Читать книгу Das hohe Licht - Max Geißler - Страница 4
ОглавлениеIn diesen Tagen kam ein Zara vom Berg – es war der Großvater jener Beatrice Zara, der Eifersucht und Liebe das Herz fraßen. Der war auf der Fährte Finottis gestrichen; denn er meinte: Alberto Finotti habe Winkel zwischen Himmel und Erde gewußt, in denen er geschmuggelte Waren verbarg. Nun hatte der Tod vor die Schlupflöcher sich gestellt.
Aber entweder hatte Zara keinen guten Wind gehabt, oder Finottis Vorratskammern im Reiche, da die weißen Sommerwölklein als einzige Blumen blühten, gehörten ins Märchen.
Dieser letzteren Ansicht konnte der alte Zara nicht sein. Ja, so sicher war er seiner Sache, daß er in der Hoffnung auf zukünftige Schätze den Blick bei Tag und Traum zum Gipfel des Berges richtete. Und ein Auge, das ihm ein wenig scheel im Kopfe stand, hätte sich verschoben vom Schielen nach den ungehobenen Schätzen, sagten die Leute um diese Zeit, die des scheelen Zara Unrast erkannten.
An einem jener Tage kam er vom Berg und trug die braune Büßerkutte des verlorengegangenen Fra Girolamo hernieder. Bei der Pforte der Höhle hatte sie gehängt, am Stein – weiß Gott, wo der Bruder hingekommen war, der einst in der braunen Hülle gehaust hatte.
Die Witwe Albina Finotti aber schleppte seit jenen Tagen ein Fieber durch ihr Leben; das glühte ihr das Mark aus den Knochen, das brannte ihr das Herz zur Schlacke; davon wurden ihr die Augen heiß und trocken und sahen aus, als wüßten sie nicht mehr, wozu sie da wären.
Mit ihrer Tochter Merceda, einer wilden, schwarzen Bergkatze von sechzehn Jahren, hielt Albina Finotti das Haus instand.
Es war, als wäre durch den Tod Finottis dort gar keine Lücke gerissen ... Merceda schaltete und waltete für Vater und Mutter zugleich. Alles im Hause hielt sie blank: die Kupferpfannen, die Tische, die Fenster, ihr Herz und ihre Augen. Und der Wein war besser denn je. –
Innerhalb der kleinen Häusergruppe, zu der die Weinschenke gehörte, ward in den Sommernächten nicht selten so lange geplaudert, bis die Sterne zu höchst auf ihrer Bahn standen. Etliche Frauen fanden um diese Zeit vor dem Anwesen der dicken Lora Zara sich ein, setzten sich auf die Steinstufen vor der Haustür und schwätzten halblaut und wichtig, bis Frau Lora zu ihnen heraustrat. Dies Haus stand der Rückwand der Schenke gegenüber; die Häuser der ganzen Gruppe aber bildeten beinahe ein geschlossenes Viereck: sie lagen etwa wie die Gebäude eines Bauerngutes im Flachland, und der Platz, zu dem die Türstiegen Lora Zaras herabführten, war der gemeinsame Hof für alle Bewohner.
In einer Juninacht erwachte Lora Zara an ihrem Herde, wo sie eingeschlafen war – die dicke Lora konnte sogar im Stehen schlafen – und trat heraus in den Mondschein.
Da hockten wahrhaftig noch zwei der Nachbarinnen auf der Stiege und ließen die Fäden durch ihre harten Finger laufen. Die Spindeln klapperten von Zeit zu Zeit einmal auf den Steinen; und ein paar Worte fielen durch ihre Zähne.
Wenn Lora Zara da war, konnten die andern das Reden sich sparen.
»Mercedaaa!« rief sie nach der Schenke hinüber. Der Name flog an die Hauswand wie ein Stück Glas. Aber die Türe blieb verschlossen.
»Eh,« sagte Lora Zara zu den beiden Frauen, »es steht schlecht um Albina Finotti.«
»Sie wird sterben!« sagte die eine gleichgültig.
»Gott sei ihr gnädig!« sagte die andere und legte die Hände ineinander.
