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Sindbad der Seefahrer

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Im Mor­gen­lan­de leb­te vor lan­ger Zeit ein jun­ger Mann na­mens Sind­bad. Der hat­te von sei­nen El­tern ein be­trächt­li­ches Ver­mö­gen ge­erbt, ge­riet aber in schlech­te Ge­sell­schaft und ver­schwen­de­te das Geld bis auf einen un­be­trächt­li­chen Rest. Und weil die Reue über eine ver­blen­de­te Tat im­mer erst kommt, wenn’s zu spät ist, so än­der­te sie auch in die­sem Fal­le nichts; aber die Er­kennt­nis sei­ner Tor­heit be­saß der arme Sind­bad in vol­lem Maße, und in vol­lem Maße auch den gu­ten Wil­len, ein bra­ver Mensch zu wer­den und wo­mög­lich mit dem we­ni­gen, was er noch hat­te, sich sein frü­he­res großes Ver­mö­gen zu­rück­zu­er­wer­ben.

Ei­nes Ta­ges ver­kauf­te er al­les, was er an be­weg­li­chen und un­be­weg­li­chen Gü­tern noch be­saß, be­gab sich auf ein Schiff, das ge­ra­de nach Ost­in­di­en se­geln woll­te, und be­gann den Han­del. Wäh­rend der See­rei­se lan­de­te das Schiff an meh­re­ren In­seln, auf de­nen Sind­bad sei­ne Wa­ren mit Nut­zen ver­kauf­te oder da­für wert­vol­le Ge­gen­stän­de ein­han­del­te, und ein­mal über­fiel sie eine so tie­fe Wind­stil­le, dass die Se­gel schlaff von den Mas­ten her­ab­hin­gen und an ein Vor­wärts­kom­men nicht zu den­ken war.

Es war ge­ra­de ein klei­nes Ei­land in der Nähe, das sich nur we­nig über den Spie­gel des Mee­res er­hob und dalag wie eine schö­ne grü­ne Wie­se.

Der Ka­pi­tän ließ die Se­gel ein­zie­hen und er­laub­te der Mann­schaft, an Land zu ge­hen. Auch Sind­bad fand dar­an Ver­gnü­gen; aber wäh­rend die Leu­te von den Be­schwer­den der lan­gen See­fahrt sich aus­ruh­ten, er­zit­ter­te die In­sel plötz­lich und be­gann pfeil­schnell durch die son­ni­ge Flut zu glei­ten. Die Ma­tro­sen spran­gen, so rasch sie konn­ten, ins Was­ser; et­li­che ret­te­ten sich in das Boot, das der Ka­pi­tän ih­nen zu­sand­te, et­li­che fan­den ih­ren Tod in den Wel­len. Und dies wäre auch Sind­bads Schick­sal ge­we­sen, wenn er nicht im letz­ten Au­gen­bli­cke ein Stück Holz er­fasst hät­te, das die Ma­tro­sen für ein Feu­er zum Ko­chen ih­res Mah­les mit auf das Ei­land ge­bracht hat­ten; denn auf ein­mal sank das grün­lich schim­mern­de Land tief und tiefer und war auch schon vie­le See­mei­len von dem Schif­fe ent­fernt, als Sind­bad er­kann­te: es war ein rie­si­ger Wal­fisch, der sich an der Ober­flä­che des Mee­res ge­sonnt hat­te. Der arme Sind­bad trieb nun mit sei­nem Holz auf dem of­fe­nen Mee­re und er­kann­te, dass er die Be­schwer­den die­ser selt­sa­men Fahrt nicht län­ger als bis zu Son­nen­un­ter­gang wür­de er­tra­gen kön­nen; und so be­fahl er sich sei­nem Got­te und sah tie­fe Fins­ter­nis über sein Auge sin­ken.

Es war aber nicht der Tod, son­dern es war die Nacht, und ein sanf­ter Wind trieb ihn als­bald an den Strand ei­ner In­sel. Dort ver­sank er in einen tod­ähn­li­chen Schlaf, und als er am an­de­ren Mor­gen er­wach­te, war we­der von sei­nem noch von ei­nem an­de­ren Schif­fe et­was zu se­hen. Müh­sam schlepp­te er sich durch das Strauch­werk, um et­li­che ge­nieß­ba­re Kräu­ter zu su­chen; und wie er ge­ges­sen hat­te, kam er auf ein frucht­ba­res Stück Land mit köst­li­chem Gras­wuchs, dar­auf wei­de­te ein Foh­len, des­sen stol­ze Schön­heit es ei­nes Kö­nigs wert er­schei­nen ließ.

Nicht lan­ge, so ver­nahm der See­fah­rer auch die Stim­me ei­nes Man­nes, der aus ei­ner gra­b­ähn­li­chen Ver­tie­fung trat und den Ver­irr­ten frag­te, wer er wäre. Sind­bad er­zähl­te ihm sein Aben­teu­er, und der Mann führ­te ihn in eine Höh­le, in wel­cher sich meh­re­re Knech­te be­fan­den. Die ga­ben ihm zu es­sen und er­zähl­ten, dass sie all­jähr­lich um die­se Zeit des Kö­nigs Stu­ten in der Ein­sam­keit die­ser In­sel auf die Wei­de füh­ren müss­ten.

Am an­de­ren Tage reis­ten die Knech­te mit ih­ren Ros­sen heim, und Sind­bad fuhr mit ih­nen; ihr Kö­nig aber war Ma­ha­r­a­d­jah von In­di­en.

So kam Sind­bad in das Land sei­ner Sehn­sucht, und als er ei­nes Ta­ges im Ha­fen spa­zier­te, lan­de­te ge­ra­de ein Schiff – und sie­he da, es war je­nes, das er einst hat­te un­frei­wil­lig ver­las­sen müs­sen. Er ge­lang­te also wie­der in den Be­sitz sei­ner Gü­ter, be­gann so­fort sei­nen Han­del auf­zu­neh­men, und als er ge­nü­gend ver­dient hat­te, schiff­te er sich mit neu­en Wa­ren wie­der ein; er nahm Aloe, San­del­holz, Kamp­fer, Mus­kat­nüs­se, Ge­würz­näg­lein,1 Pfef­fer und Ing­wer in großen Vor­rä­ten mit, lan­de­te auf dem See­we­ge an meh­re­ren In­seln und ver­mehr­te sein Ver­mö­gen durch Kauf und Ver­kauf, so­dass er schon von die­ser Rei­se als ein leid­lich wohl­ha­ben­der Mann wie­der in Bag­dad ein­traf. Dort woll­te er nun le­ben; aber die Mü­ßig­keit sei­ner Tage be­hag­te ihm nicht lan­ge, son­dern er be­kam wie­der Lust, aufs neue übers Meer zu rei­sen und zu han­deln.

Er er­sah sich also ein gu­tes Fahr­zeug und stach in See.

Ei­nes Ta­ges lan­de­te das Schiff an ei­ner öden In­sel, die zwar ei­ni­gen Baum­wuchs zeig­te, aber we­der Häu­ser noch Be­woh­ner zu ha­ben schi­en.

Sind­bad, der ein Stück land­ein­wärts wan­der­te, leg­te sich am Ufer ei­nes Ba­ches zum Schla­fe, nach­dem er eine gute Mahl­zeit ge­hal­ten hat­te. Aber als er er­wach­te, er­staun­te er nicht we­nig; denn das Schiff, das vor­her ru­hig vor An­ker ge­le­gen hat­te, war nicht mehr da. Er rief, aber kei­ner der Kauf­leu­te oder Ma­tro­sen, die mit ihm an Land ge­gan­gen, gab Ant­wort. Und ganz fer­ne am Ho­ri­zont ver­schwan­den die wei­ßen Se­gel des Fahr­zeugs wie eine entei­len­de Möwe.

Sind­bad, wie er sich also be­tro­gen sah, ward von großem Schmer­ze be­fal­len, warf sich auf die Erde und klag­te sich hun­dert­mal der Hab­gier an, die ihn da­heim nicht hat­te ru­hen las­sen.

End­lich stieg er auf eine sehr hohe Pal­me, um einen Über­blick über das Land zu ge­win­nen; da be­merk­te er in wei­ter Fer­ne et­was Wei­ßes, das er sich nicht an­ders er­klä­ren konn­te, als dass es ein Haus sei. Er raff­te zu­sam­men, was er noch an Nah­rungs­mit­teln be­saß, und wan­der­te dem ver­meint­li­chen Hau­se zu. Als er aber in die Nähe kam, be­merk­te er: es war eine wei­che wei­ße Ku­gel von rie­si­gem Um­fan­ge; denn sie hat­te einen Durch­mes­ser von fünf­zig Schrit­ten.

