegänger bevorzugten andere Orte. Die Töne, die der Barmann aufgelegt hatte, kannte ich nicht. Ich befürchtete Herzrhythmusstörungen. Jeder, der in der Bar arbeitete, durfte auch seine Musik spielen, was zur Konsequenz hatte, dass man sich Klängen ausgesetzt sah, mit denen das Personal die eigenen Schieflagen auf Kosten der Gäste auslebte. Ganz besonders schräg waren die Gegenwarts- und Vergangenheitsbewältigungen der lesbischen und schwulen Bediensteten. Nicht dass ich etwas gegen gleichgeschlechtliche Liebe hatte, nur manchmal hätte ich mir ein Machtwort der Geschäftsführung gewünscht, dass es an einer Stätte wie dieser zuallererst um das Wohl der Gäste ging. Zu oft schon hatte das tonale Selbstgebrannte der Boys und Girls an grobe Körperverletzung gegrenzt.

Das puschelige Gehabe des schwulen Barkeepers stieß mich ebenfalls ab. Minuten vergingen, bevor er sich aufraffte, die wenigen Schritte zu uns zu kommen, um dem nachzugehen, wessen er da war, nämlich uns zu bedienen. Es gehörte zum Großstadtleben, dass viele ihr Glück nicht schätzten, dachte ich. Ich stellte mir vor, wie der arme Kerl einst um seine Neigung hatte kämpfen müssen. Jetzt war er anerkannt. Er hatte die alte Zeit vergessen. Für den Knaben in Lederhose und Muskelshirt war die freie Wahl der Liebe selbstverständlich geworden. Integriert und akzeptiert hatten heute viele dieser gleichgepolten Jungs eine Art Ignoranz, ja fast schon Arroganz entwickelt, vor allem mir gegenüber. Mit zickigem Benimm, wie selbst die eitelsten aller Weibchen kaum sein konnten, wiesen viele ohne jedes Wort jeden und jede, die oder den sie nicht mochten, auf die Absurdität der eigenen Sexualität hin. Dieses Exemplar verkappter Wahrnehmungen konnte froh sein, dass er in der Stadt lebte. Draußen auf dem Land würde er allenfalls an der Aldipresse stehen dürfen, demütigte ich ihn innerlich. Es war immer gut und angesagt zu wissen, wer man war und woher man kam, ganz gleich, in was und wen man eindrang.

Ich hatte mich schon oft über das Dasein und die Lebensgewohnheiten schwuler Paare gewundert. In der Stadt gab es eine Straße, in dessen Umfeld Homosexuelle bevorzugt lebten. Rund um diese Lange Reihe dominierten Männer mit engen Hosen und raspelkurzen Haarschnitten. Sie hatten es geschafft, dem Stadtteil ihren Lifestyle aufzudrücken. Dass Lesben einen ähnlich gleich gesinnt bevölkerten Mikrokosmos besaßen, suchte man indes vergeblich. In der Regel blieben sie mit ihrer Frauenliebe dezent im Verborgenen. Nur am Wochenende strömten sie in die einschlägigen Clubs und frönten in atemberaubenden Outfits hemmungslos ihren Neigungen. Immer weniger kämpften öffentlich in militanten Outfits und unglücklichen Blicken für ihre Überzeugung. Selbst in den gleichgeschlechtlichen Beziehungen hatte sich also die allgemein so gepriesene selbstverständliche Anerkennung nicht durchsetzen können. Wahre Emanzipation war an allen Ufern noch längst nicht erreicht oder schon wieder verschwunden. Wer wusste das schon?

Noch etwas war mir aufgefallen. Wenn ich allein oder in Begleitung einen Ausflug in dieses Tuckenviertel der Stadt unternahm, wie Tom diesen Ort boshaft bezeichnete, weil vielen der Jungs sein süßer Hintern gefiel, konnte ich reihenweise schwule Paare beobachten, die sich im Grunde genauso verhielten wie Heteros. Die Frau im Mann bemäkelte das letzte Bier, das er noch trinken wollte. Der Mann im Mann trug die Einkaufstaschen oder fuhr das Auto. Sie war es meistens, die ihren Kopf an seine Schulter schmiegte, um deutlich zu machen, zu wem sie gehörte und wonach ihr die Sinne standen. Er indes sah, wann immer es ging, geifernd verstohlen auf andere gestählte Körper, und stets gab es ebenfalls einen in jeder Partnerschaft, der seine Zärtlichkeiten intensiver auslebte, als dem anderen lieb war. In vielen Umgangsformen hatten Homopaare Aufgaben und Positionen genauso nach Stärken und Schwächen verteilt, wie Frauen und Männer das gemeinhin in herkömmlichen Beziehungen taten. Nur den Kinderwagen musste niemand schieben, was bedeutete, dass das Leben dieser dadurch so potenten Klientel vornehmlich auf der Straße und in Bars stattfand, so lange, bis einer von beiden eben doch einen Nachwuchswunsch äußerte und ein langer Kampf gegen Behörden und Beschränktheit um eine Adoption entbrannte. Normal war das alles ebenfalls noch lange nicht.