Lora Zara aber setzte sich auf die Schwelle und lehnte sich seitlich gegen den Türstein. Sie hockten dort wie die Nachteulen. Der halbe Mond schien ihnen in die Gesichter, und von rückwärts umflatterte sie zeitweilig ein goldener Vogel: der Schein, den das niedergehende Herdfeuer verloren hatte. Manchmal warfen sie einen Blick hinüber zur Osteria – ob Merceda Finotti denn nicht kommen wollte, ihnen zu berichten, wie’s um die Kranke stand.
Man wußte: in den Fieberanfällen dieser Tage erzählte Albina Finotti von dem Grab in den Schroffen und starrte mit heißen Augen empor zum Gebirge.
Merceda hatte in Haus und Schenke schon alle Pflichten der Mutter übernommen: sie arbeitete am Tage und wachte in der Nacht und ruhte auf ihrem Lager mit halbwachen Sinnen, zu jeder Frist bereit, die Wünsche der Kranken zu erfüllen oder den eiligen Schritt des Paschers zu vernehmen, der im nächsten Augenblicke durch das verabredete Zeichen an der Tür Einlaß forderte.
Seit das Leben Albina Finottis nach der Meinung der Leute von Santa Ferrara nur noch nach Tagen zu zählen war, sprach man am Berge von nichts anderem als von dem Schicksale der Schenke; denn diese Schenke war ein Teil des Schicksals der Schmuggler. Unter dem Keller oder im Gemäuer des Grundes befanden sich Höhlen mit Zugängen, die nur den Wissenden sichtbar waren. In dieser Schenke waren im Laufe der Jahre Lasten geschmuggelter Waren verborgen worden. Und wer auf seinem Paschgang erst einmal unter dies Dach gelangt war, der hatte nicht mehr zu fürchten, daß ihm die Häscher etwas anhaben konnten. –
Weil Merceda auf den Ruf der dicken Lora nicht erschien, ward die Rede der Frauen auf der Stiege zum Flüstern.
»Schläft Merceda Finotti?« fragte Lora Zara.
»Sie arbeitet. Siehst du nicht das Licht durch den Türspalt rinnen?«
»Sie arbeitet!« lachte Lora und schüttete den ganzen Hohn ihres Herzens in dies Lachen – »sie arbeitet! Warum ist sie dann schön? ... Nun ja, sie wird eine wie ihr alle! Und wenn sie heiratet, läßt sie sich von ihrem Manne für ihre Arbeit schlagen. Warum laßt ihr euch von euern Männern schlagen? He? Warum seid ihr dürr und seid alt vor der Zeit? Ihr lauft im Joche wie die Zugkühe und plagt euch wie die Muli! Das ist es!«
»Oh, oh,« seufzte die lange Nachbarin – um ihre Augen und ihren Mund hatten die Falten sich verfitzt wie graue Haare – »was sollen wir denn tun?«
Und Lora schlug die flache Hand auf ihren fetten Schenkel –
»Santa Madonna, seht ihr nicht meine Schönheit? Seht ihr nicht mein Fleisch?«
»Oh, welch’ schönes Fleisch,« bekannten die beiden andern voll Neid.
»Schöner denn Butter!« schätzte Lora. Und wenn Carlo Zara in dieser Nacht daheim gewesen wäre, er hätt’ es ihr mit stolzen Augen bestätigt.
Carlo Zara war der dicken Lora Ehemann. In den Beinen war er ein Storch und im Gesicht ein Schneider.
Unter allen Frauen am Berge war Lora Zara die einzige, die nach dem Tod Albina Finottis nicht in der Weinschenke als Padrona herrschen wollte. Sie scheute die Arbeit. Und der Gedanke, in den Nächten mit wachen Ohren schlafen zu müssen, schuf ihr Pein.
Deshalb hörte Carlo Zara seit einiger Zeit mit heimlichem Groll zu, wenn die Nachbarn bei ihren abendlichen Zusammenkünften oder die Frauen am Tage schon rechneten, was die Schenke wert wäre; oder wenn sie berieten, welcher der beste Wirt, welche die rührigste und verschwiegenste Padrona im hohen Lichte sein würde ... Denn daß Merceda Finotti mit ihren sechzehn Jahren daran denken könnte – ach, das war ja unmöglich! ...
Während die drei Frauen in der anrückenden Mitternacht noch über diese Dinge sprachen, tat die rückwärtige Tür der Schenke sich auf, und ein flammenroter Schein wehte heraus in die Nacht. Gleich darauf trat eine dunkle Gestalt in das goldene Feld der geöffneten Pforte. Das war Merceda Finotti.