Wäh­rend der un­glück­li­che See­fah­rer noch im­mer rat­los da­stand, ver­fins­ter­te sich plötz­lich der Him­mel, als gin­ge die Son­ne un­ter. Es war aber nicht die sin­ken­de Nacht, son­dern ein mäch­ti­ger Vo­gel, der sei­ne Schwin­gen vor der gol­de­nen Schei­be des Him­mels dehn­te, her­an­flog und sich auf die große wei­ße Ku­gel setz­te.

»Aha«, dach­te Sind­bad, »das ist der Vo­gel Roch, von dem die Schiffs­leu­te so viel zu er­zäh­len wis­sen; und die große wei­ße Ku­gel ist sein Ei, das er aus­brü­ten will. Wie wär’s, wenn ich die­sen Vo­gel Roch zu mei­nem Schif­fe mach­te?«

Der Vo­gel Roch hat­te das eine Bein ge­ra­de an der Sei­te des Eies her­ab­hän­gen, an wel­cher Sind­bad stand; und die­ses Bein war fast so dick wie ein mä­ßi­ger Baum­stamm.

Ge­dacht, ge­tan!

Wäh­rend es Nacht wur­de, nahm Sind­bad einen Strick aus der Ta­sche, schleif­te sich fest an das Bein des wun­der­sa­men Vo­gels und dach­te: »Ein­mal muss er das Ei doch ver­las­sen, und wenn ich auch nicht weiß, wo­hin er mich trägt – trost­lo­ser als die­se In­sel kann mein Auf­ent­halt un­mög­lich wer­den. Also, gu­ten Mut, Sind­bad!«


Kaum grau­te der Tag, so er­hob sich der Vo­gel Roch und stieg ker­zen­ge­ra­de ge­gen den Him­mel em­por. So hoch, dass Sind­bad die Erde als­bald nicht mehr se­hen konn­te. Da­rauf stürz­te er sich mit sol­cher Schnel­le her­ab, dass dem ar­men Man­ne Hö­ren und Se­hen ver­ging. Als er aber die Erde un­ter sich fühl­te, knüpf­te Sind­bad rasch den Kno­ten auf, mit dem er sich an des Vo­gels Fuße be­fes­tigt hat­te, und sah, wie der Vo­gel Roch mit sei­nem Schna­bel nach ei­ner Schlan­ge hieb, die eine un­er­hör­te Län­ge hat­te. Da­mit flog er da­von.

Sind­bad be­fand sich nun in ei­nem tie­fen Tale, und die Ber­ge rings­um wa­ren so hoch, dass sie mit ih­ren Gip­feln in die Wol­ken rag­ten. Und der arme Sind­bad dach­te: »Da habe ich wohl noch ein schlech­te­res Ge­schäft ge­macht, als mit der öden In­sel.«

Er be­gann nun, das Land um­her zu be­trach­ten. Da be­merk­te er zu sei­ner Ver­wun­de­rung Dia­man­ten, so groß wie die Er­däp­fel. Die la­gen da um­her wie Stei­ne und glänz­ten hel­ler als ge­fal­le­ne Ster­ne.

Aber sei­ne Freu­de an dem Reich­tum des Ta­les ver­ging, als er in der Fer­ne eine große An­zahl Schlan­gen er­kann­te; von de­nen war jede so dick, dass sie einen Ele­fan­ten hät­te ver­schlin­gen kön­nen, wenn nur ei­ner da­ge­we­sen wäre; und Sind­bad mach­te sich mit dem Ge­dan­ken ver­traut, dass er nun wohl an die Stel­le des Ele­fan­ten tre­ten müs­se. Zum Glück sah er, dass die Schlan­gen sich in ihre Höh­len zu­rück­zo­gen, weil es Tag wur­de; denn sie fürch­te­ten den Vo­gel Roch.

An die­sem Tage schritt Sind­bad gan­ze Weg­stre­cken lang auf glei­ßen­den Dia­man­ten, ohne die ge­rings­te Lust zu ha­ben, ei­ni­ge da­von auf­zu­he­ben, und je­der wäre doch ein Kö­nig­reich wert ge­we­sen. Aber die Nacht war schon wie­der auf dem Wege; denn weil die Ber­ge so him­mel­hoch wa­ren, ver­barg sich die Son­ne sehr rasch; und weil Sind­bad kei­nen Aus­weg aus dem Tale sah, er­späh­te er eine Höh­le zur Nachtru­he, kroch hin­ein und ver­schloss sie mit ei­nem Stei­ne. Nicht lan­ge, da ver­nahm er das Glei­ten der Rie­sen­schlan­gen drau­ßen, die ein­an­der mit furcht­ba­rem Zi­schen be­geg­ne­ten; jene Nacht ge­hör­te dar­um nicht zu den An­nehm­lich­kei­ten im Le­ben des See­fah­rers.

Er ver­moch­te kein Auge zu schlie­ßen und war froh, als die Son­ne end­lich einen Schein durch den Spalt am Tür­stein der Höh­le warf. Um die­se Zeit schritt er her­aus, aß noch den Rest sei­nes Mah­les und lehn­te sich zum Schla­fen an einen Fel­sen.

Kaum hat­ten sich sei­ne Li­der ge­senkt, als et­was mit großem Geräusche ne­ben ihm nie­der­fiel, das ihn jäh aus dem Schlum­mer riss. Es war ein großes Stück ro­hes Fleisch, und zu­gleich er­kann­te er, dass an den Hän­gen des Ta­les noch an­de­re und grö­ße­re Stücke her­ab­roll­ten.

»Dies ist also je­nes Tal der Dia­man­ten, von de­nen mir die Kauf­leu­te auf dem Schif­fe er­zählt ha­ben«, dach­te Sind­bad. Er hat­te die Ge­schich­te da­mals für ein Mär­chen ge­hal­ten; denn sie lau­te­te: »Das Tal der Dia­man­ten ist so tief und die Ber­ge rings­um­her sind so steil, dass kein Mensch hin­ab­stei­gen kann, um das edle Ge­stein zu ge­win­nen. Wer sich nun in den Be­sitz der Dia­man­ten set­zen will, der muss von den Gip­feln der Ber­ge große Stücke Fleisch in das Tal rol­len, dann kom­men die Ad­ler und tra­gen das Fleisch ih­ren Jun­gen in die Nes­ter auf den Gip­fel. An je­dem Stücke Fleisch aber sind et­li­che Dia­man­ten des Tal­grun­des hän­gen ge­blie­ben; und wer nun die Ad­ler von ih­rem Hors­te scheucht, der fin­det die Dia­man­ten.«

Was Sind­bad ge­fürch­tet hat­te, traf also zu: es gab kei­nen Aus­weg aus die­sem fürch­ter­li­chen Tale des To­des! Aber die Stun­de, die ihm die Be­stä­ti­gung die­ser Er­kennt­nis brach­te, er­füll­te ihn zu­gleich mit der gan­zen Freu­de köst­li­cher Hoff­nung. »Wie?« frag­te er sich, »hat mich nicht der Vo­gel Roch vie­le Mei­len durch die Luft ge­tra­gen? Und soll­te den Ad­lern die­ser Ber­ge nicht mög­lich sein, mich em­por­zu­schlep­pen zu je­nen Gip­feln?«

Er hat­te die­sen Ge­dan­ken kaum zu Ende ge­dacht, so band er sich auch schon das längs­te Stück des her­ab­ge­roll­ten Flei­sches auf den Rücken, sam­mel­te in Eile sei­nen le­der­nen Spei­se­sack voll der schöns­ten Dia­man­ten, schlang die­sen fest an sei­nen Gür­tel und leg­te sich auf den Bauch ins Gras.

Es wa­ren noch nicht fünf Mi­nu­ten ver­gan­gen, so ge­sch­ah ein Brau­sen in der Luft. Das kam von den Ad­lern, die sich gie­rig auf das Fleisch stürz­ten, das da um­her­lag; und der stärks­te un­ter ih­nen pack­te das größ­te mit sei­nen Fän­gen und trug Sind­bad samt dem Flei­sche zu sei­nem Horst.