Die Pizza in unserer Bar, die der Inder Herr Ping mit vermutlich bisexuellen Neigungen anbot, entschädigte wenigstens ein bisschen für die vielen Unzulänglichkeiten im sonstigen Service- und Dienstleistungsangebot. Jene Defizite wurden irgendwann einmal von den meisten Gästen ohnehin als Charme bewertet und schließlich als Selbstverständlichkeiten abgetan. Wir nahmen schlechten Wein dazu. Der schwule Barkeeper hatte uns auch damit nur widerwillig bedient, weil ihm die Anstrengung, eine neue Flasche zu öffnen, schon zu lästig war.

Tom arbeitete als freiberuflicher Architekt. Gerade war er ohne Job und auf dem Sprung zu seiner ersten Exfreundin, die seit Jahren ein kleines Hotel auf einer griechischen Insel betrieb. Die langwierige Suche nach Angeboten billiger Flugreisen im Netz hatte ihn ermattet. Er hatte, als ich ihn nach dem Sinn seines Ausflugs gefragt hatte, erklärt, dass er Geld bei ihr geparkt hatte, wie er es nannte. Seine Leihgabe, die den Hotelbetrieb vor dem einstweiligen Ruin bewahrt hatte, was die Wahrheit war, wollte er nun zurück. Es war nicht sicher, ob die ehemalige Dame seines Herzens das Geld würde aufbringen können, entsprechend mürrisch war er. Ich bemerkte, dass er sie am Telefon ganz einfach danach hätte fragen können, doch Tom war nicht der Typ, Dinge derart banal anzusprechen. Er wollte sie wiedersehen, er wollte raus. Wir beide waren der Stadt müde geworden.

Ich fragte ihn nach seiner neuen Bekanntschaft, einer Frau, die beim Springer-Verlag eine Führungsposition besetzte und die er in einem dieser angeblich so verheißungsvollen Internetforen kennen gelernt und deren Küche er gerade tatkräftig renoviert hatte. Dass jene Karrieristin in dem Taktwechsel der Nullen und Einsen ihr Heil suchte, wunderte mich nicht. Wer sich für diese Ganoven prostituierte, war gewiss abgestumpft und ausgesaugt. Eher schon irritierte mich Toms Auswahl per Mausklick. Doch ich behielt meine Zweifel für mich. Er hatte minutenlang sein Leid beklagt, das ihm das kniffelige Zurechtschneiden der Arbeitsplatte eingebracht hatte.

„Und? Hat sie sich wenigstens anständig bedankt? Lass’ mich raten! Hat sie nicht. Natürlich nicht!“

„Da wäre was gegangen. Aber warum sollte ich?“ Tom konnte so herrlich knapp sein. Er folgte einem simplen Prinzip. „Bevor du vögelst, hol’ dir lieber einen runter und denk’ darüber nach, ob du dich mit dieser Frau danach noch unterhalten willst!“

„Kannst,” entgegnete ich.

Tom wusste sofort, was ich meinte.

Die Sonne hatte an diesem Tag die letzten Energiereserven meiner Aufmerksamkeit verbraucht. Im gegenwärtigen Wirrwarr meiner Gefühlslage setzte sich allmählich der Verstand durch. Der verlangte nach Ruhe. So lag ich an diesem Sonntagabend um zehn Uhr allein und nur mit mäßigem Alkoholkonsum im Bett, was in der Kombination aus Wochentag, Uhrzeit und Zustand das letzte Mal in Kindestagen vorgekommen war. Ein paar Minuten telefonierte ich mit Eve, die sich nicht erst mit ihrem Abflug in die Heimat von mir entfernt hatte. Der Verweis auf meinen erschöpften Zustand kam mir selbst vor wie ein Wunsch nach Verdrängen, doch auch die Frau an meiner Seite am anderen Ende der Welt hatte nur wenig zu sagen. Eine Kurzmitteilung von Julia, jener Gespielin mit prächtiger Oberweite, deren Name mir nun wieder präsent war, ließ ich unbeantwortet, ebenso wie einen Anruf von Karo, Eves bester Freundin.

Die Nacht war unauffällig, ich verbrachte sie wie den Sonntag, ungebrochen unerfüllt nämlich. Mit dem Morgen nahm ich mir vor aufgeräumter zu agieren. Die Liebe und die Frauen nahmen zu viel von dem, was die sonstige Ordnung brauchte. Ich begann, die erste Fassung eines Drehbuchs weiter zu korrigieren und war auf der Suche nach einem Titel, der den Schwellenpunkt treffen sollte, wenn Menschen zum Wahnsinn mutierten. Ich kramte ein paar Bücher hervor, las über den bedauernswerten Herrn Nietzsche und manövrierte durchs Internet. Alles war erfolglos. Ich konnte mich einfach nicht konzentrieren. Ständig wogen mir diese zwei Begehrlichkeiten durch den Kopf. Unaufhaltsam und unwiderruflich hatte letztlich der Drang nach Erkundung gesiegt, wem genau sie gehörten. Wer sich selbst nicht bewegte, bewegte nichts.

