Читать книгу Das hohe Licht - Max Geißler - Страница 5

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Dann gingen Tage und Wochen.

Es schien, als wären in dieser Zeit die geheimen Gewölbe unter der Schenke von Santa Ferrara noch sicherer geworden; denn das Herdfeuer verlöschte immer erst lange nach Mitternacht. Und es schien, als wäre Merceda Finottis Wein noch viel besser denn je – auch am Tage war die rußige Küche mit den blanken Kupferpfannen an den Wänden selten eine Stunde lang ohne Gast.

Lora Zara aber wollte bemerkt haben: die von der Grenzwache waren nicht mehr so wachsam wie früher. Seit einiger Zeit sahen sie geflissentlich an den Geheimnissen der Schenke vorbei. Vordem war dies Schmugglernest allstund umspäht gewesen von hellen Zöllneraugen.

Jetzt waren diese Augen noch heller und – sahen doch nichts mehr.

Für Lora Zara aber war es eine Lust zu leben! Sie allein brauchte nicht eifersüchtig zu sein – ihre butterfette Schönheit war ihrer Sache sicher; denn ihre quellfröhliche Beredsamkeit wäre auf Carlo Zara herniedergefahren wie Hochgebirgsgewitter, wenn er hätte sich einfallen lassen, heimliche Gelüste nach der Schenke zu haben! Und weil sie für sich nichts zu fürchten und auf Carlo Zara nicht aufzupassen hatte, so lag ihre Wachsamkeit um so eifriger auf der Lauer vor der Schenkentür – ob die Merceda einen Ehemann in ihre Netze locke; oder einen Zollwächter, dem Ehr’ und Gewissen an dem heißen Feuer ihrer Augen verbrannt waren; oder einen jener armen Jungen mit den nußbraunen Schenkeln und Stirnen, die ihr Leben einsetzten gegen die paar roten Palanken, die sie in einer Schmuggelnacht zu gewinnen hatten ... Jawohl, die dicke Lora war auf einmal von einer Wachsamkeit wie nie vorher. Und wenn sie etwas erfahren wollte, so liefen ihre Augen selbst in der Nacht umher wie zwei Lämplein und leuchteten alle Wege und Stege über Santa Ferrara ab – als könnte aus jedem Winkel einer hineinwischen in dies Paradies aller Männersehnsucht. Und sie allein wollte wissen, wenn da etwas sich anspinne, und wollte heimlich lachen über die Mutmaßungen der anderen. Oh, wie dumm waren sie doch!

Zwar – auch Lora Zara hatte nie einen von der Grenzwache durch die Tür der Schenke schreiten sehen ... er sei denn im Dienste gewesen und gekommen, das verdächtige Haus zu durchsuchen. Aber selbst in diesem Falle – sagte der kluge Verstand der dicken Lora – hingen die Blicke derer von der Finanz lieber an der Frühlingsblüte Merceda Finottis, als daß sie im Staube der Winkel oder in der Moderluft der Keller umherkrochen.

Oder die Zöllner fanden es für am besten, gar nicht erst hineinzugehen, sie setzten sich auf die Stiege der dicken Lora und tranken den Wein, den ihnen Merceda brachte. Die saß dann drüben auf der hohen Schwelle ihres Hauses und spann.

Einmal kurz nach Mitternacht war’s Lora Zara nicht geheuer.

Ein Gewittersturm heulte um die Gipfel, der Regen schlug, und kein Schmuggler irrte durch die Finsternis; da sah Frau Lora von dem Fenster ihrer Kammer aus unter der Schwelle der Schenkentür den Schein späten Feuers hervorrinnen.

Und ihre Neugier jagte die Gevatterin vom Lager, und sie wackelte hinaus in die Nacht – »Mercedaaa!«

Damit pustete sie sich bis vor die Stiegen der Schenke.

Das kleine Fenster links der Türe war von innen dicht gemacht; an ihm verriet kein Schimmer, daß der Herdbrand noch wach war.

»Mercedaaa!«

Ordentlich zornig schrie die Zara ihren Ruf durch die wilde Nacht.