Die Kauf­leu­te, die in der Nähe der Nes­ter auf der Lau­er la­gen, schlu­gen nun einen großen Lärm, bis sie die Ad­ler ver­scheucht hat­ten, und als­bald nä­her­te sich ei­ner dem Fle­cke, auf dem Sind­bad hock­te.

Na­tür­lich wun­der­te sich der Kauf­mann nicht we­nig, einen Men­schen in die­ser Ge­gend zu fin­den; und wie sie alle im Krei­se stan­den, staun­ten sie über die un­er­hör­te Dreis­tig­keit, mit der der See­fah­rer sei­ne List aus­ge­führt hat­te.

Sind­bad fühl­te sich aber nicht recht wohl im Be­sit­ze sei­ner Dia­man­ten; denn er dach­te: »Nun wer­den Sie mit Über­macht sich auf mich stür­zen und mich mei­nes kost­ba­ren Gu­tes be­rau­ben.« Dem war aber nicht so; denn je­dem Kauf­mann war ein be­stimm­tes Nest zu­ge­teilt, an des­sen In­halt die an­de­ren kein recht hat­ten. Und je­ner, der den Sind­bad statt der Dia­man­ten in sei­nem Hors­te ent­deck­te, hät­te für dies­mal das Nach­se­hen ge­habt, wenn Sind­bad nicht sei­nen Beu­tel auf­ge­tan und ge­sagt hät­te: »Da wäh­le dir einen der hells­ten Stei­ne, ich will ihn dir schen­ken!«

Der Glanz, der aus dem Beu­tel fiel, war leuch­ten­der als der Glanz der Son­ne und brach in ihre Au­gen, dass sie die Li­der sen­ken muss­ten; wa­ren sich doch alle ei­nig, dass sie so kost­ba­res Ge­stein an dem Hofe kei­nes Kö­nigs ge­se­hen hät­ten. Der Kauf­mann be­gnüg­te sich da­mit, einen ein­zi­gen von den Dia­man­ten Sind­bads für sich aus­zu­wäh­len, und Sind­bad for­der­te ihn auf, einen grö­ße­ren zu neh­men.

»Ach«, sag­te der glück­li­che Mann, »ich habe an die­sem einen ge­nug; denn er al­lein ist ein Kö­nig­reich wert.«

Des an­de­ren Ta­ges reis­ten sie über die Ber­ge von dan­nen, wo sie noch vie­le rie­si­ge Schlan­gen tra­fen, de­nen sie je­doch glück­lich ent­gin­gen. Sie er­reich­ten nach ei­ni­gen Wan­der­ta­gen einen Ha­fen und fuh­ren von da zu ei­ner In­sel, auf der in da­ma­li­ger Zeit ein Baum wuchs, aus de­nen die Men­schen den Kamp­fer ge­wan­nen. Die­ser Baum war so groß, dass sich in sei­nem Schat­ten tau­send Men­schen la­gern konn­ten. Nach­dem Sind­bad noch ei­ni­ge Han­dels­ge­schäf­te ab­ge­schlos­sen hat­te, reis­te er wie­der heim nach Bag­dad.

Nicht lan­ge hat­te er dort ge­ses­sen, so be­fand er sich wie­der auf dem Welt­mee­re, und ein wil­der Sturm er­fass­te dies­mal das Schiff, so­dass der Ka­pi­tän ge­zwun­gen war, eine In­sel an­zu­lau­fen, an der er viel lie­ber vor­über­ge­se­gelt wäre; denn jene In­sel war von ei­ner zahl­lo­sen Men­ge scheuß­li­cher Zwer­ge be­wohnt. Das wa­ren zwei Fuß hohe, be­haar­te Ge­sel­len, de­ren je­den ein Mann sich leicht vom Lei­be hal­ten konn­te. Aber sie ka­men in Scha­ren wie die Heuschre­cken, war­fen sich schon ins Meer, als sie das Schiff er­blick­ten, klet­ter­ten dar­an em­por wie die Rat­ten und wa­ren läs­ti­ger als ein Schwarm von Hor­nis­sen.

Aber der Ka­pi­tän hat­te ge­warnt, einen der Zwer­ge zu tö­ten; denn sonst wür­den die an­de­ren über die Schiffs­leu­te her­fal­len und nicht eher ru­hen, bis der letz­te der Mann­schaft ver­nich­tet sei.

Der Ka­pi­tän hat­te von Stun­d’ an kein Kom­man­do mehr auf sei­nem Schif­fe. Die Zwer­ge rich­te­ten das Steu­er, lan­de­ten und nö­tig­ten alle, die an Bord wa­ren, an Land zu ge­hen; das Schiff aber führ­ten sie nach ei­ner an­de­ren In­sel drau­ßen im Ozean.

Die Mann­schaft und die Rei­sen­den er­war­te­ten nun einen si­che­ren Tod. Alle gin­gen ein Stück land­ein­wärts und ka­men zu ei­nem großen Ge­bäu­de; das Tor tat sich auf, und sie tra­ten in einen Hof, dar­in la­gen auf der einen Sei­te sehr vie­le Men­schen­kno­chen, auf der an­de­ren eine Men­ge Brat­spie­ße. Kein Mensch konn­te von die­sem schreck­li­chen Orte flie­hen; denn das Tor hat­te sich mitt­ler­wei­le laut­los ge­schlos­sen.

Als die Son­ne un­ter­ging, trat mit mäch­ti­gem Geräusche ein Mann aus dem Hau­se, der war so groß wie ein Palm­baum, hat­te lan­ge Haa­re am Lei­be und auf der Stirn ein Auge, das glüh­te wie eine hei­ße Koh­le. Lan­ge Zäh­ne rag­ten aus sei­nem Mun­de her­vor, die Ober­lip­pe war ge­spal­ten wie bei ei­nem Ka­mel, und die Un­ter­lip­pe hing ihm bis auf die Brust her­nie­der. Sei­ne Ohren wa­ren wie die ei­nes Ele­fan­ten, und an den Fin­gern sa­ßen ihm Nä­gel wie die Klau­en ei­nes Ad­lers.

Das Un­ge­heu­er er­griff Sind­bad und dreh­te ihn um und um – wie der Schläch­ter einen Ham­mel. Als der Rie­se aber sah, dass er sehr ma­ger war, ließ er ihn los. So prüf­te er auch all die an­de­ren, und weil er er­kann­te, dass der Ka­pi­tän un­ter den An­kömm­lin­gen am bes­ten ge­nährt war, steck­te er ihn an einen Spieß und briet ihn über dem Feu­er. Dann ver­schwand er mit dem Bra­ten in sei­nem Hau­se und ver­zehr­te ihn zum Abend­brot.

Am nächs­ten Mor­gen öff­ne­te der Rie­se das Tor und schick­te die Män­ner auf die In­sel, da­mit sie sich Nah­rung such­ten. Als aber der Abend kam, wur­den sie alle von ei­ner un­sicht­ba­ren Ge­walt wie­der im Hofe des Schre­ckens zu­sam­men­ge­trie­ben, der Rie­se kam, wähl­te sich den Fet­tes­ten und ver­zehr­te ihn zum Abend­bro­te.

Am drit­ten Tage ge­sch­ah es wie zu­vor. Da sprach Sind­bad zu sei­nen Ge­nos­sen: »Es sind vie­le sehr schö­ne hohe Bäu­me an die­sem Stran­de. Wir wol­len uns heim­lich Flö­ße da­von bau­en und mor­gen von die­sem Stran­de flie­hen; denn hier war­tet der Tod si­che­rer auf uns als drau­ßen auf der ho­hen See.«

Sie mach­ten sich als­bald an die Ar­beit und wa­ren ge­ra­de fer­tig da­mit, als die un­sicht­ba­re Ge­walt sie wie­der in den Hof des Rie­sen trieb – alle muss­ten ihr fol­gen, wie die Nä­gel ei­nem Ma­gnet. Der Rie­se wähl­te sich aber­mals einen zum Mah­le aus und leg­te sich da­nach schla­fen. Als sie ihn drau­ßen schnar­chen hör­ten, sag­te Sind­bad: »Es ist zwar ver­bo­ten, einen Men­schen zu tö­ten – aber die­ser ist ein Mör­der. Kommt, glü­het die Brat­spie­ße und stoßt sie ihm ins Auge, da­mit wir frei wer­den!« Neun un­ter den Män­nern hat­ten Mut zu die­ser Tat, sie hiel­ten die Spit­zen der um­her­lie­gen­den Spie­ße in die Flam­me, schli­chen sich in das Schlaf­ge­mach des Rie­sen und stie­ßen ihm die glü­hen­den Ei­sen ins Auge.