Ich bezog die Adresse jenes Klamottenlabels. Die Zentrale lag im Stadtzentrum. Nach meiner Einschätzung arbeitete sie im Büro. Ich erwarb zum wiederholten Male ein bestimmtes Buch und setzte mich vor den Personaleingang. Eine ganze Weile beobachtete ich alle die, die an mir vorbeigingen und stellte mir vor, wie sie jeden Tag in exakt gleichem Schrittwechsel die Steine des Bürgersteigs betraten. Von einer Frau hätte ich mir vorstellen können einen Plausch mit ihr zu halten. Sie trug Rock und Blazer. Mit einem Aktenkoffer eierte sie auf ihren Absätzen an mir vorbei, lächelte kurz und verschwand ein paar Türen weiter in einem der benachbarten Gebäude. Ich stellte sie mir vor, auf ihrem Schreibtisch, in meinen Händen, lechzend, stöhnend. Ihr wesentliches Merkmal waren wieder einmal riesige Brüste gewesen, die ein Ausschnitt zur Schau gestellt hatte, für den sie bestraft gehörte.

Ihr Anblick löste, ohne dass ich einen Einfluss darauf gehabt hätte, eine neue Schrägheit meiner Gedanken aus. Ich fragte mich, ob sich die Menschen in meiner Stadt wohl ihren Begierden hingaben, wann immer ihnen danach war. Oder wie viele Frauen wohl gerade in morgendlich sorgsam ausgesuchter Garderobe mit hochgestülptem Rock zitternd an irgendwelchen Wänden standen, um ihm danach mit der Androhung, sich bei Ehefrau und Chef vorstellig zu machen, Zugeständnisse abnötigte, die sie im herkömmlichen Umgang niemals erreicht hätten.

Ich dachte darüber nach, dass ich diese Stadt abgelaufen hatte. Eine aktuelle Studie, die ich im Internet entdeckt hatte, kam mir in den Sinn. Ihr Ergebnis attestierte den Männern endgültig, beim Anblick einer schönen Frau das Denken zu vergessen. Ich war müde. Ich konnte mich nicht mehr motivieren, nicht einmal mehr für den so einfachen Akt der menschlichen Kontaktaufnahme, diese Frau mit dem Ausschnitt, der keiner war, auf einen Kaffee einzuladen. Ich las beharrlich drei Zeitungen, aus deren Berichten ich nur wenig behielt. Das ganze Elend dieser Welt konnte man mit einem guten Akt kompensieren, dachte ich, vorausgesetzt, all die Ungerechtigkeiten und Bestrebungen nach Macht und Ohnmacht bewegten einen grundsätzlich. Für die Dauer von Sex waren die Menschen befreit. Weil niemand das Leben lenken konnte, wurde die Konfusion der Menschen in dieser Stadt zusammengehalten von Sex und einer gemeinsamen Sprache. Von nichts mehr. Anderswo erging es allen ähnlich, war ich mir sicher. Anderswo war sowieso, anderswo war die ganze Welt.

Gegen zwei Uhr schritt sie endlich hinaus. Sie telefonierte und zwar so elegant, erotisch nahezu, dass ich befürchtete, sie bis in die Arme ihres Lovers begleiten zu müssen. Ich folgte ihr in eine Einkaufspassage, deren Angebote zum Mittagstisch ich aus früheren Zeiten kannte. Sie wählte einen Italiener, wartete geduldig an der Ausgabe des Schnellrestaurants und ging, immer noch ihr Mobiltelefon geübt zwischen Schulter und Ohr gepresst, mit einem Salat samt Putenfleisch zu einem der Tische. Ihr Duft schlich mir herrlich frisch in die Nase. Aus Berechnung bestellte ich Gleiches und setzte mich genauso dreist wie dynamisch zu ihr.

„Hallo! Ich kenne dich. Flüchtig. Sehr flüchtig.“

„Und woher?“ fragte sie sichtlich überrascht. Züchtig verbot sie mit zugeknöpfter Bluse tiefere Einblicke und trug eine schwarze, enge Hose, die ihre langen, so unwiderstehlichen Beine verbargen. Ihre Fingernägel waren unlackiert, ein breiter Reif hielt ihre Haare und ein dezentes Kettchen zierte ihr linkes Handgelenk.

„Aus meinen Träumen,” gestand ich und sah an der Starre ihrer völligen Verblüffung, dass sie sich unverzüglich einen neuen Gast wünschte. Ich versuchte den Blickkontakt mit einem smarten Lächeln zu halten, doch sie ordnete weiter ihren Salat. „Gestern. Im Beachclub an der Elbe,” ergänzte ich und musterte sie noch eindringlicher. „Du warst mit deiner Kollegin da. Vermutlich. Sah jedenfalls so aus wie deine Kollegin. Ich war allein.“

„Ach ja? Hab’ dich gar nicht gesehen,” entgegnete sie kurz zurück. „Und ich war mit meiner besten Freundin da.“

„Ich habe mich im Hintergrund gehalten. War nicht so mein Tag. Ungewohnt eben. So viel Sonne, meine ich.“

„Und heute? Ist heute dein Tag? Geht es dir wieder besser?“ Meine Erwählte hob ihren Kopf, senkte ihr Kinn und schielte mich erstmals genauso flüchtig wie zaghaft an.

