Читать книгу Als wär's in 1001 Nacht - Max Göldi - Страница 8
ОглавлениеReisefieber
Im März 1978, mit knapp 23 Jahren, kehre ich der Schweiz zum ersten Mal für längere Zeit den Rücken, um in London etwas von der «grossen, weiten Welt» zu sehen und um Englisch zu lernen. Dieser Aufenthalt ist aber nur als kurze Ouvertüre vor der eigentlichen Entdeckungsreise geplant, denn als «verspäteter» Hippie träume ich davon, auf dem Landweg nach Indien zu reisen, wo ich mit meinen wenigen Ersparnissen, dem harten Schweizer Franken sei Dank, lange ein angenehmes Leben führen werde. Ich stelle mir vor, dass ich dort von exotischen Schönheiten umgeben am feinsandigen Strand unter schattenspendenden Kokospalmen haschischrauchend auf den tiefblauen Ozean hinausblickend sorgenfreie Tage verbringen werde. Das Schicksal hat aber ganz andere Pläne für mich parat, denn in London treffe ich auf Yasuko, eine gleichaltrige Japanerin, die ich nicht nur sehr exotisch, sondern auch äusserst cool finde und ich dabei die traumhaften Inderinnen prompt vergesse. Und so kommt es, dass ich zu Beginn des Jahres 1979 statt in einem Aschram in Indien mit Yasuko in einem Kibbuz in Israel lande. Für Weltenbummler ist es in den Siebzigerjahren äusserst beliebt, ein paar Monate als Volontär in einer dieser genossenschaftlich organisierten ländlichen Siedlungen zu verbringen. Die Feldarbeit, meist werde ich in den Bananenplantagen als Träger eingeteilt, ist recht hart, aber der Spass kommt auch nie zu kurz, denn die sorglosen Jugendlichen aus aller Welt, die sich als Volontäre verdingen, wollen vor allem eines: Spass haben. Es ist ein unbekümmertes Leben, aber irgendwann wird mir klar, dass ich nicht dauerhaft auf «Hippie» machen will und wieder eine Arbeit finden sollte, die nicht ausschliesslich durch Kost und Logis entlohnt wird. Ich bin nun aber definitiv vom Reisevirus infiziert und kann mir nicht vorstellen, wieder in der Schweiz sesshaft zu werden. Ich suche deshalb eine Tätigkeit, bei der ich reisen kann, wenn möglich ausserhalb Europas.
Die Götter sind mir wohlgesinnt, denn im Oktober 1979, also nach eineinhalb Wanderjahren, trete ich eine Stelle an, die meinen Vorstellungen und Wünschen beinahe ideal entspricht: eine technisch-handwerkliche Aufgabe im Bereich Elektrotechnik, meinem Fachgebiet, mit längeren Auslandeinsätzen vorwiegend in Entwicklungsländern. «Brown, Boveri & Cie.» heisst der Arbeitgeber, der aber in der Kurzform «BBC» besser bekannt ist. BBC, mit Hauptsitz in Baden und für Schweizer Verhältnisse ein Grosskonzern, ist global tätig und hat Tochterfirmen auf allen Kontinenten. Das Produktespektrum dieses Elektrotechnikkonzerns umfasst unter anderem komplette Kraftwerke und Umspannwerke, elektrische Lokomotiven, Radiosender, Funkanlagen und vieles mehr. Konkret handelt es sich bei meiner Stelle um die Position eines «Inbetriebsetzers» in den Bereichen Telemetrie und Telekommunikation, deren Büros und Werkstätten in Turgi, einer Nachbargemeinde von Baden, angesiedelt sind. Ich kann mein Glück kaum fassen, es ist wirklich meine Wunscharbeitsstelle in jeder Hinsicht.
Bevor ich aber als Inberiebsetzer die grosse weite Welt bereisen darf, heisst es erst einmal die Schulbank drücken und die Welt der Telemetrie und Telekommunikation näher kennenlernen. Ich werde deshalb zuerst einmal in die betriebsinterne Kundenschulung geschickt, wo ein älterer Herr mit einer unglaublichen Geduld und Ruhe versucht, Kameltreibern aus Jordanien, Massai-Kriegern aus Kenia und Ingenieuren aus diversen weiteren Entwicklungsländern in die Geheimnisse der Elektrotechnik einzuweihen. Die Grundlagenkenntnisse einiger Kursteilnehmer sind, um es einmal milde auszudrücken, teilweise etwas dürftig, und dementsprechend geht es nur im Schneckentempo vorwärts.
Um die erworbenen Kenntnisse in der Praxis zu vertiefen und zu festigen, werde ich anschliessend in die sogenannte Anlagenprüfung geschickt, wo die Kommunikationssysteme kundenspezifisch zusammengebaut, programmiert, getestet und schliesslich für den Transport vorbereitet werden. Die elektronischen Geräte sind in mannshohen Schränken aus Stahlblech eingebaut, die in Reih und Glied in der Anlagenprüfung aufgestellt werden. Da die Kunden meines Bereiches mehrheitlich aus Asien, Afrika und Südamerika stammen, weht ein Hauch von «grosser, weiter Welt» durch die Halle. An einem beliebigen Tag stehen zum Beispiel Schränke für Nigeria neben solchen für Venezuela, Projekte für Indonesien werden neben Projekten für Ghana aufgebaut, und am Hallenende überprüfen vielleicht gerade Ingenieure aus China, ob die zur Auslieferung bereitstehenden Geräte tatsächlich den Anforderungen gemäss ihrer Bestellung entsprechen.
Ich bekomme nun oft auch Gelegenheit, mit altgedienten Inbetriebsetzern ins Gespräch zu kommen, denn zwischen verschiedenen Auslandeinsätzen, während sie zum Beispiel auf ein Visum warten, werden sie in der Anlagenprüfung beschäftigt. Sie sind meine Vorbilder. Total coole Typen sind das, von denen ich eine Menge lernen kann. Bildlich gesprochen, bin ich ja der unerfahrene Rekrut und sie die kampferprobten Veteranen, die schon so manche Scharmützel überlebt haben. Diese verwegenen Kerle haben immer spannende Geschichten zu erzählen, aber womöglich handelt es sich manchmal auch um Seemannsgarn. Auf jeden Fall kann ich es kaum erwarten, endlich selber loszuziehen.
Nach rund fünf Monaten Grundausbildung finden meine Chefs, es wäre an der Zeit, mein Können in einem Auslandeinsatz unter Beweis zu stellen. Sie finden, dass der einfachste Einstieg für einen Grünschnabel wie mich in einem Grossprojekt wäre, denn so hätte ich Kollegen vor Ort und wäre nicht ganz auf mich alleine gestellt, wie dies bei kleineren Projekten meist der Fall ist. Momentan gibt es Grossprojekte in Nigeria, Ghana, Peru, in der Elfenbeinküste und im Irak, und mir ist es eigentlich ziemlich egal, welchem Projekt ich zugeteilt werde, Hauptsache ich kann bald meine Koffer packen. Schliesslich wird entschieden, dass meine Feuertaufe im Irak stattfinden soll.
Karte des Irak (die helle Fläche ist das Staatsgebiet)
Einige der im Buch erwähnten Orte sind wie folgt markiert:
• Arbeitsorte von Max Göldi in schwarzer Schrift
• antike Stätte in roter Kursivschrift
• wichtigste Gewässer in blauer Schrift