Читать книгу Von Ziegen, vom Fliegen, vom Scheitern und vom Siegen - Max Erich Müller - Страница 8
ОглавлениеDer Tod des Erbsenkönigs
Ein Kriminalroman der platten Tüden
Kiesweg 23a
Seine Hand war ganz ruhig, als er die Waffe hinter der offenen Treppe, im schummrigen Licht des Kellerraums, auf den Hinterkopf von Mark Palmann richtete. Langsam krümmte er den Finger am Abzug, was ein leicht knirschendes Geräusch machte. Palmann drehte sich überrascht um, da traf ihn das Geschoss direkt vor dem linken Gehörgang.
Hauptstraße 121
,Und weil der Mensch ein Mensch ist‘ riss den Unterhauptkommissar aus seinem Aktenstudium oder, anders formuliert, sein Smartphone meldete einen Anruf. „Mordkommission Tribüll, Stocher?“
„Hallo Stocher, hier Nebel. Wir haben eine Leiche ohne erkennbare Todesursache. Sicher nur Routine, aber ihr müsstet mal kommen.“
„Kaum versucht man mal Ordnung auf seinem Schreibtisch zu machen, ruft garantiert ein Streifenhörnchen an. Wohin geht die große Fahrt?“
„Kiesweg 23a.“
„Kiesweg? Da wohnen doch die mit dem dicken Schotter – sterben die auch?“
„Sieht so aus. Und das im Keller am Erbsendosenregal.“
„Wie jetzt, ist es der Palmann, den ihr da habt?“
„Ich würde sagen, ja.“
„Ach du Kacke, lass bloß die Medien da raus, bis wir da sind.“
„Logo.“
Er wandte sich bewusst entspannt an seine neue Praktikantin: „Nebel hat einen Toten, der nicht mehr lebt. Wahrscheinlich Palmann. Keine Gewalteinwirkung erkennbar, also wohl Routine, kommst du mit?“
„Klar.“ Roswita Hasenschön, Semiunterassistenzkommissarin im Praktikum, war sehr neugierig auf das echte Polizeileben.
Kiesweg 23a
„Hm, nichts von äußeren Einflüssen zu sehen“, schätzte Unterhauptkommissar Stocher die Lage ein, als er auf den toten Palmann blickte. Der mächtige Körper lag leicht nach links verdreht auf dem Boden, neben einer Dose Erbsen, die er offenbar gerade aus einem Regal genommen hatte. Sein kahler Schädel war mit Sommersprossen und Altersflecken übersät und hatte auf der linken Seite, mit der er auf den Kellerboden geprallt war, etwas geblutet.
„War die Spusi schon da?“, stocherte Stocher im Nebel.
„Haben wir nicht angefordert, sollten wir?“
„Nee, gibt eigentlich keinen Grund, da habt ihr Recht – ist ja nix zu sehen, was irgendwie nach irgendwas aussieht. Aber bringt die Super-Erbse auf jeden Fall in die Pathologie, bei Promis gehe ich lieber auf Nummer sicher.“
Palmann war mit seiner Gemüsefabrik ein erfolgreicher Geschäftsmann gewesen und wurde in der Gegend nur ,der Erbsenkönig‘ genannt.
Stocher stieg hinter Roswita Hasenschön hinauf in den Wohnbereich des Hauses und erfreute sich an dem runden Hintern vor seiner Nase.
„Zunächst mein herzliches Beileid zum überraschenden Tod ihres Mannes“, begann er das Gespräch mit der Erbsenkönigin.