Bevor sie ihren Unmut vollständig vortragen konnte, legte ich das Buch auf den Tisch. „Für dich! Eine kleine Aufmerksamkeit. Nett von mir, nicht wahr?“

Sie blickte auf mein Mitbringsel, das in Geschenkpapier verpackt war, und wirkte für einen Moment verwunderter als zuvor. Wenn sie eine Frau mit Geist war, verstand sie unverzüglich. Wenn nicht, war es gleichgültig. Peinlich war dieser Auftritt ohnehin. Sie schaute auf das Buch, schmunzelte gequält, steckte es ein und meinte: „Eher ungewöhnlich. Wir kennen uns gar nicht. Aber danke! Sonst noch was?“

Natürlich war noch etwas, jede Menge war noch, doch ich antwortete: „Nein!“ Ich versuchte ein weiteres Mal in ihre herrlichen Mokkaaugen zu blicken. Sie aber aß ihren Salat und zelebrierte den sonst so gewöhnlichen Vorgang der Nahrungsaufnahme förmlich, um mir unmissverständlich nonverbal mitzuteilen, dass ich mich verziehen sollte, aber schleunigst.

„Na ja! Es muss bestimmt Spaß machen, mit dir in der Sonne zu liegen... Und sich dann und wann einmal über ein paar Seiten aus diesem Werk zu unterhalten.“

„Woher willst du das wissen?“ fragte sie spitz, was mir verriet, dass sie getroffen vor mir zu flüchten versuchte.

„Sah so aus.“

Sie nickte, legte ihre Gabel zur Seite und hielt einen Blick, der, so ungewohnt er war, dennoch etwas Verbindendes besaß. „Süßer Versuch! Aber ich habe eine Beziehung, in der ich sehr glücklich bin. Ist auch heute nicht dein Tag.“

„Das macht doch nichts,” stotterte ich ihr entgegen und bereitete den Rückzug vor. „Dann unterhalte dich mit ihm! Er hat bestimmt den Geist dazu.“

Plumperquatsch kam herbeigestampft. Meine Angebetete, und mehr würde sie nicht werden, dessen war ich mir anfallartig sicher geworden, winkte sie so stürmisch herbei, als gelte es, sie aus den Fängen eines Ungeheuers zu befreien.

„Na, dann,” meinte ich. „Was immer du noch tust. Ich hoffe, es gibt viele Momente, die du genießen kannst.“ Innerlich fluchte ich. Ihr gehörte der Marsch geblasen oder eine Attacke geritten, wie unnötig ihr Gehabe doch war, sich in Situationen wie diesen frauentypisch versteckt wie ein Engelchen im Vorhang zu gebärden, das einem ein zaghaftes Huhu zurief, ergänzt mit dem noch leiseren Eingeständnis, in einer so ganz anderen Welt zu leben und Angst zu haben.

„Ja, du auch!“

„Ach so, ja! Entschuldigung! Ich bin unhöflich.“ Ich legte zehn Euro auf den Tisch. „Für das Essen. Du bist eingeladen gewesen. Ich war zu spät, es vorher zu sagen. Entschuldigung!“ Ich stand auf, als mir ein allerletzter Gedanke kam. „Reicht wohl auch noch für ein Schokoladeneis. Na ja! Für ein kleines.“

Wir verabschiedeten uns ohne ein weiteres Wort. Durch die Fensterscheiben sah ich, wie beide meinen Abgang verfolgten. Natürlich lästerten sie, wie jede Frau spotten würde, wäre ihr jemand mit ähnlichem Auftreten begegnet, weil sie sich geschmeichelt fühlten und das Unerwartete weder unverschämt noch wirklich beklagenswert war. Ihr Gerede störte mich nicht. Sollten sie doch tuscheln und tratschen. Ich hatte es versucht. Ich hatte mich erhoben, meine Ängste besiegt, mein Ego befriedigt. Niemand hätte sagen können, dass ich es nicht wenigstens versucht hätte. Nicht weil etwas schwierig war, wagten die Menschen es nicht. Weil sie es nicht wagten, geriet es schwierig.

Natürlich war ich aufgeregt, natürlich nahm mein Herzklopfen jede Luft für längere Reden, immerhin hatte ich die Eine der Zehn von Hundert entdeckt, eingekreist, aufgesucht, überrascht und tatsächlich ein paar Worte mit ihr gewechselt, auch wenn sie meine Sprache nicht verstand. Aus dem Wenigen, was sie von sich gegeben hatte, war eine einigermaßen gesunde Intelligenz herauszuhören gewesen. Doch ich hatte verloren. Mit Niederlagen musste man in diesem Spiel immer rechnen. All die Stunden, in denen ich mich mit ihr beschäftigt hatte, waren vergebene Liebesmüh. Sie war in einer Beziehung, wie sie sich ausdrückte. Glücklich dazu. Selbst wenn sie mich damit nur täuschen wollte, war ich abgeblitzt. Meine Enttäuschung klang nur langsam ab. Weil es obendrein zu regnen begann, schlich ich heim und setzte mich zurück an den Schreibtisch. Nach ein paar Stunden Kampf und Krampf hatten sich Kreativität und Notwendigkeit tatsächlich auf einen vorläufigen Arbeitstitel verständigt. Im Bemühen die letzten Erinnerungen an jene besonderen Stunden dieses Tages endgültig abzuhaken, weil die Schöne sie schlichtweg nicht wert war, entschied ich mich für den Versuch, einen Ersatz für Zufriedenheit zu suchen. Dabei. Ich hätte es besser wissen können.