Da klirrte drinnen der Riegel zurück und die Türe tat eine Spanne weit sich auf –

»Nachbarin, willst du den Berg einstürzen mit deinem Höllenlärm? Was gibt’s?«

Lora forderte einen Kräutertee – sie hätte so viel Schmerzen im Magen. Dabei krümmte sie sich katzenjämmerlich und ließ ihre Blicke um die Merceda herum durch den Türspalt kriechen wie Schlangen.

In dieser Nacht hatte Lora Zara einen Hut mit der Falkenfeder in der Küche Mercedas gesehen – wie ihn die Bersaglieri tragen. Die Bersaglieri sind die Todfeinde der Schmuggler.

»Mach die Tür dicht, Merceda, wenn deine Schenke so vornehme Gäste hat!« warnte sie hastig und verärgert. Sie hätte gern die geschwätzige Vertraute von der Jungen sein wollen.

Seit jener Nacht spann nicht einmal mehr an der ausgetretenen Stelle der Steinschwelle ein Licht heraus, das vom späten Herdfeuer sich verirrt hatte – wenn die sechzehnjährige Padrona nicht wollte.

Und kein verräterischer Schein spielte unter der Türe des Herzens von Merceda Finotti hinaus ... kein verräterischer Glanz durch die Fenster ihrer Augen!

Das peinigte Lora Zara. Und weil sie auf diesem Wege keinen Schritt vorwärtskam, faßte sie die Sache beim anderen Ende: sie fand sich zu jedem, dem die Merceda Finotti in die Träume seiner Tage und Nächte trat, und sagte zu ihm: »Gevatter, du bist ein Esel.«

»Holla, Lora Zara!«

»Gingest du sonst mit den anderen zugleich aus auf den Jungfalken?«

»Was soll das heißen, Lora?«

»Der junge Falke wartet, bis du allein kommst ...«

»Und dann?«

»Ins Netz fliegen will er dir, du Narr!«

Das war, was Lora Zara in diesen Tagen mit den Männern redete, die ihr ins Garn liefen. Sie kam sich dabei sehr klug vor – eine Wahrnehmung, die die Männer nicht auch an sich machten, waren sie nun jung oder alt. Einige tupften sich mit dem Finger gegen die Stirne, andere sagten: das hätten sie selbst schon gedacht ... alle aber schieden mit einem Herzen, gerüttelt voll von Dankbarkeit, und meinten, nun könne es ihnen nicht fehlen; denn die dicke Lora kannte sich aus in derlei Dingen.

Allgemach gaben es die Klugen auf, Merceda wegen des Verkaufs der Schenke gemeinsam zu bestürmen. Sie kamen einzeln. Der eine warf sein Geld in die Wagschale; der andere seine Jugend und Stärke; der dritte seinen Haß gegen die Zöllner. Der vierte schoß ihr das Feuer seiner Augen ins Herz. Der fünfte war töricht, redete ihr von Liebe, und ließ sich auslachen. Der sechste dachte, sie ist ein Mädel, warf ihr die Schlinge seiner Arme über und fing sie darin wie ein junges Füllen. Aber Merceda blieb fest und blieb, wo sie war. Basta.

Dann kam eine Zeit, in der war die Schenke stiller als je zuvor: die Schmuggler strichen andere Wege zu Tal. Die waren gefahrvoller und weiter – aber man ging sie ... als gält’s die Festung des Herzens auszuhungern, die dem Sturm eines Heeres widerstand!

Noch blühte das hohe Licht im Giebel der Schenke während der ganzen Nacht. Aber es war, als schlössen die auf den nächtlichen Schleichpfaden die Lider vor dem lockenden Glanz, an dem sie um ihren Verstand, um die Ruhe ihres Herzens, am End’ um ihrer Seele Seligkeit kamen.

Lora Zara aber legte sich in dieser Zeit aufs Warten. Sie gönnte dem hochmütigen Dinge diese Niederlage – ha, wenn so etwas mit Männern spielen wollte!

Merceda verwartete zwar immer noch einen Teil ihrer Nächte, wie sie sich gewöhnt hatte. Aber sie wartete vergebens auf das verabredete Zeichen an der kleinen Hinterpforte, das ihr verriet, ein Pascher forderte Einlaß.

Wußte Lora Zara, woher die Ruhe der Nächte, woher die Eintönigkeit der Tage kam? Warum leuchtete die dicke Nachbarin mit ihren Augen immer so an Merceda herum?

