Читать книгу Eddie, der Golem und Ich - Maurice Delage - Страница 7
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ОглавлениеAuf Bonita wartend, sahen wir uns ein Spiel an. Eigentlich mache ich mir nicht viel aus Football, aber Teddy ist ein riesiger Packers Fan und ihm zuliebe habe ich mich breitschlagen lassen. Spaß beiseite, ich versuchte, mich abzulenken, mir keine Sorgen zu machen. Es klappte nicht wirklich, im Gegenteil. Ich fürchte, ich könnte Ihnen nicht einmal sagen, wer gewonnen hat. Inzwischen war es längst dunkel geworden. Bereits zwei Mal hatte ich sie angerufen. Nichts, sie hatte nicht einmal abgehoben.
Je länger ich wartete, umso mehr schlug meine Sorge in Ärger um. Die konnte was erleben, wenn sie nach Hause kam. So viel war sicher.
Irgendwann musste ich dann eingeschlafen sein. Mit einem Ruck schreckte ich hoch, als eine dunkle Gestalt wie verrückt an das Fenster klopfte.
»Du Idiot«, rief ich ihr zu, als ich erkannte, wer sich unter der schwarzen Kapuze befand. »Willst du mich umbringen?«
Heftiger Regen peitschte gegen die Verglasung, der Wind zerrte an seinem Parker, wie ein wild gewordener Pitbull.
»Machen Sie auf, schnell«, rief er. Ein Ausdruck im Gesicht, als sei der Leibhaftige hinter ihm her.
Unwillig öffnete ich die Tür. Was hatte ich nur verbrochen, dass der Herr mich derart strafte.
Daniel ist im gleichen Alter wie Bonita. Als sie klein waren, waren sie unzertrennlich. Sie hielten Händchen, schenkten sich selbst gepflückte Blumen und schworen sich ewige Treue. Was Kinder halt so tun mit viereinhalb Jahren.
Inzwischen gehen beide ihrer eigenen Wege. Na ja, Bonita zumindest. Danny lebt in seiner eigenen Welt. Ich will ja nicht gehässig sein, aber manchmal scheint er mir nach wie vor viereinhalb.
Tropfend wie ein frisch aus dem Pool gezogener Pudel, kam er herein und latschte, bevor wir auch nur ein Wort gewechselt hatten, zum Kühlschrank.
Ich wollte ihm etwas zurufen, schüttelte dann aber nur resignierend den Kopf. Es hatte eh keinen Sinn.
»Möchten Sie auch ein Bier«, fragte er über seine Schulter.
Ich verneinte emotionslos, schnappte mir ein Handtuch und wischte die Pfützen vom Parkett, während er seinen Parker in die Spüle warf. Na immerhin, dachte ich.
»Oh, war ich das?«
Nee, ich hab vor Freude ‚nen Bach gemacht, als du rein kamst.
»Was führt dich zu mir. Ist dir das Bier ausgegangen?«
»Nein, ich ...« Er lächelte gequält, nippte an der Bierdose und war plötzlich ganz ernst.
»Ich habe Bonita gesehen«, sagte er schließlich. »Mit diesem ...« Er verzog das Gesicht, als beiße er ein Brötchen mit Hundescheiße.
»Pornostar.«
»Wie bitte?« Ich glaubte, ich höre nicht richtig.
Erst erzählt sie mir, Ariel würde ihr nach dem Leben trachten und dann zieht sie mit ihr um die Häuser. Das war mir zu hoch. Hatte sie mir am Ende die ganze Geschichte nur aufgetischt, um ... Für was?
Mit Ariel, dachte ich. Das gab absolut keinen Sinn. Vielleicht hatte ich es auch ausgesprochen. Daniel schüttelte energisch den Kopf.
»Nein, mit ihrem Bruder«, sagte er. »Mit diesem gottverdammten ...
Jetzt verstand ich gar nichts mehr. Was um Gottes willen hatte sie mit Château’s Sohn zu schaffen. Der Typ ist vorbestraft. Wegen Vergewaltigung!
Ich packte Danny am Kragen. »Du verarscht mich, nicht wahr. Bonita steht irgendwo da draußen und krümmt sich vor lachen.«
Wieder schüttelte er den Kopf. Dann hob er seine zitternde Hand zum Schwur.
»Ich habe gesehen, wie sie ...«
»Was?«
Der Stalker sah mich an, als würde er sich in die Hosen pinkeln. »Sie ... haben sich ... geküsst«, stammelte er.
Seine Worte waren ein Schlag ins Gesicht. Mit offenem Mund ließ ich von ihm ab, taumelte rückwärts. Dann sackten meine Beine weg und ich fiel um.
Mit einem satten Plumps landete ich auf dem Sofa. Glück im Unglück, wie man so schön sagt. Besser noch, mit jeder Minute, die verging, schärften sich meine Sinne. Als ob ich mit dem Sturz eine Droge genommen hätte, deren Wirkstoffe nun langsam durch meine Adern wanderten, bis sie mein Gehirn erreichten, um dann explosionsartig ihre Wirkung zu entfalten.
Ich kann Ihnen nicht sagen, wie lange ich dort gelegen hatte und Löcher in die Decke starrte und auch nicht, wie lange Danny auf mich einredete, wie ein Notarzt auf ein Unfallopfer.
»Verstehen Sie mich? Bleiben Sie ruhig. Alles wird gut.«
Ich war ganz ruhig. Ich war die Ruhe selbst, als mir schlagartig bewusst wurde, was ich zu tun hatte.