Am Abend war ich auf dem Weg ins Fitnessstudio, als mich ein Anruf mit unbekannter Nummer ereilte. In der Regel meldete ich mich auf Tarnungen dieser Art nicht und vermutete Julia oder Karo hinter diesem Begehren, doch an diesem Tag hatte ich ohnehin nichts mehr zu verlieren.

„Hallo! Vielen Dank für das Buch,“ schwadronierte sie sogleich schwungvoll. „Aber denk’ jetzt bloß nicht, dass das ausreicht um mich zu erobern.“ Weil sie es bemerkt hatte, reichte es aus.

Meine schöne Unbekannte hieß Sabrina, war einunddreißig Jahre alt und arbeitete lange, viel und gerne als Buchhalterin in dem Unternehmen. Meine Beharrlichkeit und Idee hatten ihr gefallen, mein Benehmen und Auftreten auch, wie sie das Gespräch fortsetzte. Aus ihrer Stimme war herauszuhören, dass sie Erklärungen vortrug, für die keine Rechtfertigung notwendig war. Sie hatte das Spiel verloren. Mein Spiel.

Natürlich war es gewagt, Bücher mit einer Botschaft zu verschenken. Viele Frauen hielten einen gleich für einen überheblichen Besserwisser, für einen Romantiker oder Analytiker, wenn man sie derart überrascht hatte. Aber alle, ausnahmslos alle, mochten Aufmerksamkeiten, selbst wenn ein völlig Unbekannter versuchte, ihr kleines Dasein mit ein bisschen Geist zu bereichern, denn allein der besaß Bestand. Früher oder später, wenn die Körper erkundet und die Seelen umschlungen waren, ging es darum, den Verstand eines Menschen zu lieben, gewissermaßen ihren Kopf zu ficken. Die meisten Frauen lernten das entweder nie oder zu spät. Sabrina jedenfalls bedankte sich erfreut für den geschenkten Abdruck von Bildung – Alles, was man wissen muss, in dem ein Autorenkollege einen Abriss über das veröffentlicht hatte, was in der Welt jemals Bedeutung besaß. Epochen, Sagen, Geschichte, Religionen, Maler, Dichter, Denker, Musiker – mit einfachen Sätzen brachte er es, bisweilen humorvoll dazu, auf ein Muss für jeden, der sich für mehr interessierte, als in den verblödenden Druckerzeugnissen des Boulevards zu lesen war.

Mein Geschenk war nicht besonders originell, wie ich bemerkte, aber wirkungsvoll, wie ich beabsichtigt hatte. Sabrina ergänzte ihre Freude mit dem Eingeständnis, dass sie schon immer in ihrem hübschen Köpfchen hatte, sich dieses Werk anzuschaffen. Natürlich! Was sonst auch hätte sie sagen sollen, doch ich war gewillt ihr zu glauben. Mehr noch aber als diese omnipotente Darstellung zur Beseitigung bestimmter Bildungslücken beglückte sie mein Kärtchen, das ich dem Buch beigefügt hatte. Neben Namen und Telefonnummer hatte ich ihr einen Satz aufgeschrieben. „Alles, was man verdrängt hat, schreit im Traum um Hilfe.“ Ich konnte nicht ahnen, welche Bedeutung diese Worte, die zur Erkenntnis der Hauptfigur meines Drehbuchs gereift waren, gerade für diese Frau besaß. Sabrina fragte erstaunt nach, woher ich wissen könne, dass die im Schlaf vollzogene Verarbeitung des Lebens für sie ein gewichtiges Thema war, worauf ich gehaltlos antwortete, weil ich darum nicht wissen konnte, was mich nun wieder eine ganze Weile nachdenklich stimmte, als ich nach unserem Gespräch über Zufall und Bestimmung sinnierte. Wir verabredeten uns für Mittwoch, gleich nach der Arbeit, die an diesem Tag Freiräume ließ, erst einmal nur so, zum Shoppen und Schwatzen, wie mein Liebchen meinen Annäherungsversuch vollendet hatte.

Dem Kämpfer gebührte eine Belohnung. Jedenfalls war mir danach. Die Liebe und die Frauen waren anstrengend genug, sodass an sich selbst zu denken schnell beschlossen war. Ein nahe gelegenes Fitnessstudio war mein Ziel, doch nicht der Ertüchtigung wegen. Die Lodge war ein Tempel der Eitelkeiten, ein Hotspot zwischen Glühen und Glucken, in dem sich hunderte armer Seelen quälten, den allgemeinen körperlichen Verfall nach Kräften aufzuhalten. Manchmal kam es mir so vor, als bestrafte ich mich an diesem Ort für Dinge, die ich noch gar nicht getan hatte. Weitaus lieber wollte ich über meine kleine Eroberung nachdenken, setzte mich auf die Terrasse der Sportanlage und trank Wein. Auf der Veranda mit traumhaftem Blick hatte man seine Ruhe. Mitten in der Stadt gab es eine parkähnliche Oase, die mich schon oft dazu eingeladen hatte, meine Gedanken zu ordnen. Abgesehen davon, dass man in den Sommermonaten während des Freibadbetriebs so herrliche Blicke auf allerlei verschiedene weibliche Begehrlichkeiten genießen konnte.