Lora lauerte auf die Stunde, in der sie von ihr gefragt würde ... Aber Merceda fragte nicht. Sie war stolz wie ein Maimorgen über den Bergzinnen. Und ihre heiße, junge Schönheit blühte röter denn je. Denn sorgloser waren ihre Nächte; mit dem verlöschenden Feuer legte sie sich zur Ruhe. Und erst am klingenden Morgen wecke sie der Hahnenruf, dachte die dicke Lora. Es spielte eben kein Lichtschein durch die Ritzen der Läden an der Weinschenke; und kein Lichtschein spielte unter der Türe des Herzens von Merceda Finotti hinaus. Zwar – ihr Lager droben in der Kammer unter dem Dache, zu der die schmale Holztreppe aus der Küche emporführte, suchte sie auch in dieser Zeit nicht auf. Sie zog den Bettsack, der mit Ziegenhaar gefüllt war, an jedem Abende die knarrende Stiege von droben herab, wie sie sich gewöhnt hatte seit der Krankheit ihrer Mutter, und bettete sich neben die Herdstatt. Halb angekleidet legte sie sich nieder ... Alles wie einst.

Die Nacht mußte ja kommen, die die Männer von Santa Ferrara überzeugte, daß kein Dach sicherer war als das der Schenke. Und kein Mund verschwiegener als der Merceda Finottis.

Was brauchte die runde Gevatterin von drüben zu wissen, daß die Lippen Mercedas oft in einer Bitterkeit sich schlossen, die dem Hauch ihres Mundes gewehrt hatte, das Licht auszublasen?

Als die qualvolle Stille über das Haus fiel, wie die Nacht des Todes über einen Sterbenden – da war das mehr als einmal so gewesen! Aber nun war’s vergessen!

Merceda wußte, wie schwer es die Männer ankam, dem Nest am Berge fernzubleiben; alte Gewohnheiten lassen sich nicht abwerfen wie vertragene Kleider. Noch brannten die Feuer in den Augen der Männer. Noch glühte die Flamme der Eifersucht in denen der Mädchen.

Zuerst war’s den Frauen gerade zu rechter Zeit gekommen, daß die Schenke von den Schmugglern gemieden wurde. Aber von stundan ward manche Sehnsucht offenbar, die bis dahin gehütet worden war, und die Mädels, Bräute und Frauen merkten nun erst: da war ja nicht einer, dem die vom Berge das Herz nicht verbrannt hatte!

Und das Lachen der Weiber ward noch bitterer, und ihr Wachen ward noch wachsamer... Toll waren sie alle, die den Wein der Merceda getrunken hatten! Und ging das mit rechten Dingen zu?

Wenn Merceda um diese Zeit mit dem Korb am Arme in eines der Dörfer kam, um einzukaufen, da schlug’s in alle Hütten. In allen Hütten liefen sie zu den Türen und schauten der vom Berge nach. Und immer schöner, schlanker und stolzer war sie geworden, so oft sie vorüberging.

Zuletzt, da sie von allen sich gemieden sah, begegnete sie ihnen nur noch mit kaum merkbarem Nicken des Kopfes. Ein fröhliches Wort des Grußes warf sie keinem mehr hin.

Und eines Tages ward auch das Gerücht laut: mit rechten Dingen sollte das zugehen? Wie könnt’ es? Sie müßte ja schön sein wie die Mutter Gottes! Oder verwahrlost wie eine Teufelin! ...

Eifersucht ist eine Kreuzspinne. Ein giftiges Luder. Und wer sich von ihr einspinnen läßt, dem muß der graue Spinnenfadenrock vom Leibe gebrannt werden, damit er ihn wieder los wird.

Merceda hatte nicht erfahren, wer dies Gerücht ihr zurechtgesponnen hatte ...

Auf einmal – da jagte ihr wildes Feuer eine den Berg empor. Eine kleine braune Fuchtel, an der nichts blühte als ihr Haß. Sie war ganz verwaist, hatte ein Haus im Dorf, aber trotz des eigenen Herdes fand sich keiner, der sie liebhaben mochte.

Sie hatte eine glühende Kohle in der Brust, und in ihren Haaren hing blauschwarze Mitternacht.