*
Wissen Sie, was ein Vorderlader ist. Das Gegenteil von einem Hinterlader. Nein im Ernst, als Vorderlader bezeichnet man die ursprüngliche Form der Feuerwaffe. Wie der Name schon sagt, wird das Projektil, zum Beispiel eine Bleikugel, von vorne in den Schaft geführt und dort auf einer Treibladung gebettet. Wobei das verwendete Rohr logischerweise nur einen Ausgang haben darf. Das Schwarzpulver wird verdichtet und mittels einer Lunte oder auch nur einem Funken zur Explosion gebracht. Kawum ... So einfach ist das.
Nachdem ich Danny freundlich aber bestimmt hinaus geleitet hatte, (ich musste ihm beim Namen meiner Mutter versprechen, mir nichts anzutun) ging ich in mein Büro. Ich hatte nicht vor, mir etwas anzutun, und so konnte ich ihm den Gefallen tun. Ich hatte etwas ganz anderes im Sinn.
Ich nahm den Vorderlader von der Wand, der seit Jahren über meinem Schreibtisch hing und mir seither als Mahnung diente, dass Waffenbesitz nicht automatisch Recht bedeutete. Unter der Führung von G. A. Custer, dem legendären General des 7. US-Kavallerie Regiments, war das Gewehr Teil der historischen Schlacht am Little Bighorn gewesen, als Sitting Bull und Grazy Horse ihren letzten großen Sieg über den weißen Mann erlangten. General Custer erlebte an diesem 25. Juni 1876 seine größte Niederlage und doch wissen wir alle, wie der Kampf um das Weite Land letztendlich ausgegangen ist. Hunderttausende Indianer wurden getötet, ihre Kultur nahezu vollständig ausgelöscht. Die Wenigen, die überlebten wurden in Reservate gesteckt. Wie wilde Tiere in einen Zoo.
Verstehen Sie mich gut, ich bin ein friedliebender Mensch, ich gehe jeden Sonntag zur Kirche und unsere Nationalhymne singe ich mit Stolz und Überzeugung. Ich hatte auch nicht vor das Schicksal meiner Urahnen zu rächen, als ich dieses alte Stück Eisen mit einer Ladung Schrot befüllte. Alles was ich wollte, war meine Tochter zu beschützen und sie vor dem zu bewahren, was dieser Taugenichts ihr womöglich antun könnte. Koste es, was es wolle. Und wenn ich ihm dafür eins überbraten müsste.
Mit einer gehörigen Portion Wut im Bauch hielt ich auf die Vordertür zu, als ich aus dem Augenwinkel heraus die kleine Holzschatulle in der Sitzecke entdeckte.
Sie lag auf dem Tisch, an dem wir am Vormittag Tee getrunken hatten. Wie war das möglich? Ich hatte sie doch nach hinten gebracht und in einem der Regale verstaut. Wie also konnte sie jetzt dort vorne auf dem Tisch liegen. Träumte ich etwa?
Mit Daumen und Zeigefinger zwickte ich mich in die Wange. Es tat weh. Ich war bei vollem Bewusstsein.
Hatte vielleicht Daniel ...
Ich kam nicht dazu, den Gedanken zu Ende zu führen - die Schatulle hatte sich bewegt.
Mir die Augen reibend, zweifelte ich an meinem Verstand. Seit wann haben Holzkisten ein Eigenleben?
Da, noch einmal. Die Truhe hatte sich bewegt.
Es muss eine logische Erklärung dafür geben, sagte ich mir. Es muss ...
Plötzlich begannen die Beschläge zu leuchten. Sie glühten regelrecht, wurden erst gelb dann glutrot, als ob ein inneres Feuer in ihnen loderte. Gleißendes Licht drang aus den Ritzen, sodass ich schützend eine Hand vor die Augen hob. Dann begann der ganze Tisch zu vibrieren. Selbst der Boden unter meinen Füßen fing an zu schwanken, die Regale wackelten, Vasen und Gläser vielen zu Boden, zerbarsten zu wertlosem Staub.
Und dann, von einer Sekunde auf die andere, war alles wieder ruhig. Die Schatulle lag geöffnet im Zentrum des Tisches, aus ihrem Inneren drang lautlos ein purpurner Schein, der sich rhythmisch wiederholte, wie ein ...
Pulsschlag.
Ich schluckte irritiert, zweifelte an dem, was sich vor meinen Augen abspielte.
Das kann nicht real sein.
Und doch sah ich es mit meinen eigenen Augen. Hin und her gerissen näherte ich mich der Sitzgruppe, spürte, wie sich kalter Schweiß auf meiner Stirn bildete. Ich hatte Angst. Ja, ich gebe es zu. Ich hatte Schiss.
Es muss eine Erklärung dafür geben, sagte ich mir immer wieder. Es muss eine ...
Mein Mund war wie ausgetrocknet, als ich meinen Blick ganz vorsichtig über den Rand der Schatulle schob.
Mit einem Schrei fuhr ich zurück, stolperte über meine eigenen Füße und krachte gegen ein Regal. Im gleichen Moment löste sich der Vorderlader mit brachialer Gewalt.
Benommen versuchte ich mich aufzurichten.
Mein Kopf fühlte sich an, als habe Mike Tyson mir einen Hacken verpasst. Die Welt begann zu verschwimmen. Ich sah noch, wie der Putz von der Decke rieselte. Dann wurde es dunkel.