Читать книгу Gesprächsführung im Jobcenter: Die Kunst, wirksam zu beraten und gesund zu bleiben - Matthias Schmidt - Страница 6

Warum dieses Buch?

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Arbeitslosigkeit ist ein anhaltendes Problem in Deutschland. Wenn auch die Medien vom kleinen »Jobwunder« berichten und die Arbeitslosigkeit verhältnismäßig gering ist, täuschen die Statistiken über ein Problem hinweg. Es gibt eine ungünstige Umschichtung im »Markt der Arbeitslosen«. Auf der einen Seite gibt es weniger Menschen im ALG I. Dieser Personenkreis findet in der Regel schnell wieder eine Anstellung. Auf der anderen Seite verzeichnen wir eine Chronifizierung von Arbeitslosigkeit. Wir sprechen von einem »sich verfestigenden Sockel« von Langzeitarbeitslosen.

Es besteht hier eine problematische Verkettung mehrerer Faktoren. Erstens beeinträchtigen längere Arbeitslosigkeit und erlebte Misserfolge aus fehlgeschlagenen Bewerbungen das Selbstwertgefühl. Fehlende Erwerbsarbeit führt zweitens zu einem Mangel an Trainingsmöglichkeiten für die berufliche Qualifikation. Dequalifizierung wird so zur Folge zu geringen berufsbezogenen Selbstvertrauens und des Nichtgebrauchs der Kompetenzen. Besonders für ältere Arbeitnehmer bedeutet der Verlust des Arbeitsplatzes drittens einen Verlust an Erfolgserlebnissen, an beruflicher Anerkennung und damit eines Teils der persönlichen Identität.

Auf der anderen Seite des Tisches, namentlich in der Verwaltung, sind die Belastungen kaum geringer. Mitarbeiter von Jobcentern haben täglich Kontakt mit Langzeitarbeitslosen, die – im Unterschied zu den meisten Beziehern von ALG I – ganz spezielle Anforderungen an die Kommunikation stellen. Gespräche sind oft problematisch, Konflikte bleiben nicht aus, ein vergleichsweise hohes Maß an psychischer Belastung ist vorprogrammiert. Diese Belastungen jedoch, die durch die Arbeit mit Langzeitarbeitslosen entstehen, werden nach unserer Erfahrung in Jobcentern zu wenig (um nicht zu sagen: kaum) berücksichtigt. Auf der einen Seite stehen dabei die gesetzlichen Regelungen und die bisweilen harten quantitativen Erfolgsrichtlinien von Führungskräften. Auf der anderen Seite soll eine soziale Arbeit im besten Sinne geleistet werden, und das mit einer der beratungstechnisch schwierigsten Zielgruppen überhaupt. Jobcentermitarbeiter betreiben also die »Quadratur des Kreises«, indem sie recht gegensätzliche Welten – gesetzliche Regelungen, kennzahlenorientierte Ziele auf der einen und die Belange beraterischer Arbeit mit Menschen, die vergleichsweise »am Boden« sind, auf der anderen Seite – in einer beruflichen Rolle vereinen müssen. Das Ausmaß an psychischen Belastungen ist dementsprechend sowohl auf behördlicher Seite als auch auf Kundenseite hoch. Dem sollte unseres Erachtens auf Organisationsebene (etwa durch Supervision oder die teaminterne Diskussion von Kennzahlen) ebenso wie methodisch (in der direkten Arbeit mit den Kunden) begegnet werden. Deshalb schreiben wir dieses Buch. Es geht im Wesentlichen um vier Fragen:

1. Was ist an der Situation von Langzeitarbeitslosen besonders, und was ist in der Arbeit mit Langzeitarbeitslosen zu beachten?

2. Wie tragen Jobcenter als Verwaltungsorganisationen bisweilen zu psychischen Belastungsphänomenen bei, und was können Mitarbeiter tun, um ihre Behörde lernfähiger zu machen?

3. Welche Methoden und Techniken ermöglichen eine ebenso wirksame wie gesunderhaltende Art der Gesprächsführung? Wo liegen aber auch die Grenzen dieser Modelle?

4. Mit welchen Methoden können Achtsamkeit und Psychohygiene verbessert werden?

Unser Ansinnen ist es, ein kurzes und übersichtliches Praxisbuch zu schreiben. Wir gehen jedoch nicht nur auf Methoden und Techniken ein, sondern schildern zunächst die spezifische Lebenssituation von Langzeitarbeitslosen aus dem Blickwinkel der Forschung (Kapitel 1). Dieses erste Kapitel wird einigen Lesern vergleichsweise »trocken« vorkommen. Wir haben Sorge getragen, das umfangreiche Wissen zum Thema übersichtlich zusammenzufassen. Wer dennoch lieber direkt in die Praxis eintauchen möchte, dem sei empfohlen, die Lektüre bei Kapitel 2 (Spezifik der Arbeitssituation in Jobcentern) oder sogar Kapitel 3 (Gesprächstechniken) zu beginnen. In Kapitel 2 betrachten wir die besondere, mitunter stark reglementierte Arbeitssituation von Jobcentermitarbeitern, um darauf aufbauend praktische Modelle und Methoden darzustellen, die es ermöglichen, wirksam zu beraten und auf Dauer gesund zu bleiben (Kapitel 3). Wir gehen dabei auch auf die Grenzen unserer Modelle und Techniken ein und schildern sowohl Situationen, in denen man tatsächlich nur noch sanktionieren kann, als auch Fälle, in denen weder Beratung noch Sanktion, sondern ein »wohlmeinendes Beobachten« Sinn macht. Abschließend stellen wir dar, welche Methoden helfen, mehr Augenmerk auf die eigene Gesundheit und die eigenen Grenzen zu lenken (Kapitel 4).

Letztlich geht es uns mit diesem Buch um Wege, wie die praktische Arbeit mit Langzeitarbeitslosen in Jobcentern ebenso wirksam wie gesunderhaltend gestaltet werden kann – und das trotz der vielschichtigen Herausforderungen, die eine solche Arbeit mit sich bringt.

Unsere Analysen, Gedanken und Darstellungen richten sich an Beratende in Jobcentern und jobcenternahen Dienstleistern. Die Bezeichnungen Berater, Fallmanager, Jobcentermitarbeiter, Jobcoach für Beratende auf der einen Seite sowie Klient, Ratsuchender, Leistungsempfänger und Kunde für die zu Beratenden auf der anderen Seite verwenden wir in unseren Ausführungen jeweils synonym. Wenn wir grammatikalisch die männliche oder weibliche Form verwenden, schließen wir jeweils das andere Geschlecht mit ein.

Dieses Buch wurde nur durch den regen Austausch mit Jobcentermitarbeiterinnen und arbeitsuchenden Menschen möglich, für deren Vertrauen wir uns herzlich bedanken möchten.

Gesprächsführung im Jobcenter: Die Kunst, wirksam zu beraten und gesund zu bleiben

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