Das war Beatrice Zara, ein Geschwisterkind von Carlo Zara am Berge.

Die hatte die dicke Lora als Beraterin für die Not ihres Herzens sich ausersehen. Und so loderte sie um diese Zeit durch den Schein einer Mondnacht die Schmuggelpfade gegen das hohe Licht empor.

Mit zerwühlten Haaren und betauten Wimpern sank sie unter den schwarzen Holunder an der Rückseite von Lora Zaras Haus. An den Stämmen des Busches lehnte allerlei Wirtschaftsgeräte ... Auch eine Heugabel mit blitzenden Zinken war dabei.

Verflucht – dies kalte blanke Eisen – das müßte zischen, wenn sie es der Merceda Finotti ins Herz stieße! Drei Brunnen Blut müßten darunter hervorspingen – jetzt, in dieser Nacht! ...

Nur der Mond strich hoch und klar durch den Himmel; Beatrice Zara kannte das Zeichen der Schmuggler, vor dem die Hintertür der Schenke zu jeder Stunde der Nacht sich öffnete ... denn Santi Praga, der Pascher, war ihr Schatz. Santi Praga – das ist der, der später zum Mörder ward in seiner lodernden Narrheit.

Drei Brunnen rotes Herzblut! ...

Über diesem wahnsinnigen Gedanken vergaß die maronenbraune Fuchtel mit dem Mitternachtschopfe, daß sie die dicke Lora hatte rufen wollen.

Wenn die unter den Leuten herumredete, wie närrisch verliebt Beatrice in Santi Praga sei! Heilige Mutter Gottes, die Leute würden mit Fingern nach ihr zeigen und hinter ihr dreinlachen! ...

Sie erfaßte den Stiel der blanken Heugabel in der Mitte.

Sie beugte den Oberkörper vor.

Sie schlüpfte aus den klappenden Pantoffeln.

Und wie eine Tigerin, die zum Sprunge sich anschickt, kroch sie über eine der niedern Mauern aus losen Steinen und schlich vor jene Tür der Schenke, die Lora Zara von ihrem Hause nicht sehen konnte.

Hoch aufgerichtet wollte sie Merceda Finotti ins Auge sehen...

»Gib mir Santi Praga wieder, du!« – so wollte sie ihr ins Angesicht schreien.

Und wenn Merceda ihre Lippen hochmütig schürzte, – ah, wie sie diesen stolzen Mund haßte, an dem alle Männerlippen sich zu Tode trinken wollten in wahnwitzigem Glück! – dann würde sie ihr die drei Eisen ins Herz stoßen! ... Oder in die Augen! ...

Sie stieg die vier Steinstufen empor.

Und nun klangen ihre Schläge an die Tür ...

Aber sie klangen matter, als sie gewollt hatte – so matt, daß sie am Ende Merceda Finotti nicht einmal aus dem Schlafe weckten. Sie faßte auch die Gabel nicht zum Stoße. Sie lauschte nicht, ob in der Küche sich’s regte. Die steinerne Stiege wankte ihr ja unter den Füßen! ...

Und als Merceda den eisernen Stangenriegel drinnen zurückstieß, da lehnte Beatrice Zara im Mondlicht am Türstein und stütze sich wie eine Zutodegehetzte auf den Stiel der Gabel.

Sie sah das Erstaunen nicht, das in Mercedas Augen stand. Erst die Stimme, die verhaßte Stimme, rüttelte sie wach:

»Du, Beatrice Zara? Seit wann streifen die Mädels durch die Nächte ... Ah ...«

Dies »Ah« flog von Mercedas Lippen wie der Schrei einer Felsenkrähe – die Zara lehnte dort und die Qual ihres verstürmten Herzens brach aus ihren Augen. Sie stand dort auf den bloßen Strümpfen, und die Eisen der Gabel blitzten im Lichte der Nacht –

»Ah!«

Der Krähenschrei flog ihr ins Gesicht wie eine harte Hand. Aber Beatrice Zara wollte in dieser Stunde Abrechnung halten –

»Ich will mit dir reden, du!« keuchte sie über die bleichen Lippen.

»Bist du mondsüchtig und im Schlafe daheim fortgelaufen?« Das sagte Merceda Finotti so heraus als gäb’s keine Königin auf der Welt außer ihr.