Ein kleines Abenteuer stand an und was wäre das Leben ohne diese Herausforderungen? Eine Frau zu erobern war nicht schwer, kam mir zunächst grundsätzlich in den Sinn. Eine schöne Frau zu erobern war dazu ein Genuss. Der Welt fehlten ohnehin ganz eindeutig ein paar Abenteurer mehr. Doch je länger ich an Sabrina dachte, desto mehr setzte sich ein anderer Gedanke durch, der nämlich wessen alles geschehen war. Konnte und wollte Sabrina mich ficken, konnte sie dominant sein? Hatte sie ähnliche erotische Fantasien, mit denen ich sie einen ganzen Nachmittag lang belegt hatte, dazu noch an einem Sonntag? Ohne auch nur die geringste Ahnung von ihr zu haben, projizierte ich meine Gelüste auf sie, die mit Eve auszuleben unmöglich geworden war.

War ich auf Jagd, hatte ich, den gewohnten Riten folgend, meine wahren Absichten verschleiert und fragte mich, wie lange ich wohl warten musste, bis ich mich entkräftet von ihr abrollen durfte. Der, der vor sie getreten war, schien ihr etwas zu sagen, was auch immer. Der, der er wirklich war, hätte er die Wahrheit offenbart, wäre gewiss mit einer schallenden Ohrfeige und mehr gewürdigt worden, denn welche Frau wurde schon gerne beim Mittagessen mit einer Schilderung überrascht, die enttarnte, dass man in Gedanken bereits auf ihren Brüsten gekommen war? Ich haderte plötzlich mit der vulgären Sprache in meiner Gedankenwelt. Sie war ohne jeden Stil. Da war sie wieder, die Verrücktheit der Lust. Ehrlich zu sein zählte einfach nicht. Seit Jahrtausenden schon folgte der Reigen zwischen Mann und Frau einem einfachen Prinzip. Wer ficken wollte, musste nett sein, also erst einmal lügen, um die Wahrheit zu leben.

Eine weitere Einsicht beschäftigte mich plötzlich. Bei allem was ich von Sabrina kannte und sich mir noch verbarg, war sie letztlich austauschbar. Ort und Zeit waren zufällig, als sich unsere Wege kreuzten. Genauso gut hätte es eine andere Frau treffen können, vorausgesetzt ihre Brüste waren groß und ihr Hintern klein genug. Die bloße Äußerlichkeit einer Frau reichte aus, um unbedacht allerlei Dummheiten zu erliegen. Wenn sie attraktiv war. Die Schönheit von Frauen war schon immer meine Schwäche gewesen. Sabrina war schön. Aber wieder fragte ich mich, ob sie mich auch beherrschen konnte. Ließ sie sich, wie die vielen anderen Verlorenen, die auf mich warteten, einfach nur ficken oder fickte sie selbst zurück? Erst eine schöne Frau, die ebenso bereitwillig wie zügellos das Zepter der Lust schwingen konnte, war die Eine der Zehn von Hundert. Längst schon hatte ich den grundsätzlichen Benimm von Frauen durchschaut. Lagen sie erst einmal neben mir im Bett, war jeder öffentliche Vortrag von Emanzipation und Selbstbewusstsein Schall und Rauch. Sie ließen mich gewähren, allein mich. Sie selbst ergriffen so wenig Initiative.

Dabei war das Wesen der Hingabe, der sexuellen Erregung, die hemmungslose Selbstaufgabe. Es gab keine Gleichheit zwischen den Geschlechtern. Gleichberechtigung beim Sex war pure Langeweile. Es ging um das ständige Ungleichgewicht, um den ständigen Wechsel, beherrscht zu werden und zu beherrschen. Sex war die vollkommene Nacktheit der Triebe. Mal schlug der eine den Takt an, dann wieder war der andere überlegen. Sex war roh und zügellos. Fickte ich Frauen wie Julia, konnte ich sie beherrschen. Den meisten gefiel meine Dominanz. Ich durfte wiederkommen. Fassten sie, wenn sie konnten, nach einer Weile in zaghaften Ansätzen so etwas wie Vertrauen und waren bereit, das Chaos ihres Eros’ zu wagen, was nur die wenigsten wirklich zuließen, verließ ich sie. Ich wollte keine Bereicherung für sie sein, weil sie für mich keine waren außer sie zu ficken. Sie waren nicht schön genug. Ich liebte sie nicht.