Mit ei­nem furcht­ba­ren Ge­brüll er­hob sich der Wil­de und griff mit den Hän­den um sich, aber es ge­lang ihm nicht, einen sei­ner Pei­ni­ger zu fas­sen. Die flo­hen alle zum Stran­de, wo die Flö­ße la­gen, und war­te­ten auf das ers­te Licht, um zu ent­flie­hen. Aber noch ehe sie die schwan­ken Fahr­zeu­ge auf dem Was­ser hat­ten, nah­te auch schon der Rie­se, ge­führt von zwei gleich­großen schreck­li­chen Ge­sel­len … Da tat die höchs­te Eile not, und nicht lan­ge, so stie­ßen die Flö­ße vom Lan­de und schos­sen un­ter kräf­ti­gen Ru­der­schlä­gen hin­aus ins Meer. Aber die Rie­sen bra­chen Fels­stücke los, schleu­der­ten sie den Flie­hen­den nach und war­fen so ge­schickt, dass alle Flö­ße zer­trüm­mert wur­den – bis auf ei­nes. Die Schiffs­leu­te auf den an­de­ren muss­ten er­trin­ken, und nur die drei je­nes am wei­tes­ten ent­fern­ten Fahr­zeugs blie­ben heil. Un­ter die­sen be­fand sich Sind­bad.


Als die Ge­ret­te­ten nun aufs hohe Meer steu­er­ten, er­fass­te sie als­bald ein Sturm und warf sie an eine In­sel.

Ver­geb­lich such­ten sie auch hier nach Men­schen; als aber der Abend nah­te, kroch eine Schlan­ge, lang und schup­pig wie ein Palm­baum, des We­ges und ver­zehr­te die Beglei­ter Sind­bads, und auch er wäre dem Un­ge­tüm zum Op­fer ge­fal­len, hät­te er sich nicht auf eine List be­son­nen. Rasch trug er zu sei­nem Ver­ste­cke – ei­ner klei­nen Fel­sen­höh­le – einen Hau­fen dür­res Rei­sig, leg­te es dicht vor den Ein­gang und schlug Feu­er. Die gan­ze Nacht hin­durch ließ er eine Flam­me aus dem Rei­sig em­por­zün­geln, und im Grau­en des Ta­ges sah er ein Schiff vor­über­se­geln. Er klet­ter­te auf einen Fel­sen, er schrie, er gab Zei­chen al­ler Art – doch sei­ne Be­mü­hun­gen wa­ren ver­ge­bens. Elen­den To­des zu ster­ben schi­en sein Los.

Da in der höchs­ten Not be­sann er sich auf sei­ne Dia­man­ten, die er noch in dem Le­der­beu­tel am Gür­tel trug. Er hielt einen der ed­len Stei­ne in das Licht der auf­ge­hen­den Son­ne – und sieh, und sieh! Wie der strah­len­de Glanz ei­ner zwei­ten Son­ne flog es übers Meer! Da staun­ten die Schiffs­leu­te und steu­er­ten dem hei­ßen schö­nen Lich­te nach.

So wur­de Sind­bad ge­ret­tet und kam auch dies­mal glück­lich heim in sei­ne Va­ter­stadt Bag­dad. Aber die Genüs­se und Ver­gnü­gun­gen, de­nen er sich nach den Stra­pa­zen sei­ner drit­ten Rei­se hin­gab, ver­moch­ten ihn nicht lan­ge zu fes­seln. Er be­gab sich als­bald nach Per­si­en und schiff­te sich von Neu­em ein. In ei­nem Un­wet­ter war der Ka­pi­tän ge­zwun­gen, die Se­gel zu strei­chen, die Mas­ten zu kap­pen, und nicht lan­ge da­nach lief das Schiff auf ein Riff und zer­schell­te. Am Stran­de be­fan­den sich zum Glücke Quel­len und Früch­te, und die zu Tode er­schöpf­te Mann­schaft konn­te wie­der zu neu­en Kräf­ten kom­men.

Kaum er­schi­en die Son­ne des nächs­ten Ta­ges, so mach­te sich Sind­bad mit fünf sei­ner Ge­fähr­ten auf; denn sie hat­ten von ih­rem Fel­sen aus mensch­li­che Woh­nun­gen ge­se­hen. Als sie sich de­nen nä­her­ten, brach eine Schar schwar­zer, wil­der Men­schen dar­aus her­vor, um­ring­te die Frem­den und ge­lei­te­te sie un­ter großem Freu­den­ge­heul in eine der Hüt­ten. Dort setz­ten sie ih­ren wei­ßen Gäs­ten ein sehr wohl­schme­cken­des Kraut vor, von dem die­se in ih­rem Hun­ger aßen. Sind­bad aber, der eine List wit­ter­te, weil er merk­te, dass die Schwar­zen die Spei­se ver­schmäh­ten, kos­te­te nur ein we­nig da­von, und bald wur­de er ge­wahr, dass der Ge­nuss des Krau­tes sei­nen Ge­nos­sen den Ver­stand voll­stän­dig ver­wirr­te. Sie ge­bär­de­ten sich wie trun­ken und aßen nun große Men­gen Reis, der mit Ko­kos­öl zu­be­rei­tet war, und den die Wil­den nur reich­ten, um die Frem­den zu mä­s­ten.

Sind­bad, der als der ein­zi­ge sei­nen kla­ren Ver­stand be­hal­ten hat­te, er­kann­te sein trau­ri­ges Schick­sal, und die Not sei­ner Tage mach­te ihn fast zum Ske­lett. Da­rum ver­schon­ten ihn auch die Wil­den und trös­te­ten sich mit der Hoff­nung, dass auch die­ser eine in spä­te­rer Zeit ih­nen noch einen gu­ten Bis­sen lie­fern soll­te, jetzt aber ga­ben sie nur we­nig auf ihn acht.

Ei­nes Ta­ges hat­ten die Wil­den ihre Hüt­ten ver­las­sen, nur ein paar alte Frau­en wa­ren zu­rück­ge­blie­ben, da sah Sind­bad die Stun­de sei­ner Flucht ge­kom­men. Er ent­wisch­te, und als die Frau­en nach ihm rie­fen, ver­dop­pel­te er sei­ne Schrit­te und lief, bis die Nacht her­ein­brach.

Sie­ben Tage ging er so in ei­nem fort und leb­te von Ko­kos­nüs­sen, die er am Wege fand. Am ach­ten kam er zum Stran­de des Mee­res und be­merk­te plötz­lich einen Men­schen, der Pfef­fer­früch­te sam­mel­te. Der führ­te Sind­bad zu sei­nen Ge­nos­sen, und mit ih­nen ver­ließ er we­ni­ge Tage dar­auf die ge­fähr­li­che In­sel.

Am drit­ten Mor­gen lan­de­te das Schiff an ei­nem frucht­ba­ren Ei­lan­de, auf dem eine sehr schö­ne Stadt stand. Man führ­te Sind­bad zum Kö­ni­ge, der ihn freund­lich emp­fing und ihn auf­for­der­te, mit ihm um die In­sel zu rei­ten. Da be­merk­te der See­fah­rer, dass in die­sem klei­nen Rei­che je­der ohne Sat­tel, ohne Bü­gel und Zü­gel zu Pfer­de saß. »Ei«, sprach er, »das ist ein selt­sa­mer Brauch. Herr Kö­nig, ich will Euch da­für et­was Bes­se­res zei­gen!«

Er stell­te also einen Sat­tel her, pols­ter­te ihn und be­zog ihn mit wei­chem Le­der; er flocht einen Zü­gel und ließ von ei­nem Schmie­de ein Paar Steig­bü­gel an­fer­ti­gen.

Dem Kö­ni­ge, der da von all die­sen Din­gen nichts wuss­te, ge­fiel die neue Art zu rei­ten sehr wohl. Er be­lohn­te Sind­bad reich­lich und er­nann­te ihn so­fort zu sei­nem Staats­mi­nis­ter. Da­mit Sind­bad das Reich des In­sel­kö­nigs aber nicht so bald wie­der ver­las­se, schenk­te ihm die­ser das schöns­te jun­ge Mäd­chen zum Wei­be.