Einen Augenblick verzog sie auf der Schwelle, als wollte sie ihr Auge an das andere Licht der Mondhelle gewöhnen. Dann schritt sie herab. Schlank und ruhig – längst war nichts Kindhaftes mehr an diesem Mädchen. Ihre Pantoffeln klappten über die Steine – stolz und gemessen war ihr Schritt. Die Augen der Frauen hingen an ihr – nicht, um ihr das ungesprochene Wort über Albina Finottis Befinden von den Lippen zu lesen, nein, sie sahen das Wunder ihrer braunen Schönheit. Die war herber als die aller Mädchen vom Berge.
So schritt sie über den Platz zwischen den Häusern, trat ganz dicht an die Frauen heran und sagte: »Albina Finotti ist in dieser Stunde gestorben. Ich habe ihr die Hände ineinander gelegt, und ich habe ihr die Augen zugedrückt.«
»Oh Madonna!« schrien die Frauen und sprangen empor. Lora Zara aber blieb an ihrem Platz und murmelte ein kurzes Gebet.
Dann gingen sie alle hinüber in die Schenke.
In der dumpfen Kammer neben der Küche lag die Frau in ihrem letzten Schlafe. –
Noch nicht drei Stunden ruhte Albina Finotti im Grabe, da reichten in der Schenke von Santa Ferrara die Bänke und Stühle nicht zu für die Gäste, die Mercedas Wein trinken wollten.
Auch Frauen waren gekommen, darunter etliche, die Merceda noch nie gesehen hatten. Aber von ihrer ernsten Schönheit wußten sie alle: denn die machte die Männer zu Narren.
Manche dieser Frauen dachten, Merceda müsse dick sein; denn Schönheit ohne Fett – es wäre ja nicht zu glauben gewesen! Sie dachten: Merceda müsse Augen haben, dunkel wie die Dämmerung und verheißungsvoll wie eine sinkende Frühlingsnacht. Augen, deren Strahlen Netze schössen, die Herzen der Männer zu fangen. Nun sahen sie zwei klare Augen. Nun sahen sie die überlegene Ruhe, die jede Bewegung dieses schlanken, jungen Frauenleibes trug. Nun hörten sie den sichern Klang ihrer Stimme und sahen sie in dem Haus am Berge walten – so aufrecht und so voll von dem Bewußtsein ihrer Pflicht, daß kaum ihre Augen verrieten, wieviel Leid in den vergangenen Wochen sie gesehen hatten.
Etliche, denen vor anderen an dem Besitze der einträglichen Schenke von Santa Ferrara gelegen war, sprachen es an diesem Nachmittage zum erstenmal im Beisein Mercedas aus und sagten’s ihr ins Gesicht: ein Mädchen von sechzehn Jahren könne keine Weinschenke besitzen, sie solle verkaufen und fortgehen.
Aber sie vermied ein Gespräch über diese Dinge. Oder sie tat, als ginge sie keine dieser Reden an.
Man nannte Kaufsummen; man überbot sich gegenseitig im Preise; man ließ Merceda braune Geldscheine sehen, um sie zu locken ... »Heilige Mutter Gottes, was will das mit ihr werden?« schrien die Weiber neidisch sie an. Und taten, als sollte einst mit ihnen gerechnet werden am großen Gericht, weil sie das junge Ding hätten verderben lassen in Schmach und Schande.
Aber Merceda zog kaum die Achseln.
Sie trug in gleichmütigem Stolze herzu, was man von ihr verlangte, und ließ die großen Kupferstücke dafür in ihre Tasche klirren.
Nur wie sie die Lippen warf – das konnte verraten: ihr Herz verachtete die Kauflustigen mit ihrer aufdringlichen Eigensucht. Die hockte hinter allen Gläsern, die saß laurig auf allen Schemeln und wollte Merceda Finotti hinausdrängen aus dem, was sie ererbt hatte ... äh, wie sie die verachtete!
Andere aber – die Listigen – setzten den Wert der Schenke herab. Warum? Sie sei als Schlupfwinkel der Schmuggler gefährlich, wie ein Pulverfaß in der Nähe des Herdbrandes.
Währenddem hockten die Weiber draußen auf der Stiege, plärrten zwischen die Gespräche der Männer wie die Truthühner und ließen das schweigsame stolze Mädchen dabei kaum aus den Augen.