Was aber war es wert, mit einer Frau an meiner Seite das Leben zu meistern, an der ich so vieles anderes liebte, deren Eros aber mich so wenig bereicherte? Eve konnte mich nicht beherrschen, Eve konnte sich nicht unterwerfen. Sexuell war sie zu einer herben Enttäuschung geworden. Es zerriss mir das Herz dieses Urteil gefällt zu haben. Doch es war die Wahrheit. Ich durfte Eve nicht so schamlos, roh und dominant ficken, wie ich anderen Frauen entgegenzutreten bereit war, weil ich erfahren hatte, wie unmöglich sexuelle Freiheit für sie war. Ich suchte nach Erlösung, die Eve nicht war und, was mich noch mehr quälte, in mir vermutlich auch keine Befreiung sah. Und. Meine Besessenheit trieb mich in die Betten anderer Frauen.

Ich war es gewohnt, dass ich, wie die jüngsten, viele meiner Bekanntschaften bereits nach kurzer Zeit nie wieder traf. Oftmals hatte ich sie nur für wenige Stunden erdulden können. Die Geschöpfe schmissen sodann beleidigt den Kopf in ihre Nacken und straften mich mit dem letzten Rest ihres Stolzes ab. Zickig löschten sie jeden Kontakt. Es war mir gleichgültig, denn ich gestand mir allmählich eine andere Wahrheit ein. Im Grunde war ich von den Frauen seit langer Zeit schon gelangweilt, enttäuscht und frustriert. Mehr, als sie mit höchster, innerlicher Genugtuung nach dem Gebrabbel wirrer und fadenscheiniger Eingeständnisse zu ficken, interessierte mich nicht. Ein Zeitfenster der Liebe namens Eve war die Ausnahme. Meine Absicht und mein Triumph zugleich waren, gesunde zwanzig Zentimeter Männlichkeit in die dafür vorgesehenen Spalten dieser Stadt zu stecken, vielleicht noch sie kurz vor ihrem Orgasmus in die Warteschleife zu schicken, damit sich ihre Geilheit steigerte. Die Dame mit jener herrlich üppigen Oberweite war die letzte Begegnung meiner Gerissenheit gewesen. Nach Lage der Dinge war sie der Beginn in alte Zeiten zu verfallen. Meine Kompromissfähigkeit bestand allein darin, den Verstand aus und die Ohren auf Durchzug zu schalten.

Eine Ehrlichkeit nach der anderen begann mich taumelähnlich und doch in nie zuvor erlebter Deutlichkeit zu beschäftigen. Ich war es ganz einfach leid geworden, mich mit Frauen auseinanderzusetzen. Ich befriedigte in ihrer Anwesenheit allein meine Triebe. Die Welt der Frauen, so wie ich sah, war ein verlogenes Schauspiel ihrer Ängste. Saß ich in fröhlicher Runde zusammen, gefiel ich mir, kam die Sprache auf die Unmöglichkeiten zwischen Frauen und Männern, mit dem Vortrag, dass Frauen das einzige Thema war, über das ich reden konnte, ohne die geringste Ahnung davon haben zu wollen. Mit ging nicht und ohne auch nicht. Wie oft denn noch, schrie ich innerlich auf.

Ihre Reden, ihr Gehabe, ja ihr grundsätzliches Wesen rüttelten seit Jahren schon an den Fundamenten meiner Großzügigkeit. Wenn Frauen nicht schön waren. Ein Großteil ihrer Sätze fing zu oft mit eigentlich an und endete nie. Ich ertrug ihre Stimmungen nicht mehr. Ihre ständigen Launen waren mir zum Gräuel geworden. Sollten sie doch komplexer sein in ihrem Seelenleben, als ich es jemals werden würde. Auf diese Komplikationen hatte ich einfach keine Lust mehr. In gewisser Weise hatte ich vor ihnen kapituliert. Und. Ich selbst war ebenfalls austauschbar geworden. Ich spielte ihre Spiele, ich redete ihnen nach dem Mund, ich dosierte Widerstand, ich begegnete ihnen mit Charme, ich interessierte mich für ihre Probleme, ich fragte nach und hörte zu, ich übte Verständnis, ich lud sie ein. Doch alle Zugeständnisse waren einzig dem Willen und Zwang untergeordnet, sie ordentlich zu ficken. Eve hatte ich in den letzten Wochen bereits mehrfach belogen und betrogen. Es war, wie es früher gewesen war. Ich bestrafte mich mit meinem Umgang mit ihnen für mein eigenes, unerfülltes Dasein.

Wie in der Vergangenheit interessierte mich auch jetzt wieder nicht, was die Frauen suchten, was Sabrina suchte. Was ich suchte, fand ich auch. Spätestens aber, wenn sich ein Liebesakt ausschließlich auf ausgeprägten Oralverkehr beschränkte, fing stets das gleiche Drama an. Es war der Startschuss für ihren Drang mich verändern zu wollen, wohl weil sie dachten, einen Dienst genauso geleistet wie erduldet zu haben, der meine Trimmung auf ihr langweiliges Maß rechtfertigte.