Nun ge­sch­ah es bald da­nach, dass die Frau ei­nes vor­neh­men Man­nes ge­stor­ben war; Sind­bad ging zu ihm, um ihm ei­ni­ge Wor­te des Tros­tes zu sa­gen, aber der vor­neh­me Mann blieb trau­rig und sprach: »Was nützt mir dein Trost, mein lie­ber Mi­nis­ter Sind­bad, da ich mor­gen doch ster­ben muss?«

»Ei«, ent­geg­ne­te Sind­bad, »du bist ja frisch und ge­sund. Wa­rum soll­test du denn mor­gen zu Tode kom­men?«

»Und es wird doch ge­sche­hen«, er­griff der an­de­re wie­der das Wort; »denn hier­zu­lan­de ist es Ge­setz und Sit­te, dass die Frau dem Man­ne, der Mann der Frau in das Grab folgt.«

Sind­bad ließ sich das noch ein­mal sa­gen; denn er hat­te auf all sei­nen Fahr­ten nie von die­sem wun­der­li­chen Brau­che ge­hört. Und am an­de­ren Tage muss­te er se­hen, dass sie die Tote zu Gra­be tru­gen. Das Grab lag auf ei­nem ho­hen Ber­ge. Als man die Lei­che hin­ab­ge­senkt hat­te, setz­te sich der vor­neh­me Mann auf eine Bah­re, man stell­te einen Krug Was­ser ne­ben ihn und reich­te ihm sie­ben klei­ne Bro­te. Da­nach glitt auch die­se Bah­re in die Tie­fe.

Sind­bad, weil er Mi­nis­ter war, hielt so­fort eine Kon­fe­renz mit dem Kö­ni­ge; aber der Kö­nig zog die Ach­seln und sag­te: »Mein lie­ber Mi­nis­ter Sind­bad, an die­ser schö­nen Ge­pflo­gen­heit ist nichts zu än­dern; und mir selbst und dir auch wird es so er­ge­hen wie je­nem vor­neh­men Man­ne, wenn un­se­re Frau­en vor uns ster­ben.«

Von Stun­d’ an ward Sind­bad sehr nach­denk­lich und ver­wünsch­te das Ge­schenk, das ihm der Kö­nig in je­nem jun­gen Wei­be ge­macht hat­te. Er be­ob­ach­te­te die Frau aufs sorg­sams­te, und je­des Un­wohl­sein er­füll­te ihn mit Grau­en und Furcht. Ei­nes Ta­ges klag­te sie über hef­ti­ge Schmer­zen; Ärz­te wur­den ge­holt, alle Mit­tel wur­den ver­sucht – ver­geb­lich: die jun­ge Frau konn­te ihr La­ger nicht mehr ver­las­sen, und nach sie­ben Ta­gen war sie tot.

»Das ist eine schö­ne Ge­schich­te«, dach­te Sind­bad; denn er stell­te Be­trach­tun­gen sehr trüb­se­li­ger Art an. Aber es fiel ihm nichts ein, wo­durch er sich hät­te aus sei­ner üb­len Lage be­frei­en kön­nen. So kam der drit­te Tag her­an und mit ihm das Be­gräb­nis; der Kö­nig und alle Vor­neh­men der Stadt ga­ben der To­ten das Ge­lei­te zu dem Brun­nen auf der Spit­ze des Ber­ges, in den sie und ihr über­le­ben­der Gat­te ver­senkt wer­den soll­ten. Sind­bad schritt tod­blei­chen An­ge­sichts dicht hin­ter der Bah­re, und so sehr er noch auf die­sem letz­ten Gan­ge den Kö­nig bat, ge­gen ihn das har­te Ge­setz die­ses Lan­des nicht an­zu­wen­den – es half nichts; denn der Kö­nig mein­te, er sei der ers­te Die­ner des Staa­tes und müss­te das Ge­setz vor al­lem er­fül­len.

Zu­erst senk­te man die Tote in den Schacht der tie­fen Grot­te, dann setz­te sich Sind­bad auf die für ihn be­reit­ste­hen­de Bah­re, emp­fing sei­nen Krug Was­ser und die sie­ben klei­nen Bro­te, und lang­sam, lang­sam glitt die Bah­re an Stri­cken in die Fins­ter­nis. Dann wur­de der Stein über der Brun­nen­öff­nung ge­schlos­sen. »Wäre es nicht bes­ser, die Stirn an den Schrof­fen der Wän­de ein­zu­sto­ßen«, dach­te Sind­bad, »als in die­ser furcht­ba­ren Nacht zu ver­hun­gern?« Er tas­te­te mit sei­nen Hän­den und fühl­te Lei­chen um sich her. Aber die Lie­be zum Le­ben war zu groß in ihm – er er­griff den Krug und trank, er fand die Bro­te und aß da­von.


So war die drit­te Nacht her­an­ge­kom­men, und Sind­bads Vor­rat an Nah­rungs­mit­teln war auf­ge­zehrt. Auf ein­mal ver­nahm er ein Keu­chen, wie das ei­nes ge­hetz­ten Tie­res, er hör­te ein Geräusch, als wenn dies Tier durch einen Spalt im Ber­ge sich zwäng­te, er sah die Au­gen die­ses Tie­res, die sich gie­rig wie grü­ne Lich­ter in die Nacht stell­ten. Es war eine Hyä­ne, die, von dem Ge­ruch der Ver­we­sung an­ge­lockt, einen Weg in das schau­der­vol­le Grab ge­fun­den hat­te.

Ein Über­maß von Freu­de kam in des ar­men Sind­bad Herz; denn er dach­te: auf dem Wege, auf dem die­ses Tier durch die un­ter­ir­di­schen Grot­ten ge­gan­gen sei, müs­se auch er ans Licht kom­men. Er be­gann zu tas­ten, er er­griff einen Kno­chen als Waf­fe ge­gen die Hyä­ne und scheuch­te sie in die Flucht; er kroch auf al­len vie­ren einen un­end­lich lan­gen Gang durch Za­cken und Schrof­fen und durch trie­fen­des Ge­stein. End­lich sah er – wie einen Stern – ein Licht in der Nacht der Tie­fen auf­ge­hen: das war der Tag, der weit, weit­hin vor dem Ein­gan­ge des un­ter­ir­di­schen We­ges stand. Und als Sind­bad zu die­ser Öff­nung ge­lang­te, bran­de­te rings­um­her das Meer, und wil­de Klip­pen hin­gen um ihn, über die noch kei­nes Men­schen Fuß ge­schrit­ten war.

Kaum konn­te der ge­quäl­te Mann noch auf den Fü­ßen ste­hen. Er fiel nie­der und dank­te sei­nem Got­te für die wun­der­ba­re Ret­tung; dann fing er sich ei­ni­ges See­ge­tier, das er roh ver­zeh­ren muss­te; aber durch sie­ben Tage fris­te­te er sein Le­ben in der Ein­sam­keit, und am ach­ten kam ein Schiff mit ge­bläh­ten Se­geln her­auf; der Ka­pi­tän er­kann­te den Men­schen in den Klip­pen des Stran­des, sand­te ein Boot zu ihm, das brach­te ihn an Bord, und mit dem Schif­fe ge­lang­te er in die heiß­er­sehn­te Hei­mat.

Aber die Lust zu neu­en Rei­sen war dem Hel­den so vie­ler Aben­teu­er auch durch die­se Stra­pa­zen nicht ge­nom­men wor­den. Nach Jahr und Tag rüs­te­te er zu neu­er Fahrt. Nicht lan­ge, so lan­de­ten sie an ei­ner wei­ßen In­sel, dort fan­den sie ein Ei des Vo­gels Roch, wel­ches eben­so groß wie je­nes frü­he­re und schon lan­ge be­brü­tet war; denn der Schna­bel des jun­gen Rie­sen­vo­gels hat­te schon eine Öff­nung in die Scha­le ge­pickt.

Die Kauf­leu­te, die sich bei Sind­bad be­fan­den, hat­ten so et­was noch nie ge­se­hen, dar­um mach­ten sie sich so­fort dar­an, das Ei mit ih­ren Äx­ten in Stücke zu schla­gen und den jun­gen Vo­gel her­aus­zu­ho­len. Sind­bad warn­te sie zwar ein­dring­lich, aber er fand kein Ge­hör; und nicht lan­ge, so ver­fins­ter­te sich die Luft, und zwei mäch­ti­ge Wol­ken flo­gen nä­her und nä­her.