»Du hast Gift im Munde, Merceda Finotti!«

Darüber lachte Merceda laut auf: »Wenn du mit mir zu reden hast, so hättest du das am Tage bequemer haben können.«

»Wer sagt dir, daß ich zu dir in anderer Zeit kommen wollte, du?«

»Wenn du auf der Heugabel zu Berge getrabt bist, so hättest du ja durch den Rauchfang in die Küche fahren können!«

Beatrice fühlte den Hohn in diesen Worten – dann zischte sie: »Du bist giftig, wie eine Schlange. Mit dieser Gabel wollt’ ich dir – das Herz durchstechen, du Natter!«

Merceda erschrak. Sie ist wahnsinnig geworden, dachte sie und ergriff von ihrem höhern Standort auf der Türschwelle das Ende des Gabelstiels.

Aber Beatrice riß ihr das Holz wieder aus der Hand –

»Her, du Hexe! ...« Da sah sie zu Merceda empor und erkannte: die war ohne Furcht.

»Komm herein,« sagte Merceda; im Ernste des Augenblickes waren ihr Herz und ihre Stimme nun doch angelaufen wie Glocken in der Kälte ...»und wenn du nicht anders willst – meinetwegen, so bring’ die Gabel mit.«

Da schritt Beatrice die Stufen empor und trat in die Küche. Ein breiter Strom Mondlicht floß hinter ihr drein durch die weitgeöffnete Tür.

Merceda entfachte nun mit dem kleinsten Blasebalge das Herdfeuer zu Flammen; die brachen wie kleine rote Teufel aus der Asche und ließen ihr Leuchten tanzen um den Haß der Zara.

Dann nahm sie einen Fiasko Wein vom Brett und goß daraus in ein Glas; das stellte sie vor Beatrice auf den Tisch.

Die hatte währenddem entgeistert auf die Feindin gestarrt; ihre Knie begannen zu wanken; sie war bleich wie der Mondschein. Ihre Nasenflügel wehten, und doch schien alle Spannung aus ihrem Körper gewichen – noch sann ihr Hirn Pläne, noch spiegelten ihre Augen den Haß ihres Herzens ... aber die Glieder gehorchten nicht mehr.

Da trat Merceda Finotti zu ihr, entwand ihr mit einem Griffe die Heugabel und lehnte sie hinaus in den Winkel neben der Hinterpforte; dann schlug sie den Riegel wieder vor.

»Setz’ dich,« sagte sie.

Aber Beatrice hörte es nicht –

»Du fürchtest dich ja vor mir, Merceda!« lachte sie bitter.

In ihrer klaren Ruhe blickte Merceda sie an – »Glaubst du wirklich, was du redest? ... Warum bist du nun eigentlich zu dieser seltsamen Stunde gekommen?« fragte sie fast mitleidig.

Beatrice taumelte bis an den Tisch und stieß so hart dagegen, daß der Wein über den Rand des Glases floß. »Was hast du Santi Praga angetan?« stieß sie keuchend hervor. Es war, als zerbiß sie jedes ihrer Worte mit den Zähnen.

»Ah!« machte Merceda Finotti, und ihr Antlitz erleuchtete ein Licht von innen ... Nicht traumwandelnd, nicht wahnsinnig war Beatrice Zara zu Berge geeilt – nein, ihre Eifersucht forderte Rechenschaft von Merceda Finotti! Und: »angetan!« sagte sie. Zauberer tun den Menschen etwas an, oder Occhiaten ... Was sollte das heißen?

Einen Augenblick schwieg Merceda.

Die letzte Frage war vor ihr stehengeblieben als eine brennende Kerze – »Was hast du Santi Praga getan?«

Diese Kerze schuf nun allmählich Licht, und Merceda begann, sich zurechtzufinden ... Hatte die Zara nicht zu ihr gesagt »Hexe«?