In mir begann es zu hämmern und zu dämmern. Ich dachte an Eve. Reihenweise würde sie die Kerle in ihrer Heimat verrückt machen, dessen war ich mir sicher. Ihr Liebreiz war betörend. Trat sie Menschen gegenüber, verursachte ihre Faszination unverzüglich das Verlangen, in ihrer Nähe sein zu wollen. Sie war mir zehn Stunden Lebenszeit voraus. Ich fragte mich, ob sie gerade schlief oder in einer der beiden Bars abhing, die rund um die Uhr geöffnet hatten und in der man sich in Melbourne traf, wenn es einen juckte. Vielleicht würde sie ihn dort treffen, ihren Befreier. Wieder quälte mich meine Eifersucht, diese hässliche Raserei. Doch was nutzte es? Die Wahrheit stand unverrückbar vor uns.

Zwei Jahre hatten ausgereicht, um mit Eve erneut an der Nulllinie zu stehen. Das Glück der einzigen, wahren Liebe im Leben war eine Illusion, fluchte ich innerlich, auch wenn sich die amerikanische Filmindustrie und ein paar letzte, aufrechte Romanromantiker beharrlich alle Mühe gaben, das Gegenteil zu erzählen. Sie verdienten mit der zentralen Sehnsucht der Menschen Geld. Sie zockten mit uns. Sie wussten es besser. Ganze Wirtschaftszweige vermarkteten die Emotionen der Menschheit. Eine Versicherung für die Liebe aber hatte niemand im Angebot.

Ihr zu begegnen schloss ein, sie erkannt zu haben. Sie erkennen zu können bedeutete, selbst für sie in der Lage zu sein, was die meisten schon grundsätzlich nicht waren. Der milliardenfache Kompromiss der Menschen, mit einem anderen zusammen zu sein, um nicht alleine zu sein, stank wie fauler Fisch. Doch wenn man ihn jeden Tag roch, gewöhnte man sich selbst daran. Ich kannte die scheinbar unausweichliche Entwicklung, wenn die Glückshormone in einem so lange wie Brausepulver mit Spucke versehen in der Hand sprudelten, bis einen der einst so prickelnd süße Geschmack abstieß und man schließlich kotzen musste. Ich kannte diese bleiernen Zeiten, die der Liebe folgten, die mir genommen worden war. Meine erste Freundin, die ich wahrlich geliebt hatte, ging zu ihrem ersten Freund zurück. Meine zweite Freundin, die ich wahrlich geliebt hatte, verließ mich, weil ich aus mir etwas machen wollte. Meine dritte Freundin, die ich wahrlich geliebt hatte, entzog mir ihre Gefühle, weil ich noch mehr aus mir machen wollte. Meine vierte Freundin, die ich wahrlich geliebt hatte, machte sich davon, weil ich mich selbst für das, was ich geschafft hatte, nicht lieben konnte. Und seit zwei Jahren liebte ich eine Frau, die sich selbst irgendwo zwischen diesen Lebensabschnitten im Weg stand. Früher oder später. Die Lieben meines Lebens waren in der Bilanz die Angelegenheiten eines Schlappschwanzes, der ich nie sein wollte.

Ich versuchte eine Größe für die Zeiten zu finden, in denen ich die Liebe suchte aber nicht gefunden hatte. Ich versuchte, eine Größe für die Zeit zu finden, in der ich das Gefühl besaß, der Liebe begegnet zu sein und glücklich war. Das eklatante Missverhältnis machte mich noch unruhiger. Dachte ich über die vielen Millionen von Menschen nach, denen es bislang ähnlich ergangen war, schüttelte ich fassungslos den Kopf ob all der schönen, vergeudeten Zeit. Die Folgen millionenfacher Rosenkriege, gleichgültig ob mit oder ohne Unterhaltsstreitigkeiten, waren unabschätzbar geworden. Seelische Schäden durch Liebeskummer waren genauso schwerlich zu beziffern wie die Kosten für Psychiater, Medikamente und Krankentage. Wollte man ein Auto fahren, musste man seine Sozialverträglichkeit mit einem Führerschein nachweisen. In der Liebe und auf der Suche nach ihr wurde jeder auf jeden losgelassen, ohne auch nur irgendeine taugliche Befähigung vorlegen zu müssen.

Eine andere Qualität menschlicher Ignoranz beschäftigte mich. Waren neunzig Prozent der Menschheit dumm und blöd, machten sie sich diese und andere Gedanken nicht, etwa den der Gefahr für unsere Gesellschaft, wenn der Rückzug ins Private ausschließlich das eigene Heil kannte und jede Energie samt Aufmerksamkeit für globale Zusammenhänge fraß. Sie waren glücklich, nach ihrem Maß jedenfalls, sobald sie die Liebe gefunden hatten und in ihrer kleinen, beschränkten Welt vor sich herlebten. Was ging einen da noch das große Ganze an? Dass sie mit ihrer Beschränktheit, Bequemlichkeit und Gleichgültigkeit zu Volksverdummung, Krisen, Kriegen, Klimakatastrophen und letztlich zum Untergang der Menschheit beitrugen, störte sie nicht. Warum auch? Sie waren zu blöd um zu begreifen, was ihr Liebesglück wirklich wert war, wenn alles um sie herum in Schutt und Asche lag.

Solange sie schlief

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