„Danke für Ihre Anteilnahme. Ich kann es noch gar nicht fassen, er war doch erst Anfang 60.“
„Und gesund?“
„Wie das so ist mit 60. Zipperlein hier, Zipperlein da – und kürzlich hat er einen Stent bekommen, das war aber alles völlig unaufgeregt und problemlos.“
„Einen Stent am Herzen?“
„Ja – Arterienverkalkung – aber nichts Besorgniserregendes, haben die Ärzte gesagt.“
„Ich bin kein Arzt, wie Sie wissen, aber ich tippe tatsächlich auf Herzinfarkt. Wir bringen ihn in die Pathologie, damit Sie und wir Gewissheit haben, okay?“
„Ja, danke.“
„Haben Sie zum Todeszeitpunkt irgendetwas Ungewöhnliches im Haus bemerkt?“
„Nein, nichts.“
„Okay danke, das war´s für heute. Also zurück zu unseren Akten, Hasenschönchen.“
Während sie auf seinen VW Sharan zusteuerten, fragte sie: „Wieso fährst du eigentlich noch diese alte Riesenkarre? Ist das ein Diesel?“
„Nee, ist ein Benziner. Stammt noch aus den Zeiten einer vierköpfigen Familie und einer Musikgruppe mit Anlage und Schlagzeug.“ Sie stiegen ein, er drückte den Startknopf und ließ den Wagen langsam aus der Parklücke rollen.
„Verkauf doch das Teil und hol dir einen mit Elektroantrieb.“
„Ich denke es ist am ökologischsten, wenn ich diesen Wagen fahre, bis er auseinanderfällt, sonst fährt irgendwer ihn irgendwo weiter und ich knatter mit der nächsten Kiste durch die Welt. Nur wenn ich ihn in die Schrottpresse geben und mir dann einen Umweltfreundlicheren kaufen könnte, wäre das eine Alternative, am besten einen mit Wasserdampfantrieb. Kann ich mir aber nicht leisten; ich bin schließlich Polizist und kein Erbsenkönig. – Und auch kein Fahrradfahrer, um deinem nächsten Vorschlag schon mal vorzubeugen!“
Stockweg 3
Nach Feierabend holte Stocher sich drei Frikadellen bei EDEKA. Alle im Kommissariat, egal ob Unter-, Über-, Haupt- oder Zwischenkommissar oder -in aßen Frikadellen, Fleischfrikadellen, versteht sich, auch wenn Tribüll relativ dicht am Kieler Fischfrikadellenstrand liegt.
Der Aufstieg in den dritten Stock des Mietshauses am Stockweg ging trotz seiner 57 Jahre noch recht flott. Hatte mit seiner Ex mal was Eigenes angefangen, aber nach der Scheidung wollte und konnte er es nicht allein finanzieren, da er für Frau und Kinder mächtig abdrücken musste. Seither wohnte er in seiner Bude am Stockweg, die inzwischen aussah wie die Bude eines seit Langem alleinstehenden Mannes: keine Pflanze, keine Kerze, Kleidung über Stuhl- und Sessellehnen, sowie eine umfangreiche Sammlung leerer Flaschen auf der Küchenarbeitsplatte.
Stocher war, nach den aktuell geltenden Schönheitsnormen, kein schöner Mensch. Dünne Haare bummelten schlecht geschnitten auf seinem runden Kopf, mit dem starken Bartschatten. Was oben fehlte hatte er über den Augen reichlich: das Grauen der Brauen. Er war beileibe kein Theo Waigel, aber ein Wai war er schon, gel? Seine Augen saßen etwas zu dicht an der fleischigen Nase, hatten aber einen warmen Blick, trotz all des Übels, das sie im Laufe eines langen Berufslebens gesehen hatten. Sein Mund war schön: volle Lippen, amtlich geschwungen mit dahinterliegenden gut sortierten und strahlenden Zähnen. Hatte er mal bleachen lassen – damals während der Ehe. Nicht so krass wie der allseits beliebte Fußballtrainer Kloppo, der mit seinen ,überschneeweißstrahlenden‘ Riesenhauern nachts die Straßenbeleuchtung ersetzten könnte, sondern so, dass es natürlich wirkte. Hals hatte er keinen, aber dafür umso mehr Körper, breitschultrig und mit deutlich erkennbarem Schwerpunkt in der Leibesmitte. In der Hose steckte ein knackiger, aber nicht sehr gut ausgebauter Hintern, der wiederum auf zwei zu kurzen Beinen saß, denen er die Gesamtkürze von 1 Meter 64 verdankte – wobei von Dank keine Rede sein konnte, denn er fand sich deutlich zu klein.