Etliche aus den tiefer gelegenen Berghöfen waren nur aus Neugier gekommen und dachten nicht daran, die Schenke zu kaufen. Diese fanden Merceda Finotti noch viel schöner und gefährlicher und bliesen ihre Bewunderung in das Feuer der Eifersucht, das in einigen Frauen brannte. Und in allen Mädels, die einen Liebsten unter den Schmugglern hatten – oder unter den Zöllnern ...
»Schlank wie eine Zeder und schmiegsam wie eine Schlange,« sagte eine, biß sich die Lippen und schlug mit der Spitze ihres Pantoffels erregt die Steine unter ihren Füßen. Ihr Mann hatte schon manche Nacht in der Schenke von Santa Ferrara beim Weine verbracht ... natürlich wegen jener schwarzen Felsentaube! Sie taten alle, als gäb’s keinen anderen Grund, im hohen Lichte zu sitzen.
So ärgerten sich an diesem Tage, die gekommen waren, Albina Finotti den letzten Dienst zu erweisen. Es ärgerten sich die Alten, daß sie zu alt waren für die Wachsamkeit, die die Bergschenke von ihrem Wirte forderte. Es ärgerten sich die Jungen, weil nicht jeder von ihnen der einzige war, der Merceda schön fand.
Natürlich rechnete jeder der Jungen: Merceda wird nicht daran denken, die Schenke allein zu führen – sie muß einen Mann nehmen!
Und der, den sie wählte, der hatte hinfort nicht nötig, nach jeder Tombola die getäuschten Hoffnungen auf ein Terno zu Grabe zu tragen; denn er hatte im Lotto des Lebens sein Terno gewonnen: Merceda Finottis Maienblüte, die Osteria zum hohen Licht, und all das Geld, das die Schmuggler darin hängen ließen ... Donnerwetter, dies Geld! Alle Himmel, dieser sechzehnjährige wilde Mädchenleib!
In der Nacht, die dem Begräbnistage folgte, trugen die meisten einen zähneknirschenden Ärger vom Berge.
Etliche der ärmsten Burschen aber jauchzten ihre Freude über die Hänge, als wollten sie die Felsen wachrufen – Merceda Finotti war nicht durch Geld kirre zukriegen, ihr Nest zu verhandeln! Wer den heißen Brand der Liebe in ihr anblies – der war’s! Und der hatte sie und alles!
»Sie und alles!« Der am lautesten jauchzte, war der Francesco Cerulli.
Cerulli?
Nun, er war einer von den vielen. Berghirt. Die Sonne brannte ihm die Locken, und seine Augen flogen immer um Merceda Finotti herum als ein paar goldene Zitronenvögel um eine Wildrose. Er lachte Santi Praga aus und beneidete ihn; er faßte ihn und schwur, gemeinsame Sache mit ihm zu machen ... alles in drei Minuten; und an allem war die Merceda schuld, aus der kein Mensch klug werden konnte! Francesco Cerulli ... das war auch der, der eines Morgens ins hohe Licht gekommen war –
»Merceda!«
»Eh?«
»Mir hat geträumt, Merceda Finotti.«
»Was geht’s mich an?«
»Man sagt, du hättest das Träumedeuten gelernt« ...
»Ich?«
»Natürlich; denn die Nonna am Berge war deine Großmutter.«
»Ihr seid allesamt Narren!«
»So hör’ zu, und sag’ mir, was einer dabei sich denken soll.«
»Rede!«
»Es war ganz früh am Tage, da schritt ich zu Berge und das hohe Licht war ein einziger Rosenbusch geworden und blühte; und blühte, als wären die zehntausend Blumen eine einzige Rose. Ich stand lange dabei und wunderte mich über die Rosen. Da streckte sich ein Ast aus, der hatte einen sehr scharfen Dorn an seiner Spitze. Und der scharfe Dorn wuchs mir mitten durchs Herz ... Ist das nicht ein recht wunderlicher Traum?« fragte Cerulli.
»Kaum wunderlicher als die Gedanken, mit denen du eingeschlafen sein wirst. Bildest du dir wirklich ein, ich ließe mich von dir liebhaben?«
An diesen Traum hat Merceda Finotti ihr Lebtag denken müssen; denn er erfüllte sich fast buchstäblich.