Der dauerte das Schweigen zu lange, und noch einmal knirschte sie: »Santi Praga! Was hast du ihm angetan? He, warum antwortest du nicht? Und warum schaust du nach der Tür?« Mit einem Sprunge war Beatrice an der Hinterpforte und lehnte sich mit dem Rücken dagegen. Ein Paar Wolfsaugen brannten nun aus der Dunkelheit um die alte Türe, und es war ... »Fliehen?« keuchte sie – »du entkommst nicht, sag’ ich dir, bis ich alles weiß! Was fällt dir ein, Merceda Finotti? Hast du ihm einen Hexentrunk in den Wein gegossen? Und hast du dir den Trunk auch noch von ihm bezahlen lassen? Pfui, pfui!« und sie spie nach Merceda. »Rede! Und wenn du lügst – ich tu’s doch noch!«

Merceda lehnte sich rückwärts gegen die Schmalseite des Tisches, die Beatrice am nächsten war, bog sich ein wenig hintenüber und hatte ihre Hände zu beiden Seiten des Körpers auf den Rand der Tafel gestützt.

»Was willst du denn tun?« fragte sie.

Kein Muskel zuckte an ihrem schlanken Leibe; nicht einmal die Winkel ihres Mundes verrieten eine Erregung.

»Dir die Heugabel in die Augen stoßen!« zischte Beatrice. Das flog ihr über die Lippen wie Wasser über glühendes Eisen.

Mit einem Sprunge war Merceda an ihr. Sie faßte sie mit beiden Händen vor der Brust, daß die Nähte ihres Kleides krachten, und zwang sie nieder auf den Schemel. Ihre Linke wühlte sich in die blauschwarze Nacht ihrer Scheitel und drückte ihr den Kopf – das Gesicht nach oben – gegen den Tisch.

In knirschender Qual wand sich Beatrice unter Mercedas Händen. Aber die größere Kraft nagelte sie an das Holz des Tisches.

»Töte mich!« stöhnte die Zara, »Töte mich! Schleppe mich in der Nacht zu Berge und stürze mich über den Felsen hinunter, du – du Hexe.«

Dann stieß sie einen Schrei aus, der flog Merceda ins Gesicht wie eine Kröte, so daß sie vor ihm zurückwich.

Nun schnellte Beatrice empor. Die Knöpfe ihres Kleides waren vor der Brust aus dem Zeuge gerissen. Das Haar hing ihr gelöst über die Schultern. So stand sie der Feindin gegenüber. Ihre kleine sehnige Gestalt reichte der andern kaum ans Kinn.

»Wenn ich dich vor die Tür geworfen hätte, wie du in meinen Händen warst, so wäre dir recht geschehen,« sagte Merceda. »Jetzt, da ich weiß, daß du nicht wahnwitzig bist, reut es mich, daß ich so hart über dich gekommen bin ... Aber du hast mit mir reden wollen – so rede!«

Das war ein Gebot! Unter ihre Schuhe hatte die nachthaarige Zara die aus dem hohen Lichte treten wollen. Nun aber hatte der Klang ihrer Stimme sich gewandelt – wie einer Glocke, die in den Sturm schreien und ihn schlagen wollte und doch nur in den mächtigen wimmert. Sie erhob ihre Hände, sie legte die Hände aneinander und ein erlösender Regen von Tränen rann über das Flehen ihrer Worte:

»Du hast Santi Praga verhext! Laß ihn los, Merceda Finotti, der Santi ist mein! ... drei, drei Jahre ist der Santi mein gewesen – Verrate mir deine Kunst! ... Oh, Merceda Finotti, was hast du ihm getan?«

Sie wankte, sie sank auf den Schemel und warf ihre Arme über die Platte des Tisches. Auf das harte Holz preßte sie ihre Stirn und weinte – und weinte. Dann hob sie ihr tränennasses Gesicht und starrte Merceda in die Augen.

»Ich habe doch kaum ein Wort mit Santi Praga geredet!« sagte die.

»Und doch sieht er an mir vorbei und ruft deinen Namen des Nachts im Traume!«

Merceda zog die Achseln und warf den Mund – »So ist das eine Merkwürdigkeit von deinem Santi, an der ich keine Schuld habe.«

Noch einmal stach die andere der Giftstachel ihres närrischen Hasses. Sie schnellte auf wie eine Geißelschnur –