Der Ka­pi­tän er­kann­te, dass die Wol­ken nichts an­de­res sei­en als die al­ten Vö­gel, dar­um gab er Be­fehl, so rasch als mög­lich auf das Schiff zu ei­len; und ein paar Au­gen­bli­cke spä­ter stieß das Fahr­zeug denn auch mit vol­len Se­geln vom Lan­de.

Wie die bei­den Ro­che merk­ten, dass ihr Jun­ges ge­tö­tet war, flo­gen sie ih­ren Weg zu­rück und ka­men in kur­z­er Frist wie­der; je­der aber trug dies­mal einen mäch­ti­gen Fels­block zwi­schen den Fü­ßen. Als sie ge­ra­de über dem Schif­fe wa­ren, ließ der eine den Fel­sen aus den Kral­len glei­ten, und er muss­te das Schiff zer­schmet­tern, wenn der Steu­er­mann nicht eine ge­schick­te Wen­dung aus­ge­führt hät­te. Da­rum fiel der Fels­block ins Meer und zer­riss die Flu­ten der­art, dass man den Grund des Ozeans se­hen konn­te. Der an­de­re Vo­gel Roch aber ließ sei­nen Fels­block so ge­nau auf die Mit­te des Schif­fes fal­len, dass es in tau­send Sp­lit­ter zer­schell­te. Alle Ma­tro­sen und Kauf­leu­te wur­den er­schla­gen, nur Sind­bad, der sich in der Tie­fe des Fahr­zeugs ver­bor­gen hat­te, tauch­te le­bend em­por, und es ge­lang ihm, sich auf ein Stück des Wracks zu ret­ten. Er wäre aber den­noch elend zu­grun­de ge­gan­gen, wenn er nicht zu­fäl­lig in eine Mee­res­s­trö­mung ge­trie­ben wor­den wäre, die ihn sanft und bei schöns­tem Wet­ter an den Strand ei­ner In­sel trug.

Bä­che von süßem, köst­li­chem Was­ser ran­nen durch die grü­nen Auen die­ses Lan­des, und Bäu­me mit al­ler­lei Früch­ten wuch­sen in Men­ge rings­um­her.

Sind­bad aß von den Früch­ten und er­quick­te sich an den küh­len Quel­len, als er plötz­lich einen Greis am Ufer ei­nes Ba­ches sit­zen sah, der so ge­brech­lich schi­en, als hät­te er auch Schiff­bruch er­lit­ten. »Ach, lie­ber Herr«, klag­te der Greis, »könn­tet Ihr mich nicht auf Eu­ren Schul­tern durch den Bach tra­gen?«

Sind­bad, der ein sehr ge­fäl­li­ger Mann war, be­sann sich nicht lan­ge, hob den Al­ten auf sei­ne star­ken Schul­tern und trug ihn hin­über.


Aber als er ihn dort ab­set­zen woll­te, wei­ger­te sich der Rei­ter, sei­nen Sitz zu ver­las­sen, und alle An­stren­gun­gen Sind­bads, der Last le­dig zu wer­den, blie­ben er­folg­los. Und wenn er sich mit ihm ins Gras streck­te, der Rei­ter wich nicht von sei­nem Plat­ze. Tau­send Lis­ten fie­len dem See­fah­rer ein, aber der Alte war klü­ger, und so füg­te sich Sind­bad sei­nem schreck­li­chen Lose, mit der Last des Grei­ses durch sei­ne Tage wan­dern zu müs­sen.

Ein­mal – es wa­ren schon ei­ni­ge Wo­chen ver­gan­gen, seit er das Reit­tier des strup­pi­gen Al­ten ge­wor­den – fand er einen sehr schö­nen Fla­schen­kür­bis, den höhlte er aus, press­te den Saft ei­ni­ger Trau­ben hin­ein und stell­te ihn in die Son­ne, da­mit der Saft gäre. Nach ein paar Ta­gen kam er wie­der zu dem Orte, fand den Trank aus­ge­zeich­net und leer­te den Kür­bis zur Hälf­te. Die Wir­kung des Wei­nes war vor­treff­lich: Sind­bad be­kam neue Kraft und neu­en Le­bens­mut und zog sin­gend mit sei­ner schwe­ren Last durch das son­ni­ge Land.

Da der Alte die wun­der­ba­re Wir­kung des Wei­nes er­kann­te, woll­te er auch zu trin­ken ha­ben. Sind­bad trab­te also zu der Kür­bis­fla­sche zu­rück; der Greis sog den Kür­bis mit durs­ti­gen Lip­pen leer und ward von dem un­ge­wohn­ten Ge­trän­ke so ver­gnügt, dass er sich nicht mehr auf den Schul­tern Sind­bads hal­ten konn­te: als die­ser ei­ni­ge Sprün­ge mach­te, ku­gel­te der trun­ke­ne Rei­ter von sei­nem Röß­lein und fiel einen schwe­ren Fall ins Gras.

Nun war das La­chen an Sind­bad. »Ich könn­te dich mit ei­nem Bau­mast er­schla­gen«, sag­te er, »um dich für die Übel­tat zu stra­fen; aber ich sehe da eben, dass du in dei­nen schmut­zi­gen Haa­ren ei­ni­ge sehr wert­vol­le Per­len trägst, so groß wie Ha­selnüs­se. Wenn du mir die gibst, will ich dir dein Le­ben schen­ken.«

»So, so«, mach­te der Greis. »Sol­che Din­ger kann ich mir sehr leicht wie­der ver­schaf­fen, die ha­ben gar kei­nen Wert für mich und sind in mein Haar ge­kom­men, ich weiß nicht wie.«

Da lös­te Sind­bad drei wei­ße und eine köst­li­che schwar­ze Per­le aus den strup­pi­gen Haa­ren und schätz­te, dass die Klein­odi­en einen Wert von vier Sch­lös­sern ha­ben möch­ten. »Da­mit hast du dei­ne Schuld be­zahlt«, sag­te er, »und nun wün­sch’ ich dir einen gu­ten Tag.«

Der Alte schau­te ihm mit sau­ren Bli­cken nach, aber Sind­bad eil­te so schnell er konn­te zum Stran­de; denn er sah ge­ra­de ein Schiff vor­über­se­geln, dem er sich be­merk­bar mach­te, so­dass es lan­de­te und ihn auf­nahm.

Als er den Schiffs­leu­ten sein Aben­teu­er er­zähl­te, staun­ten sie sehr und sag­ten: »Du bist ein Glückspilz, Sind­bad; denn du bist kei­nem an­de­ren in die Hän­de ge­fal­len, als dem Meer­greis; und die­ser grau­sa­me Ge­sel­le hat noch kei­nen aus sei­nen Kral­len ge­las­sen.«

Nach ei­ni­ger Zeit lan­de­te das Schiff im Ha­fen ei­ner großen Stadt; Sind­bad schloss sich dort ei­ni­gen Kauf­leu­ten an, die mit Sä­cken aus­zo­gen, Ko­kos­nüs­se zu sam­meln.

Als­bald ge­lang­ten sie in einen großen Wald, der aus sehr ho­hen, sehr glat­ten Bäu­men be­stand, so­dass es un­mög­lich war, ohne Lei­tern bis in die Kro­nen der Bäu­me em­por­zu­klet­tern.

Als die Män­ner in den Wald tra­ten, sa­hen sie eine große Men­ge wü­ten­der Af­fen, die sich mit er­staun­li­cher Be­hän­dig­keit von Wip­fel zu Wip­fel schwan­gen.

Die Kauf­leu­te sam­mel­ten Stei­ne und war­fen dann nach den Af­fen, die aber setz­ten sich in Ver­tei­di­gung, und weil sie kei­ne Stei­ne hat­ten, so ris­sen sie die schwe­ren Nüs­se von den Bäu­men und schleu­der­ten sie ge­gen ihre Fein­de. Auf die­se Wei­se füll­ten sich die Sä­cke der Samm­ler rasch, und als sie die Nüs­se ver­kauf­ten, lös­ten sie eine Men­ge Geld.

Sind­bad ver­wen­de­te das sei­ne auf eine sehr merk­wür­di­ge Wei­se: er ding­te sich ei­ni­ge Schwar­ze, die er zur Per­len­fi­sche­rei ver­wen­de­te, bis ein Schiff un­ter Se­gel ging, das ihn zur Hei­mat führ­te. Die Per­len aber brach­ten ihm beim Ver­kauf un­er­mess­li­che Reich­tü­mer.