Stocher legte die Frikadellen in die Pfanne, die ohnehin noch auf dem Herd stand, um die Klopse aufzuwärmen. Große Scheibe Graubrot in den Toaster, Frikadellen drauf, mit Senf und Ketchup bestreichen, ein doppeltes Spiegelei drüber – fertig war eines seiner Lieblingsgerichte. Dazu einen guten Riesling, irgendwas im Deutschlandfunk oder auf NDR Info und schon war dies sein ,Nomen est Omen‘: FEIERabend.
Oder sagen wir so: Er hätte sich den Abend gern als FEIERabend vorgelogen, aber seit gestern war Winterzeit. Es wurde wieder scheiß früh dunkel, es nieselte und im Radio erzählten sie ihm etwas vom Dieselskandal, der Krise im deutschen Automobilbau, einem bevorstehenden Wirtschaftsabschwung, dem Austritt Englands aus der EU und einem unberechenbaren US-amerikanischen Präsidenten.
Radio aus.
Fernseher an.
Politische Talkshow – nein, danke.
Irgendwo Sport? Ja, Fußball aus der dritten Englischen Liga. Immerhin.
Kiesweg 23a
Inge Palmann war traurig über den Tod ihres Mannes.
Jetzt nicht direkt todtraurig mit Heulkrampf und so, aber irgendwie irritiert und negativ berührt, dass der Mensch, mit dem sie gut 40 Jahre gelebt hatte, nun nicht mehr unruhig durchs Haus tigerte und nach irgendeiner Beschäftigung suchte, die nichts mit Haus, Haushalt oder Garten zu tun hatte. Gern hatte Palmann immer wieder überlegt und berechnet, ob es Sinn machen würde, auch noch ins Bohnengeschäft einzusteigen oder ins Erbsen und Wurzeln. Aber wieder und wieder stellte sich heraus, dass die Erzeugerund Vertriebswege längst zementiert waren und auch die besten Beziehungen daran nichts rütteln konnten, denn auch andere hatten beste Beziehungen.
Frau Palmann hatte sich wieder und wieder mit geheucheltem Interesse auf seine bohnalen Überlegungen und Kalkulationen eingelassen, damit er bloß nicht übellaunig wurde. Er wurde leicht übellaunig, denn er war im Grunde schwer gelangweilt. Ab und zu kam es mit dem Finanzberater zu einem feurigen Meinungsaustausch über die Frage, ob man Palmanns Erbsen-Millionen in neue Anlagemodelle umschichten sollte oder nicht. Am Ende sollte man in 99,7 Prozent der Fälle nicht, aber Mark Palmann war irgendwie erfreut, mal wieder ein scheinbar sinnvolles Gespräch geführt und das eigene Leben doch noch irgendwie selbst in der Hand zu haben.
Trotz allem: Sie hätte sich nie beklagt über das Leben an der Seite des Erbsenkönigs. Nicht über die Anfangszeit, als er Tag und Nacht mit dem Aufbau der Erbsen-in-Konserven-Welt versunken war, sie aber noch gelegentlich Sex miteinander hatten und auch nicht über die letzten Jahre mit viel überspielter Langeweile, ohne Zärtlichkeiten und ohne Sex. Eigentlich war das Leben ohne Sex sogar unkomplizierter geworden, wenn sie ehrlich zu sich war. Außerdem hatte sie ja sonst alles, was sie sich je erträumt hatte: Ein wunderschönes Haus, das ganz nach ihren Vorstellungen eingerichtet war, Putzfrau, Gärtner, Privatkoch, feinste Lieferservices, Kleiderschränke voller edler Garderobe, 614 Paar Schuhe (hatte ihr Mann immer behauptet), Maniküre, Pediküre und Frisörin, die ins Haus kamen, einen Porsche in der Garage und natürlich ihre ehrenamtliche Tätigkeit bei den Lions-Damen.
Niemand dort oder irgendwo hätte gedacht, dass sie fast gleichaltrig mit ihrem Mann war.
Anfang 60!