»Ah, wie fromm du bist, Merceda Finotti! Denkst du, wir haben keine Augen, zu sehen? Und keinen Verstand, zu erkennen? Ah, die Nonna ... in der Kapanne des Roßhirten hat sie gehaust, bis ihr der Teufel das Gesicht auf den Rücken gedreht hat ... die Nonna hat wahrsagen können, und Hexendämpfe sind um ihren Herd geflogen wie die Nebel um den Berg, wenns wittert! Meinst du, wir sollten glauben, du trügest den Namen deiner Großmutter umsonst? Oder – was wär’ an dir, das alle Männer närrisch macht? ... Eines Tages – eines Tages werden die jungen Weiber dir ins Haus fallen ... denn die Männer hast du uns genommen, und wir werden rechnen mit dir! Wehe, wehe dir!«

So lebte die Nonna Finotti immer noch – ein Jahr nachher und trieb sich um in den Herzen der Leute als das Gespenst des Berges.

Merceda hatte während der Rede Beatrices gegen den kleinen wurmstichigen Schrank gelehnt. Darin waren die Teller nebeneinander aufgestellt. An dem Klirren des Geschirrs merkte sie, wie sie zitterte. Einen Augenblick hatte sie Mühe, ihre Fassung zu bewahren; dann kam wieder die klare Ruhe in ihre Augen; sie strich sich einen Strähn dunklen Haares aus der Stirn. Beatrice verwandte keinen Blick von ihrem Gesicht.

»Etwas Dümmeres konnten die Leute vom Berge sich nicht ausdenken,« begann Merceda. »Und um dich und sie vor mir so lächerlich zu machen, hast du den Schlaf einer ganzen Nacht darangewagt – einer ganzen Nacht?«

»Hm,« sagte Beatrice, »was ficht das dich an? Ich habe Nesseln im Bett, seit Santi Praga von dir träumt! Und die Einsamkeit meiner Kammer ist qualvoller als diese Stunde mit dir ... Aber du hast mir noch nicht geantwortet – was hast du Santi Praga angetan?«

Merceda zog die Achseln: »Beatrice, ich hab’ in dieser Zeit anderes zu denken gehabt, als einem Mädel den Liebsten abspenstig zu machen – im Angesichte der Madonna gelobe ich dir das.« Und sie deutete auf das Bild der Muttergottes, das schaute aus künstlichen verblichenen Blumen von dem Eckbrett hernieder und ward ganz vom roten Lichte des Herdfeuers übergossen.

Da trat Beatrice Zara ihr ganz nahe und ihr heißer Odem lief der Feindin über das Gesicht:

»Du hast jetzt einen Schwur getan, Merceda Finotti!« sagte sie. »So schwöre mir auch, daß du Santi Praga gehen heißen willst, wenn sein wahnwitziges Herz ihn eines Tages zu dir drängt!«

Einen Augenblick dachte Merceda über diese Worte nach –

»Nein,« sagte sie dann, »wegweisen ... wegweisen, weil er dich nicht mehr mag?«

»Ah!« Beatrice sprang empor, als hätte sie eine Schlange unter ihren Füßen.

Da sagte Merceda: »Aber ich schwöre dir, ich habe bis zu dieser Stunde nicht gewußt, daß er mich lieb hat. Und unter allen, an die ihr denkt, ist keiner, den ich zum Manne haben möchte.«

»Das schwörst du?«

»Ich schwör’s!«

Beatrice lauschte atemlos auf diese Worte –

»Warum nennst du mir den Namen des Mannes nicht, den du lieb hast?« fragte sie dann.

»Hm ... vielleicht hätt’ ich dir’s gesagt. Aber – eure Köpfe sind so verwirrt, und eure Zungen sind so giftig ... warum soll ich einer von euch mein Herz verraten? Und warum soll ich meine Freude in euern Schmutz werfen, daß ihr sie mit Füßen tretet?«

Beatrice rannte mit ihrer Qual durch die Küche.

Am Rande des Herdes sank sie hin und barg ihr Gesicht in die Hände. Ihre Tränen rannen wieder zwischen ihren braunen Fingern hindurch. Aber von neuem versiegte der Quell, und sie kniete dort wie eine, die betet, und mit weitoffenen Augen, den Blick emporgerichtet zu dem Muttergottesbilde.