Nach Ver­lauf ei­nes Jah­res litt es ihn aber­mals nicht mehr da­heim. Das Schiff, das er im per­si­schen Meer­bu­sen be­stieg, hat­te eine so un­glück­li­che Fahrt, dass Ka­pi­tän und Steu­er­mann den Weg ganz und gar ver­lo­ren; denn zu da­ma­li­ger Zeit wa­ren die Schif­fe noch nicht mit den Hilfs­mit­teln von heu­te aus­ge­rüs­tet. Ei­nes Ta­ges ge­bär­de­te sich der Ka­pi­tän wie ein Ra­sen­der, warf sich auf das Deck und riss sich den Bart aus; dann schrie er: »Wir be­fin­den uns an der ge­fähr­lichs­ten Stel­le des Ozeans; eine rei­ßen­de Strö­mung treibt das Schiff, in ei­ner Vier­tel­stun­de sind wir alle des To­des!«

Das war eine sehr üble Aus­sicht; und kaum wa­ren die Wor­te des Ka­pi­täns ver­hallt, so trieb das Schiff mit der Schnel­lig­keit ei­nes Stur­mes ge­gen einen sehr ho­hen und stei­len Berg, an dem es zer­schell­te. Zwar wur­den alle Per­so­nen und die meis­ten Wa­ren ge­ret­tet, aber der Schiffs­haupt­mann war un­tröst­lich und schrie: »Gr­abt euer Grab und lasst uns ein­an­der Le­be­wohl sa­gen; denn von die­sem Ort ist noch kein Mensch le­bend ge­kom­men.«

Die Küs­te war ganz mit den Trüm­mern ge­schei­ter­ter Schif­fe be­deckt, un­er­mess­li­che Reich­tü­mer an Gold, Per­len und sel­te­nen Mu­scheln wa­ren am Strand auf­ge­häuft. Aber all die­se Din­ge dienten nur dazu, den Schmerz der Ge­stran­de­ten zu ver­meh­ren. Der Berg hielt je­den Wind von die­ser Stel­le ab, so­dass nie­mand auf den Trüm­mern der Schif­fe sich ret­ten konn­te; denn die rei­ßen­de Strö­mung wü­te­te mit gan­zer Kraft. Der Berg selbst war aber so steil, dass kein Mensch an dem über­hän­gen­den Ge­wän­de em­por­zu­klim­men ver­moch­te.

Wie Leu­te, die ih­ren Ver­stand ver­lo­ren hat­ten, lag die Schiffs­mann­schaft ta­ge­lang in den Trüm­mern um­her. Die zu­erst star­ben, wur­den von den an­de­ren be­gra­ben. Zu­letzt war Sind­bad al­lein üb­rig­ge­blie­ben, weil er mit sei­nen Nah­rungs­mit­teln am bes­ten haus­ge­hal­ten hat­te; aber als er den letz­ten sei­ner Ge­nos­sen be­grub, blie­ben ihm nur noch so we­nig Le­bens­mit­tel, dass auch er sich sein ei­ge­nes Grab schau­fel­te.

Nun mün­de­te nicht weit von je­ner Stel­le ein Fluss ins Meer; der brach aus ei­nem Fel­sen­to­re von köst­li­chen Edel­stei­nen; und wer in das Tor hin­ein­blick­te, schau­te nichts als gäh­nen­de Tie­fe und un­er­mess­li­che Nacht. Und wäh­rend Sind­bad das rät­sel­haf­te Fel­sen­tor be­trach­te­te, sag­te er zu sich: »Die­ser Fluss wird dich viel­leicht nur auf ei­nem Tei­le sei­nes Lau­fes un­ter der Erde ver­ber­gen. Wie, wenn ich mir ein Floß bau­te und auf sei­nen Wo­gen vor­wärts­drän­ge? Vi­el­leicht käme ich dann von die­sem Un­glück­sor­te fort und in ein schö­nes, hel­les Land!«


Er be­gann also un­ge­säumt an sei­nem Flo­ße zu ar­bei­ten, be­lud es mit ei­ni­gen Bal­len Ru­bi­nen, Sma­rag­den, grau­em Am­bra und kost­ba­ren Stof­fen, die da um­her­la­gen, und setz­te es mit zwei Ru­dern in Be­we­gung.

Nicht lan­ge, und das Floß fuhr in die Wöl­bung des Ber­ges hin­ein. Ei­ni­ge Tage trieb Sind­bad in tiefer Nacht, durch die nicht der kargs­te Licht­strahl schim­mer­te. Manch­mal war die Wöl­bung so nied­rig, dass er nur im Sit­zen ru­dern konn­te. Von den ta­ge­lan­gen Mü­hen aber war er so müde, dass er end­lich in einen tie­fen Schlaf sank, und er war so gleich­gül­tig ge­gen sein Schick­sal ge­wor­den, dass er nicht ein­mal dar­an dach­te: die Strö­mung wer­de ihn nun wie­der zur Stät­te sei­ner Qual zu­rück­trei­ben.

Dem war aber nicht so; denn zum Glück ent­sch­lief er just an ei­ner Stel­le des Stro­mes, an wel­cher die­ser einen Arm aus­sand­te, des­sen Be­we­gung das Floß so­fort auf­nahm und vor­wärts­dräng­te.

Und als er er­wach­te, be­fand er sich mit­ten in ei­ner wei­ten Land­schaft voll herr­li­cher Bäu­me; das Floß war am Ufer fest­ge­bun­den, und rings­um­her stand eine Men­ge Schwar­zer, die den An­kömm­ling neu­gie­rig be­trach­te­ten, der aus der Tie­fe des Ber­ges ih­nen zu­ge­trie­ben wor­den war.

Die Schwar­zen wa­ren sehr freund­li­che Leu­te, lie­ßen sich Sind­bads Ge­schich­te er­zäh­len und ver­sorg­ten ihn reich­lich mit Spei­se und Trank. Der Kö­nig aber gab ihm Ge­schen­ke, ließ ein Schiff aus­rüs­ten, und da­mit er­reich­te er glück­lich die Hei­mat. So be­schwer­lich die Rei­se ge­we­sen war, er hat­te sein Be­sitz­tum da­bei doch wie­der der­ma­ßen ver­mehrt, dass man in al­len Län­dern die Ge­schich­te von Sind­bads des See­fah­rers un­er­mess­li­chen Reich­tü­mern er­zähl­te.

Da ließ ihn ei­nes Ta­ges der Kö­nig ru­fen und sag­te: »Mein lie­ber Sind­bad! Mein Freund, der Kö­nig von Se­ren­dyb, hat mir ein Schiff mit den herr­lichs­ten Schät­zen der Welt ge­schenkt, und es ist nö­tig, dass ich mich ihm dank­bar da­für be­zei­ge. Du musst mir einen Dienst leis­ten und dem Kö­ni­ge mei­ne Ge­gen­ge­schen­ke über­brin­gen.«

Die­ser Be­fehl traf Sind­bad wie ein Don­ner­schlag; er er­zähl­te in Eile die schreck­li­chen Müh­sa­le sei­ner Fahr­ten, aber der Kö­nig ließ sich nicht rüh­ren und sag­te: »Das sind ja si­cher­lich sehr merk­wür­di­ge Din­ge, die du er­fah­ren hast, doch dür­fen sie dich nicht ab­hal­ten, den Wunsch dei­nes Kö­nigs zu er­fül­len; denn wenn du un­ge­hor­sam wä­rest, müss­te ich dich tö­ten las­sen. Du sollst ja nur nach der In­sel Se­ren­dyb rei­sen, und es steht bei dir, nach Er­le­di­gung mei­nes Auf­tra­ges so­fort um­zu­keh­ren.«

Weil Sind­bad sah, dass der Kö­nig auf sei­nem Wil­len be­stand, er­klär­te er sich schwe­ren Her­zens be­reit; denn ihm ahn­te Un­heil; und nach we­ni­gen Ta­gen stach sein Schiff in See.

Der Kö­nig schick­te sei­nem Freun­de ein Bett von Gold­stoff, der so wert­voll war wie drei Se­gel­schif­fe und zwölf ara­bi­sche Hengs­te, schick­te fünf­zig Ge­wän­der aus At­las, Bro­kat und Schar­lach; hun­dert an­de­re von feins­tem Ge­we­be aus Kai­ro; er schick­te ein Ge­fäß aus Achat und eins aus Ru­bin, bei­de einen Fin­ger dick und mit ei­ner Öff­nung von der Wei­te ei­nes hal­b­en Fu­ßes, er sand­te wei­ße Ros­se mit pur­pur­nen De­cken – die Herr­lich­keit der Schät­ze lässt sich nicht auf­zäh­len, die das Schiff barg.

Und Sind­bad lan­de­te auch glück­lich im Ha­fen des Kö­nigs von Se­ren­dyb, emp­fing vie­le rei­che Ge­schen­ke, und am vier­ten Tag entließ ihn der Kö­nig mit ho­hen Ehren.

Aber es dau­er­te nicht lan­ge, so wur­de das Schiff von See­räu­bern über­fal­len, die je­den von der Mann­schaft nie­der­met­zel­ten, der sich zur Wehr setz­te. Die­je­ni­gen, die üb­rig­b­lie­ben, wur­den ih­rer schö­nen Klei­der be­raubt, in Lum­pen gehüllt und von den Räu­bern nach ei­ner fer­nen In­sel ge­bracht, wo sie ver­kauft wur­den.

Sind­bad wur­de von ei­nem sehr rei­chen Kauf­mann er­stan­den, der ihn so­fort in sei­ne Woh­nung führ­te und ihn mit ei­nem Skla­ven­an­zug be­klei­de­te. Dann frag­te ihn der Kauf­mann, ob er gut mit dem Bo­gen schie­ßen könn­te.

»Dies ist eine mei­ner Ju­gen­d­übun­gen ge­we­sen«, ant­wor­te­te Sind­bad, »und ich glau­be, ich habe die­se Kunst seit­dem nicht ver­lernt.«

Da­rauf gab ihm sein Herr Bo­gen und Pfei­le, hieß ihn ne­ben sich auf einen Ele­fan­ten stei­gen, und bei­de rit­ten nun in einen großen Wald. Dort be­fahl er Sind­bad: »Stei­ge nun von dem Reit­tier, nimm Pfeil und Bo­gen und klet­te­re auf einen die­ser sehr ho­hen Bäu­me. Es gibt in die­sem Wal­de eine große Men­ge Ele­fan­ten. Da­von sollst du mir et­li­che er­le­gen, und so­bald du einen ge­trof­fen hast, be­nach­rich­ti­ge mich; denn ich wer­de noch in die­ser Stun­de zu­rück­rei­ten in die Stadt.«

Er gab ihm auch ei­ni­ge Le­bens­mit­tel mit und ritt als­bald von dan­nen, um der Ge­fahr aus dem Wege zu kom­men.

Sind­bad blieb den Tag und die fol­gen­de Nacht jä­ger­wach­sam auf dem Bau­me sit­zen; aber ein Ele­fant zeig­te sich nicht. Als je­doch die Son­ne von Neu­em stieg, zog eine gan­ze Her­de durch den Wald; Sind­bad schoss meh­re­re Pfei­le ge­gen sie und traf so glück­lich, dass eins der Tie­re, zu Tode ver­wun­det, zu­sam­men­brach. Die an­de­ren be­ga­ben sich auf die Flucht, und der ge­schick­te Bo­gen­schüt­ze hat­te Zeit, zu sei­nem Herrn zu ent­kom­men und ihm die Kun­de zu brin­gen. Der Herr be­lob­te sei­nen neu­en Skla­ven sehr, ging mit ihm und ei­ni­gen sei­ner Ar­bei­ter in den Wald, und sie be­gru­ben den Ele­fan­ten an der Stel­le, an der er ge­fal­len war. Nach ei­ni­ger Zeit, in wel­cher der Leib ver­wit­tern soll­te, woll­te der Kauf­mann wie­der­kom­men und die Stoß­zäh­ne des er­leg­ten Wil­des an sich neh­men; denn er war ein El­fen­bein­händ­ler.

Sind­bad muss­te von da ab Tag und Nacht im Wal­de zu­brin­gen, und es ge­lang ihm fast täg­lich, einen Ele­fan­ten zu er­le­gen.

Zwei Mo­na­te hat­te er die­se Jagd aus­ge­übt, da er­schie­nen ei­nes Ta­ges sehr vie­le je­ner mäch­ti­gen Tie­re, um­stell­ten den Baum, auf dem Sind­bad sich ver­bor­gen hat­te, und be­gan­nen ein er­der­schüt­tern­des Brül­len. Ei­ner der größ­ten aber er­fass­te den un­te­ren Teil von Sind­bads Baum mit dem Rüs­sel, ent­wur­zel­te ihn mit ei­nem Ruck und warf ihn zur Erde.


Aber was der zu Tode er­schro­cke­ne Mann ge­fürch­tet hat­te, ge­sch­ah nicht; son­dern der Ele­fant pack­te ihn, hob ihn sich auf den Rücken, setz­te sich an die Spit­ze des Zu­ges und trug ihn zu ei­nem sehr fer­nen, von Wald um­ge­be­nen Hü­gel. Dort setz­te er ihn auf die Erde und –– das gan­ze Heer der Ele­fan­ten lief, so schnell dies ge­hen moch­te, von dan­nen.

Zu­nächst war Sind­bad mehr tot als le­ben­dig. Als er aber sei­ner Sin­ne wie­der mäch­tig wur­de, er­kann­te er, dass rings­um­her die Ske­let­te von mehr als hun­dert Ele­fan­ten in der Son­ne bleich­ten, und an je­dem die­ser Ske­let­te be­fan­den sich die Stoß­zäh­ne von köst­li­chem El­fen­bein.

Sind­bad wun­der­te sich über die Ma­ßen. Hat­ten ihm die klu­gen Tie­re die­sen Platz nicht ge­zeigt, da­mit er auf­hö­ren sol­le, die Le­ben­den zu ver­fol­gen? Es war of­fen­bar die Be­gräb­nis­stät­te der Ele­fan­ten; aber Sind­bad fand es doch ge­ra­ten, dies Kno­chen­feld so rasch als mög­lich zu ver­las­sen.

Mit der Nach­richt von dem selt­sa­men Fun­de kam er am an­de­ren Tage zu sei­nem Herrn. Der über­zeug­te sich von der Wahr­heit die­ser Ge­schich­te und um­arm­te Sind­bad, in­dem er sprach: »Mein Bru­der – du sollst hin­fort nicht mehr mein Skla­ve sein – Gott möge dich mit al­lem Glücke über­häu­fen! Je­des Jahr ha­ben die Ele­fan­ten mir eine große Men­ge Skla­ven ge­tö­tet. Und doch ha­ben wir bis jetzt auf kei­ne an­de­re Wei­se El­fen­bein er­hal­ten kön­nen, als wenn wir das Le­ben der Skla­ven dar­an­wag­ten. Nun wird durch dich un­se­re gan­ze Stadt reich wer­den! Glau­be nicht, dass ich dir nur die Frei­heit schen­ke – nein, ich will dich mit Ga­ben der sel­tens­ten Art er­freu­en und will den Kö­nig bit­ten, dass er dich zum Statt­hal­ter er­nennt.«

»Ich dan­ke für die Ehre«, er­wi­der­te Sind­bad höf­lich; denn er dach­te an die Zeit, in der er schon ein­mal Staats­mi­nis­ter ge­we­sen war, »ich er­bit­te mir nichts wei­ter, als die Er­laub­nis, heu­te nach Hau­se rei­sen zu dür­fen.«

»Das ist sehr scha­de«, sag­te der Kauf­mann; »aber da­mit du siehst, wie lieb ich dich habe, sollst du dir ein Schiff mit El­fen­bein be­la­den; denn ich habe ge­se­hen, dass ich au­ßer­dem noch sie­ben Vor­rats­häu­ser voll von je­nem Hü­gel her­bei­schaf­fen las­sen kann.«

Die­ses Ge­schenk nahm Sind­bad mit großem Dank an, schiff­te sich als­bald ein und lös­te aus dem Schat­ze der Zäh­ne einen klei­nen Berg Gold.

Der Kö­nig be­lohn­te ihn reich­lich; aber Sind­bad be­zeig­te hin­fort kei­ne Lust mehr zu so ge­fahr­vol­len Rei­sen, son­dern leb­te in Bag­dad als ein klu­ger und wohl­tä­ti­ger Rei­cher, ge­ehrt und ge­liebt von der gan­zen Stadt. Und der­lei Leu­te sol­len in al­len Lan­den nicht gar vie­le sein.


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Tausend und eine Nacht

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