Ihr volles grauweißes Haar, das sie selbstbewusst ungefärbt trug, fiel großgelockt bis tief in den Nacken. „Meine Löwinnenmähne“, sagte sie geschlechtlich korrekt und inhaltlich fraglich, weil Löwinnen nur selten eine Mähne haben. Die Augenbrauen zupfte sie sich selbst zu geschwungenen Bögen über amtlich geschminkte Lidschatten, die schon am frühen Vormittag leicht lebenssatt in die braunen Augen hingen. Ihre sehr rosa gepuderte Gesichtshaut war noch erstaunlich straff, rein und feinporig, jedenfalls, wenn man sie nicht in gleißendem Licht sah („Gute Kosmetik macht sich einfach bezahlt.“). Ihre schmale gerade Nase endete über einem schmallippigen Mund, der mit etwas zu kräftigem Lippenstift auf sinnliche Größe geschminkt wurde. Das Kinn zeigte erste Anzeichen von Schlaffität, aber der Hals war noch ebenso makellos wie das Dekolleté, das an seinem unteren Ende allerdings andeutete, das die dazugehörigen Glocken schon etliche Jahre nicht mehr geläutet worden waren und nur dank eines kräftigen Tragegeschirrs noch den Anschein von prallem Leben erweckten.
Ärmellose Kleider trug sie nicht mehr und sie wusste, warum. Ihrer Gestalt sah man an, dass sie gut gelebt hatte, ohne dass man sie hätte füllig nennen dürfen. Ihre Beine waren schön, einfach schön, besonders, wenn die Füße in halbhohen Pumps steckten. Zuhause steckten sie meist in Strumpfsocken, wenn Mark nicht da war. Und Mark war nicht da, sondern seit drei Tagen in der Pathologie.
Sie ging zum Briefkasten und nahm einen Stapel Post heraus, der überwiegend aus Beileidsbekundungen bestand, die wahrscheinlich überwiegend von den Sekretärinnen der Geschäftspartner stammten. Ein Umschlag war allerdings ohne Adresse und Absender:
Sehr geehrte Frau Palmann,
herzliches Beileid zum plötzlichen Tod Ihres Mannes.
Leider kann ich Ihnen die Tatsache nicht ersparen, dass Ihr Mann 1,5 Mio. Spielschulden bei mir hat, die ich unbedingt zurück benötige. Ich kann Ihnen dazu einen handschriftlichen Schuldschein Ihres Mannes vorlegen. Wenn Sie bereit sind, sich in der Sache mit mir zu einigen, schalten Sie bitte folgende Kleinanzeige im Tribüller Wochenblatt: „Spieleabend! Wer hat Lust, eine Spielegruppe zu gründen? Bitte melden unter Chiffre 23.“
Hauptstraße 121
„Hä?!“ Stocher starrte erst auf den Briefbogen und dann auf Hasenschönchen, wie er seine Semiunterassistenzkommissarin im Praktikum gern nannte. „Fingerabdrücke?“
„Keine – nur die von Frau Palmann.“
„Und der lag einfach so im Briefkasten?“
„Einfach so.“
„Ich glaub, das ist ein ganz billiger Trick, einer reichen Frau im Schockzustand Taler aus dem Kreuz zu leiern. Einfach vergessen. Wenn der koscher wäre, hätte er sich ganz normal mit ihr verabredet und ihr den angeblichen Schuldschein gezeigt, der Spinner.“
,Und weil der Mensch ein Mensch ist‘, sein Smartphone musizierte mal wieder. „Mordkommission Tribüll, Stocher?“
„Pathologie, Mordhorst! Moin, Jan. Dein Palmann sieht soweit okay aus, keine Spuren äußerer Gewaltanwendung, keine Vergiftung, kein gar nix, einfach ein Infarkt.“
„Prima, dann ist die Sache für uns erledigt! Danke, Frank.“
Kiesweg 23b
Ratlos blickte Lukas, der sechsjährige Enkel der Palmanns, auf sein Spielzeug. Er hatte Opa nur einen Streich spielen wollen, als er sich in den Keller geschlichen hatte. Hatte „Opa Erbse“ am Erbsenregal mit einer Erbsenpistole erschrecken wollen. Hatte auch geklappt – nur dass Opa dann umgefallen war, das hatte Lukas sehr überrascht. Da war er schnell wieder zu sich ins Nebenhaus geschlichen.