Es war als hätten die Worte Mercedas einen weiten Weg gehabt oder als hätten sie lange warten müssen vor verschlossenen Türen. Nun aber ging ihr Sinn der auf, der sie galten, und sie sagte, halb aus einem Wunder, halb aus flackergelbem Hasse heraus:

»Es ist einer, den du lieb hast, Merceda – und ... du willst den andern dennoch nicht abweisen? ... Pfui, du – «

»Schweig,« schrie Merceda sie an. »Höher als der Schwung der Berge liegt’s zwischen mir und dem, an den ich denke! Er wird niemals mein Mann werden – nie – nie! ... Und darum werde ich einen wählen, der mich lieb hat. Daß ich ihn aber liebe wie jenen andern – es ist nicht zu denken! Es wird einer kommen, ein Hirt und Schmuggler, einer von euch, Beatrice Zara, der wird mich nehmen, meine Arbeit mit mir zu teilen, mein Haus und mein Bett. Er wird –« und sie lachte bitter auf – »jawohl, Beatrice Zara, er wird die Weinschenke heiraten, und ich werde versuchen, mich zu ihm zu finden.«

»Ah,« staunte Beatrice. »So ist das! Und wenn ich das unter den Leuten herumrede, wie es um dein Herz steht, und wieviel Freude dein Mann an dir erleben wird?«

»Wenn ich das verhüten wollte, hätt’ ich ja stumm sein können wie ein Grab! So sag’s ihnen doch! Pah, ich habe keinen Teil an all’ diesen Männern, von denen du meinst, daß mir an ihrer Liebe läge ... Du hast mir heute viel zu denken gegeben. Laß mich allein. Es ist zwei Uhr vorbei, und in einer Stunde graut der Tag. Bist du ohne Pantoffeln die Steige emporgekommen?«

Beatrice sah nach ihren Füßen und strich mit den Händen langsam über ihre Augen –

»Die Pantoffeln werden draußen vor der Schwelle stehen ... oder an der Mauer – ich weiß nicht, wo ich sie gelassen habe, doch ich werde sie finden.«

Sie erhob sich und schritt neben Merceda zur Pforte nach dem Hofe.

»Mir ist, als wären wir noch nicht fertig miteinander, wir zwei!« sagte sie im Hinausgehen. Das Mondlicht umfloß sie wie ein Brennlinnen.

Merceda stieg nicht mit ihr über die Schwelle. Sie hatte die Türe nur halb geöffnet und hielt den Riegel in der linken Hand. Und dies sollte ihr letztes Wort sein –

»Du,« sagte sie, »warum trägst du mit mir aus, was Santi Pragas Sache ist? Wenn er dich nicht hören will, was geht’s mich an?«

Diese Frage hakte sich ein und Beatrice wollte mit einem Sprunge zurück in die Küche – ihre kleine geschmeidige Gestalt krümmte sich, und ihre Zähne klirrten aneinander wie Ketten von Silber.

Aber Merceda schlug Tür und Riegel zwischen sich und sie.

Dann ließ sie den rußigen Kessel, der durch ein eingehängtes Kettenglied seitlich des Feuers gehalten wurden über die Flammen gleiten, füllte ihn alter Gewohnheit nach bis obenhin mit Wasser und warf sich angekleidet aufs Lager.

Jede Minute der letzten zwei Stunden ging wieder hell in ihr an, wie die Sterne tropfen auf den Sammet des dunkelblauen Nachthimmels, jedes Wort klang in ihr wieder, das die Eifersucht aus dem gequälten Mädchen herausgeschlagen hatte.

Oh, über dies närrische dumme Bergvolk! Eine Hexe wurde sie von den Leuten genannt! Eine, die den gedörrten bangen Frauenherzen die Männer stahl! Wer würde nun der sein, der ihr sagte: »Du verrätst dein eigen Nest an die Häscher?«

Auf diesen Gedanken fielen Tränen.

Währenddessen schritt Beatrice hinab zu dem Dorf auf halber Höhe des Berges. Schmerz und Reue leiteten sie heim – und doch war ihr, als hätte sie Lasten auf dem Berge gelassen, wie sie in der dunkeln Kammer auf ihr Lager sich warf.

So war sie wenigstens noch vor Tau und Tag heimgekommen; kein Mensch hatte sie gesehen und sie um ihr törichtes Beginnen fragen können.

Und in der barmherzigen tiefen Finsternis, die um sie lag, versikkerte das letzte grelle Leuchten ihrer Qual.

Das hohe